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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fliegende Teppiche Wettbewerbsfähigkeit - erstrebenswertes Ziel für Gewerkschafter und Belegschaften? Stärkung, Sicherung, Wiederherstellung der Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsfähigkeit, so lauten die Formeln, mit denen Öffnungsklauseln in Flächentarifen durchgesetzt, Betriebsvereinbarungen mit Lohnabsenkungen begründet, nationale oder europäische Sozialpartnerabkommen verabschiedet werden. Ob diese Begriffe auch eine konsistente Orientierungsgröße für Belegschaften und ihre Gewerkschaften darstellen können, dieser Frage ging Rainer Roth* auf der Herbst-Tagung der Autokoordination vom 29.-30. Oktober in Bad Sassendorf nach. Wir dokumentieren seinen überarbeiteten Beitrag: In der Pforzheimer Vereinbarung von Februar 2004 bekannten sich IG Metall und Gesamtmetall ausdrücklich zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen bis auf 40 Stunden sollen mit Zustimmung der Gewerkschaft auch dann schon möglich sein, wenn dadurch die zu-künftige Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden könnte, nicht nur dann, wenn eine aktuelle Krise zu bewältigen ist. Im Gegenzug sollen Arbeitsplätze gesichert werden. Viele Kollegen erhoffen sich von der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen ebenfalls, dass sie ihre Arbeitsplätze und damit die Voraussetzung für den Verkauf ihrer Arbeitskraft sichern können. Was ist Wettbewerbsfähigkeit? Wettbewerbsfähigkeit heißt nicht in erster Linie, besser zu arbeiten als andere oder im Wettbewerb mit anderen bestehen zu können. Die Wettbewerbsfähigkeit bezieht sich letztlich ausschließlich auf die Rendite eines Unternehmens: »Unternehmen müssen sich so aufstellen, dass sie sich im internationalen Wettbewerb behaupten können. Das Umfeld spielt eine große Rolle. Kündigen Sparkassen an, dass sie ihre Eigenkapitalrendite auf 15 Prozent verbessern wollen, klingt das maßvoll im Verhältnis zur Deutschen Bank. Diese kündigte Umstrukturierungen mit dem Ziel an, ihre Eigenkapitalrendite von 17 auf 25 Prozent zu steigern. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Deutsche Bank an ihrer internationalen Konkurrenz orientieren muss, wie etwa den Schweizer Banken UBS und Credit Suisse, der Citigroup, der Royal Bank of Scotland oder der HSBC. Dort sind Renditen von mehr als 20, ja sogar von über 30 Prozent vor Steuern üblich.« (BDI-Präsident Thumann, Financial Times Deutschland, 4. April 2005) Kern der Wettbewerbsfähigkeit ist die Rendite in einer bestimmten Höhe und sonst gar nichts. Das gilt für alle Wirtschaftszweige, nicht nur für die Banken. Bezogen auf ein Land als Standort bedeutet Wettbewerbsfähigkeit: »Die Rentabilität des eingesetzten Kapitals bestimmt ... maßgeblich ... die Standortqualität eines Landes.« (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 10/2000, S. 31) Doch wie hoch muss die Rendite sein, damit Wettbewerbsfähigkeit besteht? Das ist unklar. Die Wettbewerbsfähigkeit ist auf jeden Fall immer dann nicht ausreichend, wenn die Renditen unterdurchschnittlich sind. Da aber niemand einen Überblick über die Renditen insgesamt hat, weil sie auf Privateigentümer entfallen, orientiert man sich zunächst an der Konkurrenz. Wenn Porsche 13 Prozent Rendite hat und Daimler nur vier Prozent, gilt Daimler als nicht wettbewerbsfähig. Wenn aber Toyota noch höhere Renditen aufweist, Toyota ebenfalls nicht. Das Kapital will zumindest eine durchschnittliche Rendite erreichen. Unterdurchschnittlich bedeutet eigentlich schon »unrentabel«. »Das führt immer wieder zu der schwierigen Lage, dass Mitarbeiter auch bei ordentlicher Gewinnsituation von Unternehmen bei Umstrukturierungen entlassen werden.« (Thumann) Eben deswegen, weil die Rendite im Verhältnis zu Renditen von Konkurrenten zu niedrig ist. Allerdings ist der Horizont des Kapitals nicht auf den jeweiligen Wirtschaftszweig beschränkt. Das Kapital orientiert sich auch an der Rendite von Finanzanlagen. Diese schließt auch Kursgewinne ein, die mit Wertsteigerungen von Unternehmen usw. zu erzielen sind. Das Kapital zieht sich aus allen Bereichen zurück, in denen kurz- oder langfristig keine ausreichende Rendite zu erzielen ist. Letztlich kann das Kapital aber mit keinem Stand der Wettbewerbsfähigkeit, d.h. mit keiner Rendite zufrieden sein. Kapital strebt nach einer möglichst überdurchschnittlichen Rendite, insbesondere wenn es nur Geldkapital ist. Die Wettbewerbsfähigkeit wäre aber selbst dann zweifellos noch höher, wenn der Abstand der Rendite zur Konkurrenz noch größer würde. Das Bedürfnis des Kapitals nach Profit ist insofern unstillbar. Die Konkurrenz der Kapitalien untereinander erzwingt das. Denn Konzerne, die heute noch an der Spitze der Profitraten stehen, können morgen schon zurückgefallen sein. Peter Hartz, der Verflossene, und immer noch IG Metall-Mitglied, äußert dazu: »Wettbewerb heißt heute, auf einem Teppich laufen, der unter einem fortgezogen wird, um gleichzeitig bewegliche Ziele zu treffen. Das Gefühl der Sicherheit kennt nur noch derjenige, der schneller läuft, als der Boden entgleitet.« (Hartz: »Jobrevolution«, Frankfurt 2001, S. 121) Die ruhelose Unersättlichkeit und chronische Unzufriedenheit des Kapitals liegt folglich in seiner - gesellschaftlichen - Natur. Wenn LohnarbeiterInnen das Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren, unterwerfen sie sich damit dem Heißhunger des Kapitals nach Profit und verlieren jede Selbständigkeit dabei, ihre Interessen zu vertreten. Sie müssten sich dafür einsetzen, dass die Profitrate z.B. von zehn Prozent auf 15 Prozent steigt und zu diesem Zweck befürworten, dass sie bei geringerem Lohn mehr arbeiten. Sie wären von vornherein in der Defensive. Eine Arbeiter- bzw. Gewerkschaftsbewegung mit selbständigen Interessen ist auf dieser Basis nicht möglich. Nur Ohnmacht und Resignation bzw. das Sich-Fügen in Lohnsklaverei bliebe übrig, verbunden mit dem Appell an das Kapital, doch ein Einsehen zu haben. Dagegen schwächt der Kampf um höhere Löhne oder Verkürzung der Arbeitszeit bzw. für alle Forderungen, die auf eine Verbesserung der Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft abzielen, die Wettbewerbsfähigkeit, weil er die Profite und damit die Profitraten mindert. An das Kapital zu appellieren, sich doch mit einem Gewinn als solchem zufrieden zu geben, ist der vergebliche Versuch, so etwas wie »Gerechtigkeit« und eine »soziale Balance« in das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital einzubauen. Exkurs: zur Relevanz von Umsätzen und Exportraten Wenn das Kapital Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung fordert, um seine Rendite zu steigern, halten Gewerkschaftsführer oft entgegen: »Aber wir sind doch Exportweltmeister, sind also schon wettbewerbsfähig, sonst wären wir doch kein Exportweltmeister. Deshalb könnt ihr uns doch in Ruhe lassen. Was wollt ihr eigentlich?« Die Wettbewerbsfähigkeit drückt sich aber nicht in erster Linie in der Höhe des Umsatzes bzw. des Exportüberschusses aus, sondern in der Höhe der Rendite. Ford hat seinen Umsatz von 2000 bis 2003 gesteigert, seine Rendite aber ist gefallen, weil 2003 1,1 Mrd. Euro Verlust ausgewiesen wurden. (FR, 5. November 2004) Höherer Umsatz kann auch durch Rabattschlachten zustande kommen. Die USA z.B. haben ein riesiges Handelsbilanzdefizit. Dennoch waren dort die Nettoprofitraten des verarbeitenden Gewerbes zumindest von Mitte der 80er Jahre bis weit in der 90er Jahre im Durchschnitt höher als in Deutschland. (Vgl. Brenner: »Boom & Bubble«, Hamburg 2002, S. 53) Die USA galten deshalb als wettbewerbsfähiger. Die maßlose Exportabhängigkeit Deutschlands ist auch eine Folge dessen, dass der Binnenmarkt in Deutschland bei gleichem Kapitaleinsatz und gleicher Produktivität erheblich kleiner ist als der der USA, so dass die Exportlastigkeit umso größer sein muss. Daraus eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, d.h. höhere Renditen abzuleiten, zielt ins Leere. Der bloße Verkauf von Waren ist genauso wenig das wichtigste Ziel des Kapitals wie die Schaffung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen oder die Zahlung von möglichst hohen Löhnen, um möglichst viele Waren verkaufen zu können. Waren zu verkaufen, Marktanteile zu erobern und Lohnarbeiter zu beschäftigen, all das sind ausschließlich Mittel zum Zweck der Kapitalverwertung. Die Stolz darauf, Exportweltmeister zu sein, übersieht, dass es für das Kapital keinen Grund zur Bescheidenheit geben kann, auch wenn man es noch so sehr dazu auffordert. Leider gibt es keine Berechnungen, wie hoch die Renditen einzelner Konzerne der Automobilindustrie sind bzw. der Branche als Ganzer (und wenn es sie geben sollte, spielen sie in der Argumentation keine Rolle). Dazu müsste man sich einen Überblick darüber verschaffen, wie hoch das in Sachanlagen, Gebäuden und Vorräten investierte Kapital ist, sowie über das für Personal ausgegebene Kapital, insbesondere das für ArbeiterInnen. Die Gewinne müssten vor Steuern, Zinsen und Mieten/Pachten und nach deren Zahlung berechnet werden. Daraus würde sich dann z.B. ergeben, dass die Rendite von Daimler 2004 oder auch 2005 immer noch niedriger war als die z.B. von 2000, dem Jahr des Höhepunkt des letzten Aufschwungs. Nicht zuletzt daraus lässt sich auch die Aggressivität ableiten, mit der Daimler die Rendite durch Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung zumindest auf das alte Niveau anheben will. Mit Aussagen wie: »Heute schwimmen die Konzerne in einer Profitflut, ersaufen schier im Geld und geizen dennoch mit Investitionen. Jahr für Jahr steigen die Profite, zuletzt explodierten sie förmlich ...,« werden die Probleme vertuscht. (Fred Schmid/Conrad Schuhler: »Bilanz 2004«, isw-wirtschaftsinfo 37, April 2005, S. 35) Auch bei steigenden Gewinnen können die Renditen fallen. Investitionszurückhaltung ist nicht zuletzt eine Folge »zu niedriger« Profitraten. Die größere Aggressivität des Kapitals, mit der es Löhne senken will, ebenso. Arbeitsplatzsicherung durch Wettbewerbsfähigkeit? Arbeitgeber, Bundesregierung und DGB haben sich 1998 in einem Bündnis für Arbeit verpflichtet, »gemeinsam auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit hinzuarbeiten und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nachhaltig zu stärken.« (Rainer Roth: »Nebensache Mensch«, Frankfurt a.M. 2003, S. 508) Obwohl die Organisationsform des Bündnisses für Arbeit aufgekündigt wurde, existiert es von der Grundhaltung der DGB-Führung immer noch weiter. Wie aber wird die Wettbewerbsfähigkeit, d.h. die Rendite gestärkt? Die Steigerung der Produktivität, d.h. des Abbaus von Arbeitsplätzen, ist eines der wichtigsten Mittel dazu. Das Ziel des Kapitals besteht jedoch nicht in der Schaffung von Arbeitsplätzen. Götz Werner (Inhaber von dm, der zweitgrößten Drogeriemarktkette Deutschlands) auf die Frage: »Wie wichtig ist ihnen die Schaffung neuer Arbeitsplätze?« »Überhaupt nicht wichtig. Sonst wäre ich ja ein schlechter Unternehmer. (...) Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist, es die Menschen von der Arbeit zu befreien. (Na ja. Die Lohnarbeit völlig abzuschaffen ist für das Kapital nicht möglich, weil es dann ja auch sich selbst abschaffen würde. Das Kapital verkörpert nichts Anderes als unbezahlte Arbeit; R.R.) Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen. (...) Kein Unternehmer fragt sich morgens, wenn er in den Laden kommt: Wie kann ich heute möglichst viele Menschen beschäftigen? Allein die Vorstellung ist schon absurd. Die Frage lautet umgekehrt: Wie kann ich mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Ressourcen möglichst viel (...) erreichen. (...) Arbeit einzusparen. Das ist ein absolutes unternehmerisches Prinzip.« (Stuttgarter Zeitung vom 02. Juli 2005) Werners Ehrlichkeit ist erfrischend gegenüber der herrschenden Verlogenheit, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als wichtigstes Ziel ausgibt - dies allerdings nur, um dadurch einen Druck auf Lohnsenkungen auszuüben. Die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals wird also im Wesentlichen nicht dadurch gestärkt, dass immer mehr Leute eingestellt, sondern dass möglichst viele abgebaut werden und die Produktivität der Verbleibenden steigt. Das gilt überall, auch im Herz der deutschen Industrie, der Metallverarbeitung (s. Tabelle).
Der Maschinenbau hat einen Weltmarktanteil von 20 Prozent. Er gilt als besonders wettbewerbsfähig. Die Beschäftigtenzahl lag hier 1991 bei 1,6 Mio. Im Jahre 2005 sind es noch 858000. Die Automobilindustrie zählte 1991 828000 Beschäftigte. 2004 waren es nur noch 770000. (FR, 29. Januar 2005) Doch abgebaut wird überall, wie ein Blick auf die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen in Deutschland zeigt: 1991 waren dies noch 29,50 Mio., 2004 war die Zahl auf 23,75 Mio. gesunken, d.h. 5,75 Mio. oder rd. 20 Prozent weniger. 2005 sollen es weitere 300000 weniger sein, 2006 weitere 200000. (Vgl. Monatsberichte Deutsche Bundesbank, Juli 2005, S. 16) Das Kapital führt den Konkurrenzkampf mit dem Abbau der Zahl der LohnarbeiterInnen. Das ist die gesamt-wirtschaftliche Tendenz. Das Ganze ist allerdings relativ. Denn wenn ein Unternehmen auf Grund günstiger Produktionskosten Marktanteile gewinnt, weil es über den Preis seine Konkurrenten aus dem Feld schlagen kann, kann es unter Umständen seine Produktion bzw. seine Verkaufszahlen auf Kosten anderer stärken. Dadurch kann es in der Lage sein, die Zahl seiner Beschäftigten zu erhalten bzw. sogar noch zu erhöhen. Konkurrenz ist ja immer auch Konkurrenz von Einzelunternehmen untereinander. Während so z.B. der Einzelhandel insgesamt die Zahl der Arbeitsplätze verringert hat, haben einzelne Konzerne die Zahl ihrer Beschäftigten auf Kosten anderer erhöht. Dasselbe gilt auch für die Konkurrenz unter kapitalistischen Ländern. Wenn Deutschland Exportweltmeister ist, bedeutet das für andere Länder negative Handelsbilanzen und Arbeitsplatzabbau. Wie Heiner Flaßbeck in der FR feststellte, bedeuten Exporte immer auch, dass die entsprechende Produktion und die damit verbundenen Arbeitsplätze im Importland zurückgehen. Es handelt sich letztlich um einen Verdrängungswettbewerb. Wenn Belegschaften den Standpunkt einnehmen, die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu stärken, arbeiten sie also letztlich daran, Kolleginnen und Kollegen anderer Betriebe national und international über-flüssig zu machen. Und doch können sie nicht anders, wenn sie die Bedingungen des Verkaufs ihrer Arbeitskraft erhalten wollen. Ihr Schicksal hängt ja tatsächlich vom Stand der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens ab. Tatsächlich ist das sinkende Arbeitsvolumen ein grandioser Fortschritt. Doch unter den Bedingungen der Lohnarbeit führt die steigende Produktivität dazu, dass die Nachfrage nach Ware Arbeitskraft ab- und die Arbeitslosigkeit deswegen zunimmt. Die steigende Produktivität unterminiert also die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft, der Lohnarbeit als ganzer und stellt sie letztlich in Frage: »Neue Stellen werden von Unternehmen nur bei entsprechender Gewinnperspektive eingerichtet.« (Börsen-Zeitung, 6. Februar 2003) Was aber, wenn man, um sein Kapital profitabel zu verwerten, relativ immer weniger Arbeitskraft braucht? Auf der Basis der Lohnarbeit führt die Produktivität, d.h. die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit dazu, dass die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft immer unsicherer werden. Sie führt dazu, dass die Arbeitslosigkeit und damit das Überangebot an Ware Arbeitskraft zunimmt. Wenn der IGM-Vorsitzende Jürgen Peters fordert: »Deutschland braucht Unternehmer, denen die Beschäftigung genauso wichtig ist wie der Gewinn« (direkt 8/2005), verbreitet er Illusionen über das Wesen des Kapitals. Wenn man Aufsichtsrat bei VW ist, bleibt das nicht aus. Peters will Vertrauen schaffen, wo keines angebracht ist. Lohnsenkungen, um Arbeitsplätze zu sichern? Ein Überangebot der Ware Arbeitskraft aufgrund steigender Produktivität führt wie bei jeder anderen Ware unvermeidbar zu einem sinkenden Preis dieser Ware, auch wenn sich die LohnarbeiterInnen dagegen wehren und die Senkung von Löhnen vielleicht zeitweise verhindern oder abmildern können. Es herrschen die Sachzwänge des Marktes, hier des Arbeitsmarktes. Arbeitslosigkeit führt besonders dann zu einem Druck auf Lohnsenkungen, wenn die Arbeitslosenunterstützungen gesenkt und die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft werden. (z.B. mit Hartz IV) Die gegenwärtige Missbrauchskampagne ist ein Versuch, auf diesem Weg noch weiterzukommen. LohnarbeiterInnen, die darauf hereinfallen, schneiden sich letztlich ins eigene Fleisch. (Vgl. Rainer Roth: »Sozialhilfemissbrauch«, Frankfurt 2004) Der Druck auf die Löhne steigt weiter, wenn der Arbeitsmarkt sich z.B. mit der EU erweitert und dadurch die Konkurrenz der Arbeitskräfte untereinander und Lohndumping gefördert wird. Wenn das Lohnniveau fällt (egal in welcher Form), erhöht das die Profite und steigert die Wettbewerbsfähigkeit. Die Personalkosten bei Daimler und anderen Konzernen wurden 2004 um 25 Prozent gesenkt. Es gab das Versprechen, im Gegenzug keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2012 auszusprechen. Dazu Jörg Hoffmann (IGM-Bezirksleiter von BW): »Mir ist bundesweit keine Vereinbarung bekannt, in der eine solch langfristige Beschäftigungs- und Einkommenssicherung mit entsprechenden Investitionsentscheidungen getroffen wurden.« (FTD, 26. Juli 2004) Deswegen seien die Beschäftigten letztlich die Gewinner der Vereinbarung. Auch Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm äußerte sich zufrieden: »Ein langfristig sicherer Arbeitsplatz ist von unschätzbarem Wert.« (Ebd.) Ein Jahr später war die Vereinbarung schon gebrochen, obwohl die Profitraten gestiegen waren, aber eben nicht hoch genug. Deshalb der Spruch: »Unbestreitbar ist, dass der Stuttgarter Autokonzern sparen muss, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können« (FTD, 30. September 2005) - eben dem Wettbewerb um Profitraten. Die Zusage bis 2012 wird als »wohlwollende innerbetriebliche Absichtserklärung - mehr nicht« bezeichnet. Auf die Frage, ob sich die Gewerkschaft jetzt getäuscht fühlen würde, antwortete Berthold Huber: »Das wäre jetzt zu weit gegriffen.« (FTD, 30. September 2005) Mit anderen Worten: Er wusste schon vorher, dass das Versprechen nichts wert war. Getäuscht worden sind (von Daimler und IGM) nur die Kollegen. Jedenfalls, soweit sie sich haben täuschen lassen. Die Vereinbarung der IGM mit Daimler hat ihren Zweck erfüllt: Die Renditen steigen wieder. Es gibt auf der Basis des Kapitals keine Sicherheit der Arbeitsplätze. Schon allein deshalb nicht, weil die un-geheuere Produktivität eines Konkurrenten (hier von Toyota) von den anderen aufgeholt werden muss, wenn sie mithalten wollen. Die steigende Produktivität muss ferner zu gewaltigen Überkapazitäten führen, die durch Entlassungen wieder abgebaut werden. Weltweit werden die Überkapazitäten in der Autoindustrie auf 20-25 Prozent geschätzt. Überkapazitäten sind unabhängig von der Höhe der Löhne. China baut gerade riesige Überkapazitäten in der Automobilproduktion auf. Es ist die Produktion von Privateigentümern von Waren für einen unbekannten Weltmarkt, die, angetrieben vom Wettbewerb untereinander, an irgendeinem Punkt immer zu Überproduktion führt. Jeder Boom landet im Krach. Und Investitionen führen letztlich zur Krise. Auch wenn mit Zustimmung der DGB-Gewerkschaften die Lohnsteigerungen erheblich geringer ausfallen als bei Konkurrenzländern, steigt die Rendite relativ dazu und damit die Wettbewerbsfähigkeit. Der Reallohn ist seit 1995 um 0,9 Prozent gefallen. In anderen Ländern ist er deutlich gestiegen. Eine Vertreterin der Dresdner Bank: »Die Firmen haben (durch die Lohnzurückhaltung) enorm an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Euro-Ländern gewonnen. Das erlaubt ihnen jetzt Marktanteile innerhalb der Währungsunion zu gewinnen.« (FTD, 19. August 2005) Noch ein paar Bemerkungen zum Thema Wettbewerb
Das war die Voraussetzung der beiden Weltkriege. Eine Arbeiterbewegung in dem Sinne, dass LohnarbeiterInnen sich als Klasse mit gemeinsamen Interessen gegen das Kapital stellen, sich gegenseitig unterstützen (national und international) und darüber Kraft entwickeln, ist ausgeschlossen, wenn das Ziel die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, d.h. der Renditen des Kapitals ist. Was wäre die Alternative? LohnarbeiterInnen müssen, wenn sie sich verteidigen wollen, Forderungen aufstellen und Kämpfe dafür organisieren. Zweifellos senken aber alle Versuche der LohnarbeiterInnen, die Verschlechterung ihrer Lage aufzuhalten oder abzumildern, wenn sie erfolgreich sind, die Profitraten. Wenn die Arbeiterbewegung imstande wäre, z.B. bedeutende Lohnerhöhungen durchzusetzen (und wenn es nur zwecks Steigerung der Binnennachfrage wäre), wenn ein ordentlicher gesetzlicher Mindestlohn durchgesetzt würde, wenn es gelänge, die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 30 Stunden zu senken, würden die Renditen geringer und die Wettbewerbsfähigkeit schwächer. Wenn aber die Kapitalverwertung schwieriger wird, provoziert das als Antwort stärkere Produktivitätssteigerungen, Entlassungen, Produktionsverlagerungen, also neue Versuche, die Renditen wieder anzuheben usw. Wenn die LohnarbeiterInnen die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals stärken, machen sie sich auf Dauer selbst immer mehr überflüssig und tragen dazu bei, das Lohnniveau unter die Reproduktionskosten zu senken. Wenn sie jedoch die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals schwächen, indem sie ihre Interessen als Warenverkäufer erfolgreicher durchsetzen, wenn sie also die Verteilung zu ihren Gunsten beeinflussen, schwächen sie die Renditen des Kapitals und damit ebenfalls sein Interesse, Arbeitskräfte zu beschäftigen. Auf dem Boden der Kapitalverwertung, der Lohnarbeit, der Produktion für den Markt bzw. den Weltmarkt gibt es deshalb auf Dauer keine befriedigende Perspektive für die arbeitenden Menschen, wenn sich der Horizont des Kampfs auf dem Boden des Verkaufs der Ware Arbeitskraft bewegt.
Das System der Lohnarbeit selbst ist das Problem, nicht die Lohnhöhe. Die Kapitalverwertung selbst ist das Problem, nicht die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelkapitals. Und dennoch muss die Arbeiterklasse, wenn sie ihre Selbstachtung nicht verlieren will, wenn sie ihre Lebenshaltungskosten decken und etwas von dem Reichtum abhaben will, den sie produziert, Forderungen aufstellen und Kämpfe organisieren, die ihre Lage verbessern bzw. Verschlechterungen abmildern. Tut sie das nicht, hat sie sich als Klasse aufgegeben. Können Forderungen nicht erfüllt werden, zeigt das nicht, dass sie unrealistisch waren, sondern dass befriedigende Lebensverhältnisse trotz steigenden Reichtums und riesiger Produktivität unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich sind. Wirtschaft muss für den Menschen da sein? Lohnarbeit ist von Kapital abhängig und an sein Schicksal gekettet. Wenn das Kapital sein Profitinteresse verliert, liegt die Lohnarbeit brach. Und wie will man dann sich und seine Familie ernähren? Wenn wir von Interessen reden, müssen wir immer auch berücksichtigen, dass die LohnarbeiterInnen in gewissem Umfang auch ein Interesse an der Erhaltung des Kapitals haben, das sie durch ihre Arbeit vergrößern und verwerten. Sie sind auch Warenverkäufer, die das Kapital als Käufer brauchen. Sie haben einerseits das Interesse, sich gegen das Kapital zu behaupten, weil sie ihre Ware Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen und für ihren Lohn möglichst wenig Arbeitskraft hergeben wollen. Andererseits aber haben sie das Interesse, das Kapital am Leben zu halten bzw. es zu stärken, um ihre Arbeitslosigkeit zu verhindern, die eintritt, wenn das Kapital die Lust verliert, sie zu beschäftigen. Deshalb sind sie bereit, wie alle Warenverkäufer, ihre Ware auch billiger zu verkaufen, um sie überhaupt verkaufen zu können. Die Problem wäre nur dann nicht gegeben, wenn das System der Lohnarbeit nicht mehr existieren würde, wenn der Zweck der menschlichen Entfaltung nicht die Produktion von immer mehr Geld als Kapital wäre, wenn nicht die Produktion von Waren für zahlungsfähige Käufer auf Märkten, sondern die Produktion von Gütern für Bedürfnisse von Menschen unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit im Mittelpunkt stünde und wenn nicht jedes Unternehmen in Konkurrenz zueinander um höchstmögliche betriebliche Gewinne kämpft, sondern die Gesellschaft auf Rechnung der ganzen Gesellschaft arbeitet, d.h. ein Gesamtüberschuss das Ziel des Wirtschaftens ist. Diejenigen, die die Wettbewerbsfähigkeit als Ziel haben, müssen danach trachten, möglichst alle Bestrebungen der LohnarbeiterInnen zu untergraben, ihre Position auf Kosten des Kapitals zu stärken. Gekaufte Betriebsräte, Aufsichtsräte, Co-Manager wirken in diesem Sinne. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals schlägt letztlich gegen die LohnarbeiterInnen aus. Das Gegenteil ist notwendig: Durch den Kampf für Löhne, kürzere Arbeitszeiten sowie den Kampf gegen Entlassungen usw. seine Lage halten oder sogar verbessern zu wollen, ist absolut notwendig, wenn man nicht zum willenlosen Arbeitstier herabsinken will. Ob sich das Kapital zu 15 Prozent oder zu 10 Prozent verwertet, könnte den LohnarbeiterInnen egal sein. Unter kapitalistischen Bedingungen kann weder die Stärkung noch die Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit die Lösung sein. Daraus folgt zwingend, dass der Kampf zur Verteidigung der bescheidenen Lebensverhältnisse mit einer fundamentalen Kritik an der Lohnarbeit, der Kapitalverwertung, der Warenproduktion und den gegenwärtigen Eigentumsverhältnissen verbunden werden muss. Die ehemaligen Parteivorsitzenden der SPD, Müntefering und Schröder, betonen immer wieder: Die Wirtschaft muss für den Menschen da sein und nicht der Mensch für die Wirtschaft. Das gibt in dieser Allgemeinheit wenig Sinn, denn wenn die Wirtschaft für den Menschen da ist, dann sollten die Menschen auch für diese Wirtschaft da sein. Müntefering meint etwas Anderes. Er meint, das Kapital muss für den Menschen da sein und nicht umgekehrt der Mensch für das Kapital. Das aber ist bestenfalls ein frommer Wunsch, ein Stoßgebet an den lieben Gott und eine illusionäre Träumerei, wenn man es nicht als Volksbetrug bezeichnen will. Aber mit der Formel: die Wirtschaft müsse für den Menschen da sein, ist auch der Wunsch von Millionen angesprochen, dass ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen müssten. Nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten, die etwas darüber zu sagen haben wollen, wie und was sie produzieren. Letztlich haben aber nur Eigentümer etwas zu sagen. Wenn also die Wirtschaft für den Menschen da sein soll, dann müssen die arbeitenden Menschen auch Eigentümer der Arbeitsmittel sein, mit denen sie arbeiten. Dann erst können sie auch entscheiden, wie und für welche Zweck sie arbeiten. Sie hätten dann auch nicht das Interesse, sich selbst arbeitslos zu machen bzw. ihre Lebensverhältnisse bei steigendem gesellschaftlichen Reichtum zu verschlechtern und ihre Arbeitszeit bei steigender Produktivität zu erhöhen. * Rainer Roth ist Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main, Fachbereich Sozialwesen, und Mitherausgeber des Ratgebers zum Arbeitslosengeld der »AG TuWas« Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/05 |