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Updated: 18.12.2012 15:51
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Führungsschwäche?

Anmerkungen zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst

Die Kritik, die am Tarifabschluss im öffentlichen Dienst formuliert wurde, war zu erwarten * und ist in vielen Teilen auch berechtigt. Diese Kritik unterscheidet sich allerdings deutlich von dem, was bisher von der vielgerühmten Basis zu hören ist.

Wenn mensch sich die bisherigen chats auf der ver.di web-Seite und die dortigen Kommentare zur Tarifrunde ansieht, so ist erstens festzustellen, dass das Ergebnis im Osten gut ankommt und zweitens, dass im Westen vor allem Fragen danach, wie in Zukunft die persönliche Eingruppierung läuft, dominieren. Grundsätzliche Kritik an der halben Stunde Arbeitszeitverlängerung ist eher selten.

Das bisherige Ausbleiben massiver Proteste macht allerdings die negative Wirkung, die dieser Abschluss auf die weitere Diskussion um Arbeitszeitverlängerung haben wird, nicht besser.

Tarifpolitisch äußerst problematisch ist in diesem Zusammenhang die so genannte Meistbegünstigungsklausel, die ja bedeutet, dass für den Fall, dass ver.di auf Länderebene bei den Arbeitszeiten weitere Konzessionen macht oder machen muss, diese dann de facto auch für die Beschäftigten bei den Kommunen und beim Bund gelten sollen. Mit dieser Klausel verpflichtet sich ver.di im Grunde dazu, keinen Tarifabschluss mit den Ländern zu unterschreiben, der nicht die 39 Stunden-Woche festschreibt - es sei denn, die Gewerkschaft würde in Kauf nehmen, dass die gerade frisch ausgehandelte Regelung bei Bund und Kommunen wieder zur Makulatur wird. Angesichts der schwachen gewerkschaftlichen Kampfkraft auf Länderebene wird diese Klausel bei ver.di noch für einige Probleme und bei den Straßenmeistereien vermutlich noch für viele Streiktage sorgen.

Der problematischste Punkt des Abschlusses liegt meines Erachtens darin, dass die Niedriglohngruppen, die mühsam in den 70er und 80er Jahren aus den Tarifverträgen herausverhandelt worden waren, nun wieder eingeführt werden.

Hier folgt ver.di dem, was die IG Metall bei Daimler-Chrysler letztes Jahr vorgegeben hat (und was die IG BCE längst praktiziert). Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass Bsirske und andere Verantwortliche dem nicht zugestimmt haben, weil sie in verräterischer Absicht der Klasse >eins reinwürgen< wollten, sondern weil sie die Mobilisierungschancen anders als die ver.di-Linke einschätzten. Zugleich vermochte es die Linke in ver.di nicht, soviel Druck in der Mitgliedschaft zu entfalten, dass die Spitze zumindest eine Mobilisierung versucht hätte.

Ob mit diesem Abschluss, wie von ver.di erhofft, die weitere Erosion der Tarifstandards aufgehalten wird, kann solange bezweifelt werden, wie sich gesamtgesellschaftlich die Welle des concession-bargaining fortsetzt und die öffentlichen Kassen durch eine unternehmensfreundliche Steuerpolitik weiter entreichert werden.

Der ver.di-Abschluss fügt sich somit in eine Reihe mit den Abschlüssen bei DC, VW und in vielen anderen Unternehmen bzw. Branchen, die nicht so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, wie z.B. Bau oder Gebäudereinigung und Zeitarbeit.

Diese Abschlüsse sind vielfache Belege eines deutlich zu Gunsten der Unternehmen verschobenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses. Hartz IV und die nunmehr auch offizielle Überschreitung der Fünf-Millionen-Grenze bei der Arbeitslosigkeit haben nicht dazu beigetragen, die Konfliktbereitschaft und -fähigkeit unter den Beschäftigten zu fördern, sondern im Gegenteil die Neigung erhöht, durch Konzessionen den eigenen Arbeitsplatz zu retten. Opel Bochum und DC Mettingen haben gezeigt, dass es auch andere Signale geben kann. Bislang sind diese Signale aber die großen Ausnahmen und nicht die Regel, und aus dem öffentlichen Dienst wurde ähnliches bisher nicht vermeldet.

Zurück zur oben erwähnten linken Kritik an diesem Abschluss:

Diese richtet sich verständlicherweise in erster Linie an die Führung von ver.di, die dieses Ergebnis politisch zu verantworten hat. Allerdings stellen sich bei der Diskussion des Ergebnisses auch einige Fragen an die gewerkschaftliche Linke, die nicht neu sind, aber helfen könnten, die Kritik am Tarifabschluss nicht völlig losgelöst von der eigenen Praxis und der Verankerung alternativer Strategien von Tarif- und Gewerkschaftspolitik unter den Mitgliedern und Beschäftigten zu diskutieren.

Soweit bekannt, hat die Bundestarifkommission auch deshalb dem letztendlichen Kompromiss zugestimmt, weil die Mehrheit sich außer Stande sah, wirksam für ein besseres Tarifergebnis zu mobilisieren. Zugleich wurde befürchtet, dass sich nicht nur die Länder, sondern auch noch die Kommunen aus den Verhandlungen verabschieden und überhaupt kein bundesweiter Tarif mehr zustande kommt.

Nun muss sich die Mehrheit der Bundestarifkommission allerdings fragen lassen, wie denn eine Mobilisierung erfolgen soll, wenn diese Tarifrunde über viele Monate, ja Jahre mehr oder weniger hinter den Kulissen verhandelt wurde.

Aber auch die unterlegenen GegnerInnen des Abschlusses und die gewerkschaftliche Linke bei ver.di sollten sich der Frage nicht so leicht entledigen, ob es eine reale Mobilisierungschance gab, um gegen die halbe Stunde Arbeitszeitverlängerung beim Bund und gegen die Öffnungsklausel bei den Kommunen auf Länderebene zu kämpfen und das völlige Auseinanderbrechen des alten BAT zu verhindern. Sicherlich ist es etwas gemein, aber:

Wird der kämpferische Landesbezirk Baden-Württemberg nun auf Landesebene dagegen halten, wird bei der Gemeinde Stuttgart die Verteidigung der 38,5 Stunden erfolgreich durchgestreikt werden?

Zusammengefasst:

Die Gewerkschaftsspitze in der Zirkuskuppel - ratlos. So würde ich derzeit die Situation bei ver.di beschreiben. Sie spiegelt damit aber vermutlich auch ein ganzes Stück Stimmung unter den Mitgliedern der aktiven Basis wieder. Die gewerkschaftliche Linke bei ver.di hat alternative Wege aufgezeigt (siehe z.B. das Riexinger/Sauerborn-Papier im Supplement, Nr. 10/2004, der Zeitschrift Sozialismus), und auf dem ja auch von der ver.di-Führung mitorganisierten Perspektivenkongress wurden ebenfalls verschiedenste Ansätze diskutiert. Wie mit all diesen Alternativen die Mitglieder mobilisierend erreicht werden können, ist die Frage, die in die Zukunft weist, und nicht der alte Irrtum, der vor allem in Kreisen des Netzwerkes für eine bessere ver.di zu kursieren scheint, eine andere Führung (wie immer die dann aussehen soll) hätte einen anderen Abschluss zustande gebracht.

PS: Mensch betrachte sich nur die Tarifpolitik der IG Metall, wo sich ja der »linke« Jürgen Peters erfolgreich gegen den »rechten« Berthold Huber durchgesetzt hatte. Die Welt ist leider alles andere als einfach ...

HL

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/05

*) So z.B. von Mag Wompel in der jungen welt vom 12. Februar, von Michael Wendl im Sozialismus vom 17. Februar oder von Stephan Kimmerle vom »Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di« in der Jungle World vom 16. Februar


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