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Plädoyer für eine Reform der Berliner Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler von links

(Marion Burghardt, Oda Hinrichs, Dieter Hummel, Nils Kummert, Thomas Lakies, Henner Wolter)

Erschienen in: Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ): Sondernummer der "ansprueche" zur Novellierung des BetrVG (siehe Bestelladresse)

 

Inhalt

Plädoyer für eine Reform


A. Ausgangssituation

I. Verbetrieblichung und Aufwertung der Betriebsräte
II. Individualisierung, Pluralisierung
III. Alte Kritik und neue Krise der Repräsentation
IV. Einzelwirtschaftliche Vernunft versus gesamtwirtschaftliche Unvernunft
V. Individual- und Kollektivrechte
VI. Der Betriebsrat zwischen Schutzfunktion und Mitgestaltungsoption
VII. Schlußfolgerungen für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

B. Schwerpunkte - Problemlösungen

I. Sicherheit des Arbeitsplatzes
1. Mangelhafter Schutz
2. Lösungsansätze

II. Arbeitsbedingungen
1. Gesundheitsschutz
2. Gleichstellung
3. Arbeitsorganisation

III. Allgemeine Aufgaben nach § 80 BetrVG; Sachverständige

IV. Der Betriebsrat als Vertreter auch der Nichtbeschäftigten?
1. Das allgemeine Problem
2. Mitbestimmung
3. Arbeitsmarktpolitisches Mandat

V. Chancen für demokratische Teilhabe im Betrieb
1. Arbeitnehmer-Begriff
2. Betriebs-Begriff

VI. Flexible Betriebsverfassung; besserer Schutz für Betriebsräte
1. "Aktive auf Zeit"
2. Ad-hoc-Betriebsräte
3. Effektive Sanktionen
4. Maßregelungsverbot
5. Beteiligung von betrieblichen Fachleuten

VII. Überbetriebliche Solidarität
1. Wirtschafts- und Sozialräte neu bedenken
2. Gesetzlicher Schutz der Kooperation
3. Kontrolle von Tarifverträgen

 

Plädoyer für eine Reform

Die Bundesregierung plant für diese Legislaturperiode eine grundlegende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor, nur der DGB hat bereits detaillierte Novellierungsvorschläge unterbreitet. Schwerpunkte sind Forderungen zum Betriebs- und Arbeitnehmerbegriff, zur Erweiterung von Mitbestimmungsrechten, zur besseren Beteiligung der Beschäftigten und zur effektiveren Zusammenarbeit des Betriebsrats mit der Gewerkschaft. Schon im Vorfeld der zu erwartenden hitzigen Diskussionen meldeten sich konservative Autoren zu Wort. Sie warnen vor einer "Betriebspartnerherrschaft", die zu Lasten des Individualrechtsschutzes gehen könne und weisen Forderungen nach mehr Mitbestimmung und innerbetrieblicher Demokratie wegen möglicher negativer betriebswirtschaftlicher Effekte zurück.

Die nachfolgend skizzierten gesellschaftlichen und betrieblichen Veränderungsprozesse machen eine grundlegende Reform der Betriebsverfassung notwendig. Reformvorschläge, die sich auf das parlamentarisch (vermeintlich) Machbare und innerhalb einer Legislaturperiode Durchsetzbare beschränken, ohne diese Veränderungen zu berücksichtigen, werden von vornherein zu kurz greifen. So wichtig die Vereinfachung von Wahlvorschriften, die Anpassung des Arbeitnehmer-Begriffs an neue betriebliche Strukturen und die vorsichtige Erweiterung von Mitbestimmungsrechten ist, so wenig ist es damit getan. Zuvor und zusätzlich bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit diesen veränderten Bedingungen, eines daraus zu entwickelnden Reformkonzepts und der Diskussion mit allen Interessierten innerhalb wie außerhalb des Parlaments.

Neben einem Gesetzentwurf tut eine gesellschaftliche Debatte not. Sie muß und wird, steht zu hoffen, vor allem in den Gewerkschaften geführt werden. In diese Debatte wollen wir uns einmischen und Anstöße dazu geben. Grundlage unseres Beitrages ist das Ziel der selbstbestimmten Teilhabe aller Erwerbstätigen und gezwungenermaßen Nichterwerbstätigen an der betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und am gesellschaftlichen Reichtum. Die Novellierungsvorschläge des DGB haben ihren eigenen Stellenwert. Unsere Intervention setzt andere inhaltliche Schwerpunkte und ist ein rechtspolitisches Diskussionspapier, kein Gesetzesentwurf.

Berliner Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler von links

 

A. Ausgangssituation

I. Verbetrieblichung und Aufwertung der Betriebsräte

 

Der Betrieb und die betriebliche Arbeitsorganisation stehen seit spätestens Mitte der achtziger Jahre im Zentrum neuer Managementstrategien, mit denen auch erreicht werden soll, daß alle am Produktionsprozeß Beteiligten, insbesondere die ArbeitnehmerInnen, unternehmerisches Denken internalisieren. Jenseits der Großorganisationen und des institutionalisierten "Klassenkompromisses" ("Sozialpartnerschaft", Flächentarif, "Bündnis für Arbeit", sozialstaatliche Intervention) erfuhren die betriebliche Vereinbarungspolitik - in all ihren formellen und informellen Erscheinungsformen - und in diesem Zusammenhang die Betriebsräte eine ungeahnte Aufwertung. Das "Human-Resource-Management" hat die Betriebsräte als Transmissionsgremium zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft etabliert, um die Konzepte der "Lean-Production" und der neuen Unternehmenskultur ("Corporate Culture") umzusetzen. Nicht wenige Betriebsräte haben die Rolle eines Co-Managements angenommen und vertreten offensiv betriebsegoistische Interessen.

Das gewachsene Selbstbewußtsein von Betriebsräten und ihre gestiegene Bedeutung könnten – so die Befürchtung konservativer Autoren – trotz ihrer gefestigten Einbindung in die betriebliche Herrschaftsordnung eine Grundlage für weitergehende Partizipationsansprüche sein, die bereits im Vorfeld einzudämmen seien. Auch wird befürchtet, die Gewerkschaften könnten sich angesichts des Mitgliederschwundes und der Erosion des Vertrauensleutekörpers noch mehr als bisher auf die Betriebsräte konzentrieren und für eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte mobil machen. Derartige Befürchtungen sind - leider - übertrieben, verweisen aber zugleich auf Möglichkeiten einer an autonomen Interessen der abhängig Beschäftigen orientierten Reformpolitik.

 

II. Individualisierung, Pluralisierung

Seit Mitte der siebziger Jahre hat die dritte industrielle Revolution einen Qualitätssprung bezüglich der Ausdifferenzierung von Interessenlagen, Arbeitnehmerrollen und Lebensstilen bewirkt, schlagwortartig "Individualisierung" genannt. Die tendenzielle Auflösung festumrissener sozialer Milieus mit klaren Wertorientierungen und standardisierten Biographien und die Zunahme individueller Optionen in vielen gesellschaftlichen Bereichen bedeuten, daß Beschäftigte immer weniger als die "vom Kapital vereinheitlichte Arbeiterklasse" erscheinen.

Diese Entwicklung hat die demokratischen Selbstbestimmungsrechte der Individuen politisch-normativ erheblich aufgewertet (die realen Spielräume für Freiheit und Selbstbestimmung haben sich für die große Mehrheit damit aber keineswegs vergrößert). Die bürgerlichen Freiheitsrechte und demokratischen Teilhaberechte sind zu allseits akzeptierten "Grundnormen" geworden, deren Verwirklichung im Zentrum politischer Programmatik steht. Diesen Ausgangspunkt haben auch kapitalismuskritische Vorstellungen: Die kapitalistisch organisierte Ökonomie stehe einer Demokratisierung und Verwirklichung der Freiheitsrechte für alle im Wege. Schließlich war eine der Ursachen des Scheiterns des Staatssozialismus die Mißachtung bürgerlicher Freiheitsrechte und des Bedürfnisses der Individuen nach Selbstbestimmung. Das Arbeitsrecht im allgemeinen, das Betriebsverfassungsrecht im besonderen, muß diese Veränderungen berücksichtigen.

 

III. Alte Kritik und neue Krise der Repräsentation

Die Delegation von Entscheidungsgewalt auf besondere Gremien ist immer problematisch, weil sie tendenziell zu Passivität, d. h. zur Objektstellung der Betroffenen führt. Die bessere Ausgestaltung von Repräsentationssystemen, etwa der Betriebsverfassung, vermag daran nichts zu ändern. Die Beschäftigten bleiben auch dann von der unmittelbaren Teilhabe an der Entscheidungsgewalt ausgeschlossen. Dieses - von Teilen der Gewerkschaftsbewegung schon immer kritisierte - Strukturdefizit jeder betrieblichen Repräsentation wird aktuell durch eine neue, ebenso grundsätzliche, von der Kapitalseite ausgelöste Krise, durch Individualisierung und Pluralisierung, gleichsam überholt. Die Ausdifferenzierung von Interessen, Rollen und Lebensstilen erscheint, bezogen auf die betriebliche Interessenvertretung, als Krise der Repräsentation. Neue Produktionskonzepte eröffnen neue Autonomiespielräume, auch am Betriebsrat vorbei. Der soziokulturelle Wandel, die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und die Zunahme der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft machen das Repräsentationsmodell fragwürdig. Immer weniger Beschäftigte fühlen sich durch die betriebsverfassungsrechtlichen Gremien vertreten. Sogar die "NormalarbeitnehmerInnen", auch wenn sie in den Genuß arbeits- und sozialrechtlicher Standards kommen, entwickeln immer weniger gleichförmige, durch ein zentrales Gremium vermittelbare Interessen.

Das betriebsverfassungsrechtliche Modell der Delegation und Repräsentation durch den Betriebsrat beruht traditionell bis heute auf einem zentralistischen Beteiligungsmuster: Der Betrieb wird zentral von einer Betriebsleitung gelenkt, die alle relevanten Entscheidungen trifft; der Betriebsrat "residiert" an dieser zentralen Stelle. Dieses Beteiligungsmuster war durch klare betriebliche Hierarchien und vertikale Führungskonzepte geprägt und in einen wirtschaftlichen Entwicklungstyp eingebettet, der durch scheinbar unbegrenzte Expansions- und Wachstumsmöglichkeiten, arbeitswissenschaftliche Optimierung des Produktionsprozesses, hochgradige Arbeitsteilung, Lohnzuwachs und Massenkonsum bestimmt war. Das Modell einer konstitutionellen Fabrik des Betriebsrätegesetzes 1920 mit seinem autoritär-hierarchischen Beteiligungsmuster hat bis heute kaum Veränderungen erfahren.

Im Zuge der dritten industriellen Revolution werden aber Betriebs- und Unternehmensstrukturen stark dezentralisiert, Unternehmensnetzwerke entstehen, es wird eine "systemische" Rationalisierung betrieben. Diese Veränderungen stellen zugleich das zentralistische Beteiligungsmuster in Frage, da es immer mehr betriebliche Entscheidungszentren gibt und betriebliche und unternehmerische Einheiten immer zersplitterter organisiert werden. Gleichzeitig steigt mit Abflachung der Hierarchien und Dezentralisierung von Unternehmensstrukturen der Steuerungs- und Koordinationsbedarf der Unternehmensleitungen. Bei Investitions- und anderen strategisch wichtigen Rahmenentscheidungen ist die verstärkte Zentralisierung unternehmerischer Entscheidungsgewalt außerhalb der Betriebe festzustellen. Zudem führen Kapitalverflechtungen und die damit verbundene Kontrolle durch die Akteure auf den Finanzmärkten (Banken, Versicherungen, multinationale Konzerne, FinanzspekulantInnen usw.) zu einer Verlagerung der unternehmerischen Entscheidungsgewalt auf eben diese Akteure, was die Tendenz zur Zentralisierung noch verstärkt.

Zu beobachten ist also die Zentralisierung von Unternehmensmacht mittels rigider - vor allem finanzieller - Rahmenbedingungen bei der Dezentralisierung der Entscheidungsgewalt über die Organisation konkreter Arbeitsprozesse. Dabei verlieren die konkret-stofflichen Prozesse, an denen betriebliche Mitbestimmung bisher ansetzt, im Hinblick auf die Finanzkontrolle an Bedeutung. Auch wenn von einem Verschwinden der Betriebe im Sinne einer "Virtualisierung", wie bisweilen prophezeit wird, jedenfalls in breiter Fläche keine Rede sein kann, ist der Einflußverlust der Betriebsräte in Anbetracht dieser sich neu gruppierenden unternehmerischen Entscheidungsgewalt doch offenkundig.

Bei den Beschäftigten haben die neuen betrieblichen Management-Strategien - entgegen euphorischer Erwartungen auch von Gewerkschaften - die soziale Spaltung im Betrieb vertieft: es gibt "Gewinner" und "Verlierer", Subjekte und Objekte der betrieblichen Prozesse. Die Erschließung neuer Rationalisierungspotentiale in den Köpfen der Arbeitenden hat die innerbetriebliche Konkurrenz und Leistungsdichte im Zusammenspiel von Selbstkontrolle der Beschäftigten mit Prozeßkontrolle durch ihre Vorgesetzten derart gesteigert, daß der vereinzelte Gewinn an Selbstbestimmung demgegenüber nicht ins Gewicht fällt.

Partiell zeigen sich Ansätze von Widerstand bzw. Verweigerung. Die "Ideologie" der Gruppenarbeit und der Qualitätszirkel verpufft, die freiwillige Teilnahme geht zurück. Es herrscht Kandidatenmangel bei GruppensprecherInnenwahlen, das Management zeigt sich enttäuscht ob der ausbleibenden Rationalisierungsgewinne. Insgesamt sind Humanisierungshoffnungen nicht nur verflogen, sondern dabei, sich in ihr Gegenteil zu verkehren angesichts von Leistungsverdichtung, wachsender Selbstkontrolle und der Angst, Objekt, etwa von Outsourcing-Prozessen, zu werden. Neue Bedrohungslagen und Schutzbedürfnisse sind statt dessen entstanden. Zugleich beklagen Betriebsräte das Durchschlagen des Konkurrenzprinzips auf die Beschäftigten, die sich betrieblich wie betriebsübergreifend immer weniger zu solidarisieren vermögen.

 

IV. Einzelwirtschaftliche Vernunft versus gesamtwirtschaftliche Unvernunft

Das einzelne Unternehmen kann - folgt man einer bloß betriebswirtschaftlichen Logik – bei Strafe seines ökonomischen Unterganges gezwungen sein, sich am Personalkosten-Reduzierungswettbewerb zu beteiligen. Mag die Erkenntnis der politischen Ökonomie auch alt sein – richtig ist sie noch immer: Aufgrund der Entwicklung der Produktivkräfte verändert sich die organische Zusammensetzung des Kapitals. Variables Kapital wird durch konstantes, d. h. Arbeitskraft wird durch Maschinen ersetzt. Die lebendige Arbeit wird aus der Produktion verdrängt. Dies wird bisweilen auch so umschrieben, daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind die Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft und die Reduzierung des Preises der Ware Arbeitskraft rational, volkswirtschaftlich bedeutet dies bei nachlassendem Wirtschaftswachstum und uneingeschränktem Primat der Ökonomie: Arbeitslosigkeit. Einzelwirtschaftliche Vernunft wird gesamtwirtschaftliche Unvernunft.

Das Arbeitsrecht allgemein, das Betriebsverfassungsrecht im besonderen, beschränkt seinen Geltungsbereich, seine "Reichweite" auf den Einzelbetrieb. Folglich können die Betriebsparteien auch nur in diesem beschränkten Rahmen handeln. Weitergehenden Einfluß dürfen sie nicht ausüben und können dies schon mangels hinreichender Informationen nicht. Eine solche Arbeitsverfassung fördert betriebliche Egoismen. Je mehr das Arbeitsrecht "verbetrieblicht" wird, je mehr es sich an Strategien des Outsourcing, der Betriebs- und Unternehmensspaltung anpaßt, desto "egoistischer", d.h. betrieblich bornierter und damit zugleich gesamtwirtschaftlich verantwortungsloser, "unverantwortlicher" wird es. Erst unter Bedingungen, die es auch den Betriebsparteien ermöglichen, über den Tellerrand der Belange des Einzelbetriebes oder -unternehmens zu schauen und auch insoweit verbindliche Regelungen zu treffen, sind Chancen für gesamtwirtschaftlich verantwortetes solidarisches Handeln gegeben. Es ist ohne weiteres möglich und üblich, solche Bedingungen auch in einer kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen: durch allgemeinverbindliches Recht. Wenn das gesetzliche Arbeitsrechtssystem für alle Unternehmen und das tarifvertragliche, für alle Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbandes verbindliche Normen setzt, beschränkt dies die unternehmerische Konkurrenz im Interesse der Gesamtheit der abhängig Beschäftigten und der Unternehmen. Gesamtwirtschaftlich schützt es Arbeitsplätze, verhindert Sozialdumping und entlastet so die Arbeitsverwaltung. Notwendig ist also nicht nur die gesamtwirtschaftliche Verfassung der Arbeitslosenverwaltung, sondern auch der Arbeitsverfassung, um dem Dilemma der einzelwirtschaftlichen Verursachung (z.B. Beendigung individueller Arbeitsverhältnisse) gesamtwirtschaftlicher Folgen (Arbeitslosigkeit) gegenzusteuern.

Der übliche Einwand lautet: Ein arbeitnehmerfreundliches Arbeitsrecht mit hohen Schutzstandards müsse zur Flucht aus dem nationalen Arbeitsrecht in Arbeitsrechtssysteme mit geringeren Schutzstandards führen. Aber: Die Bundesrepublik Deutschland ist ungeachtet ihrer immer noch vergleichsweise hohen arbeitsrechtlichen Schutzstandards seit langem Exportweltmeisterin. Ausschlaggebend im internationalen Standortwettbewerb sind oft andere Faktoren als die Höhe der Personalkosten. Der Verlagerung der Produktion ins Ausland stehen längere Transportwege, teilweise weniger qualifizierte Arbeitskräfte und mangelnde Rentabilität von transnationalen Produktionsverflechtungen sowie weitere dafür ungünstige Faktoren (beispielsweise: Steuersysteme etc.) entgegen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, daß die Drohung mit Verlagerungen meist nur unternehmerische Propaganda zum Abbau arbeitsrechtlicher Schutzniveaus war. Ein Eingehen auf diese Logik hätte zudem einen Wettbewerb nach unten (Sozialdumping) zur Folge. Damit aber wäre der Kampf um die Bedingungen für den Verkauf der Ware Arbeitskraft ohnedies nicht zu gewinnen, denn an irgendeinem Produktionsstandort der Welt werden die Arbeitsbedingungen für das Kapital immer noch günstiger sein. Aus Sicht der abhängig Beschäftigten geht es vielmehr um eine Angleichung "nach oben".

 

V. Individual- und Kollektivrechte

Selbst da, wo das Arbeitsrechtssystem die Grenzen des Einzelbetriebes oder –unternehmens überschreitet, trennt es die Regelungsebenen Arbeitsvertrag, Betriebsverfassung und Tarifvertrag voneinander und verknüpft sie nur punktuell (z.B. bezüglich des Verhältnisses Arbeitsvertrag – Betriebsvereinbarung – Tarifvertrag in § 77 Abs. 3 und 4 BetrVG, § 4 Abs. 1 und 3 TVG). Dies war schon immer unzureichend. Bei einer Strategie der konsequenten Verbetrieblichung aller industriellen Bezeichnungen wird es prekär. Es bedarf daher der effektiveren Verzahnung der schon vorhandenen individualrechtlichen, betrieblichen und tarifvertraglichen Handlungsebenen. Dazu müssen die Individualrechte gestärkt werden, ohne dabei die Kollektivrechte zu schwächen. Verfahrensregelungen müssen vorsehen, daß die jeweiligen Kollektive (Betriebsräte/ Tarifvertragsparteien) wirksamer als bisher über die Einhaltung individualvertraglicher Abreden wachen und diese durchsetzen können. Umgekehrt müssen sich die abhängig Beschäftigten effektiv auf die Einhaltung von Kollektivvereinbarungen berufen können.

 

VI. Der Betriebsrat zwischen Schutzfunktion und Mitgestaltungsoption

Notwendig ist eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Dies ist gerade auch in Anbetracht neuer Rationalisierungsstrategien, beispielsweise der Einbindung von Betriebsräten als "Co-Manager" der Rationalisierung, geboten. Alle neuen Entwicklungen haben zunächst nichts daran geändert, daß die Interessen von Unternehmen und abhängig Beschäftigen in einem prinzipiellen Widerspruch zueinander stehen. Mitbestimmung ist die Form, in der die Interessen der abhängig Beschäftigten artikuliert und der Widerspruch zum Unternehmerinteresse teilweise aufgehoben werden kann. Überdies geben die neuen unternehmerischen Handlungsstrategien eine zusätzliche Begründung für betriebliche Mitbestimmung, da sie oft janusköpfig sind. Dies gilt z.B. für Gruppenarbeit und Qualitätsmanagement. Ihre primäre Funktion haben sie als Rationalisierungsmittel zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und Intensivierung der Arbeit der restlichen Belegschaft; zugleich können sie aber deren Arbeit auch anreichern, qualifizieren, humanisieren. Hier kann Mitbestimmung die Qualität einer Mitgestaltung bekommen. Welche Variante sich durchsetzt, hängt u.a. von der Branche, dem Produktionsverfahren und den jeweiligen konkreten Bedingungen ab. Je nachdem steht hier die Schutzfunktion der betrieblichen Mitbestimmung und der Betriebsräte mehr im Vordergrund, dort die Mitgestaltung der Rationalisierung im Interesse einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Beide Möglichkeiten dieses entwicklungsoffenen Prozesses müssen zur Geltung gebracht werden können. Hierfür schlagen wir eine verfahrensmäßige Absicherung über weitergehende Mitbestimmungsrechte vor.

 

VII. Schlußfolgerungen für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Unsere Intervention benennt politische Regelungsschwerpunkte für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, mit dessen Hilfe Belegschaften und Betriebsräte eigenständig Zielvorstellungen entwickeln, individuelle Optionen und Bedürfnisse in kollektiven Entscheidungsprozessen wirksam artikulieren, solidarisch handlungsfähig werden und Betriebs-egoismen überwinden können. Dafür ist die substantielle Erweiterung der Mitbestimmungsrechte notwendig. Außerdem sollen Belegschaften und einzelnen Beschäftigten effektive Verfahrensrechte an die Hand gegeben werden. Betriebsräte, Belegschaften und abhängig Beschäftigte sollen in der Lage sein, mit den eigentlichen Entscheidungsträgern im Betrieb und Unternehmen effektiver zu verhandeln, die betriebliche soziale Ordnung wirksamer als bisher mitzugestalten und unternehmerische Entscheidungsmacht - auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten - zu kontrollieren. Rechtliche Vorgaben wollen und können Betriebsratspolitik aber nicht auf inhaltliche Ziele festlegen, vielmehr geht es darum, einen möglichst weitgehend selbstbestimmten Willensbildungsprozeß zu ermöglichen. Wir schlagen deshalb vor, auch die Rechte der einzelnen Beschäftigten zu stärken und mit verbesserten kollektivrechtlichen Instrumentarien effektiver als bisher zu verzahnen. Dies gilt insbesondere für die Beteiligung der einzelnen ArbeitnehmerInnen an der Betriebsratsarbeit.

Es nützen die besten rechtlichen Rahmenbedingungen nichts, wenn Betriebsräte und Beschäftigte ihre Rechte nicht wahrnehmen können oder wollen. Sie müssen lernen, von Handlungsspielräumen auch Gebrauch zu machen. Dieser Lernprozeß ist vornehmlich ein politischer Prozeß. Rechtsnormen können ihn nur flankieren, nicht ersetzen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Gewerkschaften zu. Diese müssen ihr politisch-kulturelles Mandat wahrnehmen, um Solidarität zu organisieren und sämtliche Beschäftigtengruppen unter Einübung neuer direkter demokratischer Beteiligungsformen zu integrieren. Nicht zuletzt deshalb müssen die Gewerkschaftsrechte im Betrieb erweitert, Betriebsrats- und Gewerkschaftspolitik besser als bisher miteinander verzahnt werden.

Eine Arbeitsrechtspolitik, deren Ziel es ist, mehr Demokratie in den Betrieben zu verwirklichen, steht vor einem grundlegenden Problem: Werden die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte und Belegschaften gestärkt – was wir vorschlagen - , besteht die Gefahr der weiteren Verbetrieblichung der Auseinandersetzungen zwischen KapitaleignerInnen und abhängig Beschäftigten. Dies droht die Gewerkschaften und ihre so wichtigen Funktionen der Herstellung und Bewahrung branchenbezogener und gesamtpolitischer Solidarität weiter auszuhöhlen. Außerdem könnte die notwendige Re-Regulation der Arbeits- und Sozialbeziehungen auf nationalstaatlicher und – so schwer dies auch fallen mag – angesichts von Tendenzen der Globalisierung auch auf europäischer, ja selbst auf globaler Ebene aus dem Blick geraten. Überdies ändern verbesserte Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte noch nichts an der gesetzlichen Grundkonzeption der Betriebsverfassung, der Verpflichtung der Betriebsräte auf das jeweils einzelne "Unternehmenswohl". Schließlich hebt die Stärkung der betrieblichen Interessenvertretung die Trennung von der Gewerkschaft - das duale System - nicht auf. Das duale System nutzen Unternehmen derzeit, um Tarifsysteme auszuhöhlen. Es muß deshalb eine ineinander greifende Regulation der Kapital-Arbeit-Beziehungen auf allen Ebenen angestrebt werden. Das beste Betriebsverfassungsrecht nützt nichts, wenn das Tarifvertragssystem keinen stabilen Rahmen mehr bieten kann, seine Kartellfunktion wegbricht und entfesselte Kapital-, Finanz- und Arbeitsmärkte die betrieblichen AkteurInnen unter schier übermächtigen Konkurrenzdruck setzen.

 

B. Schwerpunkte - Problemlösungen

I. Sicherheit des Arbeitsplatzes


1. Mangelhafter Schutz

a) Nachrangige Bedeutung der Kündigung

Das Unternehmen reduziert seine Belegschaft durch mehrere personalpolitische Maßnahmen. Kündigung ist nur ein Mittel von vielen. Kündigungsschutz und Rechte des Betriebsrats bei Kündigungen greifen damit als alleiniges Schutzinstrument zur Erhaltung von Arbeitsplätzen zu kurz.

b) Rationalisierung als kollektiver Prozess - individualistisches Kündigungsschutzverfahren

Dem unternehmerischen Rationalisierungsprozeß setzt das Arbeitsrecht zum Schutz der davon durch Kündigung Betroffenen ein individualistisch verfaßtes Klageverfahren entgegen. Dieses verfehlt von vornherein die kollektive Dimension des unternehmerischen Handelns, kann jedenfalls keine effektive Antwort auf die Durchsetzung unternehmerischer Interessen sein. Das zeigt sich auch, wenn der Unternehmer seine Belegschaft nicht nur verkleinert, sondern neu zusammensetzt, etwa verjüngt. Der Schutz der betroffenen bzw. besonders gefährdeten oder benachteiligten ArbeitnehmerInnen ist nicht hinreichend gewährleistet.

c) Verspäteter Kündigungsschutz

Das Arbeitsrechtssystem ist reaktiv und defensiv. Es greift im Grundsatz erst - und damit viel zu spät - ein, wenn alle Entscheidungen des Unternehmers gefallen sind und die Kündigung unmittelbar bevorsteht oder schon ausgesprochen ist.

d) Verspäteter Interessenausgleich/Sozialplan

Die kollektivrechtlichen Instrumente (Interessenausgleich/Sozialplan) setzen ebenfalls zu spät und zu kurz an: Die betriebliche Interessenvertretung verfügt nicht einmal über die notwendigen Informationen, hat keine Rechte, die Unternehmerentscheidung in Frage zu stellen und machbare Alternativen zu ihr zu entwickeln. Der Sozialplan bedeutet in der Praxis - nicht anders als der Kündigungsschutz - lediglich eine gewisse Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Geld und bewirkt damit - gesamtwirtschaftlich betrachtet - die Erhöhung der Arbeitslosigkeit.

 

2. Lösungsansätze

a) Präventiver Kündigungsschutz

Schon im ersten Stadium der Rationalisierungsplanung müssen die Interessen der Beschäftigten - gebündelt durch den Betriebsrat - wirkungsvoll zur Geltung kommen können, um der einseitigen und phantasielosen Fixierung auf den Abbau der Belegschaft als Mittel zur Behauptung des Unternehmens in der Konkurrenz gegenzusteuern. Die Belegschaft muß schon in diesem Stadium Alternativen formulieren können und eine reale Chance haben, diese gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen. Dies betrifft die gesamte unternehmerischen Planung (Produktionsplanung, Marketing, Personalplanung usw.).

Das bedeutet: Es bedarf eines wirksamen präventiven Kündigungsschutzes. Hierzu gehört auch eine Ausweitung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Das Mitbestimmungsrecht soll sich nicht nur auf den Sozialplan beschränken, sondern sämtliche wirtschaftlichen Angelegenheiten, die in § 106 Abs. 3 BetrVG aufgeführt sind, umfassen, und überdies auch die Personalplanung. Dazu ist § 106 Abs. 3 BetrVG ist zu einem vollen Mitbestimmungsrecht auszubauen.

b) Mitbestimmung auch bei unternehmerischen Entscheidungen

Präventiver Kündigungsschutz ist nur effektiv, wenn nicht nur die Entscheidungsgrundlagen, die zur Verkleinerung der Belegschaft oder zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen, sondern auch die darauf bezogene unternehmerische Entscheidung der vollen Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Diese muß sich sowohl auf die betrieblichen und außerbetrieblichen Ursachen, als auch auf Auswirkungen auf die Arbeitsplätze erstrecken, soweit diese Faktoren unternehmerisch beeinflußbar sind.

c) Präventiver Kündigungsschutz und Vertragsinhaltskontrolle

Der Erhalt des Arbeitsplatzes einzelner Beschäftigter ist auch vom Inhalt des Arbeitsvertrages abhängig, z.B. bei befristeten Arbeitsverträgen. Zum präventiven Kündigungsschutz zählt daher auch die Einflußnahme auf Vertragsinhalte, insbesondere im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das erfordert Mitbestimmungsrechte grundsätzlich auch bei Befristungen, Unterbrechungen und Ruhenstatbeständen des Arbeitsverhältnisses, es sei denn, sie entspringen dem expliziten Wunsch des Einzelnen. Die Mitbestimmungs- und Initiativrechte müssen sich auch auf Wieder- und Weiterbeschäftigung und die dabei relevanten Arbeitsbedingungen erstrecken.

 

II. Arbeitsbedingungen

In den letzten Jahren sind einige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erreicht worden. So wurde der Gesundheitsschutz durch die Verabschiedung des Arbeitsschutzgesetzes verbessert; auch bei der Geschlechtergleichstellung konnten einige Fortschritte erzielt werden. Die Arbeitszeit vieler Beschäftigter wurde durch tarifvertragliche Regelungen verkürzt. Allerdings ist die Lohnquote in den letzten Jahren drastisch gesunken. Zudem haben sich die Arbeitsprozesse verdichtet und beschleunigt.

1. Gesundheitsschutz

Im Mittelpunkt des betrieblichen Gesundheitsschutzes stand bisher nicht das ganzheitliche Verständnis des Menschen als körperliche, geistige und soziale Persönlichkeit, vielmehr beschränkten sich die gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen und Unfallverhütungsvorschriften noch bis vor kurzem fast ausschließlich auf die Verhinderung von Arbeitsunfällen und bleibender körperlicher Schäden. Das Arbeitsschutzgesetz 1996 hat zwar einige der größten Defizite des Gesundheitsschutzes beseitigt, jedoch ist versäumt worden, betriebliche Kommunikationsstrukturen und Organisationsformen zu schaffen, die es den einzelnen Beschäftigten ermöglichen, sich aktiv an der Vermeidung krankmachender Arbeitsfaktoren zu beteiligen und ihren Arbeitsplatz, Arbeitsabläufe, ihre Arbeitsumgebung und sonstige betriebliche Strukturen aktiv mitzugestalten.

Dem Betriebsrat ist zur Sicherstellung und Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsschutzes ein umfassendes Mitbestimmungsrecht einzuräumen. Dieses muß sich auf die Ausgestaltung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen, sowie auf die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe beziehen.

Unter Einbeziehung von inner- oder außerbetrieblichen Fachleuten sind Kommunikations- und Organisationsstrukturen zu schaffen, die eine aktive Beteiligung sämtlicher betrieblicher AkteurInnen gewährleisten. Das bedeutet vor allem:

 

2. Gleichstellung

Den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern muß das Arbeitsrechtssystem wesentlich konsequenter als bisher realisieren. Frauen sind keine besonders schützenswerte Minderheit der Gesellschaft und auch nicht des Betriebes. Soweit wie möglich sind geschlechtsneutrale Rechtsnormen und betriebliche Regelungen zu schaffen, die die Lebenswirklichkeit und die besonderen Fähigkeiten von Frauen und Männern gleichwertig berücksichtigen, z. B. bei Anforderungskatalogen zur Stellenbesetzung, Qualifizierungsmerkmalen, Arbeitsbewertungsverfahren und Eingruppierungen. All dies darf weder unmittelbar noch mittelbar diskriminieren und kann nur durch umfassende Mitbestimmungs- und wirksame Kontrollrechte des Betriebsrats unter aktiver Beteiligung der Betroffenen, sowie durch Verbandsklagerechte der Betriebsräte und Gewerkschaften bzw. Gleichstellungsgremien gewährleistet werden.

An das Geschlecht anknüpfende Regelungen (Frauenförderung, Quotierung) sind auf die Bereiche zu beschränken, in denen die noch vorherrschende Rollenverteilung in der Gesellschaft eine besondere Berücksichtigung von Frauen zur zügigeren Herstellung von Gleichstellung unumgänglich macht. So ist z. B. der Betriebsrat zu quotieren. Anstelle der Verteilung der Gremiensitze auf ArbeiterInnen und Angestellte, muß sich der Betriebsrat aus Frauen und Männern zusammensetzen. Dies kann z.B. durch einfache Änderungen der Wahlvorschriften des BetrVG erreicht werden.

Die Beschäftigten und ihre betrieblichen Interessenvertretungen sollen verlangen können, daß die Belegschaft im Verhältnis von Männern und Frauen nach dem Pyramidenmodell organisiert wird. Dies bedeutet, daß Einstellungs- und Beförderungsansprüche bei gleichwertiger Qualifikation zugunsten von Frauen bestehen, solange sie nicht den Anteil erreicht haben, der ihrem Anteil auf der nächst niedrigeren Hierarchiestufe im Betrieb entspricht. Wird bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht realisiert, daß Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung im Betrieb repräsentiert sind, haben Frauen bei gleichwertiger Eignung und Qualifikation einen Einstellungsanspruch. Das gleiche gilt bei Beförderungen. Bezugsgröße ist hier allerdings der betriebliche Anteil an Frauen. Weibliche Auszubildende werden im Betrieb entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung eingestellt; die "normalen" Beschäftigungspositionen werden entsprechend dem weiblichen Anteil an Auszubildenden besetzt. Beförderungen von Frauen werden entsprechend dem betrieblichen Anteil an beschäftigten Frauen vorgenommen. Die betrieblichen Interessenvertretungen haben dabei ein umfassendes Mitbestimmungsrecht.

Ob spezifische Frauenvertreterinnen (Frauenbeauftragte) die Frauen eher stigmatisieren, oder einen positiven Beitrag zur Herstellung faktischer Gleichheit der Geschlechter zu leisten vermögen, ist Gegenstand heftiger Diskussion. Wir halten es für sinnvoll, hier keine einheitlichen Vorgaben zu machen. Die Frauen in den Betrieben und Unternehmen sollen vielmehr selbst entscheiden, welche Lösung ihnen in ihrem Bereich am sinnvollsten erscheint.

 

3. Arbeitsorganisation

a) Mitbestimmung bei allen Formen der Intensivierung von Arbeit

Die neuen Methoden der Rationalisierung durch Arbeitsorganisation, Arbeitszeitmanagement, neue Technologien und sonstige Flexibilisierungsinstrumente zur Intensivierung der Arbeit erfordern eine Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten und -rechte der betrieblichen Interessenvertretungen und der einzelnen Beschäftigten, um der fortlaufenden Verdichtung der Arbeit und Verdrängung der lebendigen Arbeit aus der Produktion und damit der Erhöhung der Arbeitslosigkeit Einhalt zu gebieten. Das muß sich auf alle Fragen der Arbeitsverdichtung und -intensivierung, durch welche Methoden auch immer, erstrecken. Es soll auch Besetzungsregelungen quantitativer und qualitativer Art umfassen und ein durchsetzbares Initiativrecht beinhalten.

Notwendig ist insbesondere ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Ausgestaltung des Zusammenwirkens der Beschäftigten, insbesondere eine effektive Beteiligung an Veränderungsprozessen und deren frühzeitige und transparente Diskussion. Neue Sozialtechniken wie Gruppenarbeit und Qualitätszirkel ("das Gold in den Köpfen der Mitarbeiter") können nicht der einseitigen Bestimmung der Unternehmen überlassen bleiben. Das Mitbestimmungsrecht muß sich auf alle Fragen, also auch auf das "Ob" und "Wie", einschließlich der arbeitsvertraglichen Bedingungen und sonstigen Auswirkungen für die einzelnen ArbeitnehmerInnen erstrecken.

b) Mitbestimmung zur Beschäftigungssicherung

Außerdem muß ein volles Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen der Beschäftigungssicherung eingeführt werden. Der Betriebsrat muß von sich aus Maßnahmen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen vorschlagen und über die Einigungsstelle durchsetzen können.

c) Mitbestimmung bei Teilzeitarbeit

Die Mitbestimmung bei der Teilzeitarbeit muß sich auch auf deren Dauer erstrecken. Wenn Regelarbeitszeiten nicht mehr existieren, ist das Mitbestimmungsrecht auf die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu erweitern.

d) Mitbestimmung bei Formularverträgen

Der Betriebsrat muß ein Mitbestimmungsrecht bei formularmäßig verwendeten Arbeitsvertragsklauseln haben und ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen können. Auch der einzelne Beschäftigte muß diese Klauseln der Vertragsinhaltskontrolle unterziehen dürfen. Das AGB-Gesetz muß auf Arbeitsverträge anwendbar sein. Dafür ist § 23 Abs. 1 AGBG zu ändern.

 

III. Allgemeine Aufgaben nach § 80 BetrVG; Sachverständige

Von entscheidender Bedeutung für die Betriebsratstätigkeit sind die in § 80 BetrVG normierten allgemeinen Rechte und Aufgaben des Betriebsrates. Notwendige Bedingung jeder Betriebsratsarbeit sind Informationen, Unterrichtung und Beratung, d.h. Kommunikation mit dem Arbeitgeber. Es gibt kaum einen Betriebsrat, der nicht immer wieder um die Durchsetzung dieser an sich selbstverständlichen Rechte kämpfen muß. Sind diese Kommunikationsrechte wenigstens noch "bewehrt", also gerichtlich durchsetzbar, gilt dies nicht für die ebenso bedeutsamen Überwachungsaufgaben des Betriebsrates nach § 80 BetrVG. Dies bezieht sich insbesondere auf die Überwachung der Einhaltung von Tarifverträgen. Der Betriebsrat muß die allgemeinen Rechte und Aufgaben deshalb künftig in einer Einigungsstelle oder im gerichtlichen Verfahren durchsetzen können.

Die Restriktionen der Sachverständigenregelung des § 80 Abs. 3 BetrVG sind zu beseitigen. Dem Betriebsrat muß auch das Recht eingeräumt werden, sich unter anderem zur Früherkennung von Unternehmenskrisen eines Sachverständigen zu bedienen. Generell muß ausreichen, daß der Sachverständige nicht offensichtlich grundlos beigezogen worden ist. Es ist darüber nachzudenken, ob und inwieweit der Sachverständige auch gegenüber der Unternehmensleitung berichtspflichtig sein soll. Dem Betriebsrat soll schließlich das Recht eingeräumt werden, selbst oder mit Hilfe eines Sachverständigen im Auftrag des Unternehmens erstellte Berichte oder Gutachten (z.B. von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern usw.) zur Kenntnis zu nehmen und mit dem Management zu beraten.

 

IV. Der Betriebsrat als Vertreter auch der Nichtbeschäftigten?

 

1. Das allgemeine Problem: Die soziale und rechtliche Spaltung Erwerbstätiger und Nichterwerbstätiger

Die soziale Spaltung vertieft sich nicht nur innerhalb der (noch) Beschäftigten, sondern auch zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu. Immer mehr gilt: "einmal arbeitslos – immer arbeitslos".

Die soziale Spaltung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen drückt sich auch rechtlich aus: Das Arbeitsrecht gilt nur für Arbeitnehmer; für Arbeitslose und aus sonstigen Gründen Nichtbeschäftigte gilt das Sozialrecht. Da das Betriebsverfassungsrecht Teil des Arbeitsrechts ist, findet es von seiner gesetzlichen Konzeption her nur auf Arbeitnehmer Anwendung, für Nichterwerbstätige gilt es nicht.

 

2. Mitbestimmung beim Wechsel zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung

Viele ArbeitnehmerInnen würden gerne für kürzer oder länger aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, sofern sie einigermaßen problemlos wieder in das Arbeitsverhältnis zurückkehren oder an anderer Stelle eine Beschäftigung finden könnten. Aus Furcht vor Dauerarbeitslosigkeit klammern sie sich indessen an ihren Arbeitsplatz. Flexible, geschützte Möglichkeiten zum Wechsel zwischen Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit wären auch ein Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Damit davon Gebrauch gemacht werden kann, müssen gesetzlich oder tarifvertraglich Optionen geschaffen werden, die einen selbstbestimmten Wechsel zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung normieren. Dazu müßten auch Phasen der Nichterwerbsarbeit sozial abgesichert sein, und es müßte die reale Möglichkeit zur Berufsrückkehr bestehen, sei es durch Fortzahlung von Teilen des Arbeitseinkommens, sei es durch die Garantie eines Mindesteinkommens in Form eines Existenzgeldes.

Alle Modalitäten eines solchen flexiblen Wechsels (Personenkreis, Zeit, Gründe, finanzielle Absicherung usw.) müßten in vollem Umfang der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen.

 

3. Allgemeines arbeitsmarktpolitisches Mandat des Betriebsrates?

Schwierig wird es in Anbetracht der Interessen von Nichterwerbstätigen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen. Der Betriebsrat vertritt von Gesetzes wegen nur die Interessen seiner WählerInnen, d.h. der (noch oder nunmehr) Beschäftigten. Überdies ist er strukturell "überlastet": Seine Beschränkung auf das Einzelunternehmen bindet ihn zugleich in dessen (vermeintliche oder tatsächliche) Konkurrenzzwänge ein. Allzu oft befinden sich Betriebsräte in einer ausweglos scheinenden Nötigungssituation: Um das "Ganze des Unternehmens" nicht zu gefährden und Schlimmeres zu verhüten, müssen sie beim zwischenbetrieblichen Sozialdumping mitwirken. Wie sollen sie - bei dieser strukturellen Überforderung - auch noch die Interessen von Nichterwerbstätigen vertreten können?

Das Problem der Arbeitslosigkeit ist jedoch zu ernst, als daß es dabei sein Bewenden haben könnte. In Anlehnung an § 2 SGB III ist über ein allgemeines arbeitsmarktpolitisches Mandat der Betriebsräte und dessen rechtlich durchsetzbare Verankerung in der Betriebsverfassung nachzudenken. Die Interessen der Nichterwerbstätigen müssen eine institutionelle Vertretung erhalten, in erster Linie gegenüber den Unternehmen, aber auch gegenüber den Beschäftigten. Einer gesonderten Interessenvertretung der Nichtbeschäftigten prophezeien wir allerdings ein ähnliches Schicksal wie den spalterischen und praktisch irrelevanten Sprecherausschüssen der leitenden Angestellten. Überdies wäre ein Ausgleich nicht nur des Interessenwiderspruches zwischen Kapital und Arbeit, sondern auch der unterschiedlichen Interessen der Beschäftigten und Nichtbeschäftigten mit denen der Unternehmen wohl nur um den Preis einer Überkomplizierung und Bürokratisierung der Konfliktregelungsinstrumente zu haben. Statt dessen ist eher an ein enges, auch institutionalisiertes Zusammenwirken zwischen Unternehmen, Betriebsräten und Arbeitsämtern zu denken, (ebenfalls in Anlehnung an § 2 SGB III) – bei aller grundsätzlichen Problematik eines solchen "tripartistischen" Ansatzes.

Neben der Verankerung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates hinsichtlich der Beschäftigungspolitik auch für Nichterwerbstätige ist über subjektive Rechte der einzelnen Nichterwerbstätigen, insbesondere der durch Teilzeitarbeitsverhältnisse, befristete Beschäftigung oder Leiharbeit an das Unternehmen gebundenen, auf Besetzung freier oder demnächst freiwerdender Arbeitsplätze nachzudenken, wenn sie über die erforderlichen Qualifikationen aktuell oder demnächst verfügen.

Alle diese Wege sind schwierig und nur gegen größte politische Widerstände zu realisieren. Ein wichtiger Schritt wäre es, wenn nicht bloß die sozialrechtlichen Instrumente des zweiten Arbeitsmarktes in den Blick genommen, sondern auch arbeitsrechtspolitische Überlegungen angestellt würden, um zum verbesserten arbeitsrechtlichen Schutz von Arbeitsuchenden zu gelangen. "Verteilungsneutral" werden derartige Lösungen nicht sein können; und ohne den enorm gestiegenen Anteil des Kapitals an der gesellschaftlichen Wertschöpfung auf ein erträgliches Maß zurückzuführen, indem tatsächlich beschäftigungswirksame Maßnahme eingeleitet werden, wird sich die Arbeitslosigkeit nicht zurückdrängen lassen.

 

V. Chancen für demokratische Teilhabe im Betrieb

 

1. Arbeitnehmer-Begriff

Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nur für ArbeitnehmerInnen. Die persönliche Abhängigkeit als entscheidendes Merkmal des Arbeitnehmer-Begriffs nimmt in vielen Bereichen, insbesondere bei qualifizierten Tätigkeiten, ab, die Autonomie in der Arbeit nimmt zu. Dies gilt für Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation und auch für die Arbeitszeit. Zudem wächst die Beschäftigung von Mitarbeitern, die zwar nicht persönlich, aber wirtschaftlich abhängig sind. Auch grassiert die "Flucht aus dem Arbeitsrecht" durch Scheinselbständigkeit, Subunternehmerschaft, Franchise-Verträge, Schein-Werkverträge usw. Per Saldo wachsen die tatsächlichen Abhängigkeiten und damit die Schutzbedürfnisse der Erwerbstätigen.

Da die Interessenlagen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen nach dem Betriebsverfassungsgesetzes vergleichbar sind, gebietet sich künftig die Orientierung an der wirtschaftlichen anstelle der immer öfter zweifelhaften persönlichen Abhängigkeit. Eine Abgrenzung zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und ArbeitnehmerInnen ist wegen der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit beider Gruppen nicht erforderlich. Auch selbständig Tätige sind in den Schutzkreis des Betriebsverfassungsgesetzes miteinzubeziehen, wenn sie faktisch überwiegend von einem Unternehmer wirtschaftlich abhängig sind (§ 12a TVG analog). Flankiert werden könnte diese neue gesetzliche Definition des Arbeitnehmer-Begriffs im BetrVG durch gesetzliche Vermutungsregelungen, etwa: Kann eine Person ihre Tätigkeit im wesentlichen nicht frei gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen, ist sie ArbeitnehmerIn. Dies gilt entsprechend, wenn sie ohne eigene MitarbeiterInnen, ohne eigenes Kapital, oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit für einen anderen tätig ist.

 

2. Betriebs-Begriff

Der sachliche Umfang der Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen und Belegschaft wird durch den Betriebsbegriff definiert. Er wird im Grundsatz bestimmt durch die soziale Einheit, innerhalb derer die arbeitstechnischen Zwecke verfolgt werden. Die Produktions- wie auch die Herrschaftsbeziehungen werden jedoch immer abstrakter, auch in ihrem räumlichen Zusammenhang. Neue Konzernstrukturen (z.B. Outsourcing) zentralisieren die unternehmerische finanzielle Entscheidungsgewalt, dezentralisieren betriebliche Entscheidungen und entziehen so das Wesentliche (die unternehmerische Herrschaft) mehr und mehr der Kontrolle durch die Interessenvertretungen. Als Folge davon drohen die Rechte der Betriebsräte leerzulaufen. Dem kann nur ein differenzierter, den Tendenzen zur Auflösung der überkommenen Betriebsstrukturen gerecht werdender Betriebsbegriff Rechnung tragen. Grundsätze: (1) Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müssen stets dort einsetzen, wo sich unternehmerische Macht konkret äußert, unbeschadet aller gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsformen. (2) Sie müssen dem tatsächlichen unternehmerischen Entscheidungszentrum gegenüber ausgeübt werden können.

a) Erweiterung der Tarifdispositivität beim Betriebsbegriff; gesetzliche Vermutungen

Der Vielfältigkeit der unternehmerischen Organisationsformen im Betrieb trägt die Tariföffnungsklausel in § 3 BetrVG nur ansatzweise, unzureichend und an zu starre staatliche Zustimmungserfordernisse gebunden Rechnung. Die Tarifdispositivität muß wesentlich erweitert werden, die Zustimmungspflicht staatlicher Behörden kann entfallen. Tarifdispositiv muß insbesondere auch die Frage des Gemeinschaftsbetriebes mehrerer Unternehmen sein. Art. 9 Abs. 3 GG ("Wirtschaftsbedingungen") läßt für eine solche Ausgestaltung Raum.

Soweit die Tarifvertragsparteien von ihren Rechten keinen Gebrauch machen, sollten gesetzliche, widerlegbare Vermutungsregelungen formuliert werden, die auf die räumliche, arbeitsorganisatorische oder informationstechnische Nähe bzw. Verknüpfung abstellen und auf diese Weise eine als "Betrieb" erscheinende Einheit der Kooperation der abhängig Beschäftigten zum Ausdruck bringen. Es geht um die durch miteinander verknüpfte Arbeitsabläufe hergestellte soziale Verbundenheit der abhängig Beschäftigten als Anknüpfungspunkt für ihre gemeinsame Interessenvertretung. Gesellschaftsrechtliche Abweichungen, z.B. die Kooperation mit anderen Einzelkapitalen, die diese betriebliche Einheit nicht tangieren (z.B. "Gemeinschaftsbetrieb" mehrerer Unternehmen), vermögen diese Bestimmung des Betriebs weder zu ändern, noch zu beeinflussen.

b) Flexiblere Bildung von Gremien nach dem Betriebsverfassungsgesetz

Die Unterscheidung des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes zwischen Betrieb, Unternehmen und Konzern weist in die richtige Richtung, ist allerdings in Anbetracht immer differenzierterer Konzernierungen und Kooperationen von Unternehmen bei einheitlicher unternehmerischer Herrschaftsgewalt unzureichend. Es müssen deshalb betriebsverfassungsrechtliche Gremien mit vollen Rechten auch dort und dann gebildet und tätig werden können, wenn nicht eindeutig bestimmbar ist, ob es sich um einen Betrieb, ein Unternehmen oder einen Unterordnungskonzern handelt. Wenn sich ein Unternehmen atypisch oder unklar organisiert, soll es auch die Darlegungslast dafür tragen, daß die dieser Unternehmensorganisation konkret Rechnung tragenden betriebsverfassungsrechtlichen Gremien (etwa Arbeitsgemeinschaften mehrerer Betriebsräte innerhalb eines nicht eindeutig als solchen organisierten Konzerns) rechtswidrig sind. Bis rechtskräftig feststeht, daß kein unternehmerischer Zusammenhang besteht, sind diese Gremien voll zu respektieren. Dieser unternehmerische Zusammenhang, der sich analog der §§ 17 ff. AktG bestimmt, reicht als Bedingung für die ihm entsprechende betriebsverfassungsrechtliche Organisation der abhängig Beschäftigten aus.

c) Kooperation von Betriebsräten

Kooperationen der Betriebsräte, auch außerhalb der gesetzlich anerkannten oder tarifvertraglich vereinbarten Betriebs- bzw. Unternehmensstrukturen, dürfen nicht behindert werden. Die Kosten sind vom Unternehmen zu tragen. Konzernbetriebsräte müssen überdies auch bei Gleichordnungskonzernen gebildet werden können.

d) Öffentlicher Dienst, Kirchen und Tendenzschutz

Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte von Betriebsräten gegenüber Personalräten und Mitarbeitervertretungen ist nicht akzeptabel. Anzustreben ist ein einheitliches Betriebsvertretungsrecht für alle Beschäftigten. Das bedeutet, daß für den öffentlichen Dienst die Personalvertretungsgesetze zugunsten einer einheitlichen Betriebsverfassung abzuschaffen sind. Gleiches gilt für die Sonderregelungen (Mitarbeitervertretungsrecht) in den Kirchen und den ihnen angeschlossenen Gruppierungen wie Diakonisches Werk und Caritasverband. Dies löst auch die betriebsverfassungsrechtlichen Probleme in gemischten privat-öffentlich-rechtlichen Konzernen. Abstufungen der Betriebsverfassung, insbesondere der Tendenzschutz, sind verfassungsrechtlich nicht zwingend. Sie führen zur Spaltung der Belegschaft und müssen beseitigt werden.

 

VI. Flexible Betriebsverfassung, besserer Schutz für Betriebsräte

Das Betriebsverfassungsgesetz enthält auch Individualrechte der Beschäftigten. Die Praxis der Betriebsverfassung ist allerdings durch die Delegation von Handlung und Verantwortung an die Betriebsräte bestimmt. In Anbetracht der Arbeitsmarktlage und der dadurch erzeugten Ängste um den Arbeitsplatz ist dies verständlich. Unter dem Aspekt einer demokratischen Gesellschaft und der Selbstbestimmungsrechte des einzelnen auch im Betrieb kann es nicht hingenommen werden.

 

1. "Aktive auf Zeit"

Aufgrund steigender Qualifikationsanforderungen sind offenbar immer weniger Beschäftigte bereit, für ein Betriebsratsamt zu kandidieren, oder aber, wenn sie Betriebsratsmitglieder sind, sich (in vollem Umfang) freistellen zu lassen. Sie befürchten, den Anschluß an die immer schnellere berufliche Entwicklung zu verlieren. Viele wollen sich aber für bestimmte Einzelprojekte engagieren oder für eine begrenzte Zeit aktiv werden. Das Bild der "hauptberuflichen" Betriebsrätin, die einen Großteil ihres Berufslebens im Gesamt- und Konzernbetriebsrat, überdies noch in der Tarifkommission und in anderen Gremien ihrer Gewerkschaft aktiv ist, gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Konsequenz: Es bedarf einer Flexibilisierung der Übergänge zwischen Amt und "nichtamtlichen" Aktivitäten und der (auch rechtlich verbürgten) Respektierung individueller Interessen in Bezug auf den beruflichen Alltag. Daraus folgt die Notwendigkeit des Schutzes von Aktivitäten Einzelner "auf Zeit" und/oder von Gremien "auf Zeit", etwa in betriebsratsähnlichen Arbeitsgruppen, ad-hoc-Betriebsräten oder ähnlichen Formen der projektbezogenen, vorübergehenden Interessenvertretung.

 

2. Ad-hoc-Betriebsräte

Wird in einem betriebsratslosen Betrieb eine Betriebsänderung geplant, ist nach herrschender Rechtsprechung der erst dann gewählte Betriebsrat dafür nicht zuständig. Den ArbeitnehmerInnen wird die Notwendigkeit eines Betriebsrats aber oftmals erst in solch zugespitzten Situationen deutlich. Die Wahl eines Betriebsrates dauert dann jedoch viel zu lange. Wird ein Betriebsrat gleichwohl gewählt und hielte man ihn für zuständig, könnte er kaum noch etwas bewirken, jedenfalls keinen Interessenausgleich. Es ist deshalb erforderlich, daß z.B. bei einer geplanten Betriebsänderung in betriebsratslosen Betrieben unverzüglich ad-hoc-Betriebsräte gebildet werden können, die die gleichen Rechte wie ein "regulär" gebildeter Betriebsrat haben. Zuvor hat das Unternehmen die Belegschaft rechtzeitig über eine geplante Betriebsänderung zu informieren. Verstöße haben die Unwirksamkeit der Maßnahmen zur Folge. Das Wahlverfahren für die Bildung eines ad-hoc-Betriebsrats muß schnell und einfach sein. Flankierend ist die Zuständigkeit eines bestehenden Gesamt- oder Konzernbetriebsrats bei Betriebsänderungen in einem betriebsratslosen Betrieb vorzusehen.

 

3. Effektivere Sanktionen bei der Behinderung von Betriebsräten

In der betrieblichen Praxis ist immer wieder, insbesondere in bisher betriebsratslosen Betrieben, die massive Einschüchterung und Behinderung der erstmaligen Wahl und der nachfolgenden Aufnahme der Tätigkeit von Betriebsräten zu beobachten. Dies geht oft über Jahre so und setzt sich in hartnäckiger Ignorierung, ja, offener Verletzung von Betriebsratsrechten fort. Vor allem betrifft dies Informations- und Beratungsrechte der Betriebsräte. Dem muß durch eine Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 119 ff. BetrVG und durch eine effektive Verfolgungspraxis entgegengesteuert werden.

 

4. Betriebsverfassungsrechtliches Maßregelungsverbot

Arbeitslosigkeit und die sie begleitenden Ängste und Einschüchterungen abhängig Beschäftigter machen den Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des einzelnen bei betrieblichen Aktivitäten, etwa Meinungsäußerungen im betrieblichen Alltag (z.B. bei Betriebsversammlungen, gegenüber dem Betriebsrat oder bei der Ausübung von Beschwerderechten) immer dringender. Dazu bedarf es auch der verfahrensrechtlichen Absicherung der Grundrechte im Betrieb, und zwar vor allem bei den meist nur schwer nachweisbaren oder indirekten Sanktionen. So ist ein Maßregelungsverbot als Individualrecht im BetrVG denkbar: Von einer Sanktion, die binnen eines bestimmten Zeitraumes nach einer betrieblichen Aktivität des einzelnen verhängt wird, wird vermutet, daß sie wegen der Ausübung von Beschäftigtenrechten verhängt worden ist. Sie ist deshalb bis zum Beweis des Gegenteils unwirksam.

 

5. Beteiligung von betrieblichen Fachleuten

In Anbetracht der immer komplizierter werdenden betrieblichen Abläufe ist der Betriebsrat mehr denn je auf die Unterstützung "betrieblicher Fachleute" angewiesen, die zwar bereit sind, ihr Spezialwissen und ihre Erfahrungen einzubringen, für ein Betriebsratsamt jedoch nicht zur Verfügung stehen. Der Betriebsrat muß diese Fachleute kooptieren dürfen. Sie sind, soweit erforderlich, unter Fortzahlung ihrer Vergütung freizustellen und müssen denselben Schutz vor Sanktionen genießen wie Betriebsratsmitglieder.

 

VII. Überbetriebliche Solidarität – jenseits der bekannten Grenzen der Betriebsverfassung

 

1. Wirtschafts- und Sozialräte neu bedenken

Die notwendige Beschränkung der Betriebsräte auf den einzelnen Betrieb verhindert von vornherein die so dringend erforderliche Erkenntnis und Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der abhängig Beschäftigten innerhalb der Branche, sogar innerhalb eines ganzen Wirtschaftsraumes. Diese Aufgabe ist nach dem Scheitern der Räte, die noch in der Weimarer Reichsverfassung verankert waren, in unserem Arbeitsrechtssystem allein den Gewerkschaften überantwortet, die aber dort, wo Sozialdumping konkret stattfindet, nämlich in den Betrieben, nur über unzureichenden Einfluß verfügen. Es bedarf daher der Verzahnung der betrieblichen mit der branchenweiten, vor allem gewerkschaftlichen Interessenvertretung zum Zwecke der effektiveren Durchsetzung gemeinsamer Interessen der abhängig Beschäftigten gegenüber dem Kapital, einzeln wie insgesamt. Auch sollte neu über Wirtschafts- und Sozialräte nachgedacht werden - allerdings nicht als Quasi-Behörden, sondern als flexible, branchenweite, auch branchenübergreifende Informations- und Koordinationsnetzwerke.

 

2. Gesetzlicher Schutz der Kooperation von Betriebsräten verschiedener Unternehmen

Um Sozialdumping und insbesondere zwischenbetriebliche Lohnkostenkonkurrenz wenn nicht aufzuheben, so doch einzudämmen, ist eine - freiwillige - Kooperation der Betriebsräte der Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen, erforderlich. Sie müssen das Recht haben, sich über sämtliche Unternehmensdaten, die das Konkurrenzverhalten der Unternehmen beeinflussen, auszutauschen. Auf dieser Basis müssen sie eine koordinierte, mindestens gleichgerichtete betriebliche Konzern- oder auch Branchenpolitik entwickeln und Tarifverträge oder atypische, gleichwohl gerichtlich oder durch Arbeitskampf durchsetzbare, Vereinbarungen schließen können. Vertragspartner sind Gewerkschaften und Betriebsräte einerseits, Unternehmen und/oder Arbeitgeberverbände andererseits.

 

3. Kontrolle von Tarifverträgen; verbesserte Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft

Die Betriebsräte haben nach geltender Interpretation des Betriebsverfassungsgesetzes kein Klagerecht auf Einhaltung der Tarifverträge; die Gewerkschaften sollen nur unter eingeschränkten Voraussetzungen gegen ein Unternehmen klagen können, das sich tarifwidrig verhält. Notwendig sind sowohl ein Klagerecht des Betriebsrates auf Einhaltung des Tarifvertrages in einem betriebsverfassungsrechtlichen Beschlußverfahren, als auch ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaft gegen das Unternehmen mit demselben Klagegegenstand. Darüber hinaus ist ein Verbandsklagerecht der Betriebsräte, Gewerkschaften und Gleichstellungsgremien notwendig, um Tarifverträge auf unmittelbare oder mittelbare geschlechtsdiskriminierende Klauseln gerichtlich überprüfen zu lassen.

Die Grundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat sind zu verbreitern. Das gewerkschaftliche Zutrittsrecht zum Betrieb und das Kooperationsrecht mit den Betriebsräten sind zu stärken.

 

Berlin, im Februar 2000

 

V.i.S.d.P.: Marion Burghardt, Oda Hinrichs, Dieter Hummel, Nils Kummert, Thomas Lakies, Henner Wolter, Potsdamer Str. 99, 10785 Berlin

Bestellungen richten Sie gegen Beifügung von DM 5,00 pro Exemplar in Briefmarken an Rechtsanwältin Burghardt oder Rechtsanwalt Wolter, Potsdamer Str. 99, 10785 Berlin

 


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