letzte Änderung am 17. Februar 2004

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Metallabschluss fördert Erosion

Trotz ausgezeichneter Hilfestellung von Gesamtmetall für die Mobilisierung der KollegInnen hat die IG Metall-Führung es erneut zugelassen, dass der Flächentarifvertrag weiter ausgehöhlt wird. Dies fördert nicht nur die Erosion der tariflichen Bestimmungen zur Arbeitszeit sondern auch die der IG Metall.

Auf den erste Blick mag nach diesem Tarifabschluss manche® den Eindruck gewonnen haben, die MetallerInnen seien noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber hier wurde mehr als nur eine gute Chance zur Gegenwehr vergeben. Der Abschluss ist ein aktiver Beitrag der Gewerkschaftsbürokratie zur Erhöhung der Arbeitslosenzahlen.

Reallohnverlust

Niemand konnte erwarten, dass sich bei einer so niedrigen Forderung wie 4% eine Lohnerhöhung ergibt, die wenigstens den Reallohn sichert – von einem Ausgleich für die Verluste der vergangenen Jahre oder einer Teilhabe am Produktivitätsfortschritt oder sogar einer Umverteilungskomponente ganz zu schweigen. Auch dieses Mal wieder wurden gerade mal 50% der Lohnforderung durchgesetzt. Und da die KollegInnen diesen “Mechanismus” seit Jahren zur Genüge kennen, wären sie für diese Forderung in kaum nennenswerter Zahl auf die Straße getreten gegangen. Nur die übermütigen Forderungen von Gesamtmetall haben eine blendende Mobilisierung für die Warnstreiks bewirkt, so blendend übrigens, dass Südwestmetall sogar öffentlich zugeben musste, dass sie überrascht waren.
Aber selbst das Verhandlungsergebnis von ca. 50% der Forderung ist nicht so ohne weiteres für alle Realität: Erstens läuft der Tarifvertrag über 26 Monate. Für die ersten beiden Monate wird nur die Strukturkomponente des letzten Tarifabschlusses weitergezahlt. De facto sind es also zwei Nullmonate.

Zweitens gehen 2004 nur 1,5% und 2005 gerade mal 2% in die Tabelle ein. Der Rest wird wieder mit Einmalzahlungen abgegolten und soll tabellenwirksam erst in die neuen ERA-Strukturen einfließen. Wie diese Strukturen später für die jeweiligen Beschäftigtengruppen tatsächlich aussehen werden, bleibt abzuwarten. Nur im Bezirk Stuttgart (und in anderer Form im Bezirk Küste) ist dies aufgrund der bisherigen Vereinbarungen inzwischen einigermaßen zu überblicken. Aber auch hier haben gerade KollegInnen und Betriebsräte in manchen Betrieben mit bisher vergleichsweise hohen Eingruppierungen noch schwer zu kämpfen, um beim Übergang in die neuen Entgeltstrukturen Schlechterstellungen zu verhindern. (Der ganze Prozess wird laut Vertragstext erst im Februar 2008 abgeschlossen sein.). Im günstigen Fall also macht der nominelle Lohnabschluss aus dieser Tarifrunde gerade mal 2,26% aus. Im ungünstigen Fall sind es aber auch nur 1.61%.

Ist das der Beitrag der Gewerkschaften zur Sicherung unsres Lebensstandards, wenn zusätzlich zur allgemeinen Teuerung der Lebenshaltungskosten über politische Beschlüsse uns ständig mehr Geld aus der Tasche gezogen wird?

Faktische Arbeitszeitverlängerung

Der größere “Hammer”, ja der gesellschaftspolitische Skandal liegt in der weitreichenden Aushöhlung des Flächentarifvertrages in Sachen Arbeitszeit. Die Argumentation der Gewerkschaftsbürokratie lautete:

Damit ist mensch den Kapitalwünschen faktisch sehr weit entgegengekommen. Klar: Unbezahlte Mehrarbeit gibt es nicht und der Kern der eigentlichen Kampftruppen wird nicht auf einen Schlag länger arbeiten müssen. Wäre auch nur einer dieser beiden Punkte vereinbart worden, wären innerhalb weniger Tage zehntausende, wenn nicht hunderttausende Gewerkschaftsmitglieder ausgetreten. Und dass das Kapital spätestens seit den gut gelaufenen Warnstreiks (am phantastischsten bei Bosch) wusste, dass es einen solchen Abschluss nicht hinbekommen konnte, weil dies für die Gewerkschaftsbürokratie Selbstmord bedeutet hätte, wurde entlang dieser Schiene gar nicht mehr verhandelt. Von daher ist das “Argument”, man habe nur mit dieser Verhandlungsstrategie Schlimmeres verhindern können, nur eine freche Lüge. Selten waren die Kampfbedingungen aufgrund der Provokationen von Seiten des Kapitals so günstig wie dieses Mal. Wann, wenn nicht jetzt, konnte die IG Metall sogar den Antistreikparagraphen § 146 SGB III mit einer breiten Mobilisierung einfach aushebeln. Wer nur die Streikverhinderung als Ziel hat, muss die Organisation ins Verderben führen, denn nichts ist so schlimm wie das tarifpolitische Begleiten eines anhaltenden Erosionsprozesses unsrer Arbeitsbedingungen und der Organisation selbst.

Die vereinbarte Flexibilisierung geht weit. Das Pforzheimer “Verhandlungsergebnis vom 12.2.04.” (das technisch gesehen ja noch kein Tarifvertragstext ist) enthält in einer zweiten Vereinbarung (neben dem mickrigen Lohnabschluss) unter Punkt 3 die Annahme von zwei Anlagen, die es in sich haben. Diese Anlagen übrigens greifen sehr wohl in den bestehenden, nicht gekündigten Manteltarifvertrag ein. Auch hier lügt die Gewerkschaftsbürokratie.

Ausweitung der 18%-Regelung

Bisher galt die Regelung, dass 13% der Belegschaft (im Bezirk Stuttgart 18%) die 40-Stundenwoche haben können. In Wirklichkeit haben schon viele Betriebe diese Quote nicht mehr eingehalten. Aber die Begründung der Gewerkschaftsbürokratie für die neue Vereinbarung ist so verlogen wie sie dumm ist. Statt die tatsächlichen Quoten zurückzudrängen gibt man den Unternehmern gerade in den Betrieben, wo sie bisher nicht durchkamen, neue Hebel (und Argumentationshilfen) an die Hand, um die Arbeitszeit gegen die bisher noch sperrigen Betriebsräte zu verlängern.
Erlaubt wird dies also in Zukunft in Betrieben, die zu 50% Beschäftigte in den oberen Gehaltsgruppen haben (K6, K7, T6, T7, M4, M5, bzw. EG 14). Aber auch dort, wo Innovationsprozesse ermöglicht werden sollen oder ein “Fachkräftemangel” herrscht (den übrigens niemand anderes als die Kapitalseite zu verantworten hat), können “auf Antrag der Betriebsparteien nach Prüfung eine höhere Quote für den Betrieb oder Teile des Betriebes” vereinbart werden.

Es ist somit nur eine Frage von wenigen Wochen oder Monaten bis die ersten Betriebsräte der “Innovationsargumentation” der Gegenseite erliegen und dann die anderen Betriebsräte mit dem Argument, mensch müsse unter dem Druck der Konkurrenz nachziehen, der Reihe nach umfallen. Genau diesem Druck sind die Belegschaften auf Betriebsebene nicht gewachsen. Dass sie erpressbar sind, hat schließlich auch die Gewerkschaftsführung immer wieder selbst ausgeführt und sie kann sich später schlecht rausreden.
Der Satz zur Beruhigung einer fragenden Basis, “Eine Ausweitung der Quote über 18% darf nicht zu einem Arbeitsplatzabbau führen”, ist das Papier nicht wert auf dem er steht. Niemand kann hier etwas einklagen, denn der ständige Umschichtungsprozess in den Betrieben lässt so etwas nicht nachweisen. Die Logik dieser ganzen Linie aber ergibt, dass unter dem Strich selbstredend jede Flexibilisierung zu einem Abbau an Arbeitsplätzen führt. Wenn die Kapitalseite weniger Arbeitskräfte vorhalten muss, dann können weniger Arbeitsplatzsuchende überhaupt die Hoffnung haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Die anderen machen ja schließlich länger und bewältigen die Aufträge auch ohne sie.
Schlimmer noch wird sich dies über die in der Anlage 2 getroffene Vereinbarung auswirken:

Arbeitszeitkonten

Auch hier stehen Wischiwaschi-Formulierungen, die nur der gewerkschaftsinternen Rechtfertigung dienen. Entscheidend ist folgende Passage gleich zu Beginn:
Die Tarifvertragsparteien werden für die jeweiligen Tarifgebiete in Baden-Württemberg zügig Verhandlungen zu Arbeitzeitkonten zum Ergebnis führen. Dabei wird den Betriebsparteien ein erweiterter Gestaltungsspielraum bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit (Flexi-Konten) übertragen.” Die dazugehörige Fußnote lautet: “Es wird auf den Verhandlungsstand Baden-Württemberg (gemeinsame Synopse) verwiesen. Hier wird u. a. festgehalten, dass in Betrieben mit Flexi-Konten [und das ist heute die Mehrheit!, D. B.] bei deren Anwendung kein Ausgleichszeitraum gilt [!!!].”
Das ist nichts anderes als eine Arbeitszeitverlängerung auf Dauer, ohne tarifliche Begrenzung und ohne Mehrarbeitszuschläge. Allein schon dieser Passus ist für GewerkschafterInnen einfach kriminell.

Hier wird ein Verhandlungsstand der bisher geheim geführten Gespräche (eine Folge des “Ludwigsburger Verhandlungsauftrags” aus dem Jahr 2000) ohne Diskussion in der Organisation und trotz bestehender Manteltarifbestimmungen in einen aktuellen “Lohnabschluss” eingebaut.

Schlussfolgerungen

  1. Die Gewerkschaftsbürokratie wusste, was sie tat. Bei der Formulierung des Tarifvertrages kam es ihr vor allem darauf an, ihr Nachgeben in Sachen Verlängerung der Arbeitszeit durch verklausulierte Formulierungen zu verschleiern.
  2. Die Masse der KollegInnen wird dies erst einmal hinnehmen, aber den Erosionsprozess der Gewerkschaft wird das nicht aufhalten. Vor allem in den Betrieben, wo bisher noch wenig flexibilisiert und die Quote noch nicht überschritten war, wird dieser Abschluss den KollegInnen noch schwer aufstoßen, und zwar spätestens dann, wenn ihnen KapitaleignerInnen bei ihren Flexi-Wünschen den Tarifvertrag um die Ohren hauen.
  3. Wenn sich Betrieb nach Betrieb die Arbeitszeit faktisch verlängert, wird die Metallindustrie allein darüber zu einer merklichen Zunahme der Arbeitslosenzahlen beitragen (die nachziehenden Branchen noch gar nicht mitgerechnet).
  4. Die Gewerkschaftslinke ist organisatorisch viel zu schwach und schafft es immer noch nicht, für die Masse der KollegInnen erkennbar eine alternative, kämpferische Linie zu vertreten. Nur dann könnte die Gewerkschaftsführung unter Druck geraten und wäre in ihrem Manövrierspielraum eingeengt. Wenn dies auf absehbare Zeit nicht gelingt, wird die Gewerkschaftslinke nur ohnmächtig zusehen, wie die Gewerkschaften nach allen Regeln der Kunst zersetzt wird.
  5. Oberste Aufgabe der Gewerkschaftslinken und selbstredend der politischen Gruppen, soweit sie überhaupt im Betrieb vertreten sind, ist es, die Bedeutung der Flexibilisierung und der Gefahren dieses Tarifabschlusses aufzuzeigen. Daraus ergibt sich aber auch die strategische Aufgabe, eine Kampagne für den Kampf um die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgelt- und Personalausgleich in Gang zu setzen. Zur Losung der Verteilung der Arbeit auf alle Hände gibt es keine Alternative!

Daniel Berger, Vorabdruck aus Avanti

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