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Updated: 18.12.2012 15:51
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Regulierte Leidverteilung?

Wolfgang Schaumberg zur globalen Strategie der DGB- und IGM-Führung

»Die europäische Diskussion über längere Arbeitszeiten hat direkte Folgen für die Arbeitnehmer in Brasilien. In Deutschland möchten die Unternehmer die Arbeitszeit von 35 auf 40 Std. pro Woche erhöhen. In Brasilien versucht man von 48 oder mehr Wochenstunden auf 40 zu kommen - aber dort bekommen die Gewerkschaften nun zu hören, dass die Arbeitnehmer sogar in einem reichen Land wie Deutschland in Zukunft länger arbeiten müssen. Der Informationsaustausch in unserem Unilever-Netz sorgt in solchen Fällen dafür, dass wir weniger gegeneinander ausgespielt werden können. Das gibt uns in allen Ländern Kraft: Lasst Euch nicht von Geschichten blenden, dass in anderen Ländern alles viel schlechter geregelt ist und dass es dort gar nicht anders gehen würde. Man bekommt viel mehr Selbstvertrauen, wenn man die Globalisierung begreift; die Chancen müssen genutzt werden, statt in der eigenen Fabrik immer nur den Tatsachen hinterher zu hinken.« So beschreibt Patrick van Klink, Facharbeiter und Betriebsrat in der Margarinefabrik von Unilever in Rotterdam, seine Erfahrungen mit dem weltweiten Netzwerk von Betriebsräten und Gewerkschaften im Unilever-Konzern.

Das Zitat gehört zu einem Interview in einer sehr aufschlussreichen und mit zahlreichen Internetadressen, die die internationale Arbeit von Gewerkschaften betreffen, ausgestatteten Broschüre über die globale Zielrichtung und Praxis des DGB und der IG Metall: »Soziale Verantwortung konkret. Regeln für multinationale Konzerne«.

»Die Globalisierung begreifen« - »Die Chancen müssen genützt werden!«, verlangt der Unilever-Kollege. (S. 27) Welches Verständnis von Globalisierung verbreiten nun DGB und IGM in ihrer Broschüre? Wie wird das »Chancen nutzen« gewerkschaftsoffiziell konkretisiert?

I.

»Damit Informationen innerhalb der Konzerne schnell weitergeleitet werden können, müssen Kontakte zwischen den Standorten in einzelnen Ländern, aber auch innerhalb ganzer Regionen aufgebaut werden.« (S. 15) Als beste Instrumente dazu werden die Euro- und die mittlerweile zehn Weltbetriebsräte genannt, insbesondere der bei VW: »In Sachen Mitbestimmung war der deutsche Autohersteller schon immer einen Schritt weiter.« (S. 20) Weltweit seien die Beschäftigten bei VW ja gut organisiert. Zitiert wird Robert Steiert vom In-ternationalen Metallgewerkschaftsbund IMB und zugleich Betreuer der IGM für den Euro- und Weltkonzernbetriebsrat von VW: »Ein Manager in Mexiko muss immer damit rechnen, dass sich seine Arbeitnehmer beim Weltkonzernbetriebsrat beschweren, wenn er sich nicht an die Regeln hält.« (S. 21) Alle VW-Manager haben sich nämlich an die Internationale Rahmenvereinbarung zu halten, die mit dem VW-Welt-BR und in-zwischen mit insgesamt 17 Großunternehmen im Organisationsbereich der IGM abgeschlossen worden ist. Solche internationalen Rahmenvereinbarungen stehen als zentrale Gewerkschaftsstrategie auf globaler Ebene im Mittelpunkt dieser Broschüre. »Wir hoffen, dass es schon bald 25 sind«, so der Abteilungsleiter Internationales beim IGM-Vorstand Bert Thierron. Bei diesen Vereinbarungen geht es immer um die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). »Zu den Inhalten gehört u.a. die Anerkennung der Menschenrechte, der Ausschluss von Diskriminierungen, Kinder- und Zwangsarbeit, das Recht der Beschäftigten, sich Gewerkschaften anzuschließen und Arbeitnehmervertretungen zu gründen, das Recht auf angemessene Bezahlung, gesunde Arbeitsbedingungen und menschliche Arbeitszeiten.« (S. 14)

So weit, so gut. Wer immer jammert, »die Gewerkschaften müssen endlich international aktiv werden«, muss die hier beschriebenen Aktivitäten erst einmal zur Kenntnis nehmen und einsehen, dass »die Gewerkschaften« auch auf globaler Ebene nicht »konzeptionslos« oder gar »hilflos« sind. DGB wie IGM gehören schließlich zum IBFG, zum Internationalen Bund freier Gewerkschaften, der 155 Millionen Mitglieder in 236 angeschlossenen Organisationen in 154 Ländern repräsentiert. (Vgl. www.icftu.org). In diesem Weltgewerkschaftsbund werden derzeit Kampagnen zur weltweiten Durchsetzung der internationalen Rahmenvereinbarungen organisiert. (S. 29) Diese sollten jedoch nicht wie bisher freiwillig ausgehandelt werden, sondern verbindlich für alle Unternehmen gelten. Dafür »trägt der Staat die Hauptverantwortung (...) Im Kern geht es um die bis heute fehlenden verbindlichen zwischenstaatlichen Regelungen zur Durchsetzung einer sozialen Dimension der Globalisierung«. Jürgen Peters, IGM-Vorsitzender, und Dietmar Hexel, Vorsitzender des DGB-Bildungswerkes, beschreiben damit die politisch-ideologische Ausrichtung des gewerkschaftsoffiziellen Internationalismus im Vorwort der Broschüre (S. 3). Die Hoffnung der Gewerkschaftsmitglieder wird auf zwischenstaatliche Regulierungen gelenkt, auf eine »soziale Dimension der Globalisierung« durch verbindliche Verhaltensregeln für die multinationalen Konzerne und ihre Zulieferer.

Dass die ILO-Kernarbeitsnormen weltweit einzuhalten sind kann zunächst als eine absolut berechtigte Forderung unterstützt werden. Und dass die freiwilligen Konzernvereinbarungen von den Unternehmen oft als Mittel zur bloßen Image-Pflege und zu Werbezwecken im Rahmen der »Corporate Social Responsibility« (CSR) missbraucht werden, wird in der Gewerkschaftsbroschüre ebenso seitenlang beklagt wie das Fakt, dass die Einhaltung der vereinbarten Regelungen kaum kontrollierbar ist. So weit, so fragwürdig. Doch was folgt daraus?

II.

»Mit der Unterzeichnung einer Rahmenvereinbarung erkennen Unternehmen die Sozialpartnerschaft auch auf internationaler Ebene an«, so Claudia Rahman von der Abteilung Internationales der IGM. (S. 14) Es sieht so aus, als ob kapitalistische Globalisierung durch - mit den Unternehmen zu vereinbarende bzw. staatlich zu regelnde - globale Sozialpartnerschaft in den Griff zu kriegen sei. Vernünftige Unternehmer sind scheinbar schon freiwillig auf dem besten Wege. Denn: »>Auch Unternehmen profitieren von solchen Vereinbarungen<, sagt Claudia Rahman. >Wenn sich die Arbeitsbeziehungen verbessern, steigt die Produktivität. Das haben Studien gezeigt<. Verbesserungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz, bei Löhnen und Arbeitszeiten binden die Beschäftigten enger an das Unternehmen, und das wirkt sich fast immer auch auf die Qualität aus. Doch trotz solcher Vorteile läuft die Umsetzung der Vereinbarungen nur schleppend an.« (S. 14) Ähnlich argumentiert Thomas Schlenz, Konzern-BR-Vorsitzender bei ThyssenKrupp in seinem Lob der Zusammenarbeit mit brasilianischen Gewerkschaftsvertretern: »Der Konzern profitiert aber auch von dieser Zusammenarbeit. Die Zahl der Streiktage in Brasilien ist deutlich gesunken. Das Image des Unternehmens verbessert sich.« (S. 25) Internationale Kontakte zwischen Belegschaften, Euro- und Weltbetriebsräte sowie konzernweite Vereinbarungen sollen nach dieser Vorstellung also die Globalisierung so regeln, dass den Beschäftigten ebenso wie den Aktionären und ihren Managern Vorteile daraus entstehen.

III.

Da braucht man sich auch nicht zu wundern, dass sich die DGB/IGM-Broschüre eher allgemein an die KonsumentInnen mit der Aufforderung zum bewussten Kaufverhalten richtet und nicht an die Gewerkschaftsmitglieder bzw. Beschäftigten in den multinationalen Konzernen, um diese über den Charakter der Globalisierung und für gemeinsam zu erkämpfende Ziele aufzuklären und zu mobilisieren. Die so eindringlich geforderten internationalen Info-Netzwerke sollen primär die Verhandlungsmacht der Sozialpartner stärken und gemeinsame Streikmaßnahmen o.ä. tendenziell unnötig machen. Die gewerkschaftsoffizielle Praxis »vor Ort« gegen Angriffe multinationaler Konzerne wird dann konsequenterweise so ausgerichtet, wie es z.B. der Welt- und Euro-BR-Vorsitzende bei General Motors/Opel, Klaus Franz, formuliert: »Das Motto heißt: Geteiltes Leid ist halbes Leid!« (in: FR, 9. Juni 2005) Kosten-, sprich Profitprobleme des Managements sind prinzipiell anzuerkennen, es soll aber bitte nicht nur die jeweilige Belegschaft zur Kasse gebeten werden, sondern es geht darum, »das Leid zu verteilen«. Unhinterfragte Hauptsache bleibt die »Wettbewerbsfähigkeit«, die Profitabilität des einzelnen Unternehmens. Als weltweites Vorbild lobt die Broschüre den VW-Konzern, genauso wie es 2002 der damalige IGM-Vorsitzende Klaus Zwickel in seiner Rede am 11. April 2002 auf der IGM-Delegiertenversammlung zur Aufsichtsratswahl bei VW formulierte: »Ein Unternehmen, wo es gelingt, gewerkschaftliche Interessen, unternehmerischen Spitzenerfolg sowie individuelle und gesellschaftliche Belange unter einen Hut zu bringen, das ist schon außergewöhnlich!« (unv. Manuskript, S. 1). Die Beschäftigten an den Bändern und Maschinen bei VW könnten wohl einiges dazu sagen, wie und ob überhaupt die in der Gewerkschaftsbroschüre gepriesenen Vereinbarungen beispielsweise solche »Rechte« wie das »Recht auf angemessene Bezahlung, gesunde Arbeitsbedingungen und menschliche Arbeitszeiten« (S. 14) zumindest in den deutschen Werken gewähren...

IV.

Was ist unter »angemessener Bezahlung« zu verstehen? Dass weltweit die Masse der Menschen zum Überleben darauf angewiesen ist, ihre Arbeitskraft an Privatbesitzer von Unternehmen zu verkaufen, dass diese zum Überleben wiederum gezwungen sind, ihre Produktion im Konkurrenzkrieg gegeneinander auf beste Profitraten und nicht auf beste, sinnvolle Produkte, »gesunde Arbeitsbedingungen und menschliche Arbeitszeiten« auszurichten, solche die Globalisierung als kapitalistische charakterisierenden Grundtatsachen werden in der DGB/IGM-Broschüre im Nebel frommer Sozialpartnerschaftsträume unsichtbar.

Begreift man allerdings die Globalisierung als kapitalistisch geprägte Zwangsentwicklung und fragt dann, wie unser eingangs zitierter Unilever-Kollege, danach, ob und wie Chancen wahrgenommen und genutzt werden könnten, ergibt sich eine ganz andere Zukunftsdebatte, die hier nur angedeutet werden soll [1]:

  • Investiert VW zum Beispiel in China, hat dort eine nicht geringe Anzahl von Menschen zunächst den Vorteil, einen relativ guten Preis für den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu erhalten, wohl auch bessere Arbeitsbedingungen und sogar mehr demokratische Rechte als in vielen chinesischen Betrieben. Gut so: die Leute können sich endlich ein Stück dem Lebensstandard nähern, der ihnen im Fernsehen jeden Tag als typisch für die fortgeschritteneren Industrieländer vorgeführt wird. Im Umfeld der bei den Multis und ihren Zulieferern Beschäftigten - 200 Millionen WanderarbeiterInnen im industriellen Osten Chinas geben ihre Erfahrungen ja auch an ihre Leute in der über 700 Mio. Menschen umfassenden bäuerlichen Bevölkerung weiter - wächst ebenfalls der Wunsch, ähnlich leben zu können. Gleichzeitig wächst aber der Unmut, dass das nicht für immer mehr Menschen immer besser ermöglicht wird. Dass in China die Schere zwischen Arm und Reich wie bei uns weiter auseinander geht, gibt die chinesische Führung inzwischen offiziell zu. Ebenso wird bereits öffentlich diskutiert, dass das sich verbreitende Konsumverhalten mit einer Vorstellung von Wachstum verbunden ist, die durch Umweltzerstörung gefährliche neue Probleme schafft.
  • Mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt in China und lernt in rasantem Tempo nicht nur die modernsten Produktionsmethoden kennen, sondern auch die typischen Widersprüche kapitalistischer Privatproduktion wie Arbeitshetze, Lohndruck oder die »bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt«-Lüge. Forderungen wie z.B. die nach Arbeitszeitverkürzung werden sich durch die Produktionserfahrungen und die Probleme der Arbeitslosigkeit ergeben. Die Zunahme von massenhaften Widerstandsaktionen chinesischer KollegInnen wird längst offiziell zugegeben und in den Zeitungen diskutiert. Die Frage nach grundsätzlicheren Lösungen der zunehmenden Widersprüche wird sich auch dort immer drängender stellen.
  • Das multinationale Kapital bewirkt, dass auch in China zur Zeit immer mehr Jugendliche Englisch lernen. Das Internet wird zunehmend auch zum internationalen Austausch genutzt, auch wenn derzeit noch wenige die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen, um eine Debatte darüber zu führen, wie eine »andere Welt« aussehen könnte. Dass in Zukunft mehr Leute aus China an der Diskussion auf den Weltsozialforen unter dem Motto »Eine andere Welt ist möglich« teilnehmen wollen und Druck machen, das auch zu können, ist abzusehen.

So wird am Beispiel China deutlich, dass und wie das Kapital die Menschen weltweit zusammenbringt, in gleiche Widersprüche und Nöte zwingt und gleichzeitig ungewollt Sprengminen legt, die wir nutzen können zu seiner Beseitigung.

Das Hoffen auf eine sozialstaatliche Regulierung der kapitalistischen Globalisierung ist sinnlos. Deren brutale Folgen anzuprangern und ihre Ursachen aufzuklären macht zwar Sinn, aber noch keine Hoffnung. Hoffnungsträchtig bleibt eher die Chance, mit mehr Menschen weltweit den Austausch über eine andere Form des Zusammenlebens und des Erarbeitens der benötigten und gewünschten Sachen nutzen zu können. Nähern wir uns so einer machbaren Vision, wird die Empörung gegen die kapitalistischen Angriffe auch eher zur Wut, ihren Ursachen an die Wurzel zu gehen.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/06


(1) Vgl. dazu ausführlich Wolfgang Schaumberg: »Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zu einer konkreten Vision«, erschienen in der Reihe »Ränkeschmiede«, Nr. 16, hg. von AFP e.V. und tie e.V., Offenbach, Mai 2006, Bezug über die Redaktion des express. S. auch unter: unter www.labournet.de/diskussion/arbeit/prekaer/anderewelt.pdf pdf Datei


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