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Updated: 18.12.2012 15:51
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Macht kaputt, was euch kaputt macht!

Ein kurzer Einblick in die Geschichte und Hintergründe der MaschinenstürmerInnen

März 1811: In Nottinghamshire (Mittelengland) brechen kleine Gruppen von StrickerInnen, bewaffnet mit Knüppeln, Äxten und Hämmern in Manufakturen ein. Ihr Ziel ist die Zerstörung sogenannter Wirkmaschinen (1). Ihr Motiv ist Existenzangst, weil die neue Technik immer mehr menschliche Arbeit überflüssig macht.

In der Grafschaft Nottinghamshire werden so viele Strümpfe, Spitzen, Handschuhe und Krawatten gefertigt, wie nirgendwo sonst in England. Unternehmer lassen sie in den zahlreichen Manufakturen produzieren und exportieren sie in die ganze Welt. Als Folge der „Kontinentalsperre“ (2) wird aber sowohl der Export von Textilien als auch der Import von Rohstoffen stark eingeschränkt. Lohnkürzungen für HandarbeiterInnen sind die Konsequenzen der Unternehmer, um die Herstellungskosten zu senken. Außerdem werden sogenannte Wirkmaschinen angeschafft, die endlos lange Strickschläuche herstellen, welche dann von ungelehrten ArbeiterInnen zerschnitten und zu „cut-ups“ vernäht werden. Auf diese Weise können Strümpfe billiger hergestellt werden. Etwa 500 ausgebildete StrickerInnen, die bisher jeden Strumpf nahtlos aus einem Stück fertigten, werden auf diese Weise eingespart. Der vermehrte Maschineneinsatz in der Textilindustrie lässt immer mehr Familien an Hunger leiden.

In den Wochen nach dem ersten „Sturm auf die Maschinen“ vergeht in Nottingham und den umliegenden Gemeinden kaum eine Nacht ohne Überfälle auf Manufakturen. Im Herbst 1811 beteiligen sich auch die ersten Baumwoll- und Seidenweber an den Protesten. Immer mehr kleinere Gruppen von Handwerkern, vereint durch den Hass auf die „Maschinen des Unheils“ (3), treffen sich in Kneipen und Wohnhäusern. Unter dem Pseudonym „General Ned Ludd“ (4) werden zahllose Drohbriefe verfasst, in denen sie die Bosse unter Todesandrohung auffordern, den durch Ausbeutung verdienten Gewinn gerecht unter den ArbeiterInnen zu verteilen.

Noch im November desselben Jahres schickt London fast 2.000 Soldaten in die kleine Grafschaft, um den Aufstand niederzuschlagen und eine Ausweitung auf andere Regionen zu verhindern. Doch die Maschinenstürme haben sich bereits auf andere Grafschaften ausgeweitet. Baumwollweber und Tuchscherer zerstören im Namen Ned Ludds in Manchester und Yorkshire mehr als 1.000 Maschinen, brennen Fabriken nieder und drohen ihren Bossen mit dem Tod. Mehr als 14.000 Soldaten werden in die mittelenglischen Grafschaften bis Ende des Jahres geschickt. Im Frühjahr 1812 verabschieden die englischen Abgeordneten den „Frame Breaking Act“, der Maschinensturm mit dem Tod bestraft.

Doch selbst die Androhung des Mordes konnte die Maschinenstürmer nicht aufhalten. Da die ArbeiterInnen zu erkennen schienen, dass sie mit den Maschinen sowieso sterben würden, weiteten sich Sabotageaktionen und Proteste auf ganz England und später auch auf Deutschland und den Rest Europas aus.

Der Anfang einer „neuen Zeit“

1776 erschien ein Buch, das noch bis heute als die „Bibel des Kapitalismus“ zu bezeichnen ist. In seinem Werk „Untersuchung über die Natur und Ursachen des Wohlstandes der Nationen“ beschreibt der Professor für Moralphilosophie Adam Smith (5) zum ersten Mal den grundlegenden Mechanismus des Marktes.

England war das erste Land, das die von Smith geforderten Bedingungen umsetzte. Und in keinem anderen Land auf der Welt vollzog sich die Entwicklung des Kapitalismus in so einem monströsen Ausmaß. Vermehrte Arbeitsteilung, Wegfall von Handelshemmnissen und der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft sorgten für eine größere Warenumschlagshäufigkeit und schienen den Wohlstand Englands zu erhöhen. Aber tatsächlich zeigte sich unter den „neuen Bedingungen“ das Privateigentum von seiner brutalsten und zerstörerischsten Seite. Millionen Menschen, die ins Nichts geworfen und zur Prostitution gezwungen wurden, die mit nichts anderem als ihrem bloßen Leben ein neues Herrschaftsverhältnis begründeten: die Lohnsklaverei. Die Feudalherrschaft war zwar abgeschafft, aber in Wahrheit hatte sich lediglich die Bezeichnung geändert und die Herrscher hatten gewechselt. Der neue Feudalismus hieß jetzt Kapitalismus. Unternehmer waren die Feudalherren der sogenannten „Neuen Zeit“. Männer, die ihr streben nach Gewinn nicht als verwerfliche Habgier sahen, sondern als ökonomisches Grundprinzip.

In England wuchsen über Nacht riesige kapitalistische Metropolen, in denen der „neue Wohlstand“ produziert wurde. Bekanntester Magnet kapitalistischer Ausbeutung war wohl Manchester. Mit seinen riesigen Agglomerationsprozessen (6) schuf der Kapitalismus rund um die Produktionsmetropolen nie zuvor da gewesene Armutsviertel: riesige Ghettos, die die industrielle Reservearmee beherbergten; Millionen Männer, Frauen und Kinder, die in jedem Menschen aus ihren eigenen Reihen einen potentiellen Feind sahen, weil er vielleicht derjenige ist, der bereit ist, seine Arbeitskraft für noch weniger zu verkaufen. Besonders ethnische Minderheiten werden Opfer des durch den Kapitalismus geschaffenen Rassismus. Vor allem Iren galten zu dieser Zeit als „minderwertig“.

Aber der technische Fortschritt mit immer besser werdenden Produktionstechniken und Maschinen bildete schon bald den neuen Feind der ArbeiterInnen. Überall da, wo es möglich war, setzten Unternehmer Maschinen ein und sparten somit an menschlicher Arbeit. Menschen, deren Berufstand von heute auf morgen einfach nicht mehr gebraucht wurde, weil er durch eine Maschine ersetzt wurde, welche von einer anderen ungelernten und billigeren Kraft bedient werden kann. Die Maschinen, die den ArbeiterInnen die Arbeit erleichtern hätten können, scheinen zu einer Existenz gefährdenden Plage geworden zu sein.

Die Aktionen der Maschinenstürmer, die aus Angst um ihre Existenz gehandelt haben, zeigen ein ganz grundlegendes Problem des Kapitalismus auf: Auch wenn viele Menschen behaupten dass das, was wir heute an technischen Mitteln benutzen, ohne Wettbewerb gar nicht möglich wäre, kann man aber ganz bestimmt sagen, dass technischer Fortschritt in einem System, das auf Profit und Egoismus basiert, schnell dazu führt, dass es einen großen Teil von Menschen hervorbringt, die von den Vorzügen der neuen Technik ausgeschlossen sind. Sie bilden die Schicht der Menschen, die im Spiel namens Marktwirtschaft versagt haben und abgehängt wurden. Links liegen gelassen, denn überleben kann nur der Stärkere.

„Hurra, endlich wird die Arbeit knapp!“

Der besagte „Wohlstand der Nationen“ bleibt aus, wenn sich Produktionsmittel und Kapital nur in den Händen weniger Privilegierter befinden. Sie produzieren mit ihren Maschinen und wenigen Sklaven das, was im Endeffekt die Arbeitslosen kaufen sollen. Wenn aber der Mensch im eigenen Land nicht mehr in der Lage ist, die Produkte zu kaufen, dann muss halt exportiert werden, und zwar in Länder, in denen es noch Kaufkraft gibt. Aus diesem Grund „funktionieren“ auch sogenannte „Sonderwirtschaftszonen“. So sind zum Beispiel TextilarbeiterInnen in Honduras mit ihren geringen Löhnen niemals in der Lage, das, was sie produzieren, auch selber zu kaufen. Kapitalistische Märkte sind immer auf andere Märkte angewiesen. Und so lassen sich die Handlungen der Unternehmer Englands zu Zeiten der Kontinentalsperre gar nicht erklären. Wenn sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Nachfrager im Ausland zu bedienen, warum stärkten sie dann nicht die Nachfrage im Inland? Stattdessen taten sie genau das Gegenteil. Sie setzten Maschinen ein und machten so ihre potentiellen KäuferInnen arm. Kapitalistische Verwertungslogik.

Aber auch heutzutage leidet ein Großteil der Menschen darunter, dass ihre Arbeit mittlerweile von Maschinen ersetzt wurde. Als Beispiel sei da die Automobilbranche genannt. Der einstige „Jobmotor“ war damals für seine sicheren und zahlreichen Arbeitsplätze bekannt. Heute werden diese von Maschinen besetzt und zahlreiche ArbeiterInnen verlieren ihre Existenzgrundlage. Da scheint eine Forderung nach einer Maschinensteuer, die Sozialleistungen für die Menschen erwirtschaftet, die „überflüssig“ gemacht wurden, nur fair zu sein.

Aber ist es das wirklich? Bedeutet, einen Job zu haben, nicht auch gleichzeitig gesellschaftliche Annerkennung? Und wer oder was gibt einen diese wieder zurück? Die Tatsache, dass die Menschen in Zukunft weniger arbeiten müssen, sollte eine Gesellschaft nicht vor ein soziales Problem stellen. Im Gegenteil sollte jeder von uns, ohne Existenzangst, sagen können: „Hurra, endlich wird die Arbeit knapp!“ Aber unter den herrschenden Bedingungen eines modernen Sklavensystems – dem Verhältnis von Unternehmern und Lohnabhängigen, von Herrn und Sklave –, das die Produktionsmittel und damit verbundene Macht nur für eine Seite der Menschheit bereitstellt, während es die andere ausbluten lässt, wird uns der technische Fortschritt zum Verhängnis. Erst die Kollektivierung aller Produktionsmittel, Rohstoffe und Maschinen wird den sozialen Ausgleich bewirken. Erst wenn jedem Menschen der Zugang zu ihnen und damit auch der Zugang an dem gesellschaftlichen Reichtum offen ist, können wir behaupten, Technologien „effizient“ zu nutzen. Sie werden den Menschen erlauben, bei steigendem Wohlstand die Arbeitszeit zu verringern, weil noch vorhandene Arbeit auf alle anderen umgelagert wird.

Artikel von Benjamin Simmon in der " Direkte Aktion 189 (September/Oktober 2008)

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http://www.fau.org/fau_medien externer Link


Anmerkungen

(1) Wirkmaschinen stellen Maschenware mit Hilfe vieler einzelner Nadeln her, die alle gleichzeitig nähen. Damit können Textilien schneller und beinahe ohne den Einsatz von menschlicher Arbeit hergestellt werden.

(2) War eine 1806 von Napoleon verfügte Wirtschaftsblockade, die bis 1814 anhielt. Sie war ein wirtschaftsstrategisches Mittel, um England in die Knie zu zwingen.

(3) „Maschinen des Unheils“ war ein Protestlied der NäherInnen.

(4) Ned Ludd war ein Pseudonym unter dem fast alle MaschinenstürmerInnen agiert haben. Daher nannte man sie auch „Luddisten“. Bis heute ist nicht geklärt, ob es jemals einen Ned Ludd gegeben hat.

(5) Adam Smith (1723-1790) gilt als Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre.

(6) Bezeichnet den stark ansteigenden Bevölkerungszuwachs einer Region. Metropolen, in denen ein wirtschaftlicher Wachstum stattfindet, locken Menschen in der Hoffnung an, eine Arbeit und ein besseres Leben zu finden.


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