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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Leider ist der aktuelle Tarifabschluss der IG Metall eine komplizierte Angelegenheit geworden Das unterschriebene Dokument ist nur knapp 3 Seiten lang, aber mit einer einzigen Prozentzahl kann dieser Abschluss nicht charakterisiert werden, schon gar nicht mit 5,8% (4,1% + 1,7%) und auch nicht mit 4,75% ("Westrick-Formel"). Es lastet ein hoher Druck sowohl auf den Streikenden als auch auf den verhandelnden Gewerkschaftern. Wenn es nun am "Ende des Tages" zu einem Abschluss kommt, sollten die eben genannten sich in die Augen schauen und gegenseitig reinen Wein einschenken. Ganz wichtig ist eine Analyse des Abschlusses mit vergleichbaren Zahlen, d.h. mit Zahlen auf Jahresbasis ("per anno"). Nur dann lässt sich für die Metaller(innen) einschätzen, wieviel Kaufkraftverlust kompensiert wird, und was eine Übernahme dieses Pilotabschlusses in anderen Ländern und Branchen für diese bedeutet. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Tarifvertrag 2007 der IG-Metall. Da sind hunderttausende Kolleginnen und Kollegen direkt von betroffen, die das Ganze nicht amüsiert, weil es um ihren Lebensunterhalt geht. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 19 Monaten. Was soll das denn? Darin liegt schon ein entscheidender Fakt, der dazu führt, dass hier "Äpfel mit Birnen" verglichen werden. Überall werden ernsthafte Vergleiche nur auf der Basis ganzer Jahre, also von 12 Monaten angestellt, beispielsweise:
Diese Liste kann beliebig verlängert werden. Nur die IG Metall macht einen Tarifvertrag über die Laufzeit von 19 Monaten und gibt schließlich 5,8% als Steigerungsrate an. Das ist irreführend, nicht nachvollziehbar und deshalb nicht hinzunehmen. Wie sieht dieser komplizierte Tarifvertrag nun im Detail aus? Nehmen wir ihn mal auseinander. Zunächst gehören die Monate April, Mai 2007 zur Laufzeit des Tarifvertrages, in denen mit dem Tabellenentgelt gar nichts passiert. Es gibt nämlich eine Einmalzahlung von insgesamt 400 €, also pro Monat 200 € mehr, d.h. bei einem Vollzeit-"Eck"-Lohn von 5.000 € sind dies je 4% mehr für diese beiden Monate. Diese Einmalzahlung ist Problem Nr.1, denn sie wirkt sich nicht auf das Tabellenentgelt aus. Tatsächlich wurden für die nächsten 12 Monate der Laufzeit vom Juni 2007 bis Mai 2008 eine Steigerung von 4,1% vereinbart. Daraus ergibt sich einerseits 12 mal 4,1% mehr Lohn bzw. Gehalt für jede(n) Mitarbeiter(in) und andererseits steigt das Tabellenentgelt in diesen 12 Monaten um 4,1% per anno. Für die letzten 5 Monate der Laufzeit vom Juni 2008 bis Okt. 2008 wurde eine weitere Steigerung von 1,7% vereinbart (exakt: 0,7% mal 5,69 = 3,98%). Hier liegt schon das zweite Problem, denn diese Steigerung bezieht sich nur auf das Tabellenentgelt des letzten Tarifvertrages. Legt man die vereinbarte Steigerung von 4,1% nach 12 Monaten mit zugrunde, so ergibt sich nur eine weitere Steigerung des tabellenentgelts per anno von 1,7% mal 100 durch 104,1 gleich 1,63%. Die tatsächliche Steigerung ist hier also 1,63% und nicht 1,7%. Das wissen wir nun und um es nicht unnötig zu verkomplizieren rechnen wir aber mal weiter mit 1,7%. Zusammen mit dem ersten Teil der Erhöhung des Tabellenentgelts im Tarifvertrag ergibt sich nun für Juni bis Okt. 2008 einerseits 5 mal (4,1% + 1,7%) mehr Lohn bzw. Gehalt für jede(n) Mitarbeiter(in) und andererseits steigt das Tabellenentgelt in diesen 5 Monaten weiter. Es steigt nur um 1,7% allerdings auch nicht per anno, sondern auch nur per 5 Monate. Das wären per anno also 4,08%, nämlich 1,7% mal 12 durch 5, also mit genau dem Anstieg wie im Tarifvertrag für diese 5 Monate vereinbart. Hier liegt das dritte Problem: die Laufzeit von nur 5 Monaten für den zweiten Teil des Tarifvertrages wirkt sich reduzierend auf die Lohn- bzw. Gehaltssteigerung ab Juni 2008 aus. Denn würde dieser zweite Teil des Tarifvertrages tatsächlich auch für 12 Monate gelten, so stiege das Tabellenentgelt bei identischem mathematischen Anstieg um die eben ermittelten 4,08% per anno. Diese Steigerung von 4,08% per anno ist schon etwas weniger als von Juni 2007 bis Mai 2008. Es ergäben sich zusammen mit dem ersten Teil des Tarifvertrages ab Juni 2008 aber für jede(n) Mitarbeiter(in) pro Monat immerhin (4,1% + 4,08%) mehr Lohn bzw. Gehalt. Tatsächlich bekommen sie aber nur (4,1% + 1,7%) pro Monat mehr. Es fehlen also von Juni 2008 bis Okt. 2008 für 5 Monate je 2,38% Lohn bzw. Gehalt, weil die Laufzeit für diesen Teil des Tarifvertrags nur 5 und nicht 12 Monate beträgt. Jetzt wird auch etwas klarer, warum im Tarifvertrag eine merkwürdige Einmalzahlung von 0,7% (es sind lt. Vertrag insgesamt 3,98% für 5 Monate, also de facto 0,8% je Monate) ausgerechnet für die Monate Juni 2008 bis Okt. 2008 vereinbart wurde. Aber selbst mit dieser vereinbarten Einmalzahlung fehlen noch für die 5 Monate von Juni bis Okt. 2008 je 1,58% Lohn bzw. Gehalt an einer Steigerung per anno des Tabellenentgelts von 4,08% per anno für diesen Teil der Laufzeit (Juni-Okt. 2008) des Tarifvertrags. Kommen wir nun zur vereinbarten Steigerung des Tabellenentgelts. In der Tat liegt dieses nach Ende der Laufzeit des Tarifvertrages Okt.2008 um 5,8% höher als davor, im März 2007. Es sind ja auch 19 und nicht 12 Monate Laufzeit vereinbart worden. Stellen wir nun die 5,8% ins Verhältnis, so ergibt sich per anno eine Steigerung des Tabellenentgelts von 5,8% durch 19 mal 12 gleich 3,66%. Und da liegt doch noch ein Problem. Die IG Metall rühmt sich eines Abschlusses von 5,8% und es sind gerade mal "echte" 3,66% per anno, was weit von ihrer eigenen Forderung von 6,5% entfernt liegt. Da stellt sich natürlich die Frage, auf welche Laufzeit sich diese 6,5% beziehen sollten? Der vernünftige Menschenverstand versteht darunter eine geforderte Steigerung des Tabellenentgelts per anno. Sollte das bei der IG Metall anders sein? Da schreiben wir doch gleich eine Forderung von beispielsweise 12% auf die Plakate und vereinbaren dann eine Laufzeit von 3 Jahren für den Tarifvertrag. Als Basis nehmen wir den letzten Tarifvertrag und kämen auf eine jährliche Steigerung des Tabellenentgelts von gerade mal 3,8% in diesem Beispiel. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber können wir dann trotzdem sagen, dass 12% erreicht wurden. Nun kommen wir zum fünften Problem, nämlich der Vernebelung wenn mit einem fiktiven Beispiel von 2.000 € Bruttpentgelt gerechnet wird. Die suggerierte Freude um 2.140 € mehr innerhalb von 19 Monaten soll als Nebelschleier den Blick auf den tatsächlichen Abschluss stören. Erinnern wir uns, was an Lohn- bzw. Gehalts-Erhöhung vereinbart wurde: 2 Monate mal 4% plus 4,1% mal 12 Monate plus (4,1% + 1,7%) mal 5 Monate gleich 8% plus 49,2% plus 29% gleich 86,2% mehr an Lohn bzw. Gehalt. D.h. es gibt 86,2% von einem jetzigen Monatsgehalt (also weniger als ein einziges Monatsgehalt) mehr verteilt auf 19 Monate. Selbst die zusätzlichen Einmalzahlungen von knapp 0,8% für die 5 Monate von Juni bis Okt. 2008 erhöhen diese Zahl nur um exakt 3,98% auf 90,18%. Diese Summe ist übrigens der erste Teil der nach Hrn. Westrick benannten Formel. Im letzten Schritt dieser Formel teilt er diese 90,18% nun durch die Laufzeit von 19 Monaten und man bekommt 4,75% Lohn- bzw. Gehaltssteigerung im Mittel pro Monat heraus. Das hört sich passabel an, vergleicht aber wieder einmal Äpfel mit Birnen, da die Laufzeit eben 19 und nicht 12 Monate ist. Es wäre nämlich bei 19 Monaten Laufzeit nur eine Erhöhung des Tabellenentgelts von "echten" 3,47% per anno notwendig, um diese Lohn- bzw. Gehaltssteigerung zu erzielen: (12 mal 3,47%) plus 7 mal (3,47% + 3,47%) ergibt 90,22%. (Oder um es mit einem weiteren kleinen Beispiel zu erklären: Ein fiktiver Tarifabschluss über 3 Jahre mit einer Erhöhung des Entgelts um 3,5% am Beginn des ersten Jahres, einer weiteren Erhöhung um 3,5% am Beginn des zweiten Jahres und einer weiteren Erhöhung um 3,5% am Beginn des dritten Jahres bringt lt. Westrick-Formel eine monatliche Erhöhung im Mittel um 7%. Tatsächlich ist es doch wohl ein Abschluss mit 3,5% pro Jahr mehr.) Was würde nun eine tatsächliche Steigerung des Tabellenentgelts von "echten" 3,66% per anno für Lohn bzw. Gehalt bedeuten? Zur Erinnerung: 3,66% ist die notwendige Erhöhung des Tabellenentgelts pro Jahr, um am Ende der Laufzeit denselben Stand des Tabellenentgelts zu haben, wie er tatsächlich vereinbart wurde. Es würde ganz einfach das bedeuten, was man sich normalerweise vorstellt, nämlich am Anfang der Laufzeit eine Erhöhung um 3,66% und nach Ablauf von 12 Monaten eine weitere Erhöhung um 3,66%. D.h. also für die Laufzeit des aktuellen Tarifvertrages von April 2007 bis Okt. 2008 nämlich 3,66% mal 12 Monate plus (3,66% + 3,66%) mal 7 Monate gleich 43,92% plus 51,24% gleich 95,16% mehr Lohn bzw. Gehalt. Also fast ein Monatsgehalt mehr verteilt auf 19 Monate, keine Einmalzahlung. Fassen wir zusammen:
Was werden die Metallerinnen und Metaller ihrer IG Metall wohl für den aktuellen Abschluss ins Stammbuchschreiben schreiben, wenn tatsächlich klar wird, was dieser bedeutet? Tatsächlich geht es mit 4% im April los bzw. mit 4,1% Steigerung im Juni 2007. Wer aber glaubt, dass es ab Juni 2008 besser wird, wird sich noch wundern. Gerade in den derzeitig angeblich guten wirtschaftlichen Zeiten schafft die IG Metall nur weit unter 4% per anno Steigerung des Tabellenentgelts zu vereinbaren. Damit die Gewerkschaftsfunktionäre das Gesicht wahren können, greifen sie zu Taschenspielertricks. Wir brauchen Gewerkschaften, die einen längeren Atem haben, die ihre Mitglieder und auch andere Kolleginnen und Kollegen zum Arbeitskamf ermutigen. Gerade dann, wenn die Unternehmen zweistellige Gewinne einstreichen reicht es nicht, sich mit leicht erzielbaren Tarifabschlüssen um die 3,5% zufrieden zu geben. Denn die Unternehmen erzielen nicht trotz sondern wegen dieser Tarifabschlüsse die satten Gewinne. Schluss muss endlich sein damit, dass in einigen Hightech-Betrieben die Beschäftigten "freiwillig" für weniger Geld länger arbeiten und so ihre eigene Wegrationalisierung noch beschleunigen. So wie die Unternehmen global agieren, müssen sich auch die Gewerkschaften international verbünden und sie dürfen sich nicht nur auf ihre Stammklientel stützen, die dann auch noch mit lauen Abschlüssen ruhig gestellt wird. Was ist mit dem Niedriglohnsektor? Die Call-Center-Branche schreibt Milliarden Umsätze mit nicht organisierten, schlecht bezahlten Beschäftigten. Diese Menschen werden aber nicht für 3 bis 4% streiken. Gerechnet auf die sehr niedrigen Löhne würden sich das tatsächlich kaum lohnen. Hier sind auch neue Konzepte von den Gewerkschaften gefordert. Gruss, P.v.d.Brücke (43), Berlin, 15.05.2007 |