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Updated: 18.12.2012 15:51
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Hans-Dieter Hey: Kommt ein neuer Faschismus?

Wir diskutieren um "Hartz IV" und "Agenda 2010". Die immer gleichen Argumente dafür sind: 1. Es ist kein Geld da. 2. Mehr Eigenverantwortung für alle. 3. Mehr Privatisierung und 4. Wer das nicht einsieht, ist unverantwortlich. Doch die Argumente stimmen nicht - und sie stimmten nie. Wir haben dadurch eine Entwicklung, die sich inzwischen als verheerend entpuppt. Wir sehen zu, wie die Ökonomie der globalen Enteignung sich der Politik bedient und uns entrechtet und ausbeutet. Wie Gemeinwohl und letztlich unsere Gesellschaft zerschlagen werden. Eine Politik, die sich zum Erfüllungsgehilfen einer geldgierigen Kaste immer offener brandmarkt. Erst in diesen Tagen wird die Verquickung von Politik und Wirtschaft besonders deutlich. Politiker halten die Taschen auf, ohne einen Handschlag dafür zu tun. Politik machen längst Herr Hartz von Volkswagen und Herr Professor Rürup. Politik machen BDI und BDA, die Banken und Versicherungen, die Firma Bertelsmann und ein Heer von Helfern. Politik wird längst nicht mehr durch die Bürger und Bürgerinnen bestimmt.

Viele Menschen spüren das mit großer Besorgnis und starren bewegungslos auf die Schlange. Doch diesmal kommt sie nicht als ein Hitler daher, sondern in Form des Neoliberalismus. Der "ist jene Krankheit, für deren Heilung er sich selbst hält" (Andreas Höferl). Kennzeichen dieses Systems ist es, dass ihm die Bürgerinnen und Bürger unterwürfig und unterworfen kritiklos zu dienen haben. Eine geistige und materielle Unterwerfung, erzwungen durch immer schwierigere Lebensbedingungen für die Mehrheit der Menschen, durch Ausweitung materieller Not und Desinformation, durch Entsolidarisierung, unterstützt durch eine verantwortungslose deutsche Einheitspresse von Bild-Zeitung bis Spiegel. Wieder sind es Sozialdemokraten die den Acker pflügen, auf dem die unerträgliche Saat gedeiht. Denn wieder stellt die Sozialdemokratie nicht die Fragen, die historisch gestellt werden müssten, geschweige denn, dass sie bei den Entwicklungen gegen halten. Und wer sich nicht entgegen stellt, ergreift Partei und wird verantwortlich. Die Bündnisgrünen in diesen Fragen angepasst. Von den anderen ganz zu schweigen. Rettet den eigenen Geldbeutel!

Die weltbekannte Unternehmensberatung Anderson Consulting meinte zur weiteren Entwicklung unserer Gesellschaft: "...Der Weg der ständigen Kürzung öffentlicher Ausgaben, der Privatisierung von Versorgungsunternehmen wird die öffentlichen Kassen leeren, es wird immer weniger Geld für Bildung und Gesundheit da sein. Dafür wird mehr für die Überwachung von Betrieben, sozial klar segmentierten Einkaufszonen und Siedlungen der Oberschicht ausgegeben werden müssen....". Doch das dürfte eher nur ein Ausschnitt des Unheils sein.

Kritiker versuchen, uns die Augen zu öffnen. Andreas Höferl, der die Studie "Der Neoliberalismus ist eine politische Ideologie" veröffentlicht hat: "Der neueÖkonomismus ist ein menschenverachtender Totalitarismus. In seinen Grundhaltungen ist der Neoliberalismus faschistoid, wenn es nur mehr um das Überleben und das Recht des Stärkeren geht. Und er ist faschistoid und antidemokratisch, weil er neben der wirtschaftlichen Macht auch den Staat beherrschen will. Der Staat ist die einzige Einrichtung, die seine Herrschaftsansprüche beschränken könnte..." und weiter: "Eine Ideologie ist ein Mittel zur Herrschaftserhaltung. Ideologie und Wahrheit haben in der Regel nichts mit einander zu tun. Sie dienen dazu, den Geist von Menschen zu verwirren und sie von der eigenen Misere abzulenken. Deshalb wird heute versucht, die Menschen hinter Idealen zu vereinen, die ihr Denken von den sich verschlechternden Wirtschaftsverhältnissen ablenken sollen. Die Konservativen sehen ihr Heil im Wiederbeleben des Nationalismus - ein sehr gefährlicher Weg." Hinweis hierauf gibt die immer wieder dümmliche wie gefährliche Wertediskussion bei CDU und CSU: wenn politisch nichts einfällt, wird auf deutsch-national gemacht. In empörender Weise wird hierdurch eine giftige Saat gesät, die dem rechten Mob das Futter liefert. Prof. Dr. Arnold Klönne hält deshalb ein abwehrendes Eingreifen für längst nicht mehr hinreichend gegen die antidemokratischen Reaktionen auf den Niedergang der Demokratie ("Freitag" v. 14.12.04).

Neben dieser gesellschaftlichen Betrachtung bringt es der konservative Jesuit und Unternehmensberater Prof. Dr. Rupert Lay auf den Punkt und benennt die Verantwortlichen: "Unternehmen, deren Faktorenverantwortung sich ausschließlich auf die Produktionsbedingung Kapital beschränkt und die alle anderen Faktoren wie Arbeit, Umwelt, Kreativität, Unternehmenskultur und so weiter an die zweite oder gar keine Stelle setzen, sind faschistoid. Sie machen sich und ihren kapitalbezogenen unternehmerischen Erfolg zum einzig anzustrebenden Gut. Die deutsche Version des Shareholder Value ist eine mögliche Umschreibung für solchen betrieblichen Faschismus." Ein System, das immer mehr Menschen auch in den nördlichen Ländern des Globus durch ein modernes Sklaventum mit Hungerlöhnen und Erwerbslosigkeit in Not und Elend bringt. Nach Schätzungen ist in absehbarer Zeit nur noch für 20 % der Menschen in den Industrienationen Existenz sichernde Arbeit vorhanden.

Dahinter steckt eine gefährliche Motivation, die Karl Marx schon vor 150 Jahre entdeckt hat: "Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 30 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens."

Es geht daher inzwischen in der Politik nicht mehr darum, die besten politischen Argumente und Ideen für die Entwicklung unserer Gesellschaft zu finden. Da gibt es keine Logik mehr, schon gar keine Moral, da gibt es nicht einmal eine Wirtschaftswissenschaft, die das eine oder andere noch zu begründen vermag. Da bleibt als Erklärung nur die abstoßende Gier nach Kapital und persönlicher Macht, die es zu sichern gilt. Wer sich mit offenen Augen umschaut, erkennt die abnorme Realität, mit der wir es zu tun haben. Dass die Einführung von "Hartz IV" im Rahmen der "Agenda 2010" der rot-grünen Schröder-Regierung durch den Verfassungsschutz überwacht wird, zeigt indessen, dass die Mächtigen unsicher werden. Dies beschwört geradezu den Überwachungsstaat herauf. Der "gläserne Mensch" in Form von 500 Millionen überwachten Bankkonten in Deutschland ohne irgendeinen kriminellen Anfangsverdacht, die Ausweitung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die zunehmende Überwachung von Geschäften durch private Sicherheitsunternehmen, die künftige ID-Card mit erkennungsdienstlichen Informationen und die Ausweitung der Sammlung biometrischer Daten u.v.m. stellt die Sammlungswut des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in den Schatten und zeigt das steigende Misstrauen der Mächtigen gegenüber der Bevölkerung. Ein bedenkliches Zeichen für eine Gesellschaftsform, die sich als frei bezeichnet und sich gern Demokratie nennen möchte.

Die kapitalistische Krise spitzt sich inzwischen zur globalen Weltkrise zu. Selbst Konservative, wie der US-Spitzenökonom Lester Thurow sieht in diesem neoliberalen Weltwirtschaftssystem keine Zukunft mehr. Die eigenen Heilsverkündungen des Neoliberalismus sind längst verklungen und das Systemversagen tritt zu Tage. Trotzdem wird hemmungslos weiter gemacht. Die USA mit Beteiligung der Europäer überziehen mehr und mehr Länder mit Krieg. Deren Ursache ist nicht Terror so genannter "Islamisten". Und es sind nicht Diktaturen, denen man die Demokratie bringen muss. Ursache ist vielmehr die globale Krise des Kapitalismus, denn "die heutige Ausprägung der Globalisierung wird als spezifische Phase des Kapitalismus verstanden... Der Imperialismus stellt somit einen Versuch dar, den inneren Widersprüchen durch Expansion zu begegnen". (Ch. Zeller, attac). Mit weniger parlamentarischen Hürden in der neuen Europäischen Verfassung dürfte die kriegerische Beteiligung der Europäer jetzt noch einfacher werden. Deutschland wird sich nicht mehr heraushalten, denn die außenpolitischen Differenzen mit den USA sind weitaus geringer, als viele annehmen.

So ist der 11.9.2001 in den USA Anlass für weiteren amerikanischen Rüstungswahn (der in den nächsten Jahren von jetzt 300 Mrd. auf 340 Mrd. Dollar aufgestockt werden soll), aber nicht Ursache des Krieges im Irak gewesen. Die Sorgen bereitende Verknüpfung von angeblichen Massenvernichtungswaffen und Terrorismus weist auf eine faschistoide Entwicklung. General Tommy Franks, Kommandant der US-Truppen bei den Überfällen auf Afghanistan und den Irak: "Das führt dann dazu, dass die westliche, freie Welt das verliert, was wir am meisten schätzen: die Freiheit, in der wir in diesem großartigen Experiment, das wir Demokratie nennen, ein paar hundert Jahre gelebt haben". Folgen sind das überwachte Amerika, der "Patriot Act", das Konzentrationslager Guantanamo und das Foltergefängnis Abu Guraib. Amerikanische Kriege und Embargos haben 100tausende Tote zur Folge gehabt, besonders bei den Kindern. Es herrschen Willkür und Barbarei unter Ausschaltung jeglichen Menschen- und Völkerrechts. Und Präsident Bush's Antrittsrede zum Beginn des 21. Jahrhundert klingt wenig verheißungsvoll, denn die USA wollen "allen Nationen gegenüber für die Werte eintreten, die sie selbst geschaffen haben" - bisher jedenfalls weitgehend mit militärischen Mitteln. Dort ist nichts anderes zu erwarten.

Die gewalttätige Erschließung von Ressourcen durch kriegerische Neuaufteilung der Welt durch den neoliberalen Imperialismus wird nicht zur Verbesserung für die Menschen führen, sondern nur noch weiter in Chaos und Orientierungslosigkeit. Inzwischen produzieren und konsumieren lediglich 20 % der Weltbevölkerung 70 % der Güter- und Dienstleistungen. Der Anteil Afrikas am Welthandel beträgt nur noch 1 %. Die Versorgung weiter Teile in Afrika, Asien und Lateinamerika mit den elementarsten Lebensgrundlagen ist eine Tragödie ohne Gleichen und sinkt beständig weiter. Und auch die nördliche Welt wird immer drastischer in Arm und Reich gespalten.

Wir brauchen so dringend wie nie eine andere Politik mit anderen Politikern, eine andere Form des globalen Wirtschaftens - eine Wende in der Gesellschaft. Zwar nehmen die Mächtigen mit ihrer gleichgeschalteten Presse den tatsächlich existierenden, wenn auch zaghaften Widerstand nicht zur Kenntnis. Auch werden Alternativvorschläge schlicht hinweggefegt. Gerhard Schröder: "Es gibt keine Alternative". Und seine Äußerung "Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht" zeigt entweder eine schier unglaubliche Naivität und Ahnungslosigkeit, oder - was wahrscheinlicher ist - wessen Lakai er ist. Daher wird von dieser Seite nichts zu erwarten sein. Und es ist leider auch so, dass die Not der Ausgegrenzten die Nochbeschäftigten daran erinnert, dass es noch viel schlimmer kommen kann und sie deshalb diszipliniert und gefügig macht.

Aber gerade jetzt wäre ein Aufschrei der Menschen notwendig, den Mächtigen deutlich zu machen, dass sie diesen Weg nicht mehr mitgehen. Und in einem Land muss man endlich damit anfangen. Immerhin sind 80 % der Bürgerinnen und Bürger der Ansicht, dass zu wenig gegen die selbsternannte Elite des teuflischen Marktradikalismus demonstriert wurde. Und die Gewerkschaften? Für ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit sind sie mitverantwortlich. Bereits Anfang der 90er Jahre sagte der damalige Chef von Olivetti zur Schwäche der Gewerkschaften: "Jetzt müssen wir keine Rücksicht mehr nehmen, jetzt können wir machen, was wir wollen" (ISW-Report Nr. 59). Gewerkschaftsspitzen und DGB haben das in der ganzen Tragweite immer noch nicht erkannt, und verraten mit ihrer Zustimmung zu Hartz IV und bewusst vergeigten Tarifauseinandersetzungen Erwerbslose wie Beschäftigte. Ihre verhängnisvolle Allianz
mit der SPD hat ebenso zu ihrer Schwächung beigetragen.

Trotzdem sollten die Menschen erkennen, dass sie die Gewerkschaften für ihr Anliegen brauchen, und deshalb dauerhaften Druck auf ihre Gewerkschaftsführungen ausüben. Die Gewerkschaften können und müssen eine wichtige Kraft bei der Beseitigung des menschenverachtenden Neoliberalismus werden, um ein weiteres Abgleiten in einen Wirtschaftsfaschismus zu verhindern. Dann könnten wir endlich den Blick von der Schlange wenden und den Weg in eine andere Gesellschaft bereiten. Chancen dazu gibt es noch.

Dies ist ein wegen des Faschismusbegriffes zwischen der Redaktion des labournet und dem Autor Hans-Dieter Hey diskutierter Artikel. Siehe auch den Artikel: Hans-Dieter Hey: Das hat was mit Faschismus zu tun!

 


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