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Updated: 18.12.2012 15:51
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Große Diskrepanz

Selten war der Unterschied zwischen öffentlicher Wahrnehmung und innergewerkschaftlicher Diskussion so groß wie beim aktuellen Tarifergebnis des öffentlichen Dienstes

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 07.04.2012

Die bürgerliche Presse ist sich in der Bewertung des am vergangenen Wochenende erzielten Tarifergebnisses im öffentlichen Dienst einig: Es sei ein großer Erfolg für die Gewerkschaft ver.di, der die kommunalen Haushalte über Gebühr belaste. »Das Signal von Potsdam – Ende der Bescheidenheit«, titelte die dpa. Die Nürnberger Nachrichten sehen durch das Reallohnplus »den Trend gebrochen«. Das Handelsblatt schreibt von einem »tarifpolitischen Paukenschlag« und die Stuttgarter Zeitung vom »höchsten Abschluß seit zwei Jahrzehnten«. Die innergewerkschaftliche Debatte hat eine andere Tonlage. Insbesondere das Fallenlassen der Festbetragsforderung, die Preisgabe eines Urlaubstags für 40- bis 55jährige und die zweijährige Laufzeit sind Gegenstand heftiger Kritik. Zusammenschlüsse linker ver.di-Aktivisten rufen in diversen Stellungnahmen dazu auf, bei der bis zum 24. April laufenden Mitgliederbefragung mit Nein zu stimmen.

»Den vorläufigen Abschluß vom 31. März lehnen wir ab und werden in der Mitgliederbefragung mit Nein stimmen«, heißt es beispielsweise in einem noch am gleichen Tag veröffentlichten offenen Brief von 18 Gewerkschaftern. Ohne einen Mindestbetrag, der gerade die niedrigen Einkommen spürbar anhebt, sei ein Abschluß nicht akzeptabel. »Auch eine Absenkung des Urlaubsanspruchs unserer neuen Kollegen ab 40 können wir nicht hinnehmen, mit der scheibchenweisen Ausdehnung der Arbeitszeit auf unsere Kosten muß endlich Schluß sein.« Hintergrund ist die in Potsdam vereinbarte Neuregelung: Auszubildende haben künftig 27 Urlaubstage pro Jahr, andere Beschäftigte bis 55 Jahre 29 und Ältere 30 Tage. Bisher hatten Azubis zwar nur 26 Tage im Jahr frei, andere Mitarbeiter aber bereits ab 40 Lebensjahren 30 Tage.

Das Bundesarbeitsgericht hatte diese nach Alter gestaffelten Urlaubsansprüche kurz zuvor für unzulässig erklärt. Ver.di hatte die jüngeren Beschäftigten daraufhin aufgefordert, 30 Urlaubstage individuell einzuklagen. Aus Gewerkschaftssicht hätte es vor diesem Hintergrund also keiner Neuregelung bedurft. Die Vertreter von Bund und Kommunen hatten diese aber zur Bedingung für einen Abschluß gemacht bzw. eine Kündigung des Urlaubs-Tarifvertrags angekündigt, falls hierzu keine neue Vereinbarung getroffen würde. Das »Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di« hält diese für einen »Skandal«. Angesichts zunehmender Arbeitsverdichtung und gleichzeitiger Verlängerung der Wochenarbeitszeit sowie des dramatischen Anstiegs psychischer Belastungen sei die Preisgabe eines Urlaubstags für die besagte Altersgruppe nicht akzeptabel.

Einen »dreifachen Schlag ins Gesicht der kämpferischen Kollegen, die sich so toll an den Warnstreiks beteiligt haben« sieht die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG) in dem Abschluß. Die Lohnerhöhung belaufe sich auf weniger als die Hälfte der ursprünglichen 6,5-Prozent-Forderung und die zweijährige Laufzeit bedeute einen Verlust an Handlungsfähigkeit. Vor allem aber habe die ver.di-Spitze kein Mandat gehabt, »die Kernforderung, nämlich die nach 200 Euro Festgeld, ohne Rücksprache ersatzlos zu streichen«. Insgesamt trage das Ergebnis »weder dem großen Nachholbedarf der vergangenen Jahre Rechnung, noch hilft es den unteren Einkommen aus der Armutsfalle«.

Die erfolgreichen Warnstreiks mit mehr als 300000 Beteiligten »hatten eine gute Dynamik und zeigten die große Kampfbereitschaft«, schreibt die Gewerkschaftslinke in ihrem aktuellen Netzwerkinfo. Zudem habe es auf lokaler Ebene – beispielsweise in Stuttgart – erste Verabredungen zu gemeinsamen Aktionen von IG Metall und ver.di gegeben. Da beide Großgewerkschaften beinahe zeitgleich Tarifauseinandersetzungen für mehr als fünf Millionen Beschäftigte führten, hätten sehr gute Ausgangsbedingungen für eine gemeinsame Mobilisierung bestanden. »Hätten sie diese Kampfkraft genutzt, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ein besseres Ergebnis herausgekommen, und auch zum Auf- und Ausbau der gewerkschaftlichen Kampfkraft hätte ein gemeinsamer Arbeitskampf entscheidend beigetragen«, so die IVG.

Die Verfasser des offenen Briefes betonen, die Organisation sei auf eine harte Auseinandersetzung gut vorbereitet gewesen und habe mit zwei großen Warnstreikwellen Entschlossenheit demonstriert. »Wir haben 23000 neue Gewerkschaftsmitglieder gewonnen, wir haben die Jugend begeistert und auch Unorganisierte aus den Betrieben zum Warnstreik herausgeholt.« Darauf aufbauend sei auch ein Erzwingungsstreik möglich. »Die Gegenseite fürchtet unsere gemeinsame Stärke – und sie fürchtet überdies Auswirkungen auf die anstehenden Wahlen.« Bei Ablehnung des Verhandlungsergebnisses in der Mitgliederbefragung könne ver.di diese Situation nutzen, um ein besseres Resultat durchzusetzen, sind die Aktivisten überzeugt.

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