Tarifabschluss Metall- und Elektroindustrie 2012: Die Flexibilisierung schreitet voran.
Die IG Metall kann das Tarifergebnis einigermaßen verkaufen. Die Enttäuschung der KollegInnen hält sich in Grenzen, weil sich das Ergebnis auf den ersten Blick gar nicht schlecht ausnimmt. Gewinner ist aber Gesamtmetall, und das aus mehreren Gründen:
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Die 4,3 Prozent nominelle Entgelterhöhung bei einer Laufzeit von 13 Monaten sind auf das Jahr umgerechnet gerade mal 3,96 %, wobei hier noch nicht berücksichtigt ist, dass der April ein „Nullmonat“ ist. Dies ist angesichts der gewaltigen Gewinne der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen 2 Jahren (allein 2011 über 40 Mrd. €) und vor dem Hintergrund der Reallohnverluste seit 2003 recht mager. Nach Abzug der Teuerungsrate bleibt nämlich kaum was übrig. Dem Kapital tut diese kleine Entgelterhöhung in keiner Weise weh, denn bei einem Lohnkostenanteil von durchschnittlich 16,1% in der Metall- und Elektroindustrie machen die 4,3% gerade mal 0,6% des Umsatzes dieser Branche aus. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Export-Industrie ist damit also in keiner Weise beeinträchtigt.
Wichtiger jedoch als die materielle Komponente ist die politische Wirkung eines wieder mal nicht geführten Arbeitskampfes. Der letzte Streik in dieser Branche datiert aus dem Jahr 2002 und je mehr Jahre vergehen, in denen die Organisation nicht wirklich kämpft und die KollegInnen nicht in den Streik treten und Kampferfahrungen sammeln, um so ungeübter und ohnmächtiger wird die Gewerkschaft. Sie kann ihre „Tarifmächtigkeit“ nur dann wirklich erhalten, wenn sie diese auch unter Beweis stellt und die KollegInnen im Kampf zusammenwachsen. Wenn sie nur zu Warnstreiks aufgerufen werden, reicht das auf Dauer nicht aus und die Organisation wird auch auf diese Weise keine Anziehungskraft entwickeln oder bewahren können. Dabei wäre es dieses Mal recht günstig gewesen: Über 830 000 KollegInnen hatten sich an diversen Aktionen (zumeist Warnstreiks von ca. ein bis zwei Stunden) beteiligt und die öffentliche Meinung war eindeutig auf ihrer Seite: Spürbare Entgelterhöhungen sind im allgemeinen Bewusstsein angesagt und Streiks haben in den Augen der breiten Bevölkerung heute ein eher positives Image. Warum also nicht jetzt die Gelegenheit beim Schopf packen? Nun, die „Krisenpolitik“ des IGM-Vorstands besteht darin, die hiesigen Arbeitsplätze durch den Erhalt und die Verbesserung der Konkurrenzbedingungen für das deutsche Kapital zu sichern. Dass dies auf Kosten der internationalen Solidarität wie auch der hier im Lande prekär Beschäftigten geht, schert diese Bürokraten nicht. Und dass dieses bornierte Denken letztlich auch die Interessen der „Stammbelegschaften“ gefährdet und den längerfristigen Interessen der Gewerkschaft schadet, kümmert sie natürlich ebenfalls nicht. Dies kommt noch mehr bei den anderen Punkten dieses Abschlusses zum Ausdruck.
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In der Frage der Laufzeit hat sich das Kapital in eine wunderbare Position gebracht, die IGM hat sich für die nächste Tarifrunde in eine extrem ungünstige Verhandlungsposition bringen lassen. Der Tarifvertrag endet am 30.4. 2013, die Friedenspflicht endet dann am 28. Mai 2013. Erst danach könnte gegebenenfalls ein Streik organisiert werden: Erklärung des Scheiterns der Verhandlungen, Einleitung der Urabstimmung usw. Etwa 3 Wochen nach Ende der Friedenspflicht fangen aber in einigen Bundesländern schon die Sommerferien an, dazwischen sind im Süden der Republik noch Pfingstferien, Fronleichnam usw. Schon dieses Jahr hat die Zeitschiene voll in die Hände von Gesamtmetall gespielt, was den Herren Kannegiesser und Co. – wie auch der IG Metall – natürlich voll bewusst war. Aber was soll die Angst vor einer ungünstigen Terminierung des Endes der Friedenspflicht, wenn die Gewerkschaftsführung ja sowieso nicht auf Kampf aus ist? Man wird doch wohl auch im nächsten Jahr einen „fairen Kompromiss“ finden! Nur wird dann das gegebenenfalls erforderliche Druckpotenzial der IGM deutlich schwächer sein als dieses Jahr.
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Auf der Ebene der Übernahme der Ausgebildeten hat die IGM außer heißer Luft praktisch gar nichts erreicht. In den Großbetrieben werden heute schon die meisten Azubis übernommen, und die jetzt getroffenen Regelungen müssen vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels gesehen werden. Die butterweichen Formulierungen tun Gesamtmetall überhaupt nicht weh. Die Übernahme ist danach z. B. dann nicht zwingend, „wenn die persönliche Eignung des Azubis zu wünschen übrig lässt“. Mit anderen Worten: Wer nicht pflegeleicht ist, zu viel aufmuckt, sich an Streikaktionen beteiligt usw., kann auch in Zukunft nicht damit rechnen als „persönlich geeignet“ eingestuft zu werden. Hinzu kommt, dass Geschäftsleitung und Betriebsrat für den Personalplan den Bedarf ermitteln sollen. Es nutzt herzlich wenig, wenn es heißt: „Der genaue Bedarf an Ausbildungsplätzen wird von den Betriebsparteien im Rahmen der Personalplanung ermittelt und festgelegt. Für die gemäß dieser Betriebsvereinbarung im Rahmen des Bedarfs Ausgebildeten besteht der Anspruch auf unbefristete Übernahme.“ Faktisch hat die Geschäftsleitung weiterhin alle Hintertürchen offen, denn die Fakten für diesen Bedarf setzt die Geschäftsleitung und sie lässt sich ja weiterhin nicht in die Bücher schauen.
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Am schlimmsten bei diesem Tarifabschluss ist die „Regelung“ zur Leiharbeit und das aus zwei sehr prinzipiellen Gründen: Zum einen taugt die Übernahmeverpflichtung nach 18 Monaten (wenn es zu einer betrieblichen Vereinbarung gekommen ist), bzw. nach 24 Monaten (wenn es diese nicht gibt) in der Realität rein gar nichts. Gesamtmetallchef Kannegiesser erklärt schon selbst – um damit die Vereinbarung gegenüber seinen Mitgliedsfirmen schmackhaft zu machen – dass die durchschnittliche Verweildauer von Leihkräften gerade mal 12 Monate beträgt. In Wirklichkeit ist es noch schlimmer. In der Studie „Erhebung Mittelständische Zeitarbeit 2010 ‐ Ergebnisbericht“ (http://tinyurl.com/6vzbcnh ) heißt es: „Zeitarbeit wird in Unternehmen hauptsächlich eingesetzt, um flexibel auf Schwankungen der Personalnachfrage zu reagieren […] Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer eines Zeitarbeitnehmers liegt bei rund 12 Monaten, die durchschnittliche Verleihdauer pro Auftrag liegt zwischen sechs und neun Monaten.“
Laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung (DGB!) verdient eine Leihkraft real im Schnitt 48% weniger als die Beschäftigten der Stammbelegschaft. Diese Tatsachen einfach zu unterschlagen und so zu tun, als könne mit einer läppischen Formulierung zur Übernahmeverpflichtung nach 18 (bzw. nach 24) Monaten etwas an der grundsätzlich prekären Situation dieser KollegInnen geändert werden, ist pure Heuchelei und kann die Standortpolitik der IGM immer weniger kaschieren. Dem deutschen Kapital diese Flexibilität grundsätzlich zu erhalten – und tariflich (und betrieblich!) noch weiter abzusichern – ist ein Skandal sondergleichen. Denn die Abweichung vom Grundsatz der gleichen Bezahlung (siehe EU-Richtlinie „Equal pay and equal treatment“) ist hierzulande laut Gesetz dann erlaubt, wenn es einen entsprechenden Tarifvertrag gibt. Die Tariffähigkeit ist aber der Dumpinggewerkschaft „Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften in der Zeitarbeit“ aberkannt worden (siehe das BAG-Urteil vom 14.12. 2010 zur Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen,CGZP; Az: 1 ABR 19/10). Die Ausrede der DGB-Gewerkschaften („Wenn wir keinen Tarifvertrag abschließen, dann schließen die „Christlichen“ einen schlechteren ab.“), zieht spätestens seit Dezember 2010 nicht mehr. Das sieht auch der renommierte Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler so, der ebenfalls meint, dass die DGB-Tarifverträge zur Leiharbeit nie hätten abgeschlossen werden dürfen. Es ist schließlich auch vollkommen widersinnig, sich auf der einen Seite (verbal!) gegen Billiglöhne zu wenden und auf der anderen Seite die eigene Unterschrift unter diese Tarifverträge zu setzen, die das Prinzip der gleichen Bezahlung unterlaufen und den Billiglohnsektor ausbauen helfen. Heute haben wir annähernd 900 000 Leiharbeitende, Tendenz steigend.
Dieser Teil des diesjährigen Tarifabschlusses ist für die prekär Beschäftigten im Grunde also eine Katastrophe, weil es die Leiharbeit weiter zementiert. Solche Billigjobs sind nicht nur weiterhin für das Kapital attraktiv (und jetzt sogar gut berechenbar) bleibt, sondern auch weiterhin ein Druckmittel auf die „Stammbelegschaft“. Faktisch die Leiharbeit auch in Zukunft zu akzeptieren und sogar noch durch betriebliche Vereinbarungen festzuschreiben, ist für die Durchsetzung gewerkschaftlicher Interessen absolut schädlich. Stattdessen hätte jetzt endlich der Tarifvertrag mit den Verbänden der Leiharbeitsfirmen (IgZ und BZA) gekündigt werden müssen (sie sind mit 6 Monaten Kündigungsfrist zum 31. Oktober 2013 kündbar). Hier helfen nur hartnäckige Diskussionen auf den Delegiertenversammlungen, Resolutionen von Vertrauenskörpern, Betriebsräten usw., so dass die Bezirksleitungen und der Vorstand im nächsten Jahr nicht mehr einfach so weitermachen können wie bisher.
Und wird dann wirklich mal eine Leihkraft übernommen, dann kann das Unternehmen pro Übernommenen das Arbeitszeitvolumen um 750 Stunden erhöhen. Statt den Kampf um eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich zu führen, ermöglicht die Gewerkschaft das weitere Unterhöhlen der Arbeitszeitbestimmungen.
Die zweite prinzipielle Ebene: Diese Vereinbarung ist mit einer weiteren Unterhöhlung der 35-Stundenwoche verbunden. Kommt es zu einer betrieblichen Vereinbarung zur Leiharbeit, dann kann im Gegenzug der Anteil der 40-Stündler um 12% erhöht werden (in Baden-Württemberg von 18 auf 30 %, in den anderen Bezirken von 13 auf 25%). Dass dabei im selben Ausmaß 30-Stunden-Verträge angeboten werden müssen, macht die Sache nicht besser. Zum einen wollen die KollegInnen ja nicht auf Geld verzichten und werden sich schwer überlegen, ob sie ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden reduzieren und zum anderen spaltet dies die Belegschaft in drei unterschiedliche Gruppen (40-Stündler, 35-Stündler und 30-Stündler). Hinzu kommt, dass mit der Bestimmung, dass der Betriebsrat jetzt Schritt für Schritt „individuelle Vereinbarungen“ mit den Unternehmen aushandeln soll, die Tendenz zur Verbetrieblichung der Tarifpolitik weiter gefördert wird. Das geht auf die Wünsche der Industrie ein und schwächt gleichzeitig das Zusammengehörigkeitsgefühl der KollegInnen in der Fläche. Tarifpolitik wird dadurch in Zukunft nicht gerade leichter.
Fazit: Auf den Ebenen der Leiharbeit und der Arbeitszeit erhalten die Betriebe weitere Flexibilisierungsmöglichkeiten. Das Kapital wird noch rentabler wirken können. Die KollegInnen werden noch beständiger jeweils bis auf Anschlag rangenommen und die Hetze bleibt gleichbleibend hoch, denn wenn die Aufträge sinken werden die prekär Beschäftigten (hier die Leihkräfte) fortgeschickt und der Stress bleibt.
Jakob Schäfer, Metaller und Mitglied im Arbeitsausschuss der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, 24. 5.2012
Siehe zum Hintergrund:
- Verhandlungsergebnis 2012
Verhandlungsergebnis zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. - Südwestmetall - und der Industriegewerkschaft Metall Bezirk Baden-Württemberg Bezirksleitung Baden-Württemberg vom 19. Mai 2012 für die Tarifgebiete Nordwürttemberg/Nordbaden, Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden (samt Anlagen)
- Diskussion > (Lohn)Arbeit: Realpolitik > PSA > Tarifverhandlungen zur Leiharbeit: IG Metall-Verhandlungen mit den Zeitarbeitsverbänden BAP und iGZ
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