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Thema der Tagung der Otto-Brenner-Stiftung, über die hier berichtet wird, war, wie in Teil I im letzten express zu lesen war, die "Entwicklung eines eigenständigen Verständnisses der gesellschaftlichen Dynamik und der eigenen Interessen der emanzipatorischen Kräfte" und die "Suche nach Konzepten, die für eine kritische Analyse der gesellschaftlichen Veränderung" geeignet sind.
Im ersten Teil zeigte die Autorin im Rückgriff auf frühe Texte von Max Horkheimer, wo die Messlatte einer Kritischen Theorie, die auf den Zusammenhang von Erkenntnis- und Gesellschaftskritik insistiert, liegt. Inwiefern die einzelnen Beiträge an diese heranreichten, sie gar kritisch überwanden, kann der geneigte Leser beurteilen. Im ersten Teil wurden die Beiträge von Ludwig von Friedeburg, Alex Demirovic, Oskar Negt, Jürgen Hoffmann und Harald Wolf referiert, die auf die Diskussion des Verhältnisses von Autonomie, Freiheit und Selbstorganisation zuliefen. Am plausibelsten war begründungstheoretisch noch der Rückgriff auf Kants kritische Bestimmung desselben, mit der Teil I des Tagungsberichts endet. Hier also die Fortsetzung, und wir verraten bis jetzt nur soviel: Der Mörder ist nicht Gärtner.
Auf Basis anderer theoretischer Prämissen als Wolf bzw. Kant, aber am gleichen Phänomen der "bedingten Autonomie" orientiert kam Carola Brede vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut in ihrem Beitrag zum "Problem der Verfügung über die Individualität der Angestellten" zu einem gänzlich anderen Schluss. Anknüpfend an den zerbrochenen "Mythos der besonderen Exklusivität der Kopfarbeit" und die These einer zunehmenden "Durchdringung der Lebenssphären von Arbeit und Privatheit", nahm sie die Frage auf, ob mit der zunehmenden Nachfrage "individualitätsgebundener Fähigkeiten Spielräume der Selbstverwirklichung entstehen", ob sich gar über die "Einübung kommunikativer Anerkennungsformen", die "Förderung von Intellektualität, Erkenntnisbildung und Gestaltungswille", wie sie vor allem mit dem Tätigkeitstypus des "Neuen Angestellten" verbunden sei, die "Menschen endlich als Menschen gegenseitig zum Bedürfnis" würden, wie sie im Anschluss an Marx formulierte. Unklar war hier ihr Bezug auf Foucaults Theorie. Zum einen erforderte für sie die Beantwortung dieser Frage eine Berücksichtigung machttheoretischer Überlegungen, mit denen die Grenzen der "Umdeutung von Arbeit als Freiheitsspielraum der Selbstverwirklichung" und der im kommunikativen Umgang hergestellten "Gleichheit unter den Akteuren" näher bestimmt werden könnten. Dabei unterstellte sie zunächst mit Michel Foucault, dass Macht ein gesellschaftlicher Mechanismus der "Steigerung von Fähigkeiten bei ihrer gleichzeitigen Unterwerfung" sei. Diese Unterwerfung werde akzeptiert, weil und solange Macht als etwas von den individuellen Trägern Abgelöstes gelte, das den Schein eines "unversehrten Freiheitsraumes" entstehen lasse. Die Unterwerfung beruhe also maßgeblich auf der Bedingung, dass die Macht sich selbst verschleiere, unsichtbar mache.
Zum anderen aber führt eine Argumentation, die Machtverhältnisse gerade dadurch bestimmt, dass sie unerkannt, wenn nicht unerkennbar bleiben, auf das Problem, von welcher Warte diese denn überhaupt erkannt werden sollen. Diesen so gewichtigen Einwand gegen machtontologische "Verblendungs"-Argumentationen vorwegnehmend, meinte Brede, wenn es "egal (sei), in welche konkreten Widersprüche die Individuen durch die Nutzung ihrer individualitätsgebunden Kompetenzen verwickelt werden", könnten nur noch jeweils spezifische soziale Effekte verschiedener Formen der Freiheitseinschränkung klassifiziert werden.
An dieser Stelle wechselte Brede den Bezugspunkt, indem sie Foucaults Machtontologie auf handlungstheoretische Dimensionen übertrug, um damit dann doch ohne darauf zu reflektieren, ob dies mit Foucaultschen Vorgaben denn möglich sei konkrete betriebliche Herrschaftsverhältnisse und Akteursperspektiven untersuchen zu können: Selbst die Verfügung über die Individualität der Angestellten im Sinne eines ökonomischen Nutzens basiere darauf, dass diese sich und ihr Selbst auch tatsächlich für ökonomische Zwecke mobilisierten. Die "Unterwerfung", stellte sie fest, basiere daher nicht auf "Zwang und bloßem Sich-Fügen-Müssen", sondern könne so noch als freiwilliger Akt gedeutet werden. Von den Angestellten werde verlangt, ihren untergeordneten Status in einer personellen Hierarchie in egalitäre Beziehungen umzuformen, womit zugleich die Einwilligung in die unternehmerische Zwecksetzung und die Akzeptanz konkreter Zielprojektionen als Rahmen verbunden sei.
Mit diesem Verständnis eines omnipräsenten Machtmechanismus ist nun in der Tat jede Möglichkeit der Kritik als immer schon funktional eingebunden und jede tatsächliche Kritik nur noch als funktionaler Effekt vorstellt. Entsprechend pessimistisch fiel ihr Urteil aus: Zurückgeworfen auf sich selbst, sei es Aufgabe der Beschäftigten, die vom Management vorgegebenen Anforderungen in innere motivationale Dispositionen und Verhaltensregeln zu transformieren, d.h. ihr "Selbst zu gestalten". Zu rechnen sei in diesem Sinne mit einer Komplexität der Anpassungs- und Unterordnungsformen und einer Abnahme von Urteilssicherheit bezüglich der eigenen Person. Es sei also nicht ausgeschlossen, "dass ein individuiertes politisches Bewusstsein regelmäßig nicht entsteht und dass die demokratische Verfasstheit von Gesellschaft im ökonomischen System keine verlässliche Ressource hat".
Der Beitrag rückte damit weitverbreiteten Phänomenen moderner Arbeitskultur zu Leibe: von der Verinnerlichung von bzw. Anpassung an Fremderwartungen, treten sie nun personifiziert oder als sachliche Gewalt auf, über die Schwierigkeiten, Arbeits- und Privatleben trennen zu können, Klagen über gestiegenen Stress und Burn Out-Probleme, unterentwickelte Konfliktfähigkeit, bis hin zur Zunahme psychosozialer und -somatischer Erkrankungen.
Doch auch wenn Brede ihre eigene Perspektive als Kritik an Positionen verstand, die allzuschnell von arbeitsorganisatorischen Änderungen und einer neuen Arbeitskultur auf die Erweiterung von Freiheitsspielräumen oder Emanzipationschancen schlössen, blieb doch umgekehrt offen, ob der Zugang über machtontologische Theorien mehr als die von Wolf angesprochene "Verdopplung von Ohnmachtserfahrungen" sein kann, mit anderen Worten: ob und wo also angesichts der behaupteten Vermachtung aller kommunikativer Beziehungen der Arbeitswelt Kritik noch ansetzen kann wenn nicht außerhalb des Erwerbslebens. Theoretisch geriet sie damit in ein ähnliches Problem, wie einst die Kritische Theorie: Wenn die Kritik am Kapitalismus darin besteht, dass in diesem universale Verdinglichung herrsche, wie lässt sich diese durchschauen, von welcher Perspektive aus überhaupt noch kritisieren?
Ohne die harte Trennung zwischen "System" und "Lebenswelt" direkt zu übernehmen, modifizierte Axel Honneth in seinem Beitrag zum Thema "Verteilung und Anerkennung" die diskutierte Fragestellung nach den jeweils bestimmenden Prinzipien dahingehend, dass es Aufgabe kritischer Theorie sei, jene Dimensionen sozialer Realität zu kennzeichnen, in denen sich Kritik äußere. Jede Theorie, die sich noch kritisch nenne, sei vor das Dilemma gestellt, die Maßstäbe ihrer Kritik angeben zu müssen, ohne dass diese äußerlich im Sinne von transzendent sein dürften. Dieses, so meinte er, hätte die Frankfurter Schule in der Tradition Marxens und Hegels gelöst über den Aufweis der sozialen Verankerung vorwissenschaftlicher normativer Prinzipien, auf die sich wiederum sowohl praktische als auch theoretische Kritik stützen müssten, wenn sie die ihr eigenen Ansprüche als "exemplarische Fälle mit allgemeiner Bedeutung" vor der Öffentlichkeit legitimieren wollten. Dass es dieser verallgemeinerungsfähigen, normativen Gründe bedürfe und dass diese nur anerkennungsfähig seien, wenn sie öffentlich akzeptiert wären, davon ging Honneth aus.
Als zweites Bestimmungsmoment jener vorwissenschaftlichen Praxis kennzeichnete er den "Kampf um Anerkennung als Suche nach den Bedingungen gelingender Identität". Die Durchmusterung von Studien über Protestmotive zeige, dass es ganz wesentlich die Erfahrung von Demütigung und Missachtung persönlicher Identität, also die Verletzung dieser Anerkennungsbedürfnisse sei, die als Movens für soziale Bewegungen fungiere.
Um diese etwas unspezifischen "Motive" aus dem überhistorischen Rahmen des "Kampfs um Anerkennung" zu holen, griff Honneth im Folgenden auf einen Begriff von Gesellschaft als "Ensemble historisch jeweils unterschiedlicher Anerkennungserwartungen" zurück.
Bürgerlich-kapitalistische Gesellschaften seien konstitutiv durch drei Prinzipien, das Prinzip der Liebe als "Verkehrsform im Nahbereich" , der Rechtsgleichheit als "Ablösung der Rechtsstellung vom sozialen Status der Individuen" und der Leistung bzw. Leistungsgerechtigkeit als "Begründung für Statusdifferenzen bzw. der Schichtungsordnung" gekennzeichnet; diese Prinzipien wiesen wechselseitig Bezüge zueinander auf.
Für gewerkschaftliche Praxis relevant dürften vor allem das Prinzip der Rechtsgleichheit und das der Anerkennung von Leistung sein. Distributionskämpfe seien in diesem allgemeinen Sinne als Ankennungskämpfe und im Besonderen auch als Auseinandersetzung um die herrschenden Kriterien der Leistungsbeurteilung zu buchstabieren.
Die Probleme einer Argumentation mit vorausgesetzten normativen Maßstäben der Kritik wurden in der Diskussion in zweifacher Weise verortet: Bleiben diese Bezugspunkte auf der allgemeinen Ebene des Anerkennungskampfes im Rahmen der drei Prinzipien, die Honneth benannt hatte, ist unklar, worin die Differenz zu ohnehin gesellschaftlich vorfindlichen Entwicklungen liegt. Leistung ist dann zwar ein gesellschaftsimmanentes normatives Prinzip, die Ablehnung dieses Prinzips oder auch nur die Abwehr bestimmter Leistungszumutungen kann aber nicht mehr theoretischer Bezugspunkt der Kritik werden. Die sowohl praktische wie theoretische Kritik findet so nicht den gewünschten Halt.
Christoph Görg zog daraus den Schluss, dass ihre Maßstäbe notwendig inkongruent mit jenen Prinzipien seien, auf denen kapitalistische Formen der Vergesellschaftung beruhten. In diesem Sinne seien Honneths Kriterien schlicht zu allgemein.
Werden sie jedoch spezifiziert, so etwa als Distributionsgerechtigkeit, ergibt sich jenseits des Umstands, dass von der individuellen Leistungsgerechtigkeit über Tarifverträge oder staatlich fixierte Mindestlöhne bis hin zum Anspruch einer globalen Verteilungsgerechtigkeit ganz unterschiedliche Vorstellungen zu einem gerechten Preis für Leistung wie auch zu Leistung selbst existieren das Problem, dass sich daraus gegebenenfalls eben keine im Sinne einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz verallgemeinerungsfähigen Normen entwickeln lassen. Die spannende Auseinandersetzung darüber, wie sich die im Rahmen bürgerlicher Verkehrsformen erzeugten normativen Orientierungen, die für sich etwa im Sinne der Forderungen der französischen Revolution Allgemeinheitscharakter in Anspruch nehmen, zu ihren Realisierungsbedingungen verhalten, und welche, auch normative, Dynamik sich aus der Diskrepanz zwischen beidem entwickeln kann, schnitt Honneth damit ab, indem er hier ganz in der Tradition Habermas einen klaren Trennungsstrich zwischen Ökonomie und Ethik zog.
Anknüpfend an Alex Demirovic doppelte Aufgabenstellung an Wissenschaftler und Gewerkschafter, die "gemeinsame Diskussion um Gesellschaftskritik ohne Paternalismus weiterzuentwickeln", blieb es Joachim Beerhorst als Mitveranstalter, resümierend mehrere Stränge für die "Zukunftsdebatte" zu benennen:
Im Anschluss an Oskar Negt ging er zunächst aus von der Notwendigkeit eines veränderten theoretischen Bezugs auf Erfahrungsprozesse und mahnte einen "Materialismus von unten" an: Theorie dürfe nicht im Sinne eines Anwendungsverhältnisses begriffen werden, und sie habe ihre eigenen Voraussetzungen zu reflektieren. Umgekehrt kritisierte er den mehrfach erwähnten Pragmatismus in den Gewerkschaften. Dieser gehe oft mit einer Abwehr gegenüber theoretischer Auseinandersetzung überhaupt einher, stehe jedoch zugleich in merkwürdigem Kontrast zur Suche nach theoretischer "Orientierung". Gegen den allgegenwärtigen Abbau nicht-funktions-gebundener Bildungsarbeit hielt er ein Plädoyer für politische Bildung als einer Möglichkeit der Vermittlung zwischen politischer Praxis und Theoriebildung.
Desiderate einer solchen theoretischen Neuorientierung bestünden einerseits im Theorie- und Methodenverständnis selbst, andererseits im Hinblick auf ihre Gegenstände. Hier sei ein Schwerpunkt in der Untersuchung neuer Leistungskonflikte und arbeitspolitischer Problemstellungen, in denen Auseinandersetzungsbedarf hinsichtlich der Definition von Gerechtigkeitsstandards deutlich werde. Ein weiterer Schwerpunkt müsse an der Frage nach den veränderten gesellschaftlichen und arbeitsorganisatorischen Bedingungen für die Entfaltung von Subjektivität und Emanzipationspotentialen ansetzen. Klärungsbedarf sah er auch hinsichtlich der Verortung von Autonomie ob diese noch auf gesellschaftliche Produktion bezogen werden könne oder ob sie, wie Carola Brede meine, unter das Verdikt der "reinen Immanenz" falle und entsprechend nur noch außerhalb der Produktion für möglich gehalten werde.
Hielt er bis hierhin an der "Kritischen Theorie" (hier groß geschrieben) als fruchtbarem Bezugsrahmen fest, sah er die Grenzen ihres Horizonts dort, wo es um die Notwendigkeit der Bezugnahme auf den Prozess der Globalisierung und der Entwicklung eines politischen Internationalismus gehe und in der Bestimmung der Aufgaben von Gewerkschaften selbst. Drohten diese sich in unfruchtbaren Polarisierungen zwischen "Handlungsfelder-Ansatz" und "politischem Mandat" sowie zwischen "Konsens-" und Konfliktorientierung" zu lähmen, spannte Beerhorst dagegen einen Rahmen auf, der weit genug war, um Bewegung wenigstens denkbar zu machen: von der Ausschaltung von Konkurrenz über den auch institutionell abgesicherten Schutz der Menschenwürde und -rechte, Organisierung um einen weiten Interessenbegriff herum bis zur Feststellung, dass Gewerkschaften eben immer auch politische Organisationen seien.
Dieser Artikel ist erschienen im express, Zeitschrift für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit, 6-7/01
* Es handelt sich um die Fortsetzung von: "Am Ende sucht der Knecht nach Amseln" Über den Versuch, kritische Theorie und Gewerkschaftspolitik (wieder) aufeinander zu beziehen. Langfassung des Artikels von Kirsten Huckenbeck, erschienen in express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2001- hier im LabourNet Germany verfügbar
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