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Updated: 18.12.2012 15:51
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Metaller wollen mehr

Diskussionen in der IG Metall über Auswirkungen des Konjunkturabschwungs auf die anstehende Tarifrunde. Zusätzliche Belastung durch Konflikt bei Altersteilzeit

Die im Herbst anstehende Tarifrunde für die rund 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie verspricht, spannungsreich zu werden. Vor allem, wie sich die beginnende Wirtschaftskrise auf den Konflikt auswirken wird, ist Thema der Diskussion. So auch bei der Konferenz der nordrhein-westfälischen IG Metall, zu der sich am Freitag und Samstag 450 Delegierte und Gäste in Düsseldorf versammelten. Für den Leiter des größten Bezirks der Metallergewerkschaft, Oliver Burghard, ist die Sache klar: »Von dem Gerede über Rezessionstendenzen lassen wir uns nicht bange machen«, erklärte er am Freitag.

»Es gibt keinen Grund zur Bescheidenheit. Die wirtschaftliche Lage in der Metall- und Elektroindustrie ist nach wie vor deutlich besser als in der zurückliegenden Tarifrunde«, betonte Burghard. Wenn sich die Auftrags­eingänge »wieder einem Normalmaß nähern«, habe das »nichts von einem Einbruch der Konjunktur«. Für 2009 erwarte die Branche ein Wachstum zwischen vier und fünf Prozent, die Renditen seien höher als in den Vorjahren, argumentierte der IG-Metall-Funktionär. Bei den im Oktober beginnenden Verhandlungen wolle man eine schnelle Einigung erzielen.

Hohe Erwartungen

Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung äußerte sich im jW-Gespräch am Freitag zurückhaltender. »Die Eintrübung der wirtschaftlichen Lage macht die Tarifrunde zweifelsohne schwieriger«, gab er zu bedenken. Allerdings werde sich dies auf die Forderung der IG Metall nicht sehr stark auswirken. »Bei den Beschäftigten besteht eine hohe bis sehr hohe Erwartungshaltung - und das zu Recht«, meinte Bispinck. Schließlich sei der sogenannte besitzstandsneutrale Verteilungsspielraum, der sich aus Preissteigerung plus Produktivitätszuwachs errechnet, bezogen auf die Gesamtwirtschaft in den vergangenen Jahren nicht ausgeschöpft worden. »Wir hatten sogar die extreme Sondersituation, daß der letzte Aufschwung mit einem Rückgang der Arbeitnehmereinkommen einhergegangen ist. Das hat dazu beigetragen, daß das Nachlassen des Exportwachstums nicht durch den privaten Konsum aufgefangen wird.« Wenn es in der Metall- und Elektroindustrie nun einen höheren Tarifabschluß geben würde, sei das volkswirtschaftlich gesehen keineswegs schädlich.

Das meint auch Werner Dreibus, stellvertretender Vorsitzender und gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. »Es gibt keinen günstigeren Zeitpunkt für kräftige Lohnerhöhungen als jetzt«, erklärte er auf jW-Nachfrage. Gerade wenn der Export lahme, sei es »dringender denn je, etwas für die Nachfrage im Inland zu tun«. Dem größten Industriezweig, der Metall- und Elektrobranche, komme dabei eine besondere Bedeutung zu.

Eine zusätzliche Belastung für die Tarifrunde sieht Dreibus, der auch Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Offenbach ist, im bislang ungeklärten Konflikt um die Altersteilzeit. Die Gewerkschaft hatte vor der Sommerpause mehr als 350000 Beschäftigte zu Warnstreiks mobilisiert, um eine Nachfolgeregelung zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben vor der gesetzlichen Altergrenze zu erreichen. Bislang hat sich der Unternehmerverband in dieser Frage quergestellt. Nach jW-Informationen ist für den 2. September ein weiterer Einigungsversuch im Pilotbezirk Baden-Württemberg geplant. Sollte auch dieser scheitern, könnte die Altersteilzeit in der Lohnrunde zum Thema werden. »Die IG Metall wird gut beraten sein, diese Frage aus der Tarifrunde herauszuhalten, um diese nicht zusätzlich zu verkomplizieren«, meinte Dreibus. Der Druck der Belegschaften sei auch in dieser Hinsicht enorm.

Für Tom Adler, Betriebsrat der Oppositionsgruppe »alternative« im Daimler-Werk Untertürkheim, ist die Strategie der IG-Metall-Spitze in Sachen Altersteilzeit gescheitert. »Es war eine völlige Illusion, zu glauben, man könne sich hier in zwei Monaten mit ein paar Warnstreiks durchsetzen«, sagte er am Sonntag gegenüber jW. Der in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken engagierte Adler warnte davor, im Gegenzug für eine Altersteilzeitregelung bei Einkommen oder in anderen Fragen Zugeständnisse zu machen.

Bedürfnisse entscheidend

Die Argumentation der IG-Metall-Führung, man solle die Konjunktur im Vorfeld der Tarifrunde »nicht schlechtreden«, hält Adler für »abenteuerlich«. Es sei doch recht unwahrscheinlich, daß die in den USA losgetretene Finanzkrise keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben wird. »Die entscheidende Frage ist aber, was man zum Maßstab macht: Die konjunkturelle Lage oder die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen«, betonte der Betriebsrat. »Wenn sich die Gewerkschaft bei ihrer Forderung von Konjunkturdaten abhängig macht, ist sie vor dem Hintergrund einer zunehmend krisenhaften Wirtschaftsentwicklung immer auf der Verliererstraße.«

In den meisten Metallbetrieben im Südwesten haben sich die gewerkschaftlichen Vertrauenskörper Adler zufolge für Forderungen zwischen neun und zehn Prozent ausgesprochen. Bei Daimler in Untertürkheim und in der Stuttgarter Zentrale des Konzerns hatten Vertrauensleutevollversammlungen 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt gefordert. Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Ludwigsburg plädierte für neun Prozent mehr Geld sowie eine Einmalzahlung von 1000 Euro. Der Vertrauenskörper bei GKN-Aerospace in München tritt gar für Einkommensverbesserungen um 13,5 Prozent ein und lehnt jegliche Kompensationsgeschäfte in Zusammenhang mit der Altersteilzeit ab.

Die Spitzenfunktionäre bleiben in ihren Äußerungen weit hinter diesen Positionen zurück. Wie Gewerkschafts­chef Berthold Huber in der vergangenen Woche in der Süddeutschen Zeitung erklärte, will die IG Metall »in diesem Jahr mehr fordern als in der letzten Tarifrunde«. 2007 hatte die Forderung bei 6,5 Prozent gelegen. »Den Leuten reicht keine Lohnerhöhung von vier Prozent«, stellte Huber fest. »Diese Äußerungen lassen befürchten, daß die Forderung deutlich unter dem bleiben wird, was die Beschäftigten hier in den Betrieben wollen«, kommentierte Adler dies. In Nordrhein-Westfalen wird die Tarifkommission am 3. September über ihre Forderungsempfehlung beraten. Wolfgang Nettelstroth, dortiger Sprecher der IG Metall, betonte gegenüber jW: »Wir wollen einen breiten Diskussionsprozeß über die Forderung in den Betrieben und eine aktive Beteiligung der Beschäftigten daran sicherstellen.«

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in Junge Welt vom 18.8.08


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