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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zur Geschichte der Volkshäuser – ein Überblick von Holger Gorr*

Nachdem Aitak Barani, Clemens Dieckhöfer und Philipp Kissel uns im letzten express das »Stadtteil- und Kulturzentrum« Rödelheim vorgestellt haben, dokumentieren wir hier nun den überarbeiteten Vortrag über die Geschichte der Volkshäuser vom 19. Jahrhundert bis heute von Holger Gorr, den er bei einer Veranstaltungsreihe dort gehalten hat.

Was ist ein Volkshaus?

Bei einem Volkshaus handelt es sich um eine bewirtschaftete Versammlungsstätte der Arbeiterbewegung, in der häufig auch Beherbergungsbetriebe und Büros untergebracht waren. Die Büros nutzten vorrangig Gewerkschaften, aber auch Arbeiterparteien und Arbeiterkulturorganisationen. Teilweise waren auch gemeinwirtschaftliche Betriebe in Volkshäusern ansässig, beispielsweise ein Verkaufsladen der Konsumgenossenschaft. Historisch betrachtet sind »Volkshaus« und »Gewerkschaftshaus« zwei Begriffe für die gleiche Einrichtung. »Volkshaus« hatte zwar programmatisch einen weiter gehenden Anspruch, der sich aber faktisch selten bemerkbar machte. Manchmal wurden andere Namen verwendet (»Volksheim«, »Volkspark«), teilweise wurde die Bezeichnung Volkshaus um Zusätze wie »Goldener Pflug«, »Colosseum«, »Roter Adler«, »Zum Mohren« erweitert. Die Zusätze weisen darauf hin, dass es der Arbeiterbewegung hin und wieder gelungen war, bereits bestehende Gaststätten zu kaufen.

Die Anzahl der Volkshäuser und die dafür notwendige Infrastruktur nahm bis zum Ende der Weimarer Republik einen Umfang an, der es rechtfertigt, von einer Volkshausbewegung zu sprechen. Sie war integraler Bestandteil der sozialistischen Arbeiterbewegung und wäre ohne sie, insbesondere ohne die finanzstarken Gewerkschaften nicht vorstellbar gewesen.

Entstehungsgründe

Die sozialistische Arbeiterbewegung war in Deutschland von 1878 bis 1890 verboten. Handhabe der Behörden war das »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«, so der offizielle Titel des Sozialistengesetzes. Nach dem Auslaufen des Gesetzes war die Arbeiterbewegung aber nach wie vor vielfachen Repressionen ausgesetzt. Kommunale Räume wurden den Gewerkschaften oft nicht vermietet. Gastwirte befürchteten behördliche Repressionen wie etwa die Verhängung des »Militärverbots«. Soldaten konnte der Besuch solcher Gaststätten verboten werden, was Umsatzeinbußen durch verminderten Bierabsatz zur Folge hatte. Seit der Jahrhundertwende waren die Gewerkschaften organisatorisch bereits so stark, dass sie eigene Versammlungslokale erwerben und bauen oder zumindest pachten konnten. Das erste eigene Gewerkschaftshaus wurde 1902 in Berlin eröffnet. Ihm folgten rasch weitere. Insofern sind Volkshäuser aus den sozialen Konflikten während der Industrialisierung entstanden.

Die Gewerkschaften waren mehrheitlich noch Berufsverbände, in denen das Mitgliederversammlungsprinzip herrschte: Die Schmiede, die Buchdrucker, die Hutmacher, die Sattler usw. versammelten sich und regelten ihre beruflichen Belange überwiegend in Mitgliederversammlungen. Zudem war um die Jahrhundertwende die Kommunikation nach heutigen Maßstäben nur sehr eingeschränkt möglich. Sie war auf Briefe und Debatten mit persönlicher Anwesenheit begrenzt. Das Telefon steckte in den Anfängen, und Reisen waren für viele Arbeiter unerschwinglich. Viele Arbeiter konnten nicht oder nicht gut schreiben, so dass das gesprochene Wort in der Arbeiterbewegung lange dominierte.

Vor dem Ersten Weltkrieg boten etliche Volkshäuser Übernachtungsmöglichkeiten, zumeist »Herberge« genannt. Hintergrund war, dass die Gewerkschaftsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg noch weitgehend von Handwerkern geprägt war und ausgelernte Gesellen einige Jahre auf »Wanderschaft« gingen. Ihnen sollte eine preisgünstige und vor allem hygienische Unterkunft geboten werden. Nach der Novemberrevolution von 1918 verlor diese Funktion in vielen Volkshäusern an Bedeutung, nicht zuletzt auch deshalb, weil nun vermehrt Industriearbeiter den Gewerkschaften beitraten.

Die Wohnsituation von Arbeitern war in den Groß- und Industriestädten oftmals katastrophal, was sich auch in den 20er Jahren nicht änderte. Häufig gingen Arbeiter nach der Arbeit in die Kneipe oder ins Volkshaus, um so ihren erbärmlichen Lebensbedingungen zu entfliehen. Dort trafen sie mit anderen zusammen, die sich in einer ähnlichen Lage befanden. Zwar hat diese »Kneipenkultur« viel zur Herausbildung des Klassenbewusstseins beigetragen, die Männer entzogen sich auf diese Weise aber auch Hausarbeit und Kindererziehung, die sie den Frauen überließen.

Exkurs: Zur Wohnsituation in Deutschland

Die sich kaum verbessernde Wohnsituation in deutschen Großstädten thematisierte der freigewerkschaftliche »Zentralverband der Zimmerer«. Der Verband sprach noch Ende 1931 von einer »wahren Kulturschande« und zitierte einen Zeitungsbericht über wilde Stadtrandsiedlungen in der »Kunst- und Gartenstadt« Düsseldorf: »Eine Morastgrube schlängelt sich durch eine steinige Wüste. Das ist die Dorfstraße. Man versäuft im Dreck. Am ›Wege‹ liegen die Wohnstätten wie ein Häufchen Elend. Baubuden sind hundertfach besser als diese Hütten, die seltenster Energie, blutigstem Dilettantismus, polizei- und gesundheitswidriger Bauweise ihr Leben verdanken. Drinnen starrt die große Not aus allen Ecken. Besieht man nämlich die Mauern oder – besser gesagt – die Gemäuer, so sind sie nur aus einer Schicht Viertelsteine, Wasser, Sand und Kalk hergestellt. Halbe Steine und Mörtel gehören schon zu den Errungenschaften der ›Kapitalisten‹ unter den Siedlern. Die Dächer sind nur mit ›Spucke‹ angeklebt, mit Steinen beschwert, damit sie in windigen Nächten nicht fliegen gehen. Ein verhärmter Vater von fünf kleinen Kindern erklärte, er müsse sich in stürmischen Nächten auf dem Dach niederlassen, um dem Sturm sein erarbeitetes ›Heim‹ ständig von neuem abzukämpfen.« (Zentralverband der Zimmerer und verwandter Berufsgenossen (Hrsg.), Jahrbuch 1931, o.O., S. 265)

Die Organisation der Volkshäuser

Eigentümer und Betreiber der Volkshäuser waren fast ausschließlich die freien Gewerkschaften und zwar vorrangig die Arbeiterverbände, die freigewerkschaftlichen Angestellten- und Beamtenverbände waren nur schwach vertreten. Die Gewerkschaften sind bis heute keine eingetragenen Vereine, d.h. sie sind nicht grundbuchfähig. Deshalb wurden als formale Eigentümer der Volkshäuser Genossenschaften, eingetragene Vereine oder GmbHen gegründet. Führende Funktionäre waren treuhänderisch für die Gewerkschaften als Genossen oder Gesellschafter tätig.

Die Häuser entstanden überwiegend in örtlicher Initiative. Wenn in einer Kleinstadt mit starker Arbeiterschaft eine Gaststätte zum Verkauf stand, war die Neigung der Arbeiter groß, das Haus ohne genaue Prüfung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit zu übernehmen. Oft gerieten sie in Abhängigkeit von Brauereien, denen etwa das Inventar gehörte oder die hohe Hypotheken auf das Haus vergeben hatten. Man bat dann den gewerkschaftlichen Versicherungskonzern »Volksfürsorge«, die Hypotheken abzulösen, was oftmals geschah.

In den Volkshäusern fanden nicht nur politische Versammlungen statt, sondern sie dienten auch der Bildung, der Kultur und der Freizeitgestaltung. In den meisten Häusern gab es Bibliotheken. Konzerte und Musikveranstaltungen, meistens von den Arbeitersängerbünden dargeboten, fanden ebenso wie Theatervorführungen, Lesungen usw. statt. Häufig waren Veranstaltungen (Gewerkschaftsjubiläen, 1. Mai, Versammlungen) von Rezitationen und musikalischen Darbietungen eingerahmt. Die Versammlungsräume wurden fast ausschließlich von der sozialistischen Arbeiterbewegung sowie von Verbänden und Familien, die der Arbeiterbewegung nahe standen, genutzt. Obwohl die Gaststätten grundsätzlich jedem offen standen, verkehrten dort tatsächlich nur die Organisierten.

Zumeist gab es in einer Stadt nur ein Volkshaus. Es lag häufig in der Nähe des Stadtzentrums, zumeist wohnten die Arbeiter in den schlechteren Wohnungsquartieren der Altsstädte. Nur selten gab es mehrere Volkshäuser in einer Stadt, sie waren dann Zeichen einer ausgesprochenen Stärke der Arbeiterbewegung. In Chemnitz, Dresden und Frankfurt am Main war das beispielsweise der Fall.

Zeitgenössische Kritik

Die Volkshäuser trafen innerhalb der Arbeiterbewegung nicht auf ungeteilte Sympathie. So kritisierte Clara Zetkin schon vor dem Ersten Weltkrieg, die Häuser spiegelten kleinbürgerliche Aufstiegswünsche der besser gestellten Arbeiterschichten wider, die Ornamentik und der Figurenschmuck der Gebäude kopierte oftmals lediglich den verbreiteten kleinbürgerlichen Kitsch. Franz L. Neumann, der während der Weimarer Republik Gewerkschaften als Jurist vertrat, war der Auffassung, die prachtvollen Bürohäuser hätten zur Lähmung des gewerkschaftlichen Widerstandswillens gegenüber dem Faschismus beigetragen, schließlich hätten die Führungen etwas zu verlieren gehabt. [1]

Die Volkshausbewegung bis zum Ersten Weltkrieg

In einigen Hochburgen der Arbeiterbewegung wurden seit der Jahrhundertwende Volkshäuser gegründet. Mitunter hatten diese Häuser riesige Säle: Der »Volkspark« in Halle bot etwa 2000 Besuchern Platz, das Volkshaus »Goldener Pflug« in Altenburg hatte eine vergleichbare Größe. In solchen Volkshäusern konnten Parteitage und Gewerkschaftskongresse abgehalten werden. Teilweise galten die Volkshäuser als »erstes Haus am Platze«, wie etwa das »Tivoli« in Dessau.

Im Winter 1914 organisierten Gewerkschaftsvorsitzende eine Führung für Reichstagsabgeordnete, in der die Berliner Gewerkschaftshäuser präsentiert wurden. Die Vorsitzenden wollten damit die Burgfriedenspolitik bekräftigen und den Abgeordneten beweisen, dass die Gewerkschaften etwas geschaffen hatten und die Behandlung als »Vaterlandslose Gesellen« nicht länger gerechtfertigt sei. Einige Häuser dienten während des Weltkrieges als Lazarett, so beispielsweise die Gewerkschaftshäuser in Berlin und in Halle.

Aber auch der andere Pol der Arbeiterbewegung nutzte die verbandseigenen Häuser: Die USPD wurde 1916 im Volkshaus »Mohren« in Gotha gegründet. Die Spaltung der USPD fand 1920 im »Volkspark« in Halle statt. Dort sprach sich die Mehrheit der USPD-Delegierten für den Beitritt zur Dritten Internationale aus.

Volkshäuser in der Weimarer Republik

Die Ausbreitung der Volkshausbewegung lässt sich nach der Novemberrevolution 1918 in zwei Phasen einteilen. In den ersten Jahren der Republik verzeichneten die Gewerkschaften einen enormen Aufschwung. Die Revolution setzte aber auch auf Seiten von Architekten und Stadtplanern progressive Kräfte frei. Schon seit Kriegsende waren utopische Entwürfe einer weltlichen und demokratischen »Stadtkrone« in Abgrenzung zu den sakralen Bauwerken entstanden, die bis dahin die Stadtsilhouetten geprägt hatten. Die Stadtkronen sollten »Kathedralen des Sozialismus« sein und den Aufbruch in ein neues Zeitalter symbolisieren. Diese utopische Welle ebbte ab, als die Inflation 1923 Massenelend auslöste. Gleichzeitig wurde die Neugründungswelle von Volkshäusern gebremst. Während der ersten Jahre der Republik kaufte die Arbeiterbewegung vorrangig bestehende Häuser, Neubauten waren die Ausnahme. Nach der Wirtschaftskrise von 1926 begann ein erneuter Aufschwung der Volkshausbewegung, gleichzeitig baute die Arbeiterbewegung in großem Umfang moderne, helle und gesunde Mietwohnungen für ärmere Bevölkerungsschichten. In einigen Städten wie Frankfurt am Main oder Magdeburg übernahmen das die Kommunen, bekanntestes Beispiel sind die Frankfurter Bauten von Ernst May.

Avantgardistische Architekten, die vorrangig der »Neuen Sachlichkeit« und dem Bauhaus angehörten – beispielsweise Bruno und Max Taut, Hannes Meyer oder Ernst Mendelssohn – stießen zur Gewerkschaftsbewegung. Sie entwarfen bereits 1924 das Vorstandsgebäude des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Später wurde die Vorstandsverwaltung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Berlin sowie Volkshäuser in den Städten Riesa, Weißwasser und Frankfurt am Main errichtet. Die Architektur sollte mit einer geraden, nüchternen und schlichten Formensprache Offenheit, Transparenz, und Demokratie verkörpern. Somit wurden die Volkshäuser zu Symbolen des Selbstbewusstseins und der Stärke der Arbeiterbewegung, die moderne Architektur sollte eine bessere Zukunft vorwegnehmen.

Die Volkshausbewegung hatte Ende der 20er Jahre ihren Höhepunkt, zwischen 170 und 200 Volks- und Gewerkschaftshäuser existierten. Große Häuser hatten bis zu 50 Beschäftigte. Das Volkshaus in Leipzig unterhielt eigene Nebenbetriebe wie eine Schlachterei, eine Wäscherei und sogar ein Weingut. Probleme beim wirtschaftlichen Betrieb der Volkshäuser traten auf. Eine eigene Zeitschrift mit dem Nahmen »Das Gewerkschaftshaus« wurde gegründet, in der die Bezahlung der Angestellten, Steuerfragen, Warenhaltung, Verträge mit Musikern usw. behandelt wurden. Die Weltwirtschaftkrise Anfang der 30er Jahre brachte viele Volkshäuser in wirtschaftliche Bedrängnis. Es herrschte Massenarbeitslosigkeit, die Mehrzahl der Arbeiter musste drastische Lohneinbußen und Arbeitslosigkeit hinnehmen. Ein Bier im Volkshaus wurde unerschwinglich. Einige Volkshäuser wurden zahlungsunfähig und anschließend zwangsversteigert. Die Mehrzahl der Häuser reduzierte das Personal und konnte sich so noch eine Zeit lang über Wasser halten.

Exkurs: »Volkshäuser« mit anderem gesellschaftlichen Hintergrund

Nicht alle Volkshäuser waren Einrichtungen der Arbeiterbewegung. Einige Sonderfälle sind bekannt. Das »Volkshaus Jena« wurde 1903 vom Sozialreformer und Unternehmer Ernst Abbé gegründet, Eigentümer war die Zeiß-Stiftung. Das Haus existiert noch heute. Es war Bildungsstätte und Versammlungsort einer sozialreformerisch orientierten Stiftung und stellt einen Ausnahmefall in der deutschen Gesellschaft dar. Bereits 1905 wurde dort der Parteitag der SPD abgehalten. Die Gewerkschaften gründeten in Jena ein eigenes Haus am Johannisplatz. Neben einer Anzahl von Häusern, die nicht Eigentum der Gewerkschaften waren und angepachtet wurden, nannten manche sozialdemokratischen Gastwirte ihre Gaststätte »Gewerkschaftshaus« als Zeichen der Nähe zu ihrer Kundschaft. In Funktion und äußerer Erscheinung unterschieden sie sich kaum von gewerkschaftseigenen Häuser. Bekannt geworden ist das privat betriebene »Haus des Volkes« in Probstzella/Thüringen. In der Weimarer Republik stand der Eigentümer den Gewerkschaften nahe, das Haus erfüllte vergleichbare Funktionen wie ein gewerkschaftliches Volkshaus. Schließlich gab es in Großstädten vereinzelt Volkshäuser, die von sozialreformerisch orientierten Kommunalverwaltungen als Begegnungs- und Bildungsstätte konzipiert wurden. Diese Sonderfälle von Volkshäusern standen der Arbeiterbewegung nahe, obwohl sie nicht deren Eigentum waren. Daneben existierte eine konfessionell geprägte konservative Volkshausbewegung, die aber keine Bedeutung erlangen konnte.

Kostspielige Einrichtungen wie die Volkshäuser blieben weitgehend auf die verhältnismäßig reiche deutsche Arbeiterbewegung beschränkt. Nur selten konnten andere dem Beispiel ihrer deutschen Genossen folgen. So wurde das »Maison du Peuple« in Brüssel bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und diente der Belgischen Sozialistischen Partei als Sitz des Vorstandes.

Die Feinde der Arbeiterbewegung attackierten in den Volkshäusern die Symbole der Arbeiterbewegung. Auf den Kapp-Putsch im März 1920 reagierten die Arbeiter mit einem Generalstreik, der den Putsch rasch beendete. In Leipzig setzten sich die Arbeiter besonders energisch zur Wehr. Ihr Versammlungsort war das große Volkshaus in der Zeitzer Straße, heute Karl-Liebknecht-Straße. Auch in Leipzig scheiterte der Putsch, abziehende Putschisten schossen das Volkshaus in Brand, das völlig zerstört wurde. Die Leipziger Gewerkschaften erhielten nur eine geringfügige Entschädigung, mit großem finanziellen Aufwand wurde das Volkshaus wieder in Stand gesetzt. Groß prangten die Worte »Trotz alledem!« am Neubau.

Zerschlagung der Volkshausbewegung durch den Faschismus

Es wird niemand erstaunen, dass die faschistischen SA-Schlägerbanden versuchten, gezielt die Arbeiter in ihren Hochburgen anzugreifen. Bekannte Beispiele sind der »Altonaer Blutsonntag« am 17. Juli 1932 und die »Köpenicker Blutwoche« zwischen dem 21. und dem 26. Juni 1933. Neben diesen herausragenden Fällen gab es eine Vielzahl von Saalschlachten. Es ging der SA nicht nur darum, eine Veranstaltung ihrer Gegner zu stören oder zu sprengen, sondern darum, der Arbeiterbewegung ihre eigene Ohnmacht vor Augen zu führen. Dies gelang zumeist. Höhepunkt der Angriffe auf die Volkshäuser war der März 1933. Besetzungen, Diebstähle, Sachbeschädigungen, willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und Morde fanden statt. Die Polizei stand tatenlos daneben. Im April 1933 ließen die Angriffe nach, manche hofften darauf, dass eine Verständigung mit den Faschisten möglich sei.

Das war ein grober Fehler, intensiv wurde die Besetzung der Gewerkschaftshäuser von den Nazis vorbereitet. Hermann Göring erteilte als Dienstherr der Polizei die Weisung, nicht gegen die nun reichsweit organisierte Besetzung vorzugehen.

Vor 75 Jahren, am 2. Mai 1933, war es so weit: Alle Gewerkschaftshäuser wurden um zehn Uhr besetzt, die Gelder beschlagnahmt und die politischen Sekretäre verhaftet. Viele von ihnen kamen in »Schutzhaft« oder wurden in Konzentrationslager verbracht. Morde wurden verübt, in Duisburg wurden beispielsweise drei Gewerkschaftssekretäre und ein zufällig anwesender ehrenamtlicher Kollege ermordet. Die Gewerkschaften wurden aufgelöst, den abhängig Beschäftigten jegliche Mitwirkungsmöglichkeit an ihren Arbeitsbedingungen genommen. Damit war selbstverständlich auch der Endpunkt des politischen und kulturellen Lebens in den Volkshäusern markiert.

Die Häuser eignete sich die »Deutsche Arbeitsfront«, die faschistische Arbeitsorganisation, an. Einige der Volkshäuser wurden Nazis übereignet, die sie zu Versammlungsstätten für ihre Parteigänger machten. Etliche Häuser wurden zwangsversteigert und anschließend »normale« Gaststätten. Andere gingen in das Eigentum der Stadtverwaltungen über. Es ist nicht bekannt geworden, dass die Volkshäuser zu Treffpunkten von Widerstandskämpfern wurden. Es liegt nahe, dass bei konspirativen Treffen eher die Stätten gemieden wurden, die sich der politische Todfeind angeeignet hatte. Im früheren Anhalt wurden die Volkshäuser vermietet, die Mieteinnahmen wurden zur Deckung der Unterbringungskosten der Arbeiterfunktionäre in den Konzentrationslagern genutzt. Das kleine Volkshaus in Roßlau diente einige Monate als so genanntes wildes KZ. Die innerstädtische Lage der meisten Volkshäuser führte vielfach zu Zerstörungen oder starken Beschädigungen im Luftkrieg. Vorrangig in Westdeutschland, aber auch in Berlin, Dresden, Dessau, Rathenow oder Magdeburg wurden die Volks- und Gewerkschaftshäuser ein Raub der Flammen. Das wieder aufgebaute Leipziger Volkshaus wurde stark beschädigt, nach dem Krieg zum zweiten Mal wiedererrichtet.

Volkshäuser nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland

Der Zweite Weltkrieg zog weitreichende Veränderungen nach sich. Der Krieg hatte insbesondere die innerstädtischen Wohnquartiere zerstört, die häufig von Arbeitern bewohnt waren. Das proletarische Milieu löste sich auf. Im Kalten Krieg war linkes Gedankengut unerwünscht und teilweise kriminalisiert. Die KPD wurde verboten. Inzwischen entstanden Einheitsgewerkschaften. Sie waren deutlich größer als die Verbände der Weimarer Republik, die oft noch dem Berufsverbandsprinzip anhingen und zudem politisch zersplittert waren. Die Delegiertenversammlung löste die Mitgliederversammlung ab. Man konzentrierte sich auf ein Haus in einer Stadt. Die Sozialdemokratie versuchte, die Arbeiterbewegung in die Gesellschaft hineinzuführen. Die Arbeiterkulturbewegung trocknete aus, eigene Arbeitersport- oder -gesangvereine wurden meist nicht wiedergegründet.

Parallel zu diesem organisatorischen Wandel veränderte sich die Lebenssituation von Arbeitern merklich. Seit den 60er Jahren nahm der Wohlstand zu: Arbeiter fuhren in den Urlaub, konnten sich bessere Wohnungen und Bildung leisten. Selbst Leute aus den untersten Einkommensschichten konnten mit Fernsehgeräten in ihren eigenen vier Wänden Unterhaltung und Zerstreuung erleben. Die Notwendigkeit, zur Ablenkung die Wohnung zu verlassen, in die Kneipe oder gar ins selbst verwaltete Volkshaus zu gehen, sank drastisch.

Nach dem Kampf um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren ist ein merklicher Rückgang der Kulturarbeit der Gewerkschaften zu spüren. Durch Gewerkschaftszusammenschlüsse hat sich die Anzahl der DGB-Gewerkschaften in den letzten eineinhalb Jahrzehnten halbiert. Auf Mitgliederverluste in den 90er Jahren reagierten viele Gewerkschaften mit dem Rückzug aus der Fläche. Damit sank die Notwendigkeit, eine aufwändige örtliche Infrastruktur – insbesondere Versammlungsräume sind kostspielig – zu unterhalten. Im Gegensatz zum Kaiserreich haben die Gewerkschaften heutzutage keine Probleme, geeignete Räume für eine Tagung oder eine Versammlung anzumieten. Insofern kann man feststellen, dass heute für Arbeiter und für die Gewerkschaften ein deutlich geringerer Bedarf an Einrichtungen wie Volkshäusern besteht. Die Mehrzahl der Mitglieder ist in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen. Die Arbeiterbewegung hat mehr erreicht, als sich die Vordenker seinerzeit vorgestellt haben, aber ihr Hauptziel – eine solidarische und friedliche Gesellschaft, weltweit, frei von Hunger, Krankheit, Unterdrückung und Ausbeutung – liegt jedoch immer noch in weiter Ferne.

* Holger Gorr ist Soziologe, arbeitet bei der IG-Metall in Frankfurt am Main und beschäftigte sich mit der Wiedererlangung des Alteigentums der Arbeiterbewegung in den neuen Bundesländern.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/08


(1) Franz L. Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Köln/Frankfurt am Main 1977, S. 476/477. Neumann spannt dort einen großen Bogen, nicht nur die Gewerkschaftshäuser, auch die Bildungsstätten, die Konsumgenossenschaften, die Arbeiterbank, die Volksfürsorge usw. versteht er als Beleg der Bindung an den Staat. Dadurch verloren die Gewerkschaften (auch die SPD) ihre Handlungsfreiheit. Opposition hätte Streik bis zum Bürgerkrieg bedeutet, worauf die Arbeiterbewegung weder ideologisch noch organisatorisch vorbereitet war. Selbst die Lohnhöhe konnten die Gewerkschaften nicht mehr verteidigen, die gewerkschaftliche Arbeitslosenunterstützung wurde eingeschränkt.


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