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Updated: 18.12.2012 15:51
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3. Bundeskongress von ver.di in Leipzig

Zwischen Anpassung und Widerstand

Vom 17. bis 24. September fand in den Leipziger Messehallen der 3. ordentliche Bundeskongress der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, ver.di  statt.

Über 900 Delegierte hatten über die letzten 4 Jahre von ver.di zu befinden, einen neuen Bundesvorstand und Gewerkschaftsrat zu wählen und über 1300 Anträge zu beraten.

Aufgrund der Erfahrungen der letzten Kongresse, auf dem ein Teil der Anträge an den Gewerkschaftsrat, dem höchsten ehrenamtlichen Gremium von ver.di, überwiesen wurde, war dieser Kongress um 1 Tag verlängert worden.

Als erstes politisches "Highlight" stand am Eröffnungstag der Besuch des Bundespräsidenten C. Wulf auf der Tagesordnung. Dieser betonte in seiner gut einstündigen Rede die Verdienste der Gewerkschaften in der letzten Krise, die es der Bundesrepublik erlaubt habe, aus dieser so gut heraus zu kommen, und jetzt mit einem Aufschwung sondergleichen dastehe. Außerdem bescheinigte er den Gewerkschaften eine Säule der Demokratie zu sein und eine herausragende Rollebeim Zusammenhalt der Gesellschaft spielten. Er beschrieb auch die Situation von Beschäftigten in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, in den Kitas und Schulen und bei der öffentlichen Verwaltung, die für ihre schwere Arbeitmeist sehr wenig Anerkennung bekommen würde. Ob er mit Anerkennung auchbesseres Einkommen meinte, lies er offen. Aber immerhin erweckte er diesen Eindruck und das Arbeit auch zum Leben reichen müsste. Er schloss seine Redeaber mit der Warnung das es kein Weg an der Schuldenbremse vorbei gebe und dieGewerkschaften sich damit auseinanderzusetzen hätten.

In seiner knappen und sehr freundlichen Entgegnung anwortete Frank Bsirske, dass ver.di das Problem auf der Einnahmeseite sehe und das die Vermögenden im Land mehr Steuern zahlen müssten. Dann wäre die Schuldenbremse auch nicht das Problem.

Der eigentliche Kongress fing am Sonntagmorgen mit dem Rechenschaftsbericht von Gewerkschaftsrat und Bundesvorstand an. Dabei wurde der Eindruck erweckt, das ver.di in den vergangenen Jahren von Erfolg zu Erfolg geeilt wäre. Die schlechte Entwicklung bei den Einkommen der Beschäftigten noch die nach wie vor abnehmende Zahl der Mitglieder waren einer kritischen Erwähnung wert. Hervorgehoben wurde die starke Einkommensentwicklung bei der Post und das es gelungen sei bei den Beschäftigten eine positive Mitgliederentwicklung zu erreichen. Lediglich die extrem schlechte Entwicklung bei den Jugendlichen war einer kritischen Erwähnung wert.

Frank Bsirske ging noch einmal kurz auf die gescheiterte Initiative des DGB mit dem Arbeitgeberverband BDA ein, und stellte fest, dass diese in der Organisation nicht durchsetzbar gewesen sei. Deswegen sei es auch richtig gewesen sich aus diesem Projekt zurück zu ziehen. Daraus habe dann auch der DGB auf Antrag von ver.di die entsprechende Konsequenz gezogen. Er betonte die Notwendigkeit, wenn auch unter veränderten Bedingungen, am Prinzip der Tarifeinheit weiter zu arbeiten und es würden entsprechende Initiativen erfolgen.

Positiv bleibt festzuhalten das F. Bsirske sich eindeutig zu politischen Streiks positionierte und er in seiner Rede das Recht auf Widerstand durch Blockaden gegen Naziaufmärsche betonte.

In der folgenden Aussprache verzichteten die Delegierten auf einen großen Schlagabtausch und beschränkten sich meist auf einzelne für Sie wichtigen Themen. Ausnahmen bildeten aber eine Delegierte aus Hessen die die neue "mäßigende" Rolle von ver.di Hauptamtlichen bei der Bildung der Betriebsratregionen bei Schlecker spiele. Sie forderte vehement die Beteiligung der Basis ein und erhielt dafür viel Beifall.

Ein Kollege aus Baden - Württemberg berichtete über die Situation bei den Nahverkehrsbetrieben im "Ländle", indem er die schlechte Einkommensentwicklung der letzten Jahre anprangerte und die sich daraus ergebende Frustration bei den Mitgliedern. Daraus habe man in Baden - Württemberg die Konsequenz gezogen Sich aus dem TV ÖD zu verabschieden und für einen eigenen Tarifvertrag zu kämpfen. Damit hat das Thema Tarifeinheit für ver.di eine ganz neue Bewertung erfahren. Nicht mehr die Konkurrenz der "Rosinenpiker" von Cockpit und Marburger Bund gefährden die Tarifeinheit, sondern jetzt sind es KollegInnen aus der eigenen Organisation. Vielleicht hilft dieser Vorgang ja mal über die Gründe der Stärke der Konkurrenzorganisationen nachzudenken. Die schlechteste Einkommensentwicklung der EU, Arbeitszeitverlängerung und die stärkere Ausbeutung in den Betrieben gehen nicht spurlos an den Mitgliedern vorbei.

Wirkliche Höhepunkte des Kongresses waren die Grussworte der internationalen Gäste. Ob es z.B. die sehr kämpferischen Grussworte von Phillp Jennings, dem Generalsekretär des internationalen Dachverbandes der Dienstleistungsgewerkschaften, UNI, waren oder die sehr nahegehenden Berichte der kolumbianischen Gewerkschafterin Maria Klara Baquero, über die Verfolgung der GewerkschafterInnen in ihrem Land. Der Kongress dankte Allen für ihre Beiträge mit minutenlangen stehendem Applaus.

Die Wahlen zum Bundesvorstand und zum Gewerkschaftsrat endeten ohne eine wirkliche Überraschung. Für 14 Plätze im Bundesvorstand standen 14 KandidatInnen zur Wahl. Dabei ist nur noch das Stimmenergebnis interessant. Zwischen 95 % für Frank Bsirske und 59 % für Isolde Kunkel - Weber liegen natürlich grosse Unterschiede. Allerdings gilt auch hier: gewählt ist gewählt. Wichtig ist  allerdings, das in diesem 14 köpfigen Vorstand nur noch 5 Männer sitzen. Hier wirkt sich die konsequente Politik der ver.di Frauen aus.

Gut 3 Tage blieben der Antragsberatung vorbehalten. Das scheint auf den ersten Blick beachtlich aber letzten Endes sind über 1300 Anträge auch in dieser Zeit nicht zu bewältigen. Dafür gab es aber zu wichtigen gewerkschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen sehr ausführliche und gute Diskussionen. Versuche diese Diskussionen durch Geschäftsordnungsanträge zu unterbinden wurden in den meisten Fällen zurückgewiesen. In manchen Fragen zeigten sich große Differenzen zwischen den politischen Lagern und Fachbereichen aber auch zwischen Links orientierten Delegierten und Mitgliedern des Bundesvorstandes und diesen tragenden Kräften. Die ver.di Linke spielte bei wichtigen Debatten eine gute Rolle konnte aber nur vereinzelt Erfolge erzielen. Dazu ein paar Beispiele:

Antrag 050: Weiterführung der Initiative für einen gesetzlichen Mindestlohn

Hier hatte die Antragsberatungskommission den Antrag aus Thüringen, der die Fortführung der Initiative mit der Forderung nach 8, 50 € Mindestlohn beantragte zur Annahme empfohlen. Viele Anträge die einen Mindestlohn von 10 - 12 € vorsahen wurden zur Annahme als Arbeitsmaterial ( Beerdigung 1. Klasse) empfohlen.

Dagegen stellten die Landesverbände einen Änderungsantrag zu A 50 das als Ziel 10 € angestrebt werden. Zu diesem Änderungsantrag gab es eine sehr ausführliche Debatte an der sich auch Mitglieder der Bundesvorstandes beteiligten und dazu aufforderten den Änderungsantrag abzulehnen. Aufgrund der vielen Wortbeiträge lies sich das allerdings nicht verwirklichen. Die ABK machte den Vorschlag einer neuen Formulierung indem " eine jährliche Überprüfung der Höhe des Mindestlohn zwingend ist. Das gilt auch für den schnellen Anstieg auf 10 €". Dieser Vorschlag der ABK wurde mit großer Mehrheit angenommen.

Beispiel Antrag A111 Arbeitszeitpolitische Entschließung

In diesem von Bundesvorstand und Gewerkschaftsrat eingebrachten Antrag wurden die Arbeitszeitpolitischen Ziele der Antragsteller beschrieben. Dort sind manch richtige und
wichtige Dinge beschrieben, aber eine Orientierung auf eine konkrete Arbeitszeitverkürzung
wurde vermieden. Dafür gab es verschiedene Anträge aus den unterschiedlichsten Gremien
oder Konferenzen die konkret eine Arbeitszeitverkürzung zwischen 30 und 35 Stundenforderten.
Diese Anträge wurden von der ABK alle zur Annahme als Arbeitsmaterial empfohlen. Die
ver.di Linke sah diese Frage als einer der wichtigsten an und versuchte wenigsten 1 dieser
konkreten Anträge zur Annahme durch zu bekommen. Dies ist nicht gelungen. Trotz vieler Versuche
konnte sich die ABK mit ihren Empfehlungen durchsetzen, wenn auch häufig mit vielen Gegen-
stimmen. So bleibt denjenigen, die einen Kampf für eine generelle Arbeitszeitverkürzung durch-
setzen wollen, nur sich auf den Text dieses A 111 zu beziehen der immerhin " die Tür für Arbeitszeit verkürzung öffnen" will.

Debattte zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr Antrag A 224 Frieden und Sicherheit weltweit

An diesem Antrag, der sich strilkt gegen  Kriegseinsätze der Bundeswehr und sich für den
Rückzug der Bundeswehr aus allen Kriegsgebieten aussprach, entzündete sich eine mehrstündige
Debatte, die sicherlich eine der Höhepunkte der Antragsberatung war. Hervorgerufen wurde diese
Debatte durch einen Änderungsantrag, formal von einem einzelnen Delegierten gestellt, der sich
dafür aussprach, dass die Bundeswehr sich "nur" an Einsätzen beteiligt, die mit einem UN Mandat
ausgestattet sind. Damit wurde der A 224 praktisch genau in sein Gegenteil verkehrt was offensichtlich auch  beabsichtigt war. Zu diesem Antrag gab es eine sehr grundsätzliche Diskussion, bei der deutlich wurde, dass es um mehr ging als "nur" um eine Positionsbestimmung einer Gewerkschaft.

Hier ging es offensichtlich darum, gewerkschaftliche Grundpositionen aufzukündigen und diese zumindest mit SPD/Grüner Politik kompatibel zu machen. Vor allem die Beiträge des Vorsitzenden, Frank Bsirske, machten dies deutlich, der sich sehr deutlich für die Annahme des Änderungsantrages aussprach. Letzten Endes entstand, auch aufgrund der Empfehlung der Antragsteller des A 224, ein ganz neuer Antrag der den ursprünglichen Antrag aufweichte. Zu Kriegseinsätzen wurde folgende Passage beschlossen: "ver.di lehnt Krieg als Mittel der Politik ab. ver.di setzt sich dafür ein, dass die Bundeswehr ausschliesslich der Landesverteidigung dient. Auslandseinsätze sind vom Parlament zu beschliessen und auf humanitäre Blauhelm - Einsätze im Rahmen der Uno - Charta zu begrenzen". 

Es liessen sich noch viele Beispiele für interessante Debatten anführen aber dafür reicht der Platz nicht. Festzuhalten bleibt das manche gute Beschlüsse zum politischen Streik, zum Streikrecht bei kirschlichen Einrichtungen, zur Rente, zum Kampf gegen Nazis und vielen anderen Fragen gefasst wurden.
Festzuhalten bleibt aber auch, dass dies alles im Rahmen dieser bürgerlich parlamentarischen Demokratie verbleibt. Es soll zwar einen aktiven und investiven Sozialstaat geben, indem alle Menschen ein Leben in Würde und Freiheit führen können. Das dies aber nichts mit der Lebensraelität von Millionen Menschen in diesem Land zu tun hat, deren Würde tagtäglich mit Füssen getreten wird, führt nicht dazu sich mit grundlegenden Alternativen Gedanken zu machen. Die Vergesellschaftung von Betrieben wurde folgerichtig dann auch nur als letzte aller Möglichkeiten angesehen. Das dies alles vor dem Hintergrund der aktuellen Krise sich abspielt, zeigt wie wichtig es wäre, dass Gewerkschaften sich mit grundsätzlichen gesellschaft-
schaftlichen Alternativen auseinandersetzten. Sich nur gegen dieses Europa und für ein anderes Europa einzusetzen und in der Praxis zusammen mit den Arbeitgeberverbänden genau dieses Europa zu forcieren, bringt uns nur näher an den Abgrund und konterkariert viele Beschlüsse die auf diesem Kongress getroffen wurden. Aber um diese Politik der Gewerkschaftsführung zu unterbinden braucht es sicherlich anders wesentlich basisorientierter strukturierter, Gewerkschaften.

8.10.11   Helmut Born


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