letzte Änderung am 1. Dezember 2003 | |
LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany |
|
Home -> Diskussion -> Rechten -> allgemein -> Meiningen | | Suchen |
Gerd Wiegel, Antifa-Ratschlag Meiningen, 8.11.03
Thema meines Vortrags ist die seit Beginn des neuen Jahrhunderts zu beobachtende Rechtsentwicklung in Europa, die in einer ganzen Reihe von Ländern Parteien der extremen Rechten große Wahlerfolge und teilweise sogar Regierungsbeteiligungen eingebracht hat. Es handelt sich hier um eine Rechte, die nicht ohne weiteres mit dem Neofaschismus zu identifizieren ist, die sich nicht durch physische Gewalt und Straßenterror auszeichnet, die kein einfaches Zurück zu den Idealen des Faschismus propagiert. Dennoch oder gerade deswegen halte ich diese Rechte für die gegenwärtig politisch weitaus größere Bedrohung als den militanten Neofaschismus, denn sie ist es, die Politik und Einstellungsmuster in vielen Ländern Europas prägt und eine generelle Verschärfung des politischen und sozialen Klimas bewirkt.
Mit 26,9 % der Wählerstimmen wurde die FPÖ unter Jörg Haider 1999 zur zweitstärksten Partei in Österreich und ist seit Februar 2000 an der Regierung mit der konservativen ÖVP beteiligt. Nur kurze Zeit später wurde die Schweizerische Volkspartei (SVP) unter ihrem Vorsitzenden Christoph Blocher mit 22,6 % zur stärksten Partei in der Schweiz. Blocher profilierte sich vor allem durch seine fremdenfeindlichen Äußerungen. Auch nach den Neuwahlen in Österreich bleibt die FPÖ Regierungspartei, allerdings bei einem dramatischen Verlust ihres Stimmenanteils von nahezu zwei Dritteln (10,01 Prozent). Auf die Gründe für diese Verluste gehe ich weiter unten ein. Die SVP dagegen konnte ihr Ergebnis bei den Wahlen im vergangenen Oktober noch steigern und liegt jetzt als stärkste Partei bei 27,2% und ist natürlich weiter an der Regierung beteiligt.
Im März 2001 gelingt es Silvio Berlusconi in Italien nach 1994 zum zweiten Mal, eine Mehrheit für eine Rechtskoalition zu gewinnen. Neben Berlusconis "Forza Italia", eine Partei die vor allem zur Sicherung der wirtschaftlichen Interessen Berlusconis und des gesamten italienischen Kapitals dient, sind in seiner Koalition die ehemaligen Neofaschisten der "Alleanze Nazionale" (AN) und die militant ausländerfeindliche und separatistische "Lega Nord" unter Umberto Bossie vertreten.
Ende 2001 gelang es der rechtspopulistischen "Dänischen Volkspartei" unter ihrer Vorsitzenden Pia Kjaersgaard mit 12 Prozent der Stimmens in dänische Parlament einzuziehen und zum Zünglein an der Waage für die konservativ-liberale Regierung zu werden. Auch hier war es vor allem das Thema Zuwanderung und Abschottung, das den Erfolg ermöglichte. Die dänische Politik hat unter dem Druck der Rechtspopulisten mittlerweile eine der schärfsten Zuwanderungsgesetztgebungen in Europa entwickelt. In Norwegen gelang der rechten "Fortschrittspartei" in einem zweiten skandinavischen Land mit 14 Prozent der Stimmen ein beachtlicher Erfolg.
Die niederländische Liste Pim Fortuyn, benannt nach ihrem im Frühjahr kurz vor den Wahlen ermordeten Vorsitzenden, konnte mit einer vor allem an den Themen Ausländer und Zuwanderung orientiertem Wahlkampf 17 Prozent der Stimmen erlangen und war an der Regierung beteiligt. Bei den Neuwahlen, die vor allem wegen der Querelen der Liste Pim Fortuyn nötig wurden, wurde diese, ähnlich wie die FPÖ, abgestraft und rangiert jetzt nur noch bei 5,7 Prozent. Auch in Portugal gelang der rechtspopulistischen "Volkspartei" mit 8,8 Prozent der Stimmen ein unerwarteter Erfolg.
Bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich gelang es dem Rechtsextremisten Jean Marie Le Pen mit 16,8 Prozent Prozent in die Stichwahl einzuziehen und damit den linken Kandidaten Jospin aus dem Rennen zu werfen. Bei der Stichwahl gegen Chirac bekam Le Pen noch einmal 17,8 Prozent. Auch hier spielen die Abschottung gegen weitere Zuwanderung und das Thema Kriminalität eine entscheidende Rolle.
Dieser wie ich denke erschreckende Überblick zeigt eine deutliche Rechtsverschiebung in Europa an. Will man die Entwicklung genauer erklären, dann muss man sich die spezifischen Bedingungen in den einzelnen Ländern angucken. Mich interessieren hier jedoch die darüber hinausgehenden Gemeinsamkeiten. In allen aufgezählten Ländern gelang Parteien der extremen oder populistischen Rechten - ich gehe auf diese Unterscheidung gleich ein - spektakuläre Wahlerfolge. Alle diese Erfolge gründen neben länderspezifischen Themen auf der offensiven Thematisierung von Zuwanderungsbegrenzung und Kriminalitätsbekämpfung. In faste allen Ländern wurden sozialdemokratische Parteien abgewählt und durch ein Bündnis aus konservativen und rechtspopulistischen Parteien ersetzt.
Zu fragen ist also zweierlei: Was sind die Erfolgsbedingungen dieser rechten Parteien und warum verlieren gerade die sozialdemokratischen Parteien des so genannten "dritten Weges" massiv an Zustimmung?
Ich hatte es bereits erwähnt: alle erfolgreichen Parteien der Rechten in Europa setzen bei ihrer Agitation auf die Themen Nation, Rassismus, Zuwanderungsabwehr, Kriminalität und allgemeine Bedrohungsgefühle. Apelliert wird vor allem an Ängste die in der Bevölkerung real vorhanden sind. Ängste vor einem sozialen Abstieg, vor einem anonymen und globalisierten Kapitalismus, vor der Auflösung von traditionellen Zusammenhängen wie der Familie, der Nachbarschaft oder auch der sozialen Klasse. Zu fragen wäre, woher eigentlich diese Ängste kommen?
Sieht man sich die Entwicklung des Kapitalismus der letzten 25 Jahre an, dann lässt sich ein starker Trend zur internationalen Vernetzung des Kapitals feststellen. Damit verbunden ist ein tendenzieller Bedeutungsverlust der Nationalstaaten bei gleichzeitig verschärfter Standortkonkurrenz zwischen den einzelnen Staaten. Auf der individuellen Ebene bedeutet diese Entwicklung eine enorme Veränderung für die Menschen, die sich den neuen Gegebenheiten des Kapitalismus anpassen müssen. Flexibilisierung und Individualisierung sind hier die entscheidenden Stichworte, verbunden mit der Auflösung traditioneller Milieus und Bindungen, etwa der Arbeiterschaft oder der Familie.
Die moderne populistische Rechte nimmt diese Entwicklung in ihrer Propaganda auf: neoliberale Globalisierung und ein aggressiver Standortnationalismus werden von ihr miteinander verbunden, die sozialdarwinistisch legitimierte Durchsetzung der stärksten Individuen passt sich dieser Konkurrenzlogik ein. Eine moderne Rechte ist also hier auf der Höhe der Zeit und hängt keiner vermeintlich antikapitalistischen Agitation an, die, wie beispielsweise die NPD, den heimatlosen, internationalen Kapitalismus als Feind ausmacht damit aber heute nicht mehr bündnisfähig ist.
Aber auch die moderne Rechte reagiert auf die Verunsicherungen die mit dieser objektiven Entwicklung einher gehen und bietet weiterhin Identitätsmuster an, die sich an Nation, "Rasse" und Ethnie orientieren. Es zeigt sich somit, dass die widersprüchlichen Inhalte einer solchen Rechten der widersprüchlichen Situation entsprechen, dem Spannungsverhältnis zwischen objektiver (d.h. politisch bewusst vorangetriebener) Entwicklung und den subjektiven Ängsten und Wünschen der Bevölkerung.
Der Sozialwissenschaftler Richard Sennett hat diese widersprüchliche Lage der Individuen im globalen Kapitalismus untersucht: "Eine der unbeabsichtigten Folgen des modernen Kapitalismus ist die Stärkung des Ortes, die Sehnsucht der Menschen nach der Verwurzelung in einer Gemeinde. All die emotionalen Bindungen modernen Arbeitens beleben und verstärken diese Sehnsucht: die Ungewißheiten der Flexibilität; das Fehlen von Vertrauen und Verpflichtung; die Oberflächlichkeit des Teamworks; und vor allem die allgegenwärtige Drohung, ins Nichts zu fallen, nichts 'aus sich machen zu können', das Scheitern daran, durch Arbeit eine Identität zu erlangen. All diese Bedingungen treiben die Menschen dazu, woanders nach Bindung und Tiefe zu suchen." Die moderne wie auch die alte Rechte geben sehr spezifische und bekannte Antworten auf diese Suche.
Der globalisierte Kapitalismus oder besser sollte man sagen, die diese Entwicklung vorantreibende Politik der herrschenden Klasse, bringt also diese widersprüchliche Entwicklung hervor und reagiert darauf mit einer Verschärfung der Gegensätze nach innen. Soziale und emotionale Defizite müssen befriedet werden, um die Maschinerie in Gang zu halten. Der rechte Populismus stellt dabei nicht die Logik der ökonomischen Entwicklung in Frage, sondern wendet die Ängste und Aggressionen gegen Minderheiten.
Homogenisierung des Eigenen und Ausschließung der Anderen sind hierbei die Angebote. Es findet eine Ethnisierung der sozialen Frage statt, d.h. Zugehörigkeit und Einbindung werden entlang ethnischer Lagen definiert und bieten so eine scheinbare Sicherheit für die Dazugehörigen. Auch hier findet sich die Kombination aus modernen und traditionellen Elementen der Ausschließung: deutsche Leitkultur und Stolz, ein Deutscher zu sein, verbunden mit der Ausgrenzung vermeintlich Fremder - dies ist die eine Seite. Stigmatisierung und Verachtung für all die, die nicht den vollen Einsatz für den Wirtschaftsstandort bringen, beziehungsweise deren Titulierung als "Sozialschmarotzer" und Faule ist die andere Seite dieses Prozesses.
Die Weigerung der Politik, den sozialen Ängsten der Bevölkerung real zu begegnen, findet ihren Ausgleich in der Freigabe von Minderheiten zur Kompensation des "Volkszorns". Staat und Politik sehen es offensichtlich nicht länger als ihre Aufgabe an, die soziale Einbindung zu garantieren.
Trotz dieser fehlenden Beteiligung der betroffenen Bevölkerung geht die Internationalisierung - insbesondere des Kapitals - weiter. Die Folge ist ein zunehmender "Kosmopolitismus" der herrschenden Klasse und eine "pluriethnische" Zusammensetzung der abhängig Beschäftigten. Die Vorstellung der nationalen Identität, verstanden als exklusive Zugehörigkeit und von der modernen und etablierten Rechten immer wieder bedient, ist real immer weniger möglich.
Ein Zitat hierzu von Joachim Hirsch: "Das einheitliche Staats-'Volk' - faktisch schon immer eine Fiktion - zerfällt immer sichtbarer in sich gegeneinander abgrenzende, kulturell, politisch, religiös, regionalistisch oder biologisch definierte Gruppen, Stämme und Gemeinschaften." Die vorhandenen Internationalisierungstendenzen provozieren somit eine nationalistische und traditionalistische Reaktion, die von der politischen Rechten aufgegriffen und verstärkt wird.
Es ist also nur eine scheinbare Paradoxie, wenn mit der Globalisierung des kapitalistischen Weltmarktes der rassistische, biologistische und ethnozentristisch argumentierende Nationalismus wieder erstarkt.
Hierzu noch einmal Hirsch: "Es sind dies die ideologischen Ausdrucksformen dafür, daß mit der Krise des Nationalstaats sich auch die Frage zuspitzt, wonach sich eigentlich die Zugehörigkeit zu einer politischen, kulturellen und ökonomischen Gemeinschaft bestimmt." In einem sehr interessanten Aufsatz in dem Buch "Schattenseiten der Globalisierung" spricht der Soziologe Michael Zürn von Tendenzen der "Denationalisierung" und politischen Fragmentierung im Zusammenhang der Globalisierung: Ethnische Ab- und Ausschließung und territoriale Abspaltung sind nach Zürn Reaktionen auf diese Tendenzen, und diese Reaktionen lassen sich in sehr vielen Ländern feststellen.
Es scheint also so, als wenn die reale Entwicklung der kapitalistischen Nationalstaaten, ihre fortschreitende Verflechtung und Internationalisierung bei gleichzeitig harter Konkurrenz, auf Seiten der abhängigen Klassen eine scheinbar anachronistische Reaktion hervorruft: Abgrenzung nach außen und Homogenisierung nach innen. Diese Klaviatur wird mittlerweile von beiden Volksparteien der Bundesrepublik bedient, die politische Rechte beherrscht sie aber weitaus besser und glaubwürdiger, vor allem wird sie hier mit einer stärkeren Vehemenz vorgetragen.
Was ich hier kurz skizziert habe stellt meiner Meinung nach den Hintergrund dar, vor dem die Erfolge rechter Parteien in Europa erst erklärbar werden. Es soll damit ein Blick auf die Frage geworfen werden, warum Ideologien von Ausgrenzung, Rassismus und Nationalismus erfolgreich sein können und welche Erwartungen damit von den Anhängern artikuliert werden.
Wären diese Ideologien auf den rechten Rand des politischen Spektrums begrenzt, würde ich ihre Gefahr als nicht sonderlich hoch ansehen. Davon kann aber leider keine Rede sein, denn in ihrer allgemeinen Form sind solche Ideologien der Ausgrenzung, des Nationalismus und des Rassismus bis weit in die Mitte des politischen Raums verbreitet. Die Gefahr des Rechtspopulismus und seiner erfolgreichen Parteien in Europa liegt darin, dass sie zu einer weiteren Legitimierung dieser Einstellungen beitragen und sie mehrheitsfähig machen.
Um das zu verdeutlichen möchte ich jetzt diesen Rechtspopulismus vom traditionellen Rechtsextremismus wie wir ihn beispielsweise von der NPD kennen unterscheiden. Anschließend werde ich kurz auf die Entwicklung in Deutschland eingehen.
In den politikwissenschaftlichen Arbeiten zum Rechtsextremismus wird inzwischen immer stärker unterschieden zwischen einer modernen und einer traditionellen Variante der extremen Rechten. Wenn wir vom deutschen Beispiel ausgehen, dann würde man NPD und DVU der traditionellen, die "Republikaner" dagegen der modernen Variante zuschlagen.
Was ist darunter zu verstehen? Sieht man sich die Agitation und Propaganda von NPD und (eingeschränkt) DVU an, dann erkennt man eine starke Fixierung auf das historische Vorbild des Nationalsozialismus. Neben Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus tritt vor allem bei der NPD ein Pseudo-Antikapitalismus, gerichtet gegen Globalisierung, den unbegrenzten freien Markt und, vor allem, das ausländische Kapital. Gefordert wird eine völkisch ausgerichtete Nation, die sich protektionistisch vom Weltmarkt abwendet und eine autonome Großmachtpolitik betreibt.
Demgegenüber haben sich Parteien wie die Republikaner oder auch die FPÖ in den neunziger Jahre dem Neoliberalismus zugewandt, sehen vor allem in den Gewerkschaften und dem Sozialstaat den Feind und treten für das freie Spiel der Marktkräfte ein. Nationalismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus sind damit nicht aus ihrer Propaganda verschwunden, sie werden nur ergänzt und zeitweise überdeckt durch das moderne Bekenntnis zum Neoliberalismus.
Als Bündnispartner für den etablierten Konservatismus hat nur eine solche modernisierte Variante der extremen Rechten eine Chance. Alle oben erwähnten erfolgreichen Parteien der Rechten repräsentieren diese moderne Variante.
Erfolgreich sind sie jedoch nur, weil sie es schaffen, traditionelle Elemente, also Nationalismus, Rassismus und Ausgrenzung, mit modernen Elementen zu kombinieren. Diese Kombination ist gar nicht so leicht, denn sie verbindet objektiv widersprüchliches: Tritt man für das freie Spiel der Marktkräfte ein dann muss man erklären, warum das nicht für den Arbeitsmarkt gilt. Billige ausländische Arbeitskräfte sind im Kapitalinteresse, widersprechen aber dem Nationalismus der Rechten. Flexibilität und Abbau des Sozialstaates entsprechen neoliberalen Vorstellungen, die damit verbundene Auflösung von familiären Zusammenhalten widerspricht rechten Ideologiemomenten. Solche Widersprüche lassen sich z.B. bei CDU/CSU gut beobachten. Dem erfolgreichen Rechtspopulismus schaden sie nicht, weil er gerade darauf beruht, widersprüchliches einzubinden.
Sieht man sich die Wählerbasis etwa der FPÖ, die als prototypisch für den erfolgreichen Rechtspopulismus gelten kann, bei den österreichischen Parlamentswahlen von 1999 an, dann erkennt man das heterogene, ja geradezu gegensätzliche Wählerspektrum das von der Partei erreicht wurde. Von den Selbständigen und Angehörigen freier Berufe wählten 33 Prozent die FPÖ, bei den Arbeitern waren es 47 Prozent. Die FPÖ ist damit zu der Arbeiterpartei in Österreich geworden, noch vor der SPÖ (35 Prozent Arbeiteranteil). Diese Tatsache und das relativ ausgeglichene Verhältnis zwischen den so unterschiedlichen Polen Arbeiter-Selbständige ist bemerkenswert und erklärungsbedürftig.
Der FPÖ ging es in ihrer Agitation gerade nicht um den Ausgleich und die Vermittlung unterschiedlicher Interessen, sondern um die Artikulation völlig gegensätzlicher Standpunkte, mit der die heterogenen Wählergruppen jeweils bedient werden konnten. Der Populismus als Stilmittel ist in der Lage, diese Gegensätze zu vermitteln.
Rechtspopulismus und Linkspopulismus unterscheiden sich aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung und nicht der stilistischen Ausprägung des Auftretens. Die angeführten Merkmale sind also wegen ihrer inhaltlichen Füllung und nicht als solche als rechtspopulistisch zu bezeichnen.
Populismus als Begriff beinhaltet den Bezug auf die Masse der Bevölkerung, ihre Wünsche, Sehnsüchte, Bedürfnisse sollen zum Ausdruck gebracht werden. Populistische Argumentationen unterliegen dabei einer Freund-Feind-Gegenüberstellung die es erlaubt, die verschiedenen politischen Problemfelder einer klaren Einteilung in gut und böse, in dafür und dagegen zu unterstellen. Vereinfachung und Entdifferenzierung machen somit die Attraktivität des Populismus aus. Weiter kennzeichnet sich der Populismus durch eine klare Gegenüberstellung von oben und unten, von "wir hier unten", die Beherrschten, und "die da oben", die Herrschenden. Diese Gegenüberstellung erlaubt die Selbsteinschätzung als ausschließliches Objekt von Politik und die populistische Partei oder Bewegung vertritt die Interessen der kleinen Leute gegen "die da oben".
Eine spezifische Mischung aus personalisierten und kollektivistischen Argumentationen ist ein weiteres Kennzeichen des Populismus. Charismatische Persönlichkeiten und kollektive Identitäten ergänzen sich hier. Schließlich greift populistische Agitation Ängste und irrationale Vorstellungen auf und ist selbst weitgehend anti-intellektualistisch.
Für den Rechtspopulismus sind diese Stilelemente politischer Agitation vielfältig nutzbar. Die Freund-Feind-Gegenüberstellung und die Gegenüberstellung des "wir" und "die da" lässt sich für ganz unterschiedliche Argumentationen nutzen. Im traditionellen Rechtsextremismus findet sich hier die Ein- und Ausschließung von Bevölkerungsgruppen entlang völkischer Kriterien. Die homogene völkisch-ethnisch definierte Nation wird von den nicht dazugehörigen, den Ausländern, Fremden, Anderen unterschieden.
Die traditionell völkische Argumentation kann durch eine stärker den neoliberalen Leistungsgedanken betonende ergänzt werden: Hier sind es dann vor allem die "Schmarotzer", "Leistungsunwilligen" und Außenseiter der Gesellschaft, die als nicht dazugehörig identifiziert werden. Beide Argumentationen finden sich bei allen Parteien des Rechtspopulismus. Die Gegenüberstellung lässt sich aber auch für andere Bereiche nutzen.
Der aktuelle Rechtspopulismus knüpft hier vor allem an die weit verbreitete Politikverdrossenheit und das Misstrauen gegen die politische Klasse an. Der erfolgreiche Rechtspopulismus ist dabei durch seine Frontstellung gegen das etablierte politische Parteiensystem der jeweiligen Länder gekennzeichnet. Die Rede von den korrupten und reformunfähigen "Altparteien", vom verknöcherten System, soll den eigenen Standpunkt ausserhalb dieses Systems bezeichnen. Die Nichtdazugehörigkeit, die Stigmatisierung rechtspopulistischer Parteien durch die Etablierten, sind insofern Wasser auf die Mühlen dieser Argumentation.
Die Glaubwürdigkeit und Attraktivität des Rechtspopulismus ergibt sich dabei nicht allein über die Inhalte, die in ähnlicher Form auch von den Etablierten angeboten werden, sondern durch den Ausschluss vom alten System der Volksparteien, das immer weniger Bindungskraft besitzt. Nur durch diese Abgrenzung kann sich der Rechtspopulismus zum Sprachrohr von "denen da unten" machen, die sich selbst als Ausgeschlossene begreifen. Die charismatische Persönlichkeit hat für den Rechtspopulismus die Funktion, die gegensätzlichen und teilweise widersprüchlichen Positionen zu überdecken. Diese spielen so lange keine Rolle, wie man sich im Gegensatz zum Gesamtsystem der etablierten Politik sieht, welches ja angeblich verhindert, dass die richtige Politik umgesetzt wird.
Genau diese Position des scheinbaren Außenseiters ist es, die der FPÖ (aber auch der Liste Pim Fortuyn) zum Verhängnis geworden ist. Mit der Regierungsbeteiligung ist sie zu einer Partei wie alle anderen Geworden und gerade die Enttäuschung darüber, hat zur harten Abstrafung durch die Wähler geführt. Parteien dieses Typs sind offensichtlich unfähig ihr Mobilisierungspotenzial in einer auf Kompromissen gerichteten parlamentarischen Koalitionsregierung zu erhalten. Damit könnte man zu dem Schluss kommen, dass die vorübergehende Einbindung solcher Parteien genau das richtige Mittel ist, sie zu schwächen. Formal mag das stimmen, nur wird dabei davon abgesehen, dass diese Einbindung mit der Übernahme der Inhalte verbunden ist und diese finden sich auch nach der Schwächung der FPÖ weiter in der Regierung.
Rechtspopulistische Argumentationen sind also offensichtlich in der Lage unterschiedliche, ja konträre Bedürfnisse zu artikulieren ohne durch diesen Widerspruch an Attraktivität einzubüßen. Anders als die alten Volksparteien können sie neoliberale und völkisch-rassistische Argumentationen offensiv nebeneinander vertreten. Ihre Zustimmung beziehen sie nicht aus der Koheränz solcher Positionen sondern durch ihren Standort ausserhalb des politischen Systems (so zumindest in der Wahrnehmung). Nicht die einseitige neoliberale Erneuerung hat diesen Parteien also den Weg zu Macht geebnet, sondern gerade die Verbindung der gegensätzlichen Positionen.
Wenn man die Entwicklung in Deutschland mit den oben angeführten Beispielen aus den europäischen Nachbarländern vergleicht, dann zeigen sich Parallelen und Unterschiede. Konnte sich in Deutschland auch bisher keine eigenständige Partei des Rechtspopulismus durchsetzen, so unterscheidet sich die deutsche Politik bei den Themen Migration, Ausländer, Kriminalität und Nation nicht grundlegend von den oben genannten Ländern. Die Frage ist also, ob die Existenz und sogar Regierungsbeteiligung einer rechtspopulistischen Partei keinen Unterschied macht.
Bevor wir diese Frage vielleicht auch später gemeinsam diskutieren, möchte ich auf einige Entwicklungen in Deutschland seit den neunziger Jahren eingehen. Vor drei Jahren, nach dem Anschlag auf eine S-Bahn Haltestelle in Düsseldorf, von dem vor allem jüdische Menschen aus Rußland betroffen waren, entbrannte in der Bundesrepublik eine breite Debatte um den grassierende Rassismus und Rechtsextremismus im Land. Der Kanzler rief sogar zum "Aufstand der Anständigen" und für wenige Monate schien das Land im Kampf gegen den Rechtsextremismus geeint.
Leider wurde in dieser Debatte vergessen zu fragen, wo eigentlich die Gründe für den rasanten Aufstieg des Rechtsextremismus zu suchen sind, warum sich die menschenfeindliche Ideologie der extremen Rechten immer weiter verbreitet. Es würde zu weit führen, hier all die differenzierten Erklärungsansätze für diese Entwicklung zu referieren, ich möchte aber auf einen mir wichtigen Punkt aufmerksam machen: Mit der Regierungsübernahme der konservativ-liberalen Regierung unter Kohl 1982 wurden zentrale Ideologieelemente der Rechten in der Mitte des politischen Raums etabliert. Die Nation sollte wieder zu einem zentralen und positiven Bezugspunkt der Bevölkerung werden. Das dem entgegenstehende negative Geschichtsbild, hervorgerufen durch die faschistische Vergangenheit, sollte im Historikerstreit massiv korrigiert werden.
Mit der Vereinigung und den daraus resultierenden sozialen Problemen setzte ein Diskurs ein, der die Verantwortung für die Misere vor allem den Migranten, den Ausländern zuschob. Die Asyldebatte zu Beginn der neunziger Jahre war Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten, denn nun wurde von offizieller Seite eine Position bestätigt, die von der extremen Rechten schon immer vertreten wurde.
Vor allem von Seiten der Union, aber auch der Sozialdemokratie, wurde das Thema Asyl und Zuwanderung benutzt, um die sozialen Brüche zu überdecken und die, gerade sozial weiter geteilte Nation, zu einen. Beschworen wurde jetzt der homogene Volkskörper der Nation, der sich gegen die "Fremden" verteidigen müsse. Vor allem wohlstandschauvinistische Argumente spielten eine Rolle.
Diese Politik ist meiner Ansicht nach eine der Hauptursachen für den starken Anstieg des Rechtsextremismus in den neunziger Jahren. Der viel beschworene Extremismus erwuchs also nicht an den Rändern sondern in der Mitte. Für mich zeigt sich hier eine Ethnisierung der sozialen Frage: d.h. über Zugehörigkeit und soziale Teilhabe wird nach ethnischen Kriterien entschieden.
Das gesamte politische Spektrum ist in dieser Frage in den letzten zehn Jahre weit nach rechts gerückt. Der eben zitierte "Aufstand der Anständigen" hat hieran nichts grundlegendes geändert. Er war aber der Versuch von Rot-Grün, der Union ein zugkräftiges Thema zu nehmen. Die direkt an diesen "Antifasommer" 2000 anschließenden Kampagnen der Union unter den Stichworten "deutsche Leitkultur" und Nationalstolzdebatte haben gezeigt, dass die Union nicht bereit ist auf das Thema gänzlich zu verzichten.
Ob sich auch in Deutschland eine eigenständige Kraft des Rechtspopulismus entwickeln kann muss gar nicht die entscheidende Frage sein. Guckt man sich deren Regierungsbeteiligung in Europa an, dann sieht man vor allem eine Beschleunigung von Prozessen, die auch in anderen Ländern vorangetrieben werden. Die repressive Zuwanderungs- und Ausländerpolitik etwa in Dänemark findet sich in Australien in noch verschärfter Form, ohne dass es dazu einer explizit rechtspopulistischen Partei in der Regierung bedürfte.
Damit sollen nicht die Gefahren des Rechtspopulismus verharmlost sondern vielmehr dessen Durchdringung der etablierten Politik als das größte Problem beschrieben werden. Die Angleichung und Entleerung der Politik, die tendenzielle Aufgabe eigener Gestaltungsansprüche und der bloße Nachvollzug kapitalistischer Logik lässt die Frage des politischen Stils beim Werben um Zustimmung immer wichtiger werden. Hier liegt das zukünftige Potential des Rechtspopulismus.
Gerd Wiegel : Mailen
LabourNet Germany | Top ^ |