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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Yes, we can! Agnes Schreieder über Organisierungserfahrungen in den USA Die USA sind in vieler Hinsicht wegweisend: Wer genauer hinschaut, worauf das Jobwunder USA beruht, kann einen Einblick in die aktive Wiederherstellung und Verbreitung frühkapitalistischer Arbeitsverhältnisse gewinnen, aber auch eine Lektion in Sachen gewerkschaftlicher Strategien, wie sich unter widrigsten Bedingungen solidarische Interessenvertretung und kollektive Organisierungsformen entwickeln lassen. Auch wenn es in rechtlicher Hinsicht (noch) viele Unterschiede geben mag: Auch für deutsche Verhältnisse ist die Frage, wie in einem äußerst gewerkschafts- und arbeitnehmerfeindlichen Klima Outsourcing, Zerschlagung von Kollektivverträgen und Spaltung von Belegschaften begegnet werden kann, welche Möglichkeiten es gibt, quasi »von Null« ausgehend überhaupt Schritte für ein Bewusstsein und eine gemeinsame Interessenartikulation gegenüber Unternehmerwillkür und Ausbeutung zu schaffen, von zunehmender Wichtigkeit. Passend zur Konferenz »You never work alone«, die Ende April von ver.di und Hans-Böckler-Stiftung in Hamburg veranstaltet wird, dokumentieren wir einen Teil eines Reisetagebuchs von Agnes Schreieder, in dem die ver.di-Sekretärin während einer Organizing-Studienreise im Sommer 2004 Beispiele für erfolgreiche Arbeitskämpfe ,in aussichtsloser Lage' festgehalten hat. Im Folgenden geht es um den Fall »Angelica Textile Services«, eine stark expandierende Wäscherei-Kette, die davon profitiert, dass öffentliche Krankenhäuser und Pflegedienste ihre eigenen Wäschereien outsourcen, gegen die Textilgewerkschaft Unite Here! Für den express wurde der Bericht aktualisiert - es deutet alles darauf hin, dass der für den 5. Mai geplante Streik der WäscherInnen dem auf äußerste Sauberkeit angewiesenen >weißen Riesen< große Sorgen bereiten könnte. Durham, North Carolina, 20. August 2004. »Justice for Tim and Alitha« steht in großen Lettern auf Aufklebern, die Fernando Briebezca und Paul Norman, Organizer der Textil- und Hotelgewerkschaft UNITE-HERE! an Beschäftigte der Reinigungsfirma Angelica verteilen. Die beiden Organizer stehen an der Einfahrt zum Betriebsgelände der Großreinigung. Die Aufkleber sollen heute von den Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen getragen werden. Die ArbeiterInnen kommen angefahren, halten kurz und sprechen bei laufendem Motor zwei, drei Minuten an der Einfahrt mit den Organizern. Dann fahren sie durch das Tor aufs Betriebsgelände. Zutritt für die Gewerkschaft verboten. Fernando diskutiert mit zwei Frauen auf Spanisch, dann drückt der Organizer ihnen eine vorbereitete Protestresolution in die Hand, die von den Beschäftigten unterschrieben und der Geschäftsleitung ausgehändigt werden soll. Gewerkschaftliches Engagement mit Folgen Angelica-Beschäftigte hatten Tage zuvor mit der Gewerkschaft UNITE-HERE! zusammen gesessen und mit den Organizern die Aktion verabredet. Es geht um die Unterstützung zweier Kollegen, die vom Unternehmen gemaßregelt wurden. Tim und Alitha sind, wie fast alle Beschäftigten der Wäscherei, erst seit rund vier Monaten bei Angelica in Durham beschäftigt. Tim, ein LKW-Fahrer, holt täglich aus den umliegenden Krankenhäusern schmutzige Wäsche ab und bringt sie gereinigt wieder zurück. So war das jedenfalls bis letzten Freitag. Dann wurde Tim aufgrund der Beschwerde eines Kunden fristlos entlassen. Alitha, eine Arbeiterin an einer der großen Reinigungsmaschinen, ist am Dienstag dieser Woche für drei Tage ohne Bezahlung von ihrem Arbeitsplatz suspendiert worden. Zeitgleich wurde ihr die fristlose Kündigung angedroht. Eine Abmahnung oder einen Verweis haben beide vorher nicht erhalten. Die Organizer und KollegInnen sind der Auffassung, dass die ihnen vorgeworfenen Verfehlungen keinesfalls die Kündigung oder Suspendierung rechtfertigen. Alle bezweifeln die Stichhaltigkeit der Vorwürfe. Tim und Alitha haben sich seit Juni offen dafür eingesetzt, dass sich die Beschäftigten bei Angelica gewerkschaftlich organisieren. Der Angelica Textile Service ist der größte Anbieter für Textilreinigung im Gesundheitswesen der USA. Angelica reinigt für über 1000 Krankenhäuser, Pflegeheime und Kliniken. In mittlerweile 33 Wäschereien, verstreut über die gesamten USA, arbeiten rund 3000 Beschäftigte. Das in St. Louis ansässige Unternehmen vertrieb in seiner Unternehmensgruppe Life Uniform bis vor kurzem zudem Berufskleidung für Gesundheitsberufe. Life Uniform wurde Anfang Juli 2004 verkauft. Das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von zuletzt 374 Mio. US-Dollar und einem Brutto-Gewinn von 98 Mio. US-Dollar (Geschäftsbericht 1/2004) konzentriert sich nun auf eine weitere Expansion des Angelica Textile Service in den USA. Verkauf trotz Protest Angelica hat die vor wenigen Jahren fertiggestellte Wäscherei in Durham erst im April von der DUKE-Uni-versity, einer renommierten privaten Universität in USA, gekauft. Der Verkauf war von Protesten begleitet: Sowohl StudentInnen der Duke-University, allen voran die Gruppe »Students against sweatshops«, als auch örtliche Bürgerinitiativen und -gruppen wie »Jobs with Justice« machten gegen den Verkauf mobil. Beschäftigte aus benachbarten Angelica-Standorten und UNITE-HERE!-VertreterInnen warnten vor dem Verkauf und informierten im Vorfeld über zahlreiche Missstände bei Qualitätsstandards und Arbeitsbedingungen. Es wurde auf gegen Angelica verhängte Strafgelder wegen erheblicher Sicherheitsmängel hingewiesen. Ungeachtet aller Warnungen und Proteste verkaufte das DUKE-University-Hospital, erst vor wenigen Jahren privatisiert, die bislang in Eigenregie geführte Wäscherei an Angelica. Mehr als 40 Beschäftigte, bislang gewerkschaftlich organisiert und durch Tarifvertrag geschützt, müssen ihre Arbeitsplätze in der Wäscherei wegen des Verkaufs verlassen. Der Tarifvertrag verpflichtet die Universitätsklinik, ihnen intern neue Arbeitsplätze anzubieten. Willkür bei Arbeitszeiten und -bedingungen Angelica stellte nach dem Kauf die gesamte Belegschaft in Durham - mit Ausnahme von drei Beschäftigten - neu ein. Die neuen Mitarbeiter haben keine Arbeitnehmervertretung und keine Tarifverträge. Betriebsräte oder andere Organe der Arbeitnehmervertretung kennt das US-amerikanische System der Arbeitsbeziehungen nicht. Die Beschäftigten erhalten entsprechend US-amerikanischem Standard keine schriftlichen Arbeitsverträge. Die Arbeitsbedingungen werden im Einstellungsgespräch von der Unternehmensseite dargelegt und nach Ermessen der Geschäftsführung geändert. Angelica zahlt allen Beschäftigten rund einen Dollar weniger pro Stunde als vorher. Schon vor dem Verkauf war der Verdienst von 7,50 US-Dollar brutto pro Stunde zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel. Die Beschäftigten verdienen ganz unterschiedlich, es gibt keine Systematik und keine Gleichbehandlung, keine verbindliche Zusicherungen für Lohnerhöhungen. Offenbar bestimmen Sympathie von Vorgesetzten und Willfährigkeit der Beschäftigten die betriebliche Lohnpolitik. Frauen und Einwanderer aus Mexiko werden offensichtlich benachteiligt. Fast alle verdienen zu wenig, um sich an der vom Unternehmen angebotenen Krankenversicherung zu beteiligen. Rund 100 US-Dollar etwa müsste eine Beschäftigte mit Kindern wöchentlich einzahlen. Das Gros der Belegschaft arbeitet 35 bis 40 Stunden wöchentlich ohne Kranken- und Rentenversicherung. Ähnlich willkürlich verfährt Angelica mit den Arbeitszeiten. Einzig die Zeiten der Frühschichten scheinen verbindlich festgelegt. Die Beschäftigten erhalten am Ende der Woche einen Arbeitsplan für die nächste Woche, aus dem sie ersehen können, an welchem Wochentag sie frei haben. Es gibt kein Arbeitszeitschema, keine festen freien Tage. Samstage sind begehrte Freizeittage, doch die Beschäftigten sind mangels Freizeitsystem vom guten Willen ihrer Vorgesetzten abhängig. Kurzfristig angeordnete Überstunden stehen auf der Tagesordnung und verlängern viele der Arbeitstage auf zehn oder zwölf Stunden. Probleme, länger dazubleiben, sollten Beschäftigte besser nicht haben. Für die Belegschaft - ganz überwiegend Frauen - ist diese Arbeitszeit-Diktatur ein riesiges Problem. Schon normale Arbeitstage von acht Stunden sind eine gesundheitsschädliche Plackerei. Die Arbeit an den Reinigungsmaschinen und Walzen ist Schwerstarbeit und belastet den Körper enorm. Der Umgang mit verunreinigten und kontaminierten Betttüchern, Textilien und Wäsche ist zudem wegen Infektions- und Verletzungsgefahr hoch problematisch. Hinzu kommt der Psycho-Stress. Respekt und Anerkennung gegenüber Arbeitskräften scheinen für die Geschäftsführung Fremdwörter zu sein. Sie setzen die Beschäftigten unter enormen Leistungsdruck. An den Maschinen und Bändern arbeiten alle im Akkord. Trotz chronischer Unterbesetzung werden Akkordvorgaben willkürlich von der Geschäftsleitung hochgesetzt. In Durham müssen die Beschäftigten diesen Stress ein Jahr ohne Unterbrechung aushalten können. Angelica gewährt ihren Mitarbeitern erst nach zwölf Monaten Betriebszugehörigkeit eine Woche bezahlten Erholungsurlaub pro Kalenderjahr. Überlastung, fehlender Arbeits- und Gesundheitsschutz, unzulängliche Sicherheitsvorkehrungen und unterlassene Unterweisung und Schulung von Personal führen zu überdurchschnittlich vielen Arbeitsunfällen. Viele der Beschäftigten berichten, dass im Fall von Krankheit, selbst bei durch Arbeitsunfälle verursachten Ausfallzeiten, Angelica keinerlei Anzeichen von Sorgfaltspflicht zeigt. Der Gewerkschaft sind im Gegenteil zahlreiche Fälle bekannt, dass Beschäftigten, sobald sie krank wurden, gekündigt wurde. Dabei gibt Angelica ohnehin nicht viel Geld für erkrankte MitarbeiterInnen aus. Für genau einen Tag pro Kalenderjahr gewährt das Unternehmen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Beschäftigten leiden zudem darunter, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeit wirklich gut zu machen. Sie wissen auch, dass ihre Fehler bei Patienten und Beschäftigten in Krankenhäusern böse Folgen nach sich ziehen können. Gewerkschaft will alle Standorte erobern UNITE-HERE! kennt die Arbeitsbedingungen bei Angelica sehr gut. Von 33 Unternehmensstandorten sind 23 inzwischen gewerkschaftlich organisiert. UNITE-HERE! vertritt damit rund zwei Drittel der Beschäftigten und hat für diese - für jeden Betrieb individuell und je nach Durchsetzungsfähigkeit mit unterschiedlichen Regelungen ausgestattet - Tarifverträge mit Angelica abgeschlossen. Anfang 2004 startete UNITE-HERE! eine landesweite Organisierungskampagne, in der Missstände bei Arbeitsbedingungen und Qualitätsstandards öffentlich gemacht wurden. UNITE-HERE! thematisiert auch, mit welchen Mitteln Angelica die Rechte der Beschäftigten auf gewerkschaftliche Organisation torpediert. Ziel der Organisierungskampagne von UNITE-HERE! ist es, alle Angelica-Standorte gewerkschaftlich zu organisieren und mit geeinten Kräften das Tarifniveau deutlich anzuheben. Damit sollen zugleich die Mitbestimmung der Beschäftigten, ihre Bezahlung, Kranken- und Rentenversicherung, grundlegende Arbeitsbedingungen und der Gesundheitsschutz verbessert werden. Das ist ein großes Vorhaben und wegen der harten und ablehnenden Haltung des Unternehmens eine schwierige Aufgabe. Nach US-amerikanischem Recht gibt es keine gesetzliche Arbeitnehmervertretung. Nur in gewerkschaftlich organisierten Betrieben gibt es Shop-Stuarts und GewerkschaftsvertreterInnen, die gemäß ausgehandeltem Tarifvertrag in Fragen der Arbeitsplatzgestaltung und betrieblicher Ordnung mitbestimmen können. Eine Gewerkschaft hat allerdings nur dann das Recht auf Vertretung der Beschäftigten und auf Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeber, wenn sich mehr als die Hälfte der Beschäftigten in einem Betrieb ausdrücklich dafür ausspricht, dass die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber einen Tarifvertrag verhandelt und abschließt. Dazu sind entsprechende Anerkennungskarten zu unterzeichnen. Erst in einem Tarifvertrag werden auch alle wesentlichen materiellen Regelungen wie Stellenbeschreibung und Lohn- und Gehaltstabelle, Zuschläge, Arbeitszeitregelungen, Urlaub, Lohnfortzahlung und vor allem Zahlung von Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber festgelegt. Hausbesuche en détail & en gros Fernando Briebezca und Paul Norman arbeiten seit Juni 2004 als Organizer von UNITE HERE! in Durham. Wenige Wochen vorher hatten sie bereits bei fünf zufällig ausgewählten Angelica-Beschäftigten Hausbesuche gemacht. In diesen Gesprächen, innerhalb einer Organisierungskampagne als »probe« bezeichnet, wird sondiert, wie die Arbeitsbedingungen beurteilt werden und ob Beschäftigte sich für eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne gewinnen lassen. Die Probe fiel positiv aus, UNITE HERE! entschied, die Kampagne auch in Durham zu starten. In den folgenden Wochen, der »Set-Up-Phase« wurden Büroräume angemietet, Kontakte zum örtlichen Vorstand des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO und zu Studentengruppen sowie zu örtlichen Politikern aufgenommen und von der Organizing-Abteilung der UNITE HERE!- Zentrale in New York die landesweite Kampagne vorgestellt. Die Organizer stehen zudem frühmorgens bei Schichtbeginn an der Einfahrt zum Betriebsgelände, um alle Kfz-Kennzeichen zu erfassen und im öffentlich zugänglichen Register die Fahrzeughalter ausfindig zu machen. Ungewöhnliche Umstände führen dazu, dass die Organizer später sogar über eine vollständige Namensliste der Beschäftigten verfügen. In einer »Blitz«-Aktion Ende Juni letzten Jahres besuchten Fernando Briebezca und Paul Norman mit Unterstützung durch fünf weitere UNITE HERE!-Organizer 50 der 54 Beschäftigten zu Hause und sprachen mit ihnen über die gewerkschaftliche Organisierung. Die Resonanz war gewaltig, über 80 Prozent der Beschäftigten unterschrieben schon bei diesem Besuch die Anerkennungskarte für UNITE HERE! Geschäftsführung akzeptiert nichts Die Geschäftsführung von Angelica hätte nun akzeptieren müssen, dass die überwältigende Mehrheit des Personals, belegt durch die Anerkennungskarten, die Vertretung durch UNITE HERE! wünscht, und sie hätte nun unverzüglich Tarifverhandlungen aufnehmen müssen. Angelica dachte aber offenbar nicht daran. Und die Anerkennung der Tariffähigkeit durch den Arbeitgeber sowie die Aufnahme von Tarifverhandlungen war nur durch Vorlage der Anerkennungskarten der Beschäftigten tatsächlich rechtlich nicht erzwingbar. Anders als zahlreiche andere Gewerkschaften in den USA setzen UNITE HERE! und die Beschäftigten bei Angelica jedoch nicht auf eine Anerkennungswahl. Die Anerkennungswahl kann von der Gewerkschaft bei der Arbeitsbehörde NLRB beantragt und gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt werden. Verzögert der Arbeitgeber die Anerkennungswahlen nicht mutwillig, finden sie ca. zwei Monate nach Antragstellung statt. Ein Arbeitgeber hat allerdings eine Reihe legaler und illegaler Mittel zur Verfügung, solche Anerkennungswahlen erheblich hinauszuzögern, sie gänzlich zu verhindern oder die Rechtskraft des Ergebnisses bis zu ein oder zwei Jahre nach der Wahl zu verschleppen. Vor allem aber hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Zeit bis zum Wahltermin für ein so genanntes Union Busting zu nutzen. Wenn eine Anerkennungswahl nicht verhindert werden kann, soll dadurch erreicht werden, dass zumindest weniger als die Hälfte der wählenden Beschäftigten für die Gewerkschaft stimmt. Das verhindert die rechtliche Legitimation der Gewerkschaft im Betrieb. UNITE HERE! fordert von Angelica die Anerkennung der Tariffähigkeit ohne die Anerkennungswahl. Angelica soll sich verpflichten, Tarifverhandlungen aufzunehmen, sobald UNITE HERE! Anerkennungskarten von einer Mehrheit der Beschäftigten vorgelegt hat. Klar ist, dass das nur durch massiven Druck auf Angelica erreicht werden kann. Notwendig ist dafür gewerkschaftliche Kraft aus den Belegschaften und vor allem Druck von außen. UNITE HERE! entwickelt in der Organisierungskampagne gezielt diesen Druck durch Einbeziehung von Kunden, Geschäftspartnern, Politik und Öffentlichkeit. Geld, Zuckerbrot und Peitsche Obwohl die Mehrheit der Wäschereien bereits gewerkschaftlich vertreten ist, widersetzt sich das Unternehmen nicht nur in Durham, sondern an allen weiteren Orten den Organisierungsversuchen. UNITE-HERE! hat in den vergangenen Monaten mehr als 50 Klagen bei der Arbeitsbehörde NRLB gegen das Unternehmen eingereicht. GewerkschaftsaktivistInnen wurden gekündigt, strafversetzt, willkürlich im Arbeitszeitplan eingeteilt. Beschäftigte werden überwacht und kontrolliert, Material der und Gespräche über die Gewerkschaft werden im Unternehmen verboten. Geschäftsführer drohen allen Aktiven mit Kündigung, der Belegschaft wird gedroht, dass für den Fall, dass gewerkschaftlich Organisierungsversuche offenbar werden, Aufträge verlagert werden, was zwangsläufig zu Kündigungen führen würde. In Durham wurde kurz nach der »Blitz«-Aktion und nachdem eine Reihe Beschäftigter offen im Betrieb für die gewerkschaftliche Organisierung eingetreten waren, vom Arbeitgeber die Notbremse gezogen. Nur wenige Tage später fanden die Beschäftigten plötzlich Kaffeemaschinen und Mikrowelle im vorher leeren Aufenthaltsraum vor. Die Geschäftsleitung lädt zum BBQ am Wochenende. Für die Mehrheit der Einwanderer aus Mexiko werden Englisch-Kurse, wenn auch außerhalb bezahlter Arbeitszeit, angeboten. Nach der Methode Zuckerbrot und Peitsche wird gleichzeitig die Gangart der Betriebsleitung härter. Strafversetzung, Androhung von Kündigung und schließlich Kündigung von Tim und Suspendierung von Alitha folgen. Wenn neue Beschäftigte eingestellt werden, werden sie bereits am ersten Tag von Anti-Gewerk-schaftern agitiert und vor den »Umtrieben« von UNITE HERE! gewarnt. Angelica's Vorstandsvorsitzender Stephen O'Hara gibt an, dass das Unternehmen im ersten Quartal 2004 immerhin 300 000 US-Dollar zur Abwehr gewerkschaftlicher Organisierungsversuche ausgegeben hat. Hochgerechnet auf das laufende Geschäftsjahr lässt sich das Unternehmen laut UNITE HERE! die Behinderung der Gewerkschaft rund 13 Prozent des Nettogewinns des Vorjahres kosten. Das Unternehmen bezeichnet den Feldzug gegen die Gewerkschaft offiziell allerdings als »Corporate Terrorist Campaign« (www.angelica.com/Angelica ). Organizer: Steter Tropfen höhlt den Stein Im Sommer standen Fernando Briebezca und Paul Norman zwei bis dreimal wöchentlich an der Einfahrt zum Angelica Betriebsgelände, sprachen mit den Beschäftigten und warben um Teilnahme an Gewerkschaftsversammlungen und gewerkschaftlichen Aktionen. Zunächst luden die beiden einmal pro Woche, später alle zwei Wochen zu Treffen der Beschäftigten ein. Anfangs kamen rund 30, nach knapp zwei Monaten nahmen regelmäßig rund 15 Beschäftigte an den Treffen teil. Fast täglich besuchen die beiden zudem Beschäftigte zu Hause. Schließlich zogen etwa 15 Beschäftigte mit Unterstützung der örtlichen Bündnispartner zum größten der von Angelica belieferten Krankenhäuser und gaben dort eine Protestnote ab. Diese Aktion und die Beschreibung der Missstände vor Ort fand große Aufmerksamkeit und ermutigte die Beschäftigten zum Weitermachen. UNITE HERE! hat in der Organisierungskampagne bislang sowohl in den USA als auch international Druck auf das Unternehmen entwickelt. In ihrer Kampagne betont UNITE HERE! den Zusammenhang von Qualitäts- und Sicherheitsmängeln und schlechten Arbeitsbedingungen. UNITE HERE! hat in einer eigenen, breit angelegten Untersuchung zahlreiche Mängel festgestellt und dazu einen Qualitätsbericht verfasst. Die Gewerkschaft hat zudem zahlreiche Anzeigen bei der Arbeits- und Gesundheitsschutzbehörde gegen Angelica erstattet. Schon die ersten Entscheidungen haben an verschiedenen Standorten zu Bußgeldzahlungen in Höhe von insgesamt 500000 US-Dollar geführt. Zahlreiche weitere Anzeigen werden noch bearbeitet. Die Arbeits- und Gesundheitsschutzbehörde veröffentlicht ihre Entscheidung, eine weitere Behörde stellt öffentlich fest, dass die für das Gesundheitswesen vorgesehenen Sicherheitsstandards bei Angelica nicht durchgängig gesichert sind. Die im UNITE HERE!-Bericht vorgetragenen Zusammenhänge zwischen Qualitätsmängeln und schlechten Arbeitsbedingungen werden von einem durch die Gewerkschaft beauftragten Sachverständigen durch eine weitere Studie wissenschaftlich untermauert. UNITE HERE! hat genaue Recherchen zu Kunden und Auftragsvolumen angestellt und tritt gezielt an die Angelica-Kunden heran. Untermauert mit Berichten über mangelnde Qualität der Arbeit von Angelica fordert UNITE seit Monaten gezielt verschiedene Krankenhäuser und Kliniken auf, im eigenen Interesse Einfluss auf die Arbeitsbedingungen bei Angelica zu nehmen. Eine Reihe der Kliniken und Krankenhäusern sind gewerkschaftlich organisiert, viele davon in der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU oder der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst AFSME. Über fünfzig GewerkschaftskollegInnen, die die Belegschaften dieser Häuser repräsentieren, wenden sich an Krankenhausvorstände und -verwaltungen und versuchen so, indirekt Druck zu entwickeln. Recherchieren und Agieren im In- und Ausland Bei der bis vor kurzem zur Angelica Corporation gehörenden Unternehmensgruppe Life Uniform stellte UNITE HERE! zahlreiche Verletzungen von internationalen Abkommen fest. Die Unternehmensgruppe verkauft Berufskleidung für Gesundheitsberufe und bezieht die Kleidung meist aus Entwicklungsländern, in denen unter schwierigsten Bedingungen produziert wird. In Zusammenarbeit mit Gewerkschaften aus Lateinamerika und Asien wird deshalb bei hochrangigen politischen und Verwaltungs-Vertretern in den USA Beschwerde gegen Angelica eingelegt. UNITE HERE! adressiert nach dem Verkauf der Unternehmensgruppe Life Uniform ihre Protest- und Boykottaufforderungen an den Käufer. Beschäftigte im Gesundheitswesen werden aufgefordert, Berufskleidung solange nicht von diesem Unternehmen zu beziehen, solange internationale Abkommen nicht eingehalten werden. In Durham bleibt die DUKE - Universität auch nach dem Verkauf der Wäscherei an Angelica der Hauptadressat von Protesten. Die Universität hatte sich vor einigen Jahren in einer von progressiven StudentInnen und Lehrkräften angeforderten Kodex auferlegt, keine Geschäftsbeziehungen mit »Sweatshops«, Betrieben mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, einzugehen. Trotz dieser Selbstverpflichtung wurde die Wäscherei an Angelica verkauft und die gesamte Textilreinigung für das Universitätsklinikum und weitere universitätseigene Kliniken an Angelica vergeben. Die Studentengruppe »Students against Sweatshops« und UNITE HERE! haben bereits zahlreiche Forderungen an die Universitätsleitung gerichtet. Chancen nutzen trotz Dauerstress Inzwischen planen die Angelica-Beschäftigten in Durham eine weitere Aktion. Angelica steht mit der County-Verwaltung gerade in Verhandlungen über einen Reinigungsauftrag von rund 50000 US-Dollar für die Berufskleidung der Sanitäter und Notfallärzte. In einer erst wenige Wochen alten Entscheidung hat der Haushaltsausschuss festgelegt, dass Aufträge der County-Verwaltung nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten nachweislich den örtlich festgelegten Mindestlohn, den »living-wage«, in Höhe von 9,74 US-Dollar pro Stunde zahlen. Angelica hatte die Verhandlungen deshalb zunächst auf Eis gelegt und sich offenbar geweigert, ihren Beschäftigten zugunsten des neuen Auftrages durchschnittlich rund zwei US-Dollar mehr pro Stunde zu bezahlen. Nun soll in der Kommunalverwaltung beraten werden, ob der Großauftrag auch ohne Mindestlohnzahlung an Angelica vergeben werden soll. UNITE HERE! reagiert in zweierlei Richtung: Zum einen wird versucht für den Auftrag ein neues Angebot einer gewerkschaftlich organisierten Wäscherei einzureichen. Zum anderen werden rund 15 Angelica-Beschäftigte und örtliche Bündnispartner an der öffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses teilnehmen. Geplant sind kurze Stellungnahmen der Beschäftigten zu ihrer Verdienstsituation und Berichte von Betroffenen über den Druck, der auf sie wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements ausgeübt wird. Zahlreiche Pressevertreter hatten sich schon bei UNITE HERE! angemeldet. Alle Beteiligten richten sich darauf ein, dass die Kampagne noch mehrere Monate dauern wird. Für die Beschäftigten und Organizer eine Herausforderung. Weitere Wochen bringen Dauerdruck und Stress mit sich, unklar ist, wie massiv und mit welchen Methoden Angelica weiterhin versuchen wird, die gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern. Trotzdem sind die Aktiven bei UNITE HERE! optimistisch. Ausblick Für den 5. Mai plant die Gewerkschaft einen US-weiten Streik an den organisierten Standorten falls Angelica Textile nicht einlenkt und Tarifverhandlungen aufnimmt. Ende April laufen die Tarifverträge in den meisten der organisierten Betriebe aus. Unite will diese Gelegenheit nutzen, um das Unternehmen auch in den bislang nicht organisierten Betrieben unter Druck zu setzen, dort eine Arbeitnehmervertretung zuzulassen. In der überwiegenden Anzahl der Betriebe sind bereits Streikabstimmungen durchgeführt worden - mit positivem Ergebnis für Unite. Schlecht allerdings für Angelica: Das Unternehmen reagiert äußerst nervös und spricht von einer »Verleumdungskampagne«, die einen schlechten Eindruck bei Kunden, Beschäftigten, Aktionären und in der Öffentlichkeit insgesamt hinterlasse. In der Tat könnte ein Streik die Firma empfindlich treffen: Gerade weil Krankenhäuser und Pflegedienste ihre Wäschereien outgesourct und an Angelica vergeben haben, würde eine Arbeitsniederlegung sofortige Wirkung bei den Kunden zeigen. Und nicht zuletzt ist dies ein Dienstleistungsbereich, in dem ein »sauberes Image« viel wert ist. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/05 |