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Updated: 18.12.2012 15:51
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Keine Zauberei

Sind Einheitsgewerkschaften den Spartengewerkschaften vorzuziehen? Nicht immer, meint Mike Parker*

Was ist besser – Berufsgewerkschaften oder industrielle Branchengewerkschaften? Die Debatte ist so alt wie die Arbeiterbewegung selbst, und sie widersetzt sich einer einfachen Beantwortung.

So genannte Berufs- oder Spartengewerkschaften organisieren Beschäftigte entlang professioneller Linien, während Einheitsgewerkschaften alle, die für einen Arbeitgeber oder in einer Branche bzw. Industrie arbeiten, in einer gemeinsamen Gewerkschaft organisieren.

Der Streit taucht in der Debatte zwischen der Service Employees International Union (SEIU) und der California Nurses Association (CNA) wieder auf. Während die SEIU versichert, der einzige Weg, es mit den riesigen Krankenhauskonzernen aufzunehmen, sei die Organisierung aller Beschäftigten in einer gemeinsamen Gewerkschaft, vertritt die CNA die Ansicht, nur eine Gewerkschaft von und für Krankenschwestern könne sich in der erforderlichen Weise auf deren Bedürfnisse konzentrieren.

In ähnlicher Weise haben sich erst kürzlich bei United Airlines die Teamsters und die Aircraft Mechanics Fraternal Association (AMFA) bekämpft. Die Teamsters erhoben dabei den Vorwurf, die AMFA sei als Berufsgewerkschaft nur an Mechanikern interessiert, nicht aber an Reinigungskräften oder Gepäckverladepersonal.

In solchen Fällen von Konkurrenz sind aber andere Faktoren entscheidender als die Frage nach Berufs- versus Einheitsgewerkschaft: Welche der beiden Gewerkschaften ist demokratischer, welche hat die besseren Verträge ausgehandelt, welche hat ein größeres Machtpotenzial? Das sollten die Faktoren sein, anhand derer die Beschäftigten entscheiden, welche von zwei Gewerkschaften sie vertreten soll.

Eine sorgfältigere Betrachtung ergibt, dass keine der beiden Formen von vornherein besser geeignet ist, dem kompletten Interessenspektrum der ArbeiterInnen gerecht zu werden.

Ein Schritt vorwärts

Niemand bestreitet, dass Industriegewerkschaften in den 1930er Jahren einen qualitativen Fortschritt für die ArbeiterInnen bedeuteten. Der CIO schob damals die engstirnigen Handwerkergewerkschaften der AFL beiseite, um die ArbeiterInnen in der industriellen Massenproduktion zu organisieren, welche für die Wirtschaft und damit für die Arbeiterbewegung zentral war.

Damals wie heute betont die Organisierung in Branchen die gemeinsamen Interessen aller Beschäftigten. Teilweise kann sie die rassistischen und sexistischen Spaltungen überwinden, die verstärkt aus Eingruppierungen sowie Diskriminierungen bei der Einstellung resultieren.

Zusätzlich macht die Größe der Einheitsgewerkschaften und ihre Dichte in manchen Gemeinden politische Massenaktionen einfacher, im Vergleich zu einer Politik für einzelne Berufsgruppen, die auf Lobbying bzw. die Wahrnehmung spezifischer Interessen abzielt.

Dennoch wurden Spartengewerkschaften von den Einheitsgewerkschaften nicht einfach weggefegt. Während der CIO Millionen organisierte, wuchs die AFL verhältnismäßig sogar noch stärker.

Berufsgewerkschaften machen weiter

Es gab viele Gründe, warum die Berufsgewerkschaften bis heute weitergemacht haben. In den 1930er Jahren stellten sie aufgrund ihrer eher konservativen Politik für die Arbeitgeber keine solche Bedrohung dar wie die Industriegewerkschaften, die einen radikalen politischen Wechsel anstrebten.

Außerdem haben die Spartengewerkschaften die Kontrolle über die Ausbildung und andere berufsspezifische Prozesse stets dazu benutzt, den Zugang neuer ArbeiterInnen zur jeweiligen Profession zu begrenzen. Die daraus resultierende Verknappung von Arbeitskräften lässt die Löhne steigen und verschafft der Gewerkschaft ein zusätzliches Druckmittel. Diese Eingangskontrolle bedeutet, dass die Professionen durch erweiterte Familiennetzwerke und Systeme gegenseitiger Verpflichtung strukturiert sind. Mit der Kontrolle über die berufsbezogene Ausbildung erlangt die Berufsgewerkschaft Macht über die Arbeitsinhalte sowie darüber, wer den Beruf ausüben darf.

Der so gewonnene Einfluss ist allerdings zweischneidig. Einerseits waren Berufsbildung, Familiennetzwerke und kulturelle Homogenität von Vorteil, als Angriffe von den Pinkertons und anderen Spionen des Managements abgewehrt werden mussten. Andererseits, und viel wichtiger, bildeten diese Qualitäten eine Barriere für schwarze sowie Arbeiter ethnischer Minderheiten, und für Frauen. Berufsgewerkschaften, die »das Eigene« verteidigten, haben sich oft gegen soziale Veränderung und soziale Bewegungen gestellt.

Die Kontrolle über den Arbeitsinhalt ist ebenfalls zweischneidig: Häufig haben sich die Gewerkschaften neuen Technologien verschlossen. Diese werden dann wie zum Beispiel bei einer neuen Technologie im Schriftsatz zur Waffe, mit der die Arbeitgeber einst mächtige Gewerkschaften zerschlagen können.

Zur Arbeit berufen

Dennoch bleibt der Ansatz nach Berufen lebendig, denn für die betroffenen Beschäftigten thematisiert er die Arbeitserfahrung direkter. Für die Berufsgewerkschaften spielen spezifische Bedingungen des Berufs, Stolz auf den Beruf und eine professionelle Berufsauffassung die zentrale Rolle.

In einer Autofabrik z.B. sehen die meisten Beschäftigten in ihrem Job nicht mehr als eine Möglichkeit, ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Viele qualifizierte Handwerker sehen ihre Arbeit hingegen als Profession und sind stolz auf ihre Qualifikationen. Viele Menschen werden Krankenschwestern, Lehrer, Mechaniker, Elektriker, gewerkschaftliche Organizer oder Schauspieler, weil sie sich dazu berufen fühlen.

Für diese Beschäftigten sind Fragen der Profession nicht nur subjektiv von Bedeutung; ihr Wissen und Können geben ihnen darüber hinaus Werkzeuge für den Kampf um die Kontrolle ihrer Arbeitsplätze an die Hand. Berufsgewerkschaften haben so einen quasi natürlichen Zugang zu Organisierung »on the job«. Industriegewerkschaften, die berufsbezogene Themen ignorieren, kann es blühen, dass Mitglieder ihnen den Rücken kehren und ihre eigenen Berufsgewerkschaften gründen, wie es die SEIU mit Beschäftigten notärztlicher Dienste und Elektrotechnikern in der Region Bay Area erleben musste.

Gleichzeitig kann die Konzentration auf Professionsfragen zur Ablenkung oder zum Hindernis werden, vor allem in solchen historischen Phasen, in denen Klassenbewusstsein und soziale Bewegungen einen Schub erfahren und die Phantasie der Arbeiterbewegung und der Gesellschaft als Ganzes beflügeln und zur Veränderung anregen.

Damit will ich nicht sagen, dass dies bei Industriegewerkschaften ausgeschlossen ist. Auch eine Einheitsgewerkschaft kämpft vielleicht nur für ihre eigenen Mitglieder statt für die gesamte Arbeiterschaft.

Die United Auto Workers (UAW) haben bspw. jahrzehntelang gegen Vorgaben zur Senkung des Benzinverbrauchs gekämpft, um die Spritfresser der Großen Drei (GM, Ford, Chrysler, Anm. d. Red.) zu verteidigen. Andererseits kämpft die Gewerkschaft CNA, die nur Krankenschwestern vertritt, für eine allgemeine Krankenversicherung.

Sich um alles kümmern

Beide Modelle – Berufs- und Einheitsgewerkschaft – beziehen sich auf wichtige Bereiche unserer Arbeitserfahrung. Eine Arbeiterbewegung, die Macht für die Beschäftigten erlangen will, muss sich um beide Bereiche kümmern.

Prinzipiell sollte dies nicht allzu schwer sein. Eine Branchengewerkschaft kann Unterabteilungen haben, die den spezifischen Bedürfnissen der entsprechenden Berufsgruppen Rechnung tragen. In der UAW haben die Qualifizierten bspw. ihre eigenen betrieblichen Vertreter und wählen einen eigenen Repräsentanten in den Vorstand. Ingenieure und technische Berufe haben ihre eigenen Locals. Auf den Docks der Region West Coast haben die Hafenarbeiter, kaufmännischen Angestellten und Lagerarbeiter jeweils eigene Locals.

Umgekehrt können die Spartengewerkschaften im Umgang mit gemeinsamen Arbeitgebern Verbände bilden. Ein solcher Verband könnte z.B. an einer Universität für die separaten Gewerkschaften der Professoren, Assistenten, Laborangestellten, Bürokräfte sowie des Gebäudepersonals gemeinsam Tarifverträge verhandeln.

Zentrale Gewerkschaftsverbände repräsentieren theoretisch das gemeinsame Klasseninteresse aller Arbeiter in einem Region. Es zeigt sich aber, dass solche Lösungen nicht so gut funktionieren, wie sie sollten. Eine gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung erschwert gewerkschaftsübergreifende Solidaritätsaktionen. So könnte es bspw. als »unfair labor practice« eingeordnet und verboten werden, wenn eine Gewerkschaft sich weigert, den eigenen Tarifvertrag abzuschließen, bis auch die anderen Gewerkschaften ihre Konflikte mit demselben Arbeitgeber gelöst haben.

Noch wichtiger: Gewerkschaftsübergreifende Organisationen sind hauptsächlich auf freiwillige Mitwirkung angewiesen; sie sind notorisch schwach und unterfinanziert. Normalerweise beschränken sie sich selbst auf den kleinsten gemeinsamen Nenner – also auf Aktivitäten, die keinem der Beteiligten Unbehagen bereiten. Und kaum jemals adressiert ein Verhandlungs- oder regionaler Verband die rassistischen oder sexistischen Verwerfungen, die durch Spartengewerkschaften tendenziell verstärkt werden.

Während die Einheitsgewerkschaften manche dieser Probleme bereitwilliger angehen, verursachen sie gleichzeitig andere, und zwar, wie der Detroiter Arbeitshistoriker Steve Babson zeigt, speziell an hierarchisch strukturierten Arbeitsplätzen, wo bestimmten Arbeitern ein gewisses Maß an Autorität hinsichtlich des Arbeitsprozesses zukommt.

Innere Spaltungen

Ausgebildete Krankenschwestern leiten normalerweise Schwesternhelferinnen an. Sie selbst nehmen wiederum oft Direktiven von einer der ihren entgegen – einer »Oberschwester«. An den allermeisten Arbeitsplätzen heutzutage gibt es »TeamleiterInnen«.

Solche Machtverhältnisse können die Arbeitsverteilung und die Gestaltung der Arbeitspläne beeinflussen. Am oberen Ende der Arbeitshierarchie zu stehen, kann Arroganz und Machtgefühle verstärken, und wenn solche ArbeiterInnen auch innerhalb der Einheitsgewerkschaft dominieren, wird das Problem vervielfacht. Die Menschen am unteren Ende der Leiter könnten das Gefühl bekommen, dass sie zu ihrem Schutz eine eigene Gewerkschaft brauchen.

Was wir brauchen, sind Gewerkschaften, die sich um das Leben im Job und die Beförderung von professionellen Qualifikationen kümmern, und ebenso um die gemeinsamen Themen und die gemeinsame Mobilisierung gegenüber dem Arbeitgeber – also den Themen, die alle Beschäftigten gemeinsam angehen.

Organisierungsformen sind keine Zauberei. Es gibt nicht die eine Form, die gegen eine Bürokratie der Selbstbedienung schützt oder Solidarität garantiert. Das kann nur durch Kampf, Bildung, Kreativität und die kontinuierliche Entwicklung neuer Aktiver in den Reihen der Gewerkschaften erreicht werden.

Quelle: Labor Notes, September 2008; Übersetzung: Anne Scheidhauer

* Mike Parker ist Ko-Autor von Martha Gruelle: »Democracy is Power. Rebuilding Unions from the Bottom Up«, A Labor Notes Book, 1999.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/08


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