Home > Diskussion > Wipo > wipo allg. > adbpd
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Das Dilemma der deutschen Wirtschaftsordnung

Nicht nur die Mehrheit der Bundesministerien sitzt noch immer in Bonn, sondern auch die Bundeszentrale für politische Bildung, eine laut Erlaß „nichtrechtsfähige Bundesanstalt im Geschäftbereich des Bundesministeriums des Innern“, - bereits 1952 gegründet. Eigenwerbung: „Unsere Grundsätze sind Überparteilichkeit und wissenschaftliche Ausgewogenheit.“

Die Ausgabe 294 der Informationen zur politischen Bildung erschien unter dem Titel: „Staat und Wirtschaft“. Da denkt doch der Normalsinnige sogleich auch an Karl Marx, wenn sogar editorial der Anspruch erhoben wird: „Wie Wirtschaftspolitik grundsätzlich funktioniert und mit welchen Maßnahmen sie auf die zunehmenden Herausforderungen reagieren kann, wird im vorliegenden Heft behandelt.“ [1]

Behandlungsanalyse: 1954 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keinesfalls aber die allein mögliche!“ [2]

Dass in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Annexion des DDR-Territoriums 1990 eine klassische kapitalistische Wirtschaftsordnung das Prä besaß, gehörte zum Allgemeinwissen der mündigen Staatsbürger der DDR und ließ sich in den Werken der Klassiker vertiefen. Doch immerhin ließ das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. Juli 1954 die Offerte offen, eine andere Wirtschafts- und Sozialordnung als möglich zu installieren? Jedoch mit dem Knebelvertrag vom 18. Mai 1990 (manche nennen ihn Einigungsvertrag) entschieden sich die Unterhändler Krause und & für die Soziale Marktwirtschaft als allein bindende gemeinsame Wirtschaftordnung, für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

Und so gelingt es, dem 83 Seiten umfassenden journalistischen „Weichmacher für die Interessen des Kapitals“, bei vorgeblicher >Überparteilichkeit< und >wissenschaftlicher Ausgewogenheit< ohne ein Zitat der international angesehenen wirtschaftspolitischen Klassikenr (Marx / Engels + Bebel) auszukommen, den Begriff „Profit“ gänzlich aus dem Vokabular zu verbannen.

Kam es im so genannten Wirtschaftswunderland bereits 1966/67 [3] zur ersten schweren Rezession der Nachkriegszeit, so grassiert seit Mitte der 70er Jahre [4] in der alten BRD die Arbeitslosigkeit, erreichte 1975 die erste Million Betroffener, 1983 die Zwei-Millionen-Grenze. [5]

Seinerzeit redete sich „drüben“ kaum jemand mit dem Schlagwort „Globalisierung“ raus. Marx erwähnt den Partikularismus, den gegensätzlichen Interessen – zeitgemäß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – und spricht eben von einem „Geburtsfehler des Kapitalismus“. Immerhin, nicht nur die Kinderlähmung und die Tuberkulose merzten wir in der DDR generell aus, auch den Geburtsfehler. Mit dem „Schrei“ mancher „Unzufriedenen“ nach Bananen und der Westmark hat uns die Seuche wieder heimgesucht. So kommen die Macher der 294sten „Informationen zur politischen Bildung“ zu der Feststellung: „Die Vereinigung brachte für den Fiskus hohe finanzielle Lasten mit sich, die steigende Schulden, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zur Folge hatten. Zusammen mit einer umstrittenen Lohnpolitik, die auf eine schnelle Angleichung der Ost- an die West-Gehälter gesetzt hat, führte dies zu einem Hochschnellen der Arbeitslosenzahlen besonders in den neuen Bundesländern.“ [6]

Dass die westdeutsche Industrie gemeinsam mit der Treuhand zunächst erst einmal flächendeckend die DDR-Industriebetriebe „platt“ gemacht hat, gehört in solchen Publikationen nicht zur „wissenschaftlichen Ausgewogenheit“ der wohl eher permanenten regierungsamtlichen Argumentation.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung der BRD, im Grunde genommen ein Flickenteppich aus Ansprüchen des BDI und unwirksamen Vorschriften des Staates, lässt den Unternehmern die vielgepriesene Freiheit, ihren Profit zu maximieren. Und Unternehmen nutzen die Möglichkeit, etwa den Kündigungsschutz durch befristete Arbeitsverträge oder die Nutzung von Zeitarbeit zu umgehen. Die anwachsende Zahl von Leiharbeitsverhältnissen unterstreicht den Geburtsfehler des Kapitalismus.

Allein die 30 im Börsenindex DAX gelisteten Unternehmen, die Premiumklasse der Wirtschaft, wiesen im vergangenen Jahr zusammen mehr als 50 Milliarden Euro Gewinn aus.“ [7]

Hingegen kürzen die Kommunen landesweit die Mittel für Sozialausgaben mit der Folge, dass u.a. die Geburtenziffer in Deutschland Jahr um Jahr rückläufig ist und angesichts dieser demographischen Tendenz „weitere Erhöhungen des gesetzlichen Renteneintrittsalters auch über 67 Jahre hinaus unausweichlich werden können“ [8]. Altersarmut voraussehbar!

Und international? „Höchstwahrscheinlich werden die meisten der armen Nationen auch in 10 oder 20 Jahren noch arm sein“ [9], konstatiert das Blatt. Es macht „Fit für die Zukunft.“

Kommentar von Hans Horn vom 24.11.07 zu der Ausgabe 294 der Informationen zur politischen Bildung

Anmerkungen

1) Editorial – Jutta Klaeren. S. 3.

2) Friedrich Heinemann: Fit für die Zukunft? Deutschland im Wandel. In: Informationen zur politischen Bildung; Staat und Wirtschaft; Ausgabe 294; 1. Quartal 2007; S. 32.

3) Hans-Jürgen Schlösser: Nachfrageorienterung im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre. In: : Informationen zur politischen Bildung; Staat und Wirtschaft; Ausgabe 294; 1. Quartal 2007; S. 45

4) Die Bilanz des 20. Jahrhunderts; Harenberg; S. 127.

5) Friedrich Heinemann: Fit für die Zukunft? Deutschland im Wandel. In: Informationen zur politischen Bildung; Staat und Wirtschaft; Ausgabe 294; 1. Quartal 2007; S. 4.

6) ebenda

7) Wilfried Herz: Unternehmensteuer, die unbekannte Größe. In: Informationen zur politischen Bildung; Staat und Wirtschaft; Ausgabe 294; 1. Quartal 2007; S. 23.

8) Friedrich Heinemann: Fit für die Zukunft? Deutschland im Wandel. In: Informationen zur politischen Bildung; Staat und Wirtschaft; Ausgabe 294; 1. Quartal 2007; S. 19.

9) ebenda: S. 46.


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang