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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Keine Racherezepte Anton Kobel über neue und alte Arbeitskampfformen in älteren und neueren Büchern Warum eigentlich immer Streik? Ohne Zweifel haben Streiks ihre Berechtigung, und ein paar Streiktage mehr in der Statistik würden den hiesigen Verhältnissen gut tun. Doch auch streiken will gelernt sein, das zeigt nicht zuletzt der gerade beendete Kampf der GDL, der als solcher bisweilen gar nicht wahrnehmbar war, aber auch die noch laufende Tarifrunde im Einzelhandel. Nicht nur als Anregung für die Weiterentwicklung des Streiks als Arbeitskampfform, sondern auch für Situationen, in denen Streiks nicht möglich sind, lohnt ein Blick in Geschichte und Gegenwart alternativer Arbeitskampfformen: Boykott – Sabotage – Kampagne – Rache am Chef – Katzenmusik – Bummeln – Krankfeiern – Dienst nach Vorschrift – dümmer, als der Betrieb erlaubt – Leistung dimmen – Betrieb besetzen – Bluffen – Blockieren – Shit in – kollektives Furzen usw. usf.! Den umfassendsten Einblick in Arbeitskampfformen gibt noch immer »A Troublemaker’s Handbook 2 – How to fight back where you work and win!« (»Ein Handbuch für Unruhestifter – wie man im Betrieb kämpfen und gewinnen kann«). Dieses von der Zeitschrift »Labor Notes« in Detroit herausgegebene, 378-seitige Standardwerk ist und bleibt unübertroffen. [1] Da noch immer kein deutschsprachiges und auf den hiesigen Verhältnissen basierendes »Gesamtkampfkunstwerk« vorliegt, bleibt nur der immerhin auch ergiebige sowie immer wieder erfreuliche und die Phantasie anregende Weg durch Werke einzelner Autoren (z.B. »Die Geburt der Sabotage«, »Rache am Chef«, »Anleitung zum Mächtigsein«) bzw. die Dokumentationen von Tagungen kleinerer Gruppen (z.B. express/AFP; OrKa) sowie den lesenswerten Materialband »Neue Arbeitskampf- und Aktionsformen«, der noch 2001 von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) herausgegeben wurde – wenige Monate, bevor die HBV in ver.di aufging. [2] Dieser HBV-Materialband kam erst neun Jahre(!) nach einem diesbezüglichen Gewerkschaftstagsbeschluss von 1992 zu Stande, was schon damals ein deutlicher Hinweis für die Geringschätzung neuer Kampf- und Aktionsformen in Teilen der Gewerkschaft bzw. ihres Hauptvorstandes war. Inzwischen ist der Eindruck nicht zu übersehen, dass dieses gewerkschaftliche Handlungswissen beim Aufgehen von HBV in ver.di mit untergegangen ist. Folgen dieses Untergangs sind auch im nunmehr schon fast zwölf Monate dauernden Tarifkampf im bundesweiten Einzelhandel sichtbar. Die begrenzte Streikfähigkeit von ver.di im Einzelhandel bzw. die begrenzte ökonomische Wirksamkeit der Streiks bringen ver.di in der größten Branche des privaten Dienstleistungsbereichs an den Rand einer nachhaltigen Niederlage. Warum ver.di im Einzelhandel auf eine strategische Öffentlichkeitskampagne gegen die Handelskonzerne in dieser Frauenarbeitsbranche verzichtet, keine öffentlichen Diskussionen über Boykotts organisiert, keine arbeitskampfergänzenden Betriebsratsstrategien entwickelt, keine Solidaritätsstreiks in den zergliederten, von out- und ingesourcten Abteilungen strotzenden Kauf- und SB-Warenhäusern in Erwägung zieht, auf die öffentliche Unterstützung von neuen sozialen Bewegungen, Prominenten und Menschen »guten Willens« verzichtet, bleibt angesichts der ziemlich dramatischen Lage unverständlich. Konkrete Anregungen, nicht Rezepte gibt’s einige in dem Materialband von 2001! Kampagnen In den letzten 15-20 Jahren sind Kampagnen Bestandteil von Kampfformen der sozialen Bewegungen geworden. Die alte soziale Bewegung »Gewerkschaft« hat lange Zeit gebraucht, ihre – auch historisch immer umstrittene – Fixierung auf Streikformen aufzugeben und z.B. Druck-Kampagnen als wirksames Mittel des Arbeitskampfes zu praktizieren. Die fast schon legendäre Schlecker-Kampagne von HBV in 1994/95 blieb so zu lange einzelnes Beispiel neuer gewerkschaftlicher Kampfformen. Immerhin gab es in HBV – aus verständlichen Gründen, auch denen von Schwäche – immer mehr GewerkschafterInnen, die Kampagnen praktizierten, bis hin zum Versuch der gewerkschaftsinternen Verallgemeinerung auf der 1. Kampagnentagung im Jahr 2000 in Bonn. Die zunehmenden Schwächen im traditionellen Arbeits- und Tarifkampf sowie die immer häufiger auftretenden Notwendigkeiten, auch betriebliche und lokale Kämpfe zu führen, machten Kampagnen als gewerkschaftliches Mittel dann in wenigen Jahren »hoffähig«. Die Folgen waren ein fast inflationärer Gebrauch, jedoch kaum Aufarbeitungen der gemachten Erfahrungen. Neben einzelnen, kleineren Versuchen einer Aufarbeitung ist hier die von verschiedenen ver.di-Gliederungen, OrKa und express/AFP veranstaltete Tagung »Kampagnen – eine Kampfform der Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen« (November 2005 in der NGG-Bundesschule Oberjosbach) zu erwähnen. Ihre internationale Ausrichtung und das rege Interesse an dieser Tagung zeugen von der Bedeutung neuer Aktionsformen. Große öffentliche, auch internationale Aufmerksamkeit erregte die von ver.di im Dezember 2004 mit einem Schwarzbuch schwungvoll begonnene und fast drei Jahre andauernde LIDL-Kampagne. Seit Sommer 2007 dümpelt diese Kampagne vor sich hin und droht jetzt in den ver.di-Gremien, Budgetierungen u.ä. zu versanden. Ob dieses Versanden endgültig ist oder ob es gar den Abgesang auf die Arbeitskampfform »Kampagne« insgesamt einläutet, ist wohl noch nicht endgültig entschieden, steht aber zu befürchten. Eine Niederlage gegen den Trendsetter LIDL/Schwarz-Konzern würde ver.di – nicht nur im Handel – ebenso hart und nachhaltig treffen wie eine Niederlage im Tarifkampf des Einzelhandels. Immer wieder mal zu hörende negative bzw. zweifelnde Einschätzungen zur LIDL-Kampagne (»relativ erfolglos«, »nach drei Jahren hat’s zu wenig Mitglieder und neue Betriebsräte gebracht«, »zu geld- und personalintensiv«, »immer nur LIDL, es gibt auch andere«) lassen nicht nur die Erfolge dieser ver.di-Kampagne außer Acht, u.a. den Imagegewinn, den Beispielcharakter für eine Mitmachgewerkschaft, die Öffnung von ver.di in die Gesellschaft hinein sowie Mitgliederzuwächse bei den Discountern. Sie zeigen auch den Mangel an Kreativität, Mut und Offenheit für neue Erfahrungen und deren Aufarbeitung bei einigen »Führungskräften« und deren fehlende Ausdauer und Zähigkeit in der Auseinandersetzung mit multinationalen Konzernen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Wer allerdings nach dem »Rezept Kampagne« nun einfach alternativ zu einem neuen Wundermittel namens »Organizing« greifen will, verkennt die Krisensymptome des »Patienten Gewerkschaft«. Die Bedürfnisse der aktiven GewerkschafterInnen sind differenzierter und umfangreicher. Dies zeigt die TeilnehmerInnenzahl bei der Tagung »Neue und alte Arbeitskampf- und Organisierungsformen inner- und außerhalb des Betriebs. Alternativen zur ewigen Fortsetzung der Niederlagen« im November 2006 in der ver.di-Bundesschule Gladenbach, die von express/AFP, Uli Wohland (OrKa) und Labournet Germany veranstaltet wurde. Ein Blick in die Geschichte: Boykott und Sabotage Es liest sich, als ob es gestern, heute und morgen sei – und nicht schon 111 Jahre her! Im Jahre 1897 setzte die französische Gewerkschaft CGT auf ihrem 9. nationalen Kongress eine »Kommission zum Studium neuer Aktionsformen« ein. Deren Bericht »Boykott und Sabotage« (im Original »Boykottage et Sabottage«) und die Auseinandersetzungen und Diskussionen zu diesem Thema finden sich in der vorzüglichen, 54-seitigen Broschüre »Die Geburt der Sabotage – Wie die Sabotage unter die ArbeiterInnen kam« von Michael Halfbrodt, erschienen im Syndikat-A Medienvertrieb, Moers, September 2007 für nur 3 Euro! Zur Sabotage gehört »das gezielte Lahmlegen von Maschinen und Betriebsabläufen« ohne destruktive Absicht (S. 9). Entgegen landläufiger gewalttätiger Vorstellungen ist Sabotage: «Jeder fachkundig ausgeübte Eingriff in Produktionsmaschinen ohne die Absicht, diese zu zerstören oder sie auf Dauer zu beschädigen, sondern sie nur temporär zu behindern und funktionsunfähig zu machen.« (S. 10) Also die »Verlangsamung der Produktion«, »die Bummelei«, »schlechte Arbeit«, »Arbeit ohne Lust und Initiative«, »Pfusch« u.ä. (S. 10f.) Interessant zu lesen die knapp formulierten Gedanken zu »Generalstreik« und »Teilstreik« (S. 13), die Verweise auf Kampfformen in England wie »Für schlechten Lohn schlechte Arbeit« (S. 14), der Hinweis »Man braucht nur zwei Sous in geeigneter Weise mit Vorbedacht zu verwenden, um eine Lokomotive vollständig außer Betrieb zu setzen« (S. 16) und auf das »Handbuch des perfekten Elektrikers« (S. 18). Kurz gefasst ist dies auch ein Kampf »um die Kontrolle des Arbeitsprozesses, um die zunehmende Unterwerfung der Arbeit unter das Kapitalkommando« (S. 16). Der »Bericht der Boykottkommission« (S. 21-29) ist ein Dokument innergewerkschaftlicher Diskussion zu den Fragen »Wann und warum Boykott und wann und warum Sabotage?« In den Worten von 1897: »Die Sabottage ist die kleine Schwester des Boykotts. Und Himmelarsch, in einer Vielzahl von Fällen, in denen der Streik unmöglich ist, kann sie den Proleten verflucht gute Dienste leisten.« (S. 31) Und dass das ganze keine Hirngespinste sind, sondern Ideen, die infolge veränderter wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen sowie sich verändernder Produktionsmethoden entstanden sind, wird auf den 54 Seiten deutlich. Ein lesenswertes Kleinod! Und jetzt: »Rache am Chef« In dem unternehmerorientierten Verlag Econ ist 2007 schon in der 4. Auflage »Rache am Chef – Die unterschätzte Macht der Mitarbeiter« von Susanne Reinker zum Preis von 16,95 Euro erschienen. Das Buch enthält eine Widmung: «Für alle wirklich guten Chefs: diejenigen, für die sich jeder Mitarbeiter jederzeit ein Bein ausreißen würde.« Ob tatsächlich so viele Chefs dieses Buch kaufen? Oder ob die vier Auflagen vielleicht vor allem von »Rachedurstigen« wegen der vielen »schlechten Chefs« verursacht wurden? Diese »Rachedurstigen« finden auf den 204 Seiten viele Anregungen. Es bleiben Zweifel, ob dieses Werk wirklich als Warnruf gedacht ist oder nicht eher als Satire oder gar als »klammheimliches« Handbuch zum Selber-/Nachmachen. Auf jeden Fall ist es eine Fundgrube und ein Sammelsurium, das vom Einfallsreichtum der scheinbar Ohnmächtigen Zeugnis ablegt. »Das Buch führt allen Beteiligten die Macht der Mitarbeiter vor Augen«, wie Susanne Reinker selbst schreibt (S. 15). Vielleicht legt sie gerade deshalb kategorisch fest: »Nein, es handelt sich nicht um ein Racherezeptbuch« (ebd.). Wer »Rache am Chef« gegen den Strich, d.h. gegen die oben zitierte Absicht der Autorin liest, kann sich alleine vieles mit großer Wirkung ausdenken. Und wer das dann noch kollektiv denkt und tut, hat eine stattliche Auswahl – auch moderner – Arbeitskampfformen: innere Kündigung oder stiller Boykott, »kleine, aber feine Guerilla-Aktionen« (S. 87), Dienst nach Vorschrift (S. 91), Schauspieltalent und Dickfelligkeit (S. 92), Formen der verlangsamten Arbeit, des ersatzlosen Streichens von Eigeninitiative, Ideen oder von leidenschaftlichem Einsatz (S. 93), unterlassen, stehen lassen, liegen lassen (S. 94), Arbeit vortäuschen und Pseudoarbeiten (S. 98ff.), Leistung dimmen (S. 101) oder Krankfeiern/sog. »sick out« (S. 106). Ergiebig für den alleine Suchenden sind die Seiten 116-147, auch unter den Gesichtspunkten »legal – illegal – scheißegal, weil legitim«. Computererfahrene können ihre Phantasien befruchten durch vielfältige Beispiele auf den Seiten 158ff. Stichworte: Sabotage, Umgang mit Kunden, Rache per Mausklick, Email-Bomber, Anregungen aus dem Netz. Beeindruckend sind die im Anhang (S.201f.) aufgeführten zahlreichen gewalttätigen Beispiele. Diese Auflistung könnte noch leicht ergänzt werden: Im November 2001 hatte die Belegschaft von Moulinex zur Vermeidung von Entlassungen gedroht, die Fabrik in Cormelles-le-Royal in die Luft zu sprengen. Die Drohung hat gewirkt. Wer sich der »Rache am Chef« lesenderweise bedienen will, muss nebenbei mit manch süffigen bis schlüpfrigen, augenzwinkernden und zustimmungsheischenden Formulierungen klarkommen. Der Gebrauchswert ist deutlich höher als der literarische Gehalt. Anders arbeiten – bei vollem Gehalt »Neue Arbeitskampfformen in einem modernen Dienstleistungsbetrieb« enthält die Dokumentation des einjährigen Arbeitskampfes bei Transmedia in Mannheim. Im Jahr 2000 kämpften die 200 Beschäftigten mit der Gewerkschaft HBV erfolgreich für einen Tarifvertrag. Es gab 35 Tage Streik – pro Woche maximal zwei ganze oder mehrere halbe Tage – und fünf Aussperrungstage sowie neun Monate »Dienst nach Vorschrift«. Diese »Kombination« von Formen des Arbeitskampfes basierte auf der speziellen Form einer hochqualifizierten Belegschaft, die zu 76 Prozent befristete Arbeitsverträge unterschiedlicher Dauer hatte. Die befristet Beschäftigten konnten sich leichter am Dienst nach Vorschrift, d.h. dem Absenken der Produktivität sowie »begrenzten Regelverletzungen« und »Formen des zivilen Ungehorsams« beteiligen als an einem unbefristeten Streik. Die Broschüre »Anders arbeiten – bei vollem Gehalt« von Jens Huhn, August 2001 ist über den express zu beziehen. Anleitung zum Mächtigsein Das 1984 erstmals in einer guten Übersetzung in Deutschland, 1999 dann in der 2. Auflage erschienene Buch »Anleitung zum Mächtigsein« von Saul D. Alinsky (Lamuv Taschenbuch 268) ist ein Klassiker (Vgl. Peter Hauschild: Kampf gegen Privatisierung, in: express Nr. 01/2005). Es enthält ausgewählte Schriften des 1909 geborenen und 1972 verstorbenen, legendären Organisators von Bürgerrechts- und Gewerkschaftsbewegungen. Sein Credo: »Ihr müsst Macht haben, und Macht bekommt Ihr nur, wenn Ihr euch organisiert!« (S. 11) Wie das in unterschiedlichen Situationen gelingen kann, zeigt er anhand anschaulicher Beispiele. Dabei gilt für die Taktik: «das zu tun, was man kann, mit dem, was man hat.« Und weiter: »Nutzt die Macht des Gesetzes, um das Establishment zur Einhaltung seiner eigenen Regeln zu zwingen. Verlasse den Erfahrungsbereich des Gegners; bleibe im Erfahrungsbereich deiner Leute. Lege Wert auf Taktiken, die deinen Leuten Spaß bringen. Die Drohung ist gewöhnlich abschreckender als die Aktion selbst.« (S. 147) Legendär Alinskys Beispiele »eines gemeinsamen Furzens« von 100 Schwarzen gegen Rassendiskriminierung im Konzert eines Symphonie-Orchesters sowie eines kollektiven »shit in« zur Lahmlegung der Toiletten auf dem Flughafen von Chicago (S. 150-152). Weitere Beispiele folgen auf den Seiten 152ff. Auch Alinskys Buch ist kein Rezeptbuch, sondern eine Anregung und ein Aufruf: zum eigenen Denken! Für ergiebige Phantasien! Zur Selbstermächtigung der kleinen Leute und ihrer Organisationen! Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 02-03/08 Anmerkungen (1) Das Buch kann über den express zum Preis von 18 Euro bezogen werden. (2) Eine 30-seitige Kurzfassung dieser Broschüre ist für 3 Euro über den express zu beziehen. |