"Gegen die Konkurrenz-
und Standortlogik und gegen ihre Akzeptanz durch die Gewerkschaften"
Von Kolleginnen und Kollegen der
"Standorte"-Gruppe bei Opel in Bochum (5.9.1995)
(1) Die neuen Strategien, die die Unternehmensmanager
derzeit unter dem Namen "Lean production" in den Betrieben einzuführen
versuchen (Stichworte: Gruppenarbeit, KVP, neue Entlohnungssysteme, Arbeitszeitflexibilisierung,
Fremdvergabe und Auslagerungen, neue Formen der Zuliefereranbindung),
bedeuten Rationalisierungsangriffe gegen die Beschäftigten mit krankmachender
Arbeitsintensivierung und massivem Arbeitsplatzabbau. Verbunden sind diese
Strategien mit dem Versuch, Herz und Verstand der Beschäftigten zum
freiwilligen Mitgestalten dieser Rationalisierung zu gewinnen und unter
Kontrolle zu bringen, propagiert mit der altbekannten Behauptung, daß
allein durch die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Belegschaften
anderer Betriebe und Länder die eigene Lohn-, Arbeitsplatz- und Lebensabsicherung
erreicht werden könne. Die Unternehmer fordern gesamtgesellschaftliche
Akzeptanz dieser Strategien.
(2) Diese Rationalisierungsangriffe geschehen zu
einer Zeit anhaltender Massenarbeitslosigkeit und verschärfen diese
gleichzeitig massiv. Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger gelten
als tote Kosten, werden verarmt und unter Druck gesetzt, jede Arbeit anzunehmen.
Für alle Beschäftigten steigen Konkurrenz und Anpassungsdruck.
(3) Diese Rationalisierungsangriffe sind Ausdruck
von Verwertungsproblemen für das Kapital, die sich seit Ende der
70er Jahre verschärft haben. "Wer von Arbeit und Arbeitslosigkeit
redet, muß sich mit den globalen Verhältnissen von Geld und
Kapital auseinandersetzen" (E. Altvater).
Dazu einige Stichworte:
- Krisenentwicklung in den 70er Jahren mit zyklisch steigender Arbeitslosigkeit
- Internationalisierung von Produktion und Vermarktung, durch EDV/Mikroelektronik
wie nie zuvor ermöglicht, durch Zugriff auf die ehemaligen Ostblock-Staaten
beschleunigt.
- Zunehmende Infragestellung von produktiven Investitionsentscheidungen
und selbst von nationalstaatlichen Entscheidungen im Sektor Sozialpolitik
und Finanzen durch einen nicht kontrollierten, hoch spekulativen monetären
Weltmarkt. Down-Regulierung und gesellschaftliche Spaltung als Programm.
(4) Manager charakterisieren ihre Situation selber
als "weltweiten Konkurrenzkrieg". Ihre Konkurrenz um maximale
Profitraten ist Ausdruck ihres Zwangs, das eigene Kapital erhalten und
vermehren zu müssen, bei Strafe ihres Kapital- und Machtverlustes,
wenn sie sich in diesem Konkurrenzkampf nicht behaupten.
- Dieser Konkurrenzzwang verbietet den Unternehmern auch die Rücksichtnahme
auf die lokale Ansiedlung ihrer Produktionsstätten. Deren "Standort",
der Ort des Kapitaleinsatzes, ist nach Profitgesichtspunkten festzulegen,
unabhängig von dem Interesse der Beschäftigten wie Arbeitssuchenden,
an ihrem "Standort", ihren Heimatorten,- regionen oder -ländern
weiterleben zu wollen.
- Dieser Konkurrenzzwang zur Kapitalvermehrung auf der Seite der Kapitaleigner
zwingt alle diejenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen
sind, in Konkurrenz untereinander, besonders verschärft durch die
anhaltende und wachsende Massenarbeitslosigkeit.
- Von Unternehmerseite wird dieser systembedingte Konkurrenzzwang benutzt,
- erstens innerhalb ihrer Betriebe Konkurrenz zwischen einzelnen,
Fertigungsgruppen oder Abteilungen zu schüren, vor allem Belegschaften
ihres eigenen Konzerns gegeneinander zu hetzen, auszuspielen und
zu erpressen.
- Die Manager der multinationalen Konzerne benutzen diesen Konkurrenzzwang
zweitens zur Ausspielung und Erpressung der Zuliefererunternehmer
(die den Druck wiederum an ihre Belegschaften weitergeben),
- drittens zur Subventions- und Downregulierungserpressung gegen
Regierungen von Regionen, Nationalstaaten und Kommunen.
(5) Akzeptiert man diesen Konkurrenzzwang gemeinsam
mit den Unternehmern und ihren Managern, als sei dieser Zwang sozusagen
naturgegeben, kann man weder "Vollbeschäftigung", noch
"Sicherung des Standorts" im Sinne von Lebensort und Lebensstandard
der Lohnabhängigen anstreben, noch erst recht eine ökologisch
und ökonomisch vernünftige und humane Produktion und Verteilung
der Produkte zwecks möglichst bester Bedürfnisbefriedigung der
Menschen.
(6) In den Gewerkschaften hat eine fatale Anpassung
an die beschriebene Entwicklung stattgefunden. Von jahrzehntelang betriebener
Politik der Sozialpartnerschaft zum Co-Management: wir erleben die Gewerkschaften
heute hilflos und unfähig, sich den veränderten Bedingungen
zu stellen. Ihre Vorschläge beruhen auf falschen Analysen, die zu
falschen Schlußfolgerungen führen müssen:
- Die Konkurrenzprobleme der Unternehmer sind nicht auf
"falsche Politik" der Regierung zurückzuführen
(so z.B. IGM). Die beklagte "Deregulierungsorgie der 80erJahre"
war nicht Ursache "für das Anwachsen der Bedeutung von
internationalen Finanztransaktionen" (ebenfalls IGM), sondern
Reaktion darauf.
Insofern ist eine auf nationale Rettung, "Standort
Deutschland sichern", angelegte Gewerkschaftspolitik eine völlig
hilflose Reaktion auf die Zwänge und Strategien des Kapitals.
Und wenn Gewerkschaften propagieren: "Tatenlos
sieht die Regierung zu, wie andere Länder ... ihre Märkte brutal
nach außen dichtmachen... Und jetzt drängen auch noch die Koreaner
auf den Weltmarkt..." (so IGM) oder: "Wollen wir tatenlos
warten, bis das erste amerikanische oder japanische Drei-Liter-Auto in
Bremerhaven angelandet wird?" (IGM), dann wird vielmehr ein
übler und gefährlicher Nationalismus als "Ausweg"
propagiert, der die Hoffnungen der Gewerkschaftsmitglieder an die Sicherung
"deutscher" Unternehmerprofite auf dem Weltmarkt bindet. (Wobei
die Nationalitätsbestimmung eines multinationalen Konzerns immer
fragwürdiger wird und solche Gewerkschaftsstrategie die Mitglieder
in "nicht-deutschen" Konzernen zum Abschuß freigibt -
IGMetaller/innen arbeiten auch z.B. bei Toyota, GM oder Ford...)
- Ebensowenig stimmt die unablässig von Gewerkschaftsfunktionären
aufgetischte Behauptung, "Mißmanagement" sei
die Ursache für die nationalen wie globalen Probleme der Kapitalverwertung
(so IGM). Gemessen an ihrem Auftrag der Profitmaximierung haben die
Manager meist sehr gute Arbeit geleistet...
- Ebensowenig bedeuten die neuen Rationalisierungsstrategien
für die Belegschaften "Überwindung der tayloristischen
Arbeitsteilung", "Dezentralisierung der Arbeit", noch
sind sie - was ja wirklichen Entscheidungs- und Machtzuwachs zur Voraussetzung
hätte - mit "mehr Verantwortung der Beschäftigten bei
Fragen von Angebot und Nachfrage nach den Produkten ihrer Arbeit und
mit einer stärkeren Einbindung der Beschäftigten in die Unternehmensplanung
verbunden." Wer im Anschluß an diese Behauptung dann noch
schlußfolgert "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
die Betriebs- und personalräte werden mehr und mehr zu unternehmerisch
mitdenkenden Co-Managern" (DGB-Bundesvorstand), der versucht
die Beschäftigten an die Unternehmerpropaganda zu binden. Hier
scheint eher der Wunsch der Vater des Gedanken zu sein: als ob "Mitbestimmung"
durch die neuen Rationalisierungsstrategien sozusagen "automatisch"
installiert wird... Daß durch diese Art von Mitbestimmung als
"Co-management" die Macht der Unternehmer gefestigt wird,
haben die längst erkannt: "Die Mitbestimmung, wie sie
die IG Metall vertritt, akzeptiert die handlungspolitische Funktion
des Gewinns und der Wettbewerbsfähigkeit", urteilt der
VW-Personalvorstand Peter Hartz aufgrund seiner Unternehmererfahrungen
mit der IGM.
(7) Praktische Konsequenzen der falschen Analyse
für die aktuelle Gewerkschaftspolitik:
- Die Gewerkschaften müssen ihre programmmatische
Zielvorstellung umdefinieren, wie sie z.B. noch in der Entschließung
1 vom Gewerkschaftstag der IG Metall 1992 nachzulesen ist: "Es
ist offenkundig, daß der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen
Verfassung ... kein Zukunftsmodell sein kann. Eine Gegenmacht, die die
Interessen der Menschen an sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit der Lebenschancen
und ökologischer Erneuerung durchsetzt, bleibt ... erforderlich."
Eine "gerechte Weltordnung" und "internationale Solidarität"
(E1) kann eine Gewerkschaft nicht mehr fordern, die den Konkurrenzsieg
der "deutschen Wirtschaft" auf dem Weltmarkt mitgestalten
will.
- Aktuell wird die Vorstellung von gewerkschaftlicher
Gegenmacht (selbst im kapitalistisch positiv zu verstehenden Sinne von
mitregulierender Ordnungsmacht, die verschiedenen Branchenkapitalien
eine gleiche Konkurrenzchance ermöglicht) aufgekündigt zugunsten
von sog. "Gestaltungsmacht" (so der DGB-Chef). Gibt
aber der Nationalstaat im Zusammenhang mit der Globalisierung der Wirtschaft
seinen Gestaltungsanspruch im Sinne von sozialstaatlicher Regulierung
mittels antizyklischer Konjunktur- und Beschäftigungspolitik auf,
verliert auch die Gewerkschaft ihre Funktion als national anerkannter
"Gestaltungsmacht".
"Gestaltungsmacht" reduziert sich dann nur auf
Mitgestalten von Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbssituation der
Unternehmer, auf Profitsicherung. Angesichts der Weltmarktzwänge
kann das nur als Mitgestaltung des eigenen Funktionsverlustes als Gewerkschaft
und zu Lasten der Lohnabhängigen funktionieren.
Die Parole "Gewerkschaft als Gestaltungsmacht"
wird übrigens dringend gebraucht zur Vorbereitung des nächsten
Entwicklungssprungs der Arbeitsorganisation nach lean production: zur
Vorbereitung der fraktalen Fabrik, der virtual company, der industriellen
Produktion im Rahmen eines zeitlich begrenzten, wie eine Film-Produktion
organisierten Projekts. Dabei sind natürlich Flächentarifverträge
unmöglich. Sie werden derzeit schon von den Gewerkschaftsführungen
immer mehr aufgegeben.
- Auf betrieblicher Ebene bedeutet diese Strategie der
"Mitgestaltung": Im dualen System der deutschen Arbeitnehmervertretung
(Gewerkschaften/Betriebsräte) Delegation aller Verantwortung an
die ans Betriebsverfassungsgesetz samt Friedenspflicht und Pflicht zu
vertrauensvoller Zusammenarbeit gebundenen Betriebsräte, zum Mitgestalten
der "Wettbewerbsfähigkeit" im Rahmen der betriebswirtschaftlichen
Logik der Manager unter der Parole der "Standortsicherung".
Daraus resultieren dann Betriebsvereinbarungen, die oft bestückt
sind mit Zugeständnissen ungeheuren Ausmaßes (Stichworte:
Konzessionen zur Produktivitätserhöhung durch Pausendurchfahren,
KVP-Mitgestalten u.v.a., Konzessionen bezüglich Lohnabsicherung
durch nur teilweise Übernahme von Tariferhöhungen, Lohnverzicht
bei Arbeitszeitverkürzung oder neue Lohnsysteme, Konzessionen zur
angeblichen Investitionsermöglichung wie z.B. Regelarbeitszeit
für Reparatur an Samstagen etc.). Oft werden dabei bestehende Tarifverträge
bereits auf Betriebsebene ausgehebelt.
(8) Fazit: Gewerkschaft als Organisation für
unsere gemeinsame Interessenvertretung wird von oben aufgegeben. Mit der
Aufforderung, die kapitalistische Wirtschaftsordnung als alternativlos
zu bejahen und die einzige Chance darin zu sehen, im Konkurrenzkrieg mitzukämpfen
und andere Lohnabhängige auf die Verliererseite zu zwingen, wird
in die schrumpfende Mitgliedschaft der Gewerkschaften Resignation und
Mutlosigkeit getragen.
(9) Aus dem bisher Gesagten ergeben sich für
uns folgende Anforderungen:
1. Die Notwendigkeit von Gewerkschaften ergab
sich aus ihrer Funktion, die Konkurrenz der Lohnabhängigen durch
ihren organisierten Zusammenschluß ein Stück weit aufzuheben.
Solidarität ist für uns nicht nur ein moralisches Prinzip, sondern
lebensnotwendig.
Die Orientierung an Wettbewerbsvorteilen "beläßt
uns Beschäftigte in einer Tretmühle, in einem Rennen, das wir
nicht gewinnen können..., es bedeutet Konzessionen heute und noch
mehr Konzessionen morgen" (CAW, Canad. AutoWorkers). Sie führt
uns in eine Abwärtsspirale, in der immer mehr Standards, die durch
einen gemeinsamen und organisierten Kampf erreicht wurden, abgebaut werden.
Wir wollen Gewerkschaften, die den Konkurrenzzwang, dem
die Kapitaleigner unterliegen, nicht als Leitlinie ihrer eigenen Überlegungen
und Aktivitäten akzeptieren.
Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel:
- Wir müssen Hintergründe und Ursachen für die Konkurrenzproblematik
in den Belegschaften und Gewerkschaften diskutieren und die sog."Standortlogik"
als gegen uns gerichtete Unternehmerpropaganda sorgfältig und kontinuierlich
entlarven.
- Bei den typischen Managementerpressungen von Konzessionen zwecks
angeblicher Investitionssicherung müssen wir: breitmöglichst
darüber informieren, welche Investitionen mit welchen Auswirkungen
vom Management geplant werden und welche Konzessionen an welchen Standorten
damit erpreßt werden sollen.
- Die Ausspielerei der Belegschaften müssen wir öffentlich
anprangern, möglichst in Absprache und parallel mit unseren KollegInnen
der anderen betroffenen Betriebe und Länder.
- Wir müssen uns auf gemeinsame Ablehnung von Zugeständnissen
einigen und dabei die Rückendeckung unserer Gewerkschaften einfordern.
- Für gemeinsame Widerstandsaktionen gegen die Konzessionserpressungen
müssen wir möglichst breite öffentliche Unterstützung
organisieren, da meist viele Menschen in den Kommunen und Ländern
von den Investiitonsentscheidungen mitbetroffen sind.
- In den praktischen Auseinandersetzungen um die Einführung der
"Lean Production" müssen wir die Chance nutzen, daß
die Unternehmer zur Erreichung ihrer Ziele auf "Mitgestaltung",
Motivation und Engagement der Beschäftigten angewiesen sind. Ständige
Arbeitsintensivierung sowie Arbeitsplatzabbau auch noch selber "mitzugestalten",
wird umso schneller als unerträglich und würdelos erkannt,
je konsequenter wir diese Erfahrungen mit "lean production"
aufgreifen, verallgemeinern und Widerstand mobilisieren. Dabei müssen
wir Mut machen durch Veröffentlichung von positiven Beispielen
des Widerstands in aller Welt. Diese Herangehensweise bedeutet das Gegenteil
von der überwiegend anzutreffenden Gewerkschafts-und Betriebsratspraxis,
die die Rücksichtnahme auf die "Wettbewerbssicherung"
zur Leitlinie macht.
- Für unsere eigene Praxis müssen wir uns neu besinnen auf
die Bedeutung von eigenen Aktionen der Betroffenen und kritische Korrektur
des eigenen "Stellvertreter"-Handelns besonders als Betriebsäte
und Betriebsrätinnen. Die Konfrontation mit dem Kapital innerhalb
der Betriebe müssen wir auch nach außen offensiver bekanntmachen.
- Die Mobilisierung von Kolleginnen und Kollegen für einen derartigen
Kampf in den Betrieben erfordert wohl auch neue Überlegungen, wie
wir insbesondere jüngere KollegInnen einbeziehen können, erfordert,
den Blick nicht nur auf die unmittelbaren Lohninteressen zu richten.
2. Dabei müssen wir Gewerkschaften als Interessenorganisation
aller einrichten, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft zur Sicherung
ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, besonders angesichts der Tatsache,
daß immer weniger Menschen einer "normalen" Beschäftigung
nachgehen.
Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel:
- Bei gewerkschaftlichen Forderungen wie Aktionen sind
möglichst viele Gruppen von Menschen auch außerhalb der Betriebe
bewußt einzubeziehen. "Ein Unrecht gegen einen oder eine
von uns ist ein Unrecht gegen alle". Umgekehrt müssen
wir uns bei sozialen Bewegungen, die auf emanzipative Ziele ausgerichtet
sind, zum Engagement mitaufgerufen sehen und unsere Erfahrungen dabei
in die betriebliche und gewerkschaftliche Diskussion bringen. Außerbetriebliche
und außergewerkschaftliche Bewegungen sind auch darum von besonderer
Bedeutung, weil sie den Gedanken einer neuen Bewertung von Arbeit und
Leben in eine solidarische Gesamtbewegung tragen können.
- Die Strategie der Fremdvergabe und Auslagerung sowie die neuen rigiden
Formen der Anbindung der Zuliefererbetriebe- und belegschaften an die
Herstellerbetriebe macht offenbar, daß das Prinzip der Branchengewerkschaften
immer mehr in Frage zu stellen ist. Einheitsgewerkschaft im Sinne politischer
und organisatorischer Stärkung des DGB zu fordern, wird allerdings
zu sehr grundsätzlichen und harten Auseinandersetzungen innerhalb
der Gewerkschaften führen.
- Dabei wird eine komplizierte kritische Aufarbeitung der Verbürokratisierung
der Gewerkschaftsarbeit nicht zu umgehen sein.
- a) Wie schätzen die Gewerkschaftsmitglieder zum
Beispiel die tagtägliche Arbeit der Betriebsräte ein? Werden
auch die BR-Mitglieder unter uns nicht meist eher als verlängerter
Arm der Personalabteilung denn als Organisatoren gewerkschaftlichen
Widerstands angesehen? Haben sich die Betriebsräte durch langjährige
Funktionärstätigkeit, zum Teil finanzielle und arbeitsmäßige
Privilegien (Freistellung, Büro-Jobs, Seminare und Reisen, Stellvertreter-
und Spezialistenbewußtsein etc.), durch Distanz zu den Alltagserfahrungen
und in Lebenseinstellung wie Lebensstil nicht selber zu weit von der
Masse der KollegInnen entfernt, so daß sie die BRe eigentlich
nicht mehr zu den ihren rechnen?
- b) Das gilt ebenso bei einer kritischen und konsequenten
Analyse der Gewerkschaftsbürokratie: Die Gewerkschaftsführungen
gaben in den frühen Nachkriegsjahren die politische Debatte über
Alternativen zum Kapitalismus auf und konzentrierten sich auf die Minderung
der negativen Auswirkungen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Mit
dieser Entwicklung ging eine "Entmündigung der einfachen
Mitglieder einher" (Oskar Negt). Viele Funktionäre der
oberen Ebenen hatten ihre Vertragsmachterfolge; die Mitglieder wurden
immer mehr bevormundet, hatten auf den Warnstreikpfiff zu reagieren.
Wobei es um Kampfziele ging, deren Inhalte und Kompromißlinien
von vornherein nicht von der Diskussion und Kampfbereitschaft der Mitgliedermassen
ausging, sondern von der "Finanzierbarkeit" seitens der Kapitalseite.
"Wir mobilisieren nicht, um unsere Forderungen durchzusetzen,
sondern um einen Kompromiß möglich zu machen, der erkennbar
unter dem liegen wird, was wir für berechtigt und gerecht halten"
(H.J. Arlt, DGB-Bundesvorstand) - "Also ein Demokratiedefizit
in der Mitgliedschaft, mit dem wir es noch heute zu tun haben."
(O. Negt)
"In den offiziellen Gremien ist der Umgang ritualisiert...
Als Nachweis erfolgreicher Kommunikationsweise dienen die unterdrückten,
nicht die ausgetragenen Konflikte. Wo sie dennoch auftreten, sind Treue
und Verrat die entscheidenden Wertmaßstäbe für das Verhalten
der Kontrahenten... Drohung, Moralisierung und Belehrung bestimmen das
Klima." (H.J. Arlt) (Wieweit geht diese Haltung von Funktionsverlustangst,
"Treue"-Zwang schon auf Betriebsebene in BR-Gremien wie Vertrauenskörpern?!)
"Bereits in ihren Lebensstilen haben sich mit Sicherheit
sehr viele Funktionäre als Teil dieses Systems betrachtet und nicht
als Gegenpart" (O. Negt). Bei diesen Führungsmitgliedern,
oft bis auf die Orts-und Betriebebene, hat sich auf der Grundlage ihres
Mitbestimmungsbewußtseins und oft aus Minderwertigkeitsgefühlen
heraus eine Imitation von Lebensstilen von Politikern, Bankern, Managern
entwickelt, "eine Art Spießertum, das sich auch im gewerkschaftlichen
Bereich durchsetzte."
War der tiefe Fall von Franz Steinkühler ein Einzelfall?
Daß er kein Unrechtsbewußtsein hatte, braucht uns doch ebenso
wenig zu verwundern wie die verkrampften Bemühungen damals seitens
vieler oberer Gewerkschaftsfunktionäre, ihn "aus Solidarität"
in seiner Funktion zu retten.
Jetzt mehr Mitsprache der Mitglieder in den Gewerkschaften
zu fordern und systematisch zu organisieren, auch mit der Zielrichtung
von mehr Streitkultur und von mehr demokratischer Kontrolle durch die
Basis, wird oft zu einem verbissenen Abwehrkampf der Betroffenen zur Sicherung
ihrer Jobs, ihrer Macht und ihrer Lebensstile führen.
- Soziale, ökologische wie politisch progressive Bewegungen müssen
wir als Chance zur Stärkung auch der Gewerkschaftsbewegung unterstützen.
- Alle Möglichkeiten betrieblicher, branchenbezogener und die Zuliefererbelegschaften
einbeziehender, wie über die Einzelgewerkschaften hinausgreifender,
lokaler, regionaler wie internationaler Vernetzung müssen wir nutzen
zum Erfahrungsaustausch wie zur Organisation gemeinsamer Aktionen.
3. Die Zukunft der Gewerkschaften ist international.
Den veränderten ökonomischen Bedingungen kann nur eine Gewerkschaftsstrategie
gerecht werden, die nicht auf nationale oder regionale - z.B. europazentrierte
- Absicherung der Unternehmerwirtschaft setzt.
Praktisch bedeutet das für uns zum Beispiel:
- Es müssen systematisch Schritte zu internationalem
Zusammenschluß der Gewerkschaften im Sinne einer Weltgewerkschaftsbewegung
in Gang gesetzt werden. Das kann nur als Internationalismus der Basis
angestrebt werden. Zum Bsp.:
- durch breite Information über gewerkschaftliche Kämpfe
in anderen Ländern und deren praktische Unterstützung
durch Solidaritätsaktionen,
- durch Austausch von Erfahrungen und programmatischen Überlegungen
unter Einbeziehung möglichst vieler Mitglieder, und damit durch
den Versuch, sich punktuell auf gemeinsame Forderungen und Aktionen
zu einigen.
- "Global denken - lokal handeln" muß ebenso zum
Prinzip werden wie umgekehrt der Versuch, global zu handeln, in
international abgesprochenen Aktionen für gemeinsame Interessen,
um lokal Erfolg zu haben.
4. Die global sichtbaren Bedrohungen von Massenarbeitslosigkeit,
sozialer Verelendung, Kriegen und ökologischen Katastrophen zwingen
uns mehr denn je dazu, in unseren Gewerkschaften und Belegschaften die
breite Debatte um gesellschaftliche Alternativen zur kapitalistischen
Privatwirtschaft einzufordern und voranzutreiben. Diese Debatte muß
inhaltlicher Bestandteil unseres Ausbaus von Vernetzung sein.
Fragen für die Perspektivendebatte sind zum Beispiel:
- Wo zeigen sich die Widersprüche zwischen vergesellschafteter
Produktion und privater Aneignung heute am deutlichsten, sozusagen als
breit erkennbare und von uns zu nutzende Bruchpunkte der Entwicklung.
Ist mit einer neuen Stufe der globalen Vergesellschaftung der Arbeit
auch eine neue Chance geplanter Produktion mit dem Ziel der möglichst
besten Bedürfnisbefriedigung aller ermöglicht? Mit einer neudefinierten
Vorstellung von "Wachstum": "ökologisch vernünftig,
möglichst global zukunftssicher, global emanzipativ, massendienlich...?
- Wie ist solch ein System von Produktion und Verteilung auf der Grundlage
heutiger Technologie, Produktion und Verteilung und ihrer globalen Vernetzung
vorstellbar?
- Welche Bedeutung käme dabei den Großregionen, Ländern,
Kommunen zu?
- Wie ist die Enteignung und Entmachtung der Kapitaleigner und ihrer
politischen Vertretung auf globalem Niveau vorstellbar?
- Welche Organisationsformen für demokratische Gegenmacht und
perspektivischer Organisation einer von Kapitalzwängen befreiten
globalen Gesellschaft sind vorstellbar?
- Wie weit sind globale Reformbewegungen -z.B. für Frieden, ökologische
Forderungen, gegen Rassismus und Sexismus, für soziale und politische
Forderungen- gerade von uns als GewerkschafterInnen mit voranzutreiben
und mit Hilfe welcher Organisationen (Nicht-Regierungs-Organisationen?
ILO? Rolle von UN-Organisationen? etc), und wo liegen ihre Grenzen?
-
"Ein globaler (oder auch nur makro-regionaler)
Sozialstaat, d.h. aber auch das Projekt eines globalen Reformismus, ist
ebenso utopisch wie die Weltrevolution." (E.Altvater, in "Operationsfeld
Weltmarkt oder: Vom souveränen Nationalstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat",
PROKLA 97, Dez.94, S.525) Andererseits E. Altvater: "In gewissem
Sinne gibt es die Institutionalisierung globaler Staatlichkeit tatsächlich:
in Gestalt von Weltbank, IWF, GATT/WTO, UNO... Aber ... ohne die Regelungskompetenzen
von Nationalstaaten tatsächlich zu ersetzen." (a.a.O S.537
f.) Und: "Auch auf dem Detroiter Gipfel der G7 im März 1994
wurde zum erstenmal...Arbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik
thematisiert, - ein Indiz dafür, daß sich jenseits des Keynesianismus,
aber auch jenseits des neoklassischen Marktliberalismus ein neues politisches
Projekt staatlicher Regulation und Koordinierung von Wettbewerbspolitik
herausschält. Dies zielt offensichtlich auf die Erhaltung eines beschäftigungspolitischen
Minimalkonsenses, an dem alle Staaten, gleichgültig wie sehr sie
gegeneinander konkurrieren, doch interessiert sind." (in: "Beschäftigungspolitik
jenseits von Nationalstaat und 'Arbeitszentriertheit'", WSI-Mitteilungen
6/94,S.350)
Solch eine widersprüchliche Hoffnung auf ein "neues
politisches Projekt" globaler Regulation scheint sich heute zu verbreiten.
(vgl auch J.Brecher, T.Costello, "Global Village or global Pillage",
Boston 1994). Hoffnungsträchtiger mehr Menschen sich in der Auseinandersetzung
um unsere Alltagskonflikte wie um unsere Zukunft in Bewegung setzen. Und
das hängt eben auch von uns ab.
Ist unsere Zukunftsperspektive allerdings, wenn wir uns
all den angesprochenen grundsätzlichen Fragen des Wirtschafts- und
Gesellschaftssystems stellen und darauf setzen, daß wir uns den
Lösungen am ehesten nähern, je mehr Menschen sich in der Auseinandersetzung
um unsere Alltagskonflikte wie um unsere Zukunft in Bewegung setzen. Und
das hängt eben auch von uns ab.
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