letzte Änderung am 11. Februar 2004

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Vor 30 Jahren: ÖTV streikt gegen SPD-Bundesregierung

Der Druck der Basis zwang die ÖTV-Führung um Heinz Kluncker im Februar 1974 gegen ihren Willen in einen Streik gegen die SPD-geführte Regierung unter Willy Brandt. Mit dem Streik durchbrach die ÖTV die staatlich verordneten Lohnleitlinie. Dieser Streik, hatte entscheidenden Anteil am Rücktritt von Willy Brandt 3 Monate später. Die Spionageaffäre um Guillaume war nur der Anlass.

Wilde Streiks 1973

1973 hatte es in der Bundesrepublik eine Welle inoffizieller, wilder Streiks in der Industrie gegeben. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden dadurch ermutigt ebenfalls Teuerungszulagen zu fordern. Um wilde Streiks im öffentlichen Dienst zu verhindern, verlangte die ÖTV-Führung bereits 1973 ohne Kündigung der Tarifverträge ein volles 13. Monatsgehalt und drohte trotz Friedenspflicht mit Streiks. Die Streikandrohung reichte aus, um das volle Weihnachtsgeld durchzusetzen. Das war den Müllwerkern, StraßenbahnfahrerInnen und Verwaltungsangestellten aber nicht ausreichend. In einigen Städten kam es Ende 1973 trotzdem zu spontanen Arbeitsniederlegungen, bei denen zusätzlich Zulagen erkämpft wurden.

Offensive Lohnforderung 1974

Die Tarifrunde 1974 sollte schließlich für eine kräftige Lohnerhöhung sorgen. Die ÖTV stellte folgende Forderung auf: 15% aber mindestens 185 Mark mehr Lohn im Monat, 300 Mark Urlaubsgeld, einen Zuschlag von 50 Mark für jedes Kind. 100.000 beteiligten sich an einer Welle von Warnstreiks. Politiker, Presse und Unternehmer reagierten mit einer antigewerkschaftlichen Hetzkampagne und drohten der ÖTV. CDU-Generalsekretär Biedenkopf verlangte, dass Tarifabschlüsse vom Parlament genehmigt werden müssten. Trotzdem oder gerade deshalb stimmten 91,2% der abstimmenden Gewerkschaftsmitglieder bzw. 78,9% der Stimmberechtigten für Streik. Die ÖTV-Führung stand unter solchem Druck ihrer Basis, dass sie diesmal nicht dem Druck von Regierung, Presse und Unternehmern nachgeben konnte. Des „Kanzlers beste Verbündete“ (Frankfurter Rundschau) mussten hart bleiben, weil sonst von der Gewerkschaftsführung unkontrollierte wilde Streiks die Folge gewesen wären.

3 Tage Streik

Bereits bei den Warnstreiks beteiligten sich Belegschaften, die gar nicht aufgerufen waren. Schließlich organisierte die ÖTV vom 10. bis 13. Februar einen 3-tägigen „Schwerpunktstreik“ an dem sich 300.000 Beschäftigte beteiligten. Die Straßenbahndepots in vielen Städten blieben geschlossen, der Müll blieb liegen. Nach 3 Tagen wurde eine Lohnerhöhung von 11% bzw. mindestens 170 Mark (ca. 15% für die unteren Lohngruppen) durchgesetzt. Obwohl für viele Kolleginnen und Kollegen dieser Streik die erste Streikerfahrung war, merkten sie, welche Macht die Gewerkschaften mit Streiks entfalten können. Und so stimmten bei der Urabstimmung nur 61,8%, in Hessen sogar nur 44,4% und in Frankfurt nur 26% für Annahme des nach 3 Streiktagen erreichten Ergebnisses. Viele wollten weiterstreiken und mehr herausholen.

Ver.di-Führung braucht Druck wie in 70er Jahren

Die defensive Tarifpolitik von ÖTV/ver.di in den 90er Jahren hat dazu geführt, dass die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst dazu übergegangen sind, die in den 70er Jahren erstreikten Errungenschaften wieder wegzunehmen: Weihnachts- und Urlaubsgeld, Zulagen. Die entsprechenden Tarifverträge wurden im vergangenen Sommer von Ländern und Bund gekündigt. Die Kommunen wollen sie kündigen. Die ver.di-Führung hat bisher darauf verzichtet auf diese Provokation mit Kampfmaßnahmen zu reagieren. Sie ist offensichtlich bereit im Rahmen der zur Zeit laufenden Verhandlungen (Prozessvereinbarung) diese Errungenschaften zu opfern. Nur durch Druck von unten – vergleichbar wie in den 70er Jahren kann ein Ausverkauf verhindert werden.

Ursel Beck

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