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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Wem gehört die Commons-Debatte?Versuch einer kommunistischen RückeroberungFortsetzung: Statt Privateigentum und Lohnarbeit - Thomas Gehrig über Commons und die Praxis der Diggers, erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/11 Nicht nur Toni Negri und Michael Hardt haben mit ihrem 2010 erschienenen Buch über den »Common Wealth« das Gemeinwohl für sich entdeckt und eine Debatte über die Rückeroberung der Gemeingüter angestoßen. Schon seit einiger Zeit schwirrt dieser Begriff durch die Debatten – von Autonomen bis Gewerkschaften, von Böll- bis Luxemburg-Stiftung. Genau genommen stellt er sich bereits mit der Entstehung seines Gegenübers, des bürgerlichen Privateigentums. Doch was aktuell mit »Commons« genau gemeint ist und welche Hoffnungen sich dann jeweils daran knüpfen, ist erst noch zu klären. Wir beginnen mit diesem Artikel von Thomas Gehrig eine Reihe von Beiträgen zu den »Commons«, die sich zum Zwecke der kommunistischen Rückeroberung bis in die radikalen Anfänge zurück und wieder nach vorne arbeiten werden. Commons, zu deutsch Gemeingüter, sind ›angesagt‹. Auch die linksliberale bis linke Politik hat sie für sich entdeckt. Der Begriff, um den sich dabei alles dreht, ist hinreichend suggestiv. Mit ihm lassen sich die unterschiedlichsten Vorstellungen wecken, wobei zugleich der Eindruck entsteht, als gäbe es einen gemeinsamen Gegenstand des Interesses. Der Begriff Commons ist derart unbestimmt und vielfältig besetzbar, dass er überall Anschlüsse generiert. Er kann auf alles bezogen werden, und alle können sich auf ihn beziehen. Alles lässt sich im aktuellen Jargon der Commons neu bzw. umformulieren. Commons ist so zu einem black-box-Begriff geworden, ähnlich dem der ›Nachhaltigkeit‹ des ökologischen Diskurses. Er bedient damit die ideologischen Muster bürgerlicher Öffentlichkeit. Das Spektrum der Inhalte, mit denen der Begriff gefüllt wird, reicht von der (Wieder-)Entdeckung eines »Commonismus« [1] bis zu liberalen Vorstellungen einer privaten Güterverwaltung für jene Fälle, in denen der Markt entsprechende Regelungen nicht effektiv bereitstellen kann, ohne dass auf den Staat zurückgegriffen werden muss. Peter Barnes macht folgende Rechnung auf: »Unternehmen + Gemeinschaftsgüter = Kapitalismus 3.0« (Barnes 2008: 200). Ullrich Brand warnt vor diesem Hintergrund zu Recht vor einem neoliberalen Commons-Begriff. Commons könnten hier auch als »die ›zweitbeste‹ Lösung« betrachtet werden, »nämlich wenn Marktversagen eintritt«, wobei »sich wesentlich der Staat um ihre Bereitstellung bzw. ihren Schutz zu kümmern habe« (Brand 2009: 242). Für Brand selbst geht es dagegen darum, Bereiche vor der »Inwertsetzung« zu schützen bzw. sie der »Profit- und Akkumulationslogik« des Kapitalismus zu entziehen (Brand 2009: 238). Wie offen der Begriff und wie heterogen damit der Gegenstand Commons aufgefasst wird, kann ein Blick auf die Inhaltsverzeichnisse entsprechender Sammelbände zum Thema zeigen. Als Beispiel soll hier in erster Linie der von Silke Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) herausgegebene Band »Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter« (München 2009) dienen. Als Folge der Heterogenität und Unbestimmtheit, die der Gegenstand Commons mit sich führt, präsentieren zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema eigene Definitionsversuche. Auch in dem Sammelband der HBS finden sich einige Bemühungen in dieser Richtung. Im Folgenden werden solche Findungsversuche genauer betrachtet. Gemeingüter seien, so Yochai Benkler, »institutionelle Räume, in denen Menschen ungehindert von den für Märkte notwendigen Beschränkungen handeln können«. Dort unterliegen sie jedoch zugleich, so Benkler, anderen Beschränkungen »gesellschaftlicher, physischer oder regulatorischer Art« (Benkler 2009: 96). Die entdeckten Räume sind also keine »anarchische[n] Bereiche«, sondern es geht hier durchaus auch um Regelung, die allerdings von der marktlichen abgegrenzt werden soll: Gemeingüter seien »eine spezielle Form des institutionellen Arrangements bezüglich der Nutzung [...] von Ressourcen«. Der Unterschied zwischen Gemeingütern und privateigentümlicher Nutzung liege darin, »dass kein Individuum allein die ausschließliche Kontrolle über Zugang und Nutzung« besitze (Benkler 2009: 97). Nun trifft dies jedoch auf fast alle bürgerlichen Eigentumsformen (EigentümerInnengesellschaften in den verschiedensten Varianten), außer der der ›klassischen‹ IndividualeigentümerIn zu. Als wesentliche Differenz bleibt damit die unbestimmte ›andere‹ Form der Beschränkung und Regulierung der Gemeingüter. Unklar ist insofern, was unter den oben genannten »institutionellen Arrangements«, vor allem hinsichtlich der Entscheidungs- und Organisationsstrukturen, zu verstehen ist. Festzuhalten bleibt, dass Gemeingüter über ihre spezifische Regulierung bestimmt und durch sie gekennzeichnet werden sollen. Die Ziele dieser Regulierung stellen sich in der Commons-Bewegung jedoch als äußerst heterogen bis widersprüchlich dar: Geht es den einen darum, den Zugang und die bisher ›freie‹ Nutzung von Gütern oder Ressourcen einzuschränken bzw. zu regulieren (Beispiel sind hier vor allem Naturressourcen), geht es anderen um den Abbau von (jeglichen) Regulierungen (Stichworte sind IT-Medien, freier Zugang zu Wissen etc.). Die Frage bleibt also: Was macht Commons aus, die in besonderer Weise reguliert werden sollen, oder: welche Art der Regulierung macht etwas zu einem Common? In einer Besprechung des neuesten Buches von Negri/Hardt (»Common Wealth«, Frankfurt am Main 2010), in dem mit den Commons das Ende des Eigentums beschworen wird, stellt Christian Frings entsprechende begriffliche Unbestimmtheiten heraus. Bei Negri/Hardt werde »jede Positionierung [...] an anderer Stelle relativiert, und jede Klarheit gehe in langen Passagen philosophischer Geschwätzigkeit wieder verloren – nicht ohne am Ende doch ein Konzept aus dem Hut zu zaubern, das vertraut leninistisch wirkt, wenn wir das postmoderne Vokabular ein bisschen abkratzen« (Frings 2010). Auch bei Negri/Hardt soll die Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse politisch gesteuert werden. Für Vercelli/Thomas sind Gemeingüter »Güter, die allen Mitgliedern einer Gemeinschaft gehören« (Vercelli/Thomas 2009: 103). Sie unterscheiden in ihrem weitgehend definitorisch angelegten Aufsatz zunächst zwischen materiellen und immateriellen Gemeingütern, wobei letztere wiederum nach den Graden der freien bzw. reglementierten Nutzung unterschieden werden. Ihre Definitionen bleiben trotzdem oft unklar: Materielle Güter hätten Allmende-Charakter, »wenn sie aus einer Gemeinschaft entstehen« (Vercelli/Thomas 2009: 110). [2] Nach dieser Definition wäre aber nahezu alles menschlich produzierte Allmende. An anderer Stelle heißt es, Gemeingüter seien auch bewegliche Güter ohne Besitzer, wie »Fische in einem See«. Seen sind auf diesem Planeten jedoch i.d.R. keine herrenlosen Gebiete mehr, somit hat jeder Fisch seinen ›Herrn‹, der über ihn bestimmen kann, sei es direkt als Eigentümer oder als staatliche Oberaufsicht. Eine ganz andere Perspektive kristallisiert sich in diesem Beitrag heraus, wenn Vercelli/Thomas sich von Definitionsversuchen abwenden und der Frage nachgehen, wie Gemeingüter entstehen. Zunächst heißt es, der Gemeincharakter unbeweglicher Güter sei »historisch entstanden; durch mangelnde Regulierung und durch direkte gemeinsame Inbesitznahme und Nutznießung« (Vercelli/Thomas 2009: 110). Zugleich formulieren die AutorInnen jedoch, dass der Gemeincharakter materieller Güter durch Verträge entstehe. Dies werde möglich, »soweit die Gesetzgebung dem nicht entgegen steht« (110). Als Beispiel dient der Aufzug in einem Haus mit Eigentumswohnungen. Entscheidend werden auch für die vertraglich eingerichteten Gemeingüter die zugrunde gelegten Regelungen. Es sei die Verwaltung des Gutes, die über sein »Schicksal« bestimme (110). Im Ergebnis halten die AutorInnen fest, dass nichts ›von Natur aus‹ Gemeingut ist. Der Gemeincharakter wird als »Ergebnis eines Konstruktionsprozesses« und damit zugleich als Resultat der entsprechenden »politischen und sozialen Kämpfe[ ]« (Vercelli/Thomas 2009: 113) verstanden. Damit ist das Gemeingut, was gesellschaftlich als Gemeingut bestimmt wurde. Die Frage, die sich hier anschließt, ist nicht die naturforscherische: Wie bestimme ich ein Gemeingut?, sondern die politische: Was soll Gemeingut sein? Der Mangel, der aus dem Fehlen einer klaren und allgemeinen Vorstellung oder begrifflicher Definitionen resultiert, wird verstärkt durch die Bandbreite jener Gegenstände und Bereiche, die unter das Label ›Commons‹ gefasst werden. Gerade auch der bereits angeführte Sammelband kann als Beleg dafür dienen, welch unterschiedlichste Themen im Commons-Diskurs untergebracht werden. In den dort versammelten Beiträgen geht es u.a. um die Bodenfrage, Forstgemeinschaften und Fischerei ebenso wie um freie Software, Wikipedia (die Standardbeispiele), Gene, Kulinarisches, Medikamente, Krieg, Wissenschaft, Management, die Atmosphäre oder den Wohlstand überhaupt. In dem von Barbara Unmüßig verfassten Vorwort umfassen die Commons so verschiedenes wie Wasser, Kultur, Atmosphäre, Saatgut, Software, Wissen und öffentliche Räume. Unmüßig stimmt in ihrem Beitrag das Lob der Gemeingüter an: sie seien »verlässlich«, »allgegenwärtig«, »großzügig« und »modern« (Unmüßig 2009: 7f.). Das »Konzept der Gemeingüter« – als gäbe es ein solch allgemeingültiges und ausweisbares Konzept – bringe die »Prinzipien von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratie mit Innovationsfreundlichkeit zusammen« und transportiere darüber hinaus die »Idee der ökosozialen Marktwirtschaft«. Damit gleichen die Eigenschaften der Commons den Attributen der ökosozialen Marktwirtschaft, um deren Innovation es in der grünen Commons-Debatte tatsächlich geht. Bei der Innovation, auf die mit dem »scheinbar alte[n]«, jedoch modernen »Paradigma der Allmende« gezielt wird, geht es um ein »neues Gleichgewicht zwischen lebendiger Bürgergesellschaft, dem Markt und dem Staat«. In dieser »Bürgergesellschaft« werden jene »erfolgreichen Prinzipien, Organisationsformen und Institutionen des Wirtschaftens« verortet, die »jenseits von Markt und Staat« liegen sollen (alle Zitate: Unmüßig 2009: 7f.). Der Markt jedoch gehört essentiell zur BürgerInnengesellschaft. Es ist also das Kunststück zu vollbringen, die BürgerInnengesellschaft in eine Markt-Gesellschaft und eine Commons-Gesellschaft aufzuspalten. Für welche Bereiche nun die Commons-Gesellschaft zuständig sein soll und ob sich alle drei Instanzen bei der Organisation des Wirtschaftens vertragen, ist zu hinterfragen. Klar wird, dass der Vorzug der Commons darin gesehen wird, Regelungsmöglichkeiten jenseits von Markt und Staat bereitzustellen. Dieser Einschätzung könnten Liberale wie Kommunisten zustimmen. Insofern ist aufzuklären, was dies »jenseits von Markt und Staat« jeweils bedeutet. Steht dahinter die frühsozialistische Utopie einer geldlosen Tausch-Ökonomie? Oder geht es darum, nach dem Subsidiaritätsprinzip sozialstaatliche in private, gar verwandtschaftliche Dienstleistungen umzuwandeln? Geht es um öffentliche und zugleich nichtstaatliche Institutionen der Ressourcenverwaltung? Stehen hinter dem Commons-Gedanken altbekannte gesellschaftliche Out-Optionen (Frings nennt sie »Exodus«), Ausstiegsszenarien wie Landkommunen, die Aneignung städtischer Brachflächen durch urban gardening-Projekte etc.? Oder haben die AutorInnen neu entdeckt, dass es in der Überwindung der bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung um die Etablierung radikal neuer Organisationsformen gesellschaftlicher Reproduktion gehen muss, die die markt- und staatskapitalistischen ablösen? Diese in der Tat linke Forderung würde sich dann jedoch jenseits von Markt, Staat und BürgerInnengesellschaft positionieren. Das ist von der grünen Commons-Debatte zunächst nicht zu erwarten. Ihr geht es darum, dass die »Kurse auf dem Marktplatz des Gemeinwohls, des sozialen Zusammenhalts, [...] der Freiheit und Zukunftsfähigkeit wieder steigen« (Unmüßig 2009: 8). Damit ist eine zentrale Funktion des Diskurses bürgerlicher Öffentlichkeit angesprochen: Es geht um die Sicherung des Zusammenhalts und die gedeihliche Fortentwicklung des Gemeinwesens, wobei Perspektivität sowie Bestandsbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft immer vorausgesetzt bleiben. Auch in der von Helfrich verfassten Einleitung des Sammelbandes sind Gemeingüter eher diffus ›definiert‹. Sie seien, so heißt es dort, »ein Netz« aus »unseren Beziehungen« zu »Ressourcen«, ein »Gewebe unserer mannigfaltigen Wirtschafts- und Sozialbeziehungen« (Helfrich 2009: 11), und umfassen dabei so unterschiedliche Bereiche wie Gene, Land, Töne, Sprache, Wasser etc. An anderer Stelle berichtet Helfrich, sie »werde oft gefragt, was genau Gemeingüter sind« (Helfrich 2009a). Eine »wissenschaftliche Definition«, so Helfrich, werde es kaum geben können, doch auch eine ›unwissenschaftliche‹ Bestimmung wird nicht gegeben. Statt zu definieren, verweist sie auf die Arbeit der Ökonomie-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom (s.u.), zählt Beispiele auf oder zitiert: Gemeingüter seien »ein gut gehütetes Geheimnis unseres Wohlstands« (Sachs) oder »das Netz des Lebens« (Shiva). Damit wird jedoch die Sache alles andere als klarer. Die Frage danach, was Gemeingüter seien, werde »üblicherweise so beantwortet: die biologische Vielfalt, das Wasser, der Boden, der genetische sowie der Softwarecode, Algorithmen und kulturelle Techniken wie Lesen und Schreiben«. Als Gemeingüter gelten aber auch: Wissen, Noten, das elektromagnetische Spektrum, die Zeit, Spielregeln, Stille, Wikipedia, die Atmosphäre (Helfrich 2009a) sowie Ideen, Kultur und das Sonnenlicht (Helfrich 2007a: 73). Was ist jedoch das Gemeinsame der hier immer nur aufgezählten Bereiche? Helfrich vermerkt dazu: Gemeingüter seien »wesentlich« (Helfrich 2009a) und geht dazu über, die Bedeutung der Gemeingüter zu beschreiben: »›Natürliche Gemeingüter sind notwendig für unser Überleben, soziale Gemeingüter sichern den Zusammenhalt, und kulturelle Gemeingüter sind Bedingung für unsere individuelle Entfaltung.‹ (aus: Manifest ›Gemeingüter stärken. Jetzt!?‹)« (Helfrich 2009a). Helfrich will, »ohne auf eine griffige, universelle Definition zurückzugreifen«, die »Frage stellen, was alle commons gemeinsam haben«. Die Antwort hierauf lege frei, »was die Verteidigung der biologischen Vielfalt mit dem Kampf für freie Soft- und Hardware«, »die Auseinandersetzung um Zugang zu Wissen und Kultur« oder »um den Zugang zu Wasser« oder »gegen den Klimawandel« gemein hätten. »Kurz: Die Idee der Gemeingüter ermöglicht, wieder zusammen zu denken, was zusammen gehört« (Helfrich 2009a). Doch eine klare Antwort, was denn dies Gemeinsame genau sei und damit, was ein Gemeingut ausmache, gibt Helfrich nicht. Letztlich sucht sie nach »politischen Institutionen«, die das Commons-Konzept umsetzen und regeln (Helfrich 2007). Insofern geht es um die politische Steuerung einer Reform. Kernpunkt der Commons ist offenbar auch bei ihr ein spezifisch geregelter Umgang mit Ressourcen bzw. »Gemeinressourcen«. Sie proklamiert, dass »[j]eder Mensch [...] das gleiche Recht auf Nutzung dieser Ressourcen« habe (Helfrich 2009a). Es fehlt nur noch die Antwort auf die ›Gretchenfrage‹, wer definiert, was »Gemeinressourcen« sind, auf die wir alle das gleiche Recht auf Nutzung haben. Und wer setzt diese egalitären Nutzungsrechte gegen die herrschende Eigentumsordnung durch? Zumindest für den »Kampf um freie [...] Hardware« (s.o.), vor allem in Gestalt der Produktionsmittel, könnte Helfrich sicher den fortschrittlichen Teil der ArbeiterInnenbewegung gewinnen. Die nebulösen Argumentationen, die die Definition von Commons auf ein Beschwören ihrer umfassenden Bedeutung reduzieren, verschleiern letztlich sogar, dass es in vielen Bereichen von »Gemeinressourcen« bereits ein Erfolg wäre, würde der Staat seine hoheitsrechtlichen Mittel zu deren Schutz konsequent einsetzen. Die Commons sind jedoch nicht nur Gegenstand politischer Überlegungen, sondern auch wissenschaftlicher Forschungen im Bereich der Ökonomie. Der US-amerikanischen Politologin Ostrom wurde aufgrund solcher Forschungen 2009 der Nobelpreis für Ökonomie zuerkannt. Sie hat in ihren Untersuchungen zu historischen Phänomenen der Allmendewirtschaft herausgefunden, dass Menschen gemeinsam Dinge regeln können, auch ohne Markt oder Staat. Sie können dies, wenn gemeinsame Interessen vorliegen, offenbar auch über Generationen hinweg. Ihre Untersuchungsbeispiele sind u.a. Weiden und Bewässerungssysteme. Commons werden nach Ostrom von »kollektive[n] Bedarfsgemeinschaft[en]« (»collective consumption unit[s]«) betrieben (Ostrom 2009: 222). Sie stellt marktlichen und planstaatlichen Regulierungen die Allmendewirtschaft als eine mögliche und unter spezifischen Umständen sinnvolle und effektive Regulierungsweise entgegen. Für diese fordert sie ein z.T. »komplexes mehrschichtiges oder polyzentrisches Verwaltungssystem« (Ostrom 2009: 220) »mit den unterschiedlichsten Formen der Bürgerbeteiligung« (Ostrom 2009: 228). Der Kernpunkt gelingender Commons sind dabei allgemein anerkannte, legitimierte Institutionen. Nach Ostrom können, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind (klare Regeln, Kontroll-, Konfliktlösungs- und Sanktionsmöglichkeiten, Anerkennung der internen Institutionen durch den Staat etc.), Commons auch im ökonomischen Sinn effektiv sein. Lassen wir an dieser Stelle das Problem der ökonomischen Theorie beiseite, begründet bestimmen zu müssen, was hier ›effektiv‹ heißt, genauer: wie Kosten und Nutzen berechnet oder bestimmt und gegeneinander abgewogen werden können. Mit Ostroms Untersuchung wird zumindest die liberale Klage von der notwendig eintretenden ›Tragödie der Allmende‹ (Hardin), d.h. der Glaubenssatz der neueren, individualistischen Ökonomie, dass jede gemeinschaftliche Nutzung von Produktionsmitteln notwendig dem Untergang geweiht ist, ›empirisch‹ widerlegt. Erfolgreiche Commons setzen bei Ostrom auf Selbstverwaltung und interne Regelsetzung. Der Staat muss dabei, nachdem die ›Erstausstattung‹ (Beteiligte, Eigentum, Regelungsmodus) gegeben und akzeptiert ist, nur in Extremfällen eingreifen (Streit, Neuregelung mit Auswirkungen nach außen). Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen es hätte, würden die von Ostrom gewonnenen Erkenntnisse mit der Axiomatik der Neoklassik konfrontiert. Welche Konsequenzen folgen aus der Feststellung, dass gesellschaftliche Kooperation möglich ist und ebenso ›effizient‹ oder gar ›effizienter‹ sein kann als individuelle Nutzenmaximierung im Konkurrenzverhalten auf Märkten? Inwieweit löst sich hier die Grundlage der Neoklassik, der methodische Individualismus auf? Ostrom selbst bemerkt, dass ihre Forschungsergebnisse mit dem »mikroökonomische[n] Modell des Individuums« (Ostrom 2009: 219), wie es u.a. die Neoklassik verwendet, nicht zu vereinbaren sind. [3] Mit den für das Funktionieren der Commons entscheidenden Regeln (vgl. Ostrom 1999: 120ff.) werden zugleich unterschiedliche basale Festlegungen zum Umfang der Commons getroffen: »›Grenzregeln‹« (Ostrom 2009: 222) bestimmen, wo eine Commons-Einheit beginnt und aufhört, und es wird festgelegt, wer zu der Gruppe »legitimer Nutznießer« zählt. Grundsätzlich gilt: »Regeln können [...] nur dann effektiv sein, wenn sie allen Beteiligten bekannt sind, verstanden, befolgt und durchgesetzt werden und als legitim gelten« (alle Zitate: Ostrom 2009: 223). Grundbedingung der Commons-Verwaltung ist insofern eine spezifische Eigentumsregelung, die allgemein anerkannt ist. Die Definition des Eigentums und der Nutznießer (Besitzer), das Aufstellen von Regeln und die Anerkennung durch den Staat stehen am Anfang dieser Commons. Aus diesen Festlegungen können dann »gut funktionierende selbstverwaltete Institutionen« resultieren (Ostrom 2009: 222). Die funktionierende Institutionalisierung von Regeln ist für Ostrom ein entscheidendes Merkmal der Commons. Dabei legt sie Wert auf Transparenz und Legitimität der Institution und auf Selbstverwaltung. Was jedoch ist hier unter ›Selbstverwaltung‹ zu verstehen? Wer darf in welcher Weise mitverwalten? Was schützt die weiterhin unter kapitalistischen Bedingungen agierenden Institutionen der Commons-Verwaltung davor, in die Handlungslogik von Unternehmen einzutreten? Damit würde die Perspektive des kurz- und mittelfristigen unternehmerischen Gewinns zurückkehren. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich diese Institutionen von Gesellschaften privater AnteilseignerInnen unterscheiden. Was schützt andererseits eine Commons-Verwaltung davor, in die marktwirtschaftlich beklagte bürokratische bzw. staatliche Ineffizienz oder die direkte oder indirekte Korruption überzugehen? Ein weiteres Problem ist die Generierung entsprechender Eigentumstitel über das, was als Common verwaltet werden soll. Wie ist es beispielsweise vorstellbar, das Meer oder die Atmosphäre eigentumsrechtlich als Common verwalten zu lassen? Hier müssten nicht nur neue Eigentumstitel gesetzt werden, sondern es würden auch bestehende Besitztitel verletzt (z.B. Rechte der Ressourcennutzung wie Fangrechte, Emissionsrechte etc.). Deutlich wird dies am Beispiel von Ressourcen wie Erdöl- und Gasvorkommen bzw. generell bei Bodenschätzen. Sie sind entweder bereits privates Eigentum oder befinden sich unter staatlicher Verfügung. Grundsätzlich muss hinterfragt werden, welche Art und Reichweite der Commons unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen überhaupt möglich ist. Die Quadratur des Kreises – eine moralisch angeleitete, weitgehende staatliche Handhabe und Verfügung über Eigentumsrechte unter Beibehaltung kapitalistischer Marktwirtschaft – ist auch Kennzeichen des »Kapitalismus 3.0« von Barnes. Für Barnes sind Gemeinschaftsgüter »Gaben«, die »wechselseitig geteilt« werden, wie »Luft, Wasser, Ökosysteme, Sprachen, Musik, Feiertage, Geld, Gesetze, Mathematik, Parks, das Internet« (Barnes 2008: 28). Als weiteres Merkmal führt er die »gemeinsame Verpflichtung« an, »sie zu bewahren« (Barnes 2008: 29). Der »Gemeinschaftsgütersektor« soll einen »geregelten Bereich unserer Wirtschaft« bilden (Barnes 2008: 30). Benötigt würden neue Institutionen, um dieses Gemeineigentum zu verwalten (Barnes 2008: 103). Deren Rechtstitel würden »durch den Staat zuerkannt« (Barnes 2008: 107). Barnes denkt u.a. an gesellschaftliche ›Trusts‹ und ›Funds‹. Nach dem »Kapitalismus 2.0«, der auch seine »großen Augenblicke« gehabt habe (»Er besiegte den Kommunismus«) müsse sich einiges ändern, jedoch nicht alles: »Die Marktgewinner werden sich auch künftig ihrer Privilegien erfreuen können. Der Staat wird weder unsere Privatleben noch unsere Unternehmen überregulieren. Niemandes Privateigentum wird enteignet. Die Märkte bleiben dynamisch. Und für Geschäftsleute folgt jetzt das Wichtigste: Kapitalismus 3.0 wahrt die Triebkraft des Kapitalismus – den Algorithmus der Gewinnmaximierung. Das geschieht nicht allein dadurch, dass dieser unangetastet bleibt, sondern indem alle Bürgerinnen und Bürger mittels eines Permanent Fund [der Gemeingüter] an seinem Erfolg finanziell teilhaben. Sie alle werden sowohl von einer intakten Natur als auch einer intakten Unternehmenskultur profitieren« (Barnes 2008: 202f.). Barnes’ Perspektive ist geprägt vom eigenen, erfolgstrunkenen unternehmerischen Denken der Projektemacherei. Er hinterlässt den Eindruck, als müssten die Dinge nur ›vernünftig‹ angepackt und in die Form eines gesellschaftlichen Unternehmens gebracht werden. Die Commons werden quasi vom Staat an Trusts und Funds ›outgesourct‹. Das Zuteilen von Eigentumstiteln an Commons-Institutionen könnte sich jedoch als schwierig erweisen. Letztlich läuft Barnes’ Modell auf eine Verdopplung des Staates hinaus. Gegenüber solchen Aufbruchsvisionen ist festzuhalten: Die bürgerlich-akademische Ökonomie hat das Feld jenseits von Markt und Staat schon längst in den Blick genommen. Dies zeigt vor allem die Debatte um ›freie‹ bzw. ›öffentliche Güter‹. In marktradikalen Modellen der Umweltökonomie werden Szenarien entworfen, in denen es aufgrund nicht festgelegter Eigentumsverhältnisse zu privaten Verhandlungen zwischen Verursachenden und Geschädigten um Ausgleichszahlungen kommt. Die Annahme, dass eine Zahlungsverpflichtung des Verursachers automatisch auch effizient ist, wird dabei zur Disposition gestellt. Es wird stattdessen dem Verhandlungsprozess überlassen, auf welches Ergebnis sich beide Seiten verständigen und damit, wer eventuell für was bezahlt: die Geschädigten für entsprechende Verhaltensänderungen der Verursachenden oder die Verursachenden für Schäden. Mit diesen Verhandlungslösungen hat die neoklassische Ökonomie bereits ein nichtstaatliches Instrument jenseits marktlicher Regulierung in der Hand, dass für den Fall sogenannter ›externer Effekte‹ einzusetzen wäre. In dieser ›deregulierten‹ Welt von Commons wird Verhandlungsmacht zum bestimmenden Element. Das Commons-Projekt könnte insofern auch als eines der staatlichen Deregulierung aufgefasst werden. Versagt der Markt bei der Allokation der Güter, sollen zuerst private, bürgergesellschaftliche Regulierungen zum Zuge kommen. Das erscheint aus der Perspektive individualistischer Handlungsrationalitäten immer noch besser, als dem Staat die Regelung zu überlassen. Bei der Festlegung, wie und in welcher Form Güter und Ressourcen reguliert werden sollen, zeigt sich, dass die entscheidende Frage die nach der Festsetzung von Eigentumsrechten ist. Festsetzende Instanz ist immer der bürgerliche Staat. Offen ist, was und in welcher Weise der Staat als ›freie‹ Ressource gelten lässt, welchen Eigentumscharakter er ihr gibt. Bleibt die Ressource ›freies‹ Eigentum, das unreglementiert be- und vernutzt werden kann? Tritt der Staat selbst in der Rolle des Eigentümers auf, der bestimmte Nutzungsregelungen und -entgelte festlegt, wie beispielsweise im Fall von Bodenschätzen oder Mobilfunkfrequenzen? Oder sieht er von Regelungen ab, schafft damit ›freies‹ Eigentum und zeichnet gerade auf diese Weise bestimmte Nutzungsformen vor? Diese Art von staatlicher Regulierung finden wir etwa am Beispiel der Flüsse, die so zu Vorflutern für Abwässer degradiert wurden – ein Prozess, der historisch mit der Industrialisierung einsetzte und, wie im England der Frühindustrialisierung, zu entsprechenden Auseinandersetzung um Nutzungs- und Verfügungsrechte führte. Der bürgerliche Staat, so bleibt festzuhalten, regelt die Eigentumsfrage immer auf der Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Dahinter ist insofern immer ein bestimmtes gesellschaftliches Interesse zu vermuten. Ob zu den staatlich sanktionierten Regelungsformen auch Commons gehören (etwa als Regulierung von Ressourcen), liegt unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen in staatlichem Ermessen. Oder Commons sind nichts anderes als frei zur Verfügung gestelltes Privateigentum oder Genossenschaften, die auf Privateigentum (der GenossInnen) basieren, und insofern unter dem staatlichen Schutz des Privateigentums stehen. Es zeigt sich, das Commons im Rahmen neoliberaler, neoklassischer oder schlicht bürgerlich-ökonomischer Vorstellungen genauso ihren Platz finden können wie in Überlegungen zur Bürgergesellschaft als einem ›Jenseits von Markt und Staat‹ oder auch unterschiedlichsten politischen Reformvorstellungen. Während es bei der Debatte über Commons bisweilen hauptsächlich um die »treuhänderische Verwaltung« (Brand 2009: 243; vgl. Helfrich 2007a: 73) vorhandener Güter, Dienstleistungen und Ressourcen geht, thematisieren linksradikale Entwürfe und Utopien Commons oft umfassender: nicht lediglich als Nutzungs- oder Verteilungsgemeinschaft, sondern auch als gemeinschaftliche Produktion in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied. Mit der Vorstellung von Commons als Gemeineigentum an den weltweiten Ressourcen, an der Erde als Eigentum aller, sind wir letztendlich bei einer Vorstellungswelt gelandet, die bereits einer recht unbekannten Gruppe eigen war, die sich selbst »Diggers« nannte und die im England des 17. Jahrhunderts agierte. Die Diggers gingen in ihrer Theorie und Praxis jedoch über eine gemeinsame Verwaltung oder Besitz von Gütern hinaus, ihnen ging es in ihrem Verständnis von Commons um gemeinschaftliche Produktion und das Ende einer Gesellschaft der Lohnarbeit. Eine vollständige Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/10 1) Siehe: Christian Siefkes (2009): »Ist Commonismus Kommunismus?«, in: Prokla 155. Auf Siefkes ›frühsozialistisches‹ Modell, das auf eine Arbeitszeitrechnung rekurriert, wird noch zurückzukommen sein. 2) Einige AutorInnen verwenden sinngemäß auch den Begriff ›Allmende‹ statt ›Gemeingüter‹ oder ›Commons‹. 3) »Die Theorie, dass Menschen Gemeingüter übernutzen, bestätigt sich in Experimenten, in denen sich die Teilnehmer untereinander nicht kennen und nicht miteinander kommunizieren können. In diesen Experimenten wird die Möglichkeit, dass wiederholte direkte Kommunikation das Ergebnis verändert, ausgeblendet. Tatsache ist aber, dass sich die direkte Kommunikation sowohl auf das Verhalten als auch auf die Ergebnisse auswirkt. Gruppen, die in einer Laborsituation regelmäßig miteinander kommunizieren können, sind in der Lage, fast optimale Ergebnisse zu erzielen, anstatt die Ressourcen zu übernutzen.« (Ostrom 2009: 220) |