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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der DGB braucht eine konstruktive Erwerbslosenpolitik

Artikel von Carsten Zinn und Andreas Steiner vom 8.8.06*

»Die Würde des Menschen ist unser Maßstab«: Das war das Motto des 18. Ordentlichen Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der vom 22.-26. Mai 2006 in Berlin tagte. Was aber folgte aus diesem Motto für die Organisation? Offenbar nicht viel.

Dabei fing alles recht vielversprechend an: Der Berlin-Brandenburger DGB-Bezirksvorstand hatte beantragt, Erwerbslosenpolitik in die Satzung aufzunehmen, während der Gewerkschaftsrat von ver.di Erwerbslosengremien und -konferenzen auf allen Ebenen installieren wollte. Doch der geschäftsführende Bundesvorstandes und die Antragskommission machten bereits im Vorfeld des Kongresses diesem Ansinnen einen Strich durch die Rechnung, indem sie den Delegierten zwei organisationspolitische Anträge zur Erwerbslosenpolitik zur Nichtbefassung oder Ablehnung
empfohlen.
Bei der Abstimmung konnten sich schließlich die Delegierten bedauerlicherweise nicht dazu durchringen, die Erwerbslosenpolitik in die Satzung aufzunehmen.

Erwerbslosenpolitik ist also immer noch nicht im Leitantrag des DGB verankert. Speziell das Kapitel zur Hartz-IV-Revision ist kaum geeignet, die Würde von Erwerbslosen zu verteidigen. So heißt es darin ganz lapidar: Es gäbe »Webfehler im System«. Jedoch geht es bei Hartz IV geht es nicht nur um schlichte Webfehler, sondern um das System selbst. Die Hartz-Gesetze haben den Betroffenen nichts gebracht. Deshalb gehören sie ohne wenn und aber in den Papierkorb. Dazu sollte sich auch der DGB endlich bekennen.

Denn eiskalt läuft es den Betroffenen den Rücken herunter mit Blick auf den Gesetzentwurf der großen Koalition »zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende«. Dieser ist entwürdigend, weil die vorgeschlagenen Maßnahmen wie eine »Stallpflicht« für Arbeitslose und die Durchleuchtung ihrer Konten Betroffene zu »Häftlingen im offenen Vollzug« machen. Gespart werden soll also weiterhin auf dem Rücken von Benachteiligten.

Leider haben die Gewerkschaftsspitzen die ganze Sache seinerzeit mit Vertretern in der Hartz-Kommission»sozialpartnerschaftlich begleitet« und scheuen sich nun davor, eine deutlich kritischere Haltung einzunehmen, gravierende Fehler einzugestehen und nun die Wendung um 180° zu vollziehen. Sie werden aber nicht drum herum kommen.
Denn die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Folgen von einem Jahr Hartz IV sind verheerend - und der Flächenbrand geht weiter. Auch wenn es weh tut, muss sich auch der DGB endlich dazu bekennen und sich eindeutig gegen Hartz IV positionieren.

Der nun zum Kongress vorliegende Leitantrag zur Arbeitsmarktpolitik beinhaltet nur Wischiwaschi-Formulierungen. Im Leitantrag zur »Organisationspolitik und Weiterentwicklung des DGB« kommen Erwerbslose nicht ein einziges Mal vor.

Offensichtlich werden sie im DGB als nicht-relevante Personengruppe betrachtet. Zum Teil wird von Hauptamtlichen gesagt, das sei Sache der Einzelgewerkschaften. Von denen hat aber nach unserem Kenntnisstand nur ver.di eine Erwerbslosenrichtlinie. In der IG Metall zum Beispiel gibt es lediglich eine Richtlinie zu außerbetrieblicher Gewerkschaftsarbeit, die auch Senioren umfasst. Aber auch bei ver.di werden – trotz Verankerung der Erwerbslosenarbeit in der Satzung – Budgetkürzungen vorgenommen.

Im Leitantrag des DGB wird u.a. gefordert, die Regelsätze für ALG-II-Bezieher auf »ein armutsfestes Niveau« anzuheben, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen. Hier sollte der DGB klare Hausnummern benennen. Beispielsweise treten die ver.di-Erwerbslosenausschüsse auf allen Ebenen dafür ein, zumindest die Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes von 420 Euro plus Wohnkosten einschließlich der künftigen dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung
zu unterstützen.

Einiges muss geändert werden, damit sich Erwerbslose in den DGB-Gewerkschaften richtig aufgehoben fühlen. So sollte der DGB endlich deutliche Signale aussenden, dass sozial Benachteiligte – und dazu zählen nicht nur ALG-II-Empfänger, sondern auch Niedrig- und Armutslöhner – einen Platz in den Einzelgewerkschaften haben und diese nicht nur für die klassischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer da sind. Dazu bedarf es aber klarer inhaltlicher
Aussagen, u.a. und insbesondere für den Osten Deutschlands zu den Themen „existenzsicherndes Mindesteinkommen“ und „Strukturpolitik“. Erwerbslose dürfen nicht nur als Kostenfaktor, sondern müssen als wichtiger Bestandteil der Organisation wahrgenommen werden.

Als Erwerbslose innerhalb der Gewerkschaftern geht es uns nicht darum, alle möglichen großen Gremien zu besetzen.
Wir wollen aber, dass bei Entscheidungen zu arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Fragen unsere Erfahrungen als auch unsere Sach- und Fachkompetenz einfließen. Denn wir haben immer wieder das Gefühl, zum Teil alibimäßig mißbraucht zu werden, wenn es darum geht, Demonstrationen und Kundgebungen zu beschicken, wo wir uns die großen Sprechblasen der hauptamtlichen Funktionäre anhören können, während wir im täglichen Leben der Organisation bislang so gut wie keine Rolle spielen. Es gibt aber auch positive Beispiele, wie beim ver.di-Bezirk Berlin und dem hiesigen Koordinierungskreis gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen, wo die Zusammenarbeit mit dem Apparat sehr gut läuft.

Das zeigt: Es geht auch anders.

Deshalb unsere Forderung an den DGB: Ein klares Votum gegen Hartz IV und die Aufnahme der Erwerbslosenpolitik in die Satzung!

Carsten Zinn ist Vorsitzender des Erwerbslosenausschusses im ver.di-Bezirk Uckermark/Barnim und im ver.di-Landesbezirk Berlin/Brandenburg. Dr. Andreas Steiner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA Barnim), Sprecher der SPD-Finow und ver.di-Mitglied


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