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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Boykottiert, was Euch kaputt macht! Kleine Boykottkunde von Wilfried Schwetz*, Teil II Don't work, don't talk, don't do, don't buy - neben einer knappen Typologie unterschiedlicher Boykottformen hatte sich Wilfried Schwetz in Teil I seines Beitrags ausführlich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des Boykotts beschäftigt. Die Spielräume liegen hier zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Anwendung wirtschaftlichen Zwangs auf die zum Boykott Aufgerufenen einerseits sowie zwischen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten und dem Recht, von Boykotten Gebrauch zu machen, wenn ein Arbeitskonflikt mit anderen Mitteln nicht lösbar ist, andererseits. Ein weites Feld, im dem die Widersprüche konfligierender Grundrechte zur Entwicklung kommen. Mit dem folgenden Teil II setzen wir den Beitrag von Wilfried Schwetz (siehe Teil1) und damit unsere Serie über »neue/alte Arbeitskampfformen« fort: VII. Boykotte, soziale Bewegungen und Arbeitskämpfe Boykotte haben eine lange Tradition in sozialen Kämpfen. Sie wurden erfolgreich eingesetzt von Befreiungs-, Antidiskriminierungs- und social justice-Bewegungen. Am bekanntesten sind die Boykotte von Bussen und Geschäften durch die US-Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre gegen Rassentrennung und -diskriminierung, die Anti-Apartheid-Boykotte südafrikanischer Produkte in den 1970/80er Jahren (»Kauf keine Früchte aus Südafrika«) oder die indische Befreiungsbewegung 1919-47 (Rückgabe von Britischen Titeln, Auszeichnungen und Ehrenämtern, Boykott britischer Waren und Gerichte, Schulboykott). Auch Umweltbewegungen setzen dieses Mittel oft ein (z.B. der Shell-Boykott wegen der geplanten Versenkung der Ölplattform Brent Spar). Boykottaktionen sind integraler Bestandteil des social movement unionism. Sie werden benutzt wegen einer zumeist schwachen gewerkschaftlichen Verhandlungsposition, eines geringen Organisationsgrads oder rechtlicher Beschränkungen des Streikrechts. In diesen Fällen sind Streiks häufig aussichtslos. Viele Gewerkschaften haben ihre Ziele nur unter Zuhilfenahme von breit angelegten Boykottaktionen durchsetzen können. Gerade in Ländern mit diktatorischen Regimen und/oder einem hohen Anteil von Arbeitenden im informellen Sektor haben die Menschen außer dem Boykott kaum andere Widerstandsmöglichkeiten. Deshalb waren Boykotte ein probates Mittel, gegen unterdrückerische Regime vorzugehen; so wurde der jahrelange Kampf gegen das Marcos-Regime auf den Philippinen zum großen Teil von Boykotten verschiedener Art getragen. Bei klassischen Streiks nutzen die Arbeiter ihre Macht auf dem betrieblichen Arbeitsmarkt; diese Macht erodiert allerdings angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Verlagerungsdrohungen, der Fragmentierung von Firmen und der zunehmenden Prekarisierung von Arbeit. Auch in Deutschland wächst der informelle Sektor, in dem es schwer ist zu streiken und der durch eine traditionell orientierte und strukturell überkommene Gewerkschaftsarbeit nicht erreichbar ist. Den Unternehmern fällt es immer leichter, Ansätze zu Streik und Gegenwehr in den Belegschaften schon im Keim zu ersticken. In weiten Bereichen der Wirtschaft sind so die Belegschaften zu schwach für klassische Arbeitskämpfe geworden. Ähnlich wie in vielen Entwicklungsländern, aber auch in den USA, könnten Boykotte hier ein Mittel sein, etwas von der verlorenen Kampfstärke zurückzuholen. Während in klassischen Arbeitskämpfen der Konflikt im Rahmen des Arbeitgeber-Arbeiternehmer-Verhältnisses verbleibt, dehnt ein Boykott ihn in die Gesellschaft aus. Er verwandelt den Arbeitskonflikt in einen gesellschaftlichen Konflikt. Damit wird die Gesellschaft auch mitverantwortlich dafür, was hinter den Fabriktoren geschieht; der Arbeitskonflikt ist nicht länger eine »private« Angelegenheit. Denn in der Tat ist nicht einzusehen, warum sich eine Gesellschaft das sozial zerstörerische und maßlose Verhalten der sog. »Unternehmer« gefallen lassen sollte - und damit die fortwährende Schädigung der Lebensmöglichkeiten der Menschen in Kauf nehmen muss. Asoziales Unternehmerverhalten geht alle an und nicht nur die unmittelbar betroffenen Belegschaften, denn jeder ist von den Folgen letztendlich betroffen - sei es durch Arbeitsplatzabbau oder fehlende Steuereinnahmen und darauf folgende Kürzungen kommunaler Angebote. Boykotte können daher ein Mittel sein, in dem jeder Einzelne seinen Protest gegen sozial schädliches Verhalten zum Ausdruck bringen und überdies wirtschaftlichen Druck aufbauen kann. Damit rückt der »Faktor Arbeit« in seiner zweiten Funktion neben seiner Produzententätigkeit (soweit er überhaupt noch produziert) ins Zentrum: in seiner Rolle als Konsument. Durch diese Blickfelderweiterung wird das starre Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, das üblicherweise von Gewerkschaften ausschließlich betrachtet wird, aufgebrochen, und das ganze Bild kommt zum Vorschein. Dies meint das gesamte soziale und wirtschaftliche Netzwerk eines Unternehmens samt Zulieferern, Kunden, Kreditgebern, Subventionen, Steuerzahlungen, Sponsoring, Arbeitsrechten. Damit Boykotte erfolgreich eingesetzt werden können, müssen sich allerdings die Gewerkschaften als gesellschaftliche Kraft verstehen und stärker integrieren. Dazu bedarf es der Bewegung - in den Gewerkschaften und gemeinsam mit sozialen Bewegungen. Nicht umsonst sind Boykottstrategien in anderen Ländern untrennbar mit dem sog. social movement unionism verknüpft - Gewerkschaft als soziale Bewegung, die auch das gesamte Repertoire von sozialen Bewegungen in ihren Kämpfen einsetzt - wobei Boykotte eine zentrale Rolle spielen. Einige US-Gewerkschaften sind diesen Weg gegangen, nachdem wirtschaftliche Umstrukturierungen, bürokratisches Agieren und eine gewerkschaftsfeindliche Politik zu einem fortwährenden Bedeutungsverlust geführt haben. In diesem Prozess befinden sich auch die deutschen Gewerkschaften, und die US-Erfolge sollten uns positiv stimmen. Wie bei der detaillierten Beschreibung der verschiedenen Boykott-Typen (s. Teil I) deutlich geworden sein dürfte, ist unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg, dass man sich klar darüber ist, wen, was, mit welcher Strategie und welchem Ziel man boykottiert. Darüber hinaus braucht es einen langen Atem und die notwendigen personellen, finanziellen und organisatorischen Ressourcen. Nichts ist schlimmer, als einen Boykott auszurufen, der sang- und klanglos verpufft. Damit demonstriert man seine Schwäche und mangelnde Unterstützung durch die und in der Gesellschaft. Das heißt, ein Boykott, ob ausgerufen oder nicht, muss Teil einer umfassenden Kampagnenstrategie sein, die zum Konflikt passt und eine breite Öffentlichkeit umtreibt. Sie bedarf als Basis einer umfassenden Recherche über das angegriffene Unternehmen, um die schwachen Punkte, die besten Argumente und erfolgversprechende Strategien auszuloten. Es ist nicht das gleiche, ob man z.B. Lidl wegen Verletzung von Arbeitsrechten und Lohndrückerei in den Filialen oder Tchibo wegen unhaltbarer Zustände bei den Zulieferfirmen boykottieren will - oder Siemens wegen Lohnraubes. Aufklärung und Bildungsarbeit müssen eine zentrale Rolle spielen, um gegen das süße Gift der Unterhaltungs- und Zerstreuungsindustrie anzukommen. Dafür müssen Gewerkschaften Kampagnennetzwerke und Freiwilligenstrukturen aufbauen. In den bisher bestehenden Hauptamtlichenstrukturen ist dies nicht zu schaffen. Zentrales Element bei Organisierungskampagnen ist die Überwindung von Furcht, Apathie und des Gefühls der Aussichtslosigkeit bei den Beschäftigten sowie die Entwicklung von Solidarität und Selbstbewusstsein. Boykotte können durch ihre wirtschaftliche Druckentfaltung eine angemessene Solidaritätsaktion der breiten Gesellschaft sein, die demonstriert, dass die Belegschaften nicht allein stehen. Das gleiche gilt allerdings auch für die Boykottierenden selbst! Auch sie können das Gefühl der Ohnmacht gegen die allgemeinen Zustände überwinden und sich etwas von ihrem Stolz zurückholen. Das weit verbreitete Gefühl »man kann eh nichts machen« ist eine der wesentlichen Machtressourcen von Politik und Kapital; sie verhindert, dass man etwas unternimmt, selbst wenn dies möglich ist. Breite Boykottbewegungen könnten an diesem Punkt Wirkung entfalten und Bewegungen anstoßen. Deshalb sollten sich nicht nur die Gewerkschaften über Boykotte als Kampfmittel viel mehr Gedanken machen. Der Konsumentenboykott (»Ethisches Einkaufen«) sollte ganz oben auf der Agenda von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen stehen. Dazu braucht es Kriterien, Kaufempfehlungen und dazu wiederum eines umfassenden »Labelings«. Das Minimum dafür sollten die Core Labour Standards der ILO sein (Vereinigungsfreiheit, Recht auf Tarifverhandlungen, Verbot von Zwangsarbeit, Abschaffung von Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung; www.ilo.org). Wenn es um hiesige Firmen und Produkte geht, müssten Tariftreue, sozialversicherungspflichtige und dauerhafte Arbeitsplätze und Mitbestimmung, aber auch korrekte Steuerzahlung elementar sein. Ein wesentliches Hindernis für erfolgreiches Boykottieren scheint mir das fehlende Wissen um Alternativen zu sein. Man kann es Kleidungsstücken im Allgemeinen nicht ansehen, unter welchen Bedingungen sie hergestellt sind (der Preis ist beileibe kein Kriterium), von den Zuständen in den Firmen weiß man meist nichts. Und wenn doch, kann man nicht einschätzen, ob es bei der Konkurrenzfirma besser ist. Information ist also wesentlich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Boykotte ein traditionelles Mittel des Widerstands in sozialen Konflikten sind. In der gegenwärtigen Situation könnte es auch eine angemessene und erfolgversprechende Gegenstrategie in Arbeitskonflikten sein. Eine Debatte über Boykotte als gewerkschaftliches Widerstands-mittel ist dringend geboten. * Wilfried Schwetz, Diplom-Sozialwirt, lebt in Hannover, betreibt Unternehmensforschung und engagiert sich in der globalisierungskritischen Bewegung sowie im Aufbau transnationaler Kampagnen. Literatur
Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/06 |