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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Lektion GdL-Streik Der Tarifkonflikt bei der Bahn spiegelt die organisationspolitischen Schwächen der DGB-Gewerkschaften Es ist wie in einem Kinderstück: die bösen Buben und die guten. Die bösen sollen verlieren. So etwa stellt sich die (DGB-)gewerkschaftsoffiziöze Sicht des Tarifkonflikts bei der Bahn dar. Zwar verfolgten die Bösen teils verständliche Ziele, aber wie sie es täten, per eigenem Tarifvertrag für LokführerInnen, das sei unanständig, nutze eine Vorteilsposition zu lasten der Schwächeren im Unternehmen aus. Und damit scheint fast jedes Mittel im Kampf gegen die bösen Buben gerechtfertigt zu sein, bis hin zum Streikbruch in konzertierter Aktion mit dem Arbeitgeber. In den teils zeitgleich laufenden Bahnstreiks in Frankreich wäre, bei aller Rivalität, keine Gewerkschaft auf die Idee gekommen, einer anderen derart in den Rücken zu fallen und auf ihre Niederlage hinzuarbeiten. Streik ist ein hohes Organisationsrisiko und eine Mutprobe für jeden Einzelnen - das weiß man eigentlich als Gewerkschafter. Schon dieser gewerkschaftliche Sittenverfall zeigt, dass einiges an dem Schwarzweißbild nicht stimmt. In die Irre führt vor allem der vermeintliche Kontrast: hie Standesgewerkschaft GdL und da transnet, Leuchturm der Ideale von Flächentarif und Einheitsgewerkschaft. Als Gewerkschafter muss man eigentlich stutzen, wenn Mehdorn und seine Arbeitgeberfreunde auf allen Kanälen auf einmal die Tarifeinheit beschwören. Mehdorn meint mit Tarifeinheit indes: nur ja keine kleine offensive Gewerkschaft im Unternehmen durchkommen lassen, die dann den großen Sozialpartner unter Zugzwang bringt. Die Personalkosten liefen aus dem Ruder - eine Hypothek für den Börsengang und eine Schwächung der Wettbewerbsposition auf den inzwischen internationalen Verkehrsmärkten. So denkt und agiert leider auch die transnet-Führung - und entfernt sich damit meilenweit vom Grundgedanken der Einheitsgewerkschaft. Einheitsgewerkschaft ist für die Gewerkschaften ein zentraler Begriff, weil er ihren Funktionsmechanismus beschreibt, nachdem sie umso erfolgreicher sind, je besser sie die Konkurrenz der Arbeitskraftanbieter eindämmen können. Organisationskriterien wie Religion, Ethnie, Nationalität, (partei-)politische Orientierung oder Berufsstand stehen diesem Gedanken entgegen. Alles Trennende zu überwinden war eine historische Lektion der deutschen Gewerkschaften. Gewerkschaftseinheit ist aber nicht nur ein schönes und emanzipatorisches Ideal, sondern eine ganz harte ökonomische Erfolgsbedingung für Gewerkschaften. Die Durchsetzung eines Flächentarifs, bei dem in einer Branche für alle vergleichbaren Beschäftigten das Gleiche gilt, ist der entscheidende Erfolgsnachweis jeder Gewerkschaft. Flächentarife sind nicht zeitlos. Verändern sich die Branchenstrukturen, ohne dass die Tarifstrukturen ihnen folgen, verlieren sie das Prädikat "Flächentarifvertrag", allen Präambelbehauptungen zum Trotz. Dann entziehen sich der Arbeitgeber dem Tarifvertrag, weil er für seinen Konkurrenten nicht mehr gilt, und die Beschäftigten werden erpressbar, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze bekommen, wenn ihrem Arbeitgeber aus der Tarifbindung Standortnachteile drohen. Die gewaltigen Verschiebungen von Wirtschaftsstrukturen und Branchengrenzen infolge der globalen Deregulierung und Entgrenzung haben die Gewerkschaften verschlafen und finden sich jetzt in einer historischen Defensive, weil ihre tarifpolitische Durchsetzungsfähigkeit nachhaltig geschwächt ist. Dies ist auch die eigentliche Erklärung für das Phänomen der Standesgewerkschaften à la GdL. Wenn die tariflichen Pegelstände sinken, ragen einzelne stärkere Bereiche heraus. Im Grunde fordern die Spezialgewerkschaften Normales, wie das alle Gewerkschaften jahrzehntelang getan haben. Hinter dem Berufsständischen von GdL & Co verbirgt sich eher der Druck, sich durch Mobilisierung ihrer besonderen Möglichkeiten dem Sog der Großen nach unten zu entziehen. Das Problem ist also weniger die Durchsetzungsfähigkeit der einen als die zunehmende Nicht-Durchsetzungsfähigkeit der anderen. Ein besonders sinnfälliges Beispiel für diese Defizite der DGB-Gewerkschaften ist transnet, die gerade im Bahnkonflikt als Bannerträgerin der Einheitsgewerkschaft figuriert. Statt nach der Erosion des staatlichen Bahnmonopols die Organisationsentwicklung auf die konkurrierenden privaten Anbieter zu orientieren und den Schulterschluss vor allem mit den europäischen Bahngewerkschaften anzustreben, suchte - und fand - transnet den Schulterschluss mit dem Bahnarbeitgeber als einem, wenn auch dem größten Player auf dem neuen Markt. Indiz für diese Ausrichtung ist, dass vermutlich nur etwa 1% der transnet-Mitglieder außerhalb der Bahn AG beschäftigt ist, während dieser Anteil bei der allerdings viel kleineren GdL bei ca. 30% liegen dürfte. Unter gewerkschaftlicher Globalisierung verstand transnet nicht die Aufhebung der transnationalen Arbeitnehmerkonkurrenz, sondern die Mitfahrt im Führerstand der global expandierenden Bahn AG. Wer einmal die Weiche falsch gestellt hat, rollt in die falsche Richtung und findet sich sehr schnell in der Rolle des Co-Managers bei Personalabbau, Reallohnkürzung, Arbeitszeitverlängerung und, besonderer Sündenfall, bei der Privatisierung der Bahn. Statt das einheitsgewerkschaftliche Organisationsprinzip Branche zu praktizieren, folgt transnet dem Eigentümer in andere Länder und Branchen. So macht man sich natürlich keine Freunde bei anderen Gewerkschaften, national wie international, was sich auch auf beiden Ebenen in einer zunehmenden Isolation von transnet äußert. Während der transnet-Zug vom richtigen Ausgangspunkt mit klarem Kurs in die falsche Richtung, weg von Einheitsgewerkschaft und Flächentarif rollt, ist die Sache bei der GdL noch in der Schwebe. Ihrer Herkunft nach klar Standesorganisation, gerät sie - nolens volens - immer mehr in die Rolle einer offensiven und konfliktfähigen Gewerkschaft, die sich der Arbeitgeberlogik entzieht und mit gewerkschaftlichen Mittel gegen deren Folgen kämpft. Folgerichtig verweigert sie dem Privatisierungskurs von Mehdorn/Hansen die Gefolgschaft, wenn auch ziemlich unpolitisch begründet ("noch nicht börsenreif") und lehnt auch das Börsenbahnprojekt Stuttgart 21 ab. GegnerInnen beider Projekte, wie attac oder Peter Conradi, Wortführer der Bahnprivatisierungsgegner auf dem SPD-Parteitag, revanchieren sich durch Unterstützung von GdL-Streikversammlungen, wo sich auch die IGM- und verdi-Fahnen vereinzelter Gewerkschaftslinker unter das GdL-Blau mischten. Die DGB-Gewerkschaften sollten nicht nur ihre feindselige Haltung zum dem Kampf der GdL revidieren, sondern sich auch an die eigene Nase fassen und darüber diskutieren, wie weit sie sich selbst von ihren existenziellen Organisationsprinzipien entfernt haben und wie sie wieder zu ihnen zurückfinden können. Artikel von Werner Sauerborn, Gewerkschaftssekretär im Bereich Politische Planung bei Verdi im Landesbezirk Baden-Württemberg, erschienen unter dem Titel "Der Zug rollt in die falsche Richtung" in der Frankfurter-Rundschau vom 08.12.2007 |