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Die Aldous Huxley Revival Serie Brave new world (24)

Dr. Frankenstein, I presume ?

Es gibt ja Menschen, die meinen, es gäbe keine Zukunftsdebatte. In der Gesellschaft nicht, in den Gewerkschaften nicht, bei der Linken schon gar nicht. Das gallische Dorf am Emscherstrand, in dem ich meine Tage überwinde, scheint mir da eine Ausnahme: Hier ist die Zukunftsdebatte permanent.

Um mit einem persönlichen Beispiel anzufangen: Bekannte bekommen ein Kind. Schön für sie. Die werdende Mutter muß beim Krankenhaustermin - Städtische Klinik Dortmund - eine andere werdende Mutter trösten: Diese wurde soeben gefragt, ob sie wirklich ein Kind wolle, das mit Sicherheit zur Fettleibigkeit neigen würde. Wohlgemerkt: Die gute Frau weinte nicht wegen der Frage... Zukunftsdebatte pur: Frankenstein.

Um mit einem örtlichen Beispiel weiter zu machen: Wir haben einen OB - ich glaube, sowas wie Kunsthistoriker, immerhin bemerkenswert - und der hat sein Dortmund Projekt, geleitet von einem Lenkungsausschuß, für den mensch nach gutem alten Preussenrecht ernannt wird oder sich einkaufen kann - Wahlen bringen nichts. "Das neue Dortmund ist das schnelle Dortmund" - der Startslogan, in dieser Art um 1954 in den USA erstmals sprachgeschöpft, hatte ja schon für jeden, der potenziell betroffen ist (oder: der Sprache mächtig ) einen drohenden Unterton. Früher wurde, wer zu spät kam, nur von der Stechuhr bestraft. Im Zeitalter des entfesselten Kapitalismus gleich vom ganzen Leben. Und weil die Dortmunder nun mal so schnell nicht sind (einer der Gründe, gerne hier zu sein) hat er jetzt nachgelegt: Die neue Dortmunder IT Akademie werde die Menschen passgenau ausbilden. Nein, das war keine Bewerbung um die Hauptrolle im Remake von "Modern times". Es ist lediglich die Sprache die so verdinglicht, wie ihr Gegenstand. Und: auch das war Zukunftsdebatte pur - Frankenstein City.

Und, um mit einem bundesweiten Beispiel zu enden: Aufatmen bei Gewerkschaften. Die Arbeitsplätze deutscher Zivilisten in Bad Aibling sind fürs erste gesichert - die USA werden die deutsche Dependance des weltweiten Netzüberwachungssystems Echelon nun doch nicht, wie geplant, schließen - wg 11.September und die Folgen. Diese Folgen werden ohnehin arbeitsplatzträchtig sein: Softwarebuden (die Überwachungssysteme, Videoauswertungsprogramme, Personalerkennungsprogramme schreiben), öffentliche und private Sicherheitsdienste aller Art und einiges mehr werden auf der Gewinnerseite stehen - von den Verlierern ist täglich in der Zeitung zu lesen.

Die verbissenste Spaßgesellschaft der Weltgeschichte macht ernst. Wo einst Robert Redford im Kino Lachsalven produzierte, als er im Angesicht der Ruinen eines Westernstädtchens lakonisch-tröstend sagte "We are the good guys, do not even glimpse for the bad ones" bleibt einem heute, angesichts gleichlautender Beschwörungen der Kriegsherren des Westens, das Lachen im Halse stecken.

Gewerkschaften und linke Parteien haben sich längst vom Anspruch einer Gestaltung der Gesellschaft verabschiedet und begnügen sich damit, Innenarchitekten des Käfigs zu sein, dessen Vergoldung rapide bröselt.

Kritisches Potenzial ? Wenn die Herrschenden sagen "mit Gentechnik sterbt ihr nie mehr nicht" möchte der passgenaue Mensch, gestylt entsprechend Körperwelten-Design, das gar zu gerne glauben. Wo Tausende freiwillig Kameras in ihren Schlafzimmern aufstellen und ihre Langeweile aller Welt zugänglich machen, wundert es nicht, daß Biometrie-Überwachung mehrheitsfähig ist: Frankenstein Country.

Die meisten Gewerkschaften und die traditionellen Linken diskutieren solche Fragen spärlich - und fordern, wenn überhaupt etwas, einen Tarifvertrag dazu, oder noch hilfloser: Sozialklauseln. Die - noch - größte Gewerkschaft der Welt diskutiert die Anschaffung eines neuen Telefonsystems, die Gehälter ihrer Bosse und vielleicht irgendwo noch die Absicherung der Gentechniker im sehr wahrscheinlichen Krankheitsfalle. Die politische Linke will endlich die nächste Lohntarifrunde dazu nutzen, in die Offensive zu gehen. Beim 3004. Mal muß es doch gelingen...

Ein paar - wie auch immer zustande gekommene - Randgruppen sind die einzigen, die sich der Zukunftsdebatten-Orgie des Bürgertums entgegenstellen.

Der Rest: Wiedergänger längst vergangener Auseinandersetzungen, Zombies zum Programm des Dr. Frankenstein.

Helmut Weiss


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