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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Starthilfekabel« Marian Fischer über Organizing und »Fabrikintervention« heute Nach Wolfgang Schaumbergs kritischen Kommentaren zu Jan Ole Arps' »Frühschicht« im letzten express hatten wir Gelegenheit, mit ihm und dem Autor im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung genauer über das Experiment und die Fallstricke »linker Betriebsintervention« zu diskutieren. Zu einem aber kamen wir dort angesichts der vielen Zeitzeugen-Beiträge nicht: das Verhältnis Selbstorganisation und Stellvertreterpolitik auch an modernen Organizingansätzen zu diskutieren. Dies holt nun Marian Fischer in seinen Anmerkungen zu »Frühschicht« nach. Mit seinem Buch »Frühschicht – Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren« zeichnet Jan Ole Arps die Versuche linker studentischer Gruppen nach, von der Universität in die Gesellschaft zu intervenieren. Genauer, die Versuche mit revolutionärem Anspruch, in die Produktionsbetriebe Westdeutschlands zu intervenieren und die Arbeiterklasse für den ›revolutionären Kampf‹ zu gewinnen. Dies illustriert er am Beispiel zweier unterschiedlicher Gruppierungen: den sogenannten ›ML-Gruppen‹, d.h. maoistisch und leninistisch organisierten Gruppen, und den eher Antiautoritären, den am italienischen Operaismus orientierten politischen Zusammenhängen. Als gesellschaftlichen Hintergrund dieser Interventionen beschreibt er eine Aufschwungphase linker Bewegungen um 1968, die sich weltweit in revolutionären Aufbrüchen, den gemeinsamen Kämpfen von ArbeiterInnen und Studierenden in Italien und Frankreich sowie in der ›Studentenbewegung‹ in der BRD ausdrückte. Von einer ganzen Generation von linken AktivistInnen im außerparlamentarischen Spektrum wurden die Fabrikinterventionen der 70er-Jahre bisher eher als Randphänomen wahrgenommen, die mit der eigenen Praxis und Politikvorstellung erstmal nichts weiter zu tun haben. Identitätsstiftende Bezugspunkte sind hier eher die defensiven antifaschistischen und antirassistischen Kämpfe seit den 90er-Jahren, die inzwischen verebbte Antiglobalisierungsbewegung um die Jahrtausendwende und die neuen Organisierungsversuche in der BRD seit dem G8-Gipfel 2007. Mit »Frühschicht« leistet Arps daher einen wichtigen Beitrag zur linken Geschichtsschreibung, zur Verständigung zwischen den Generationen von AktivistInnen, und macht deren Erfahrungen als Reflexionsfolie zugänglich. Arps macht nachvollziehbar, warum tausende junge Linke den Weg in die Betriebe suchten. Als entscheidend für diesen Schritt führt Arps die Einsicht der AktivistInnen in die eigene gesellschaftliche Abgeschiedenheit an. Denn die Kämpfe der Studierenden konnten sich trotz richtig geglaubter Analyse nicht verbreitern und blieben in ihrer Trägerschaft beschränkt – eine Situation, in der sich auch heute manch linke/r Aktivist/in wiedererkennen dürfte. So war bereits damals für viele klar: »[A]uf sich allein gestellt (...) konnten die Studenten die Gesellschaft nicht grundlegend verändern. Sie brauchten einen Bündnispartner, genauer gesagt: die Arbeiterklasse« (S. 25). Die Arbeiter waren für die AktivistInnen, ob operaistisch oder ML-orientiert, gleichermaßen Hoffnungsträger und Projektionsfläche. Grund zu der Hoffnung, dass die Revolten in der BRD auch die Arbeitswelt erfassen könnten, stiftete eine Welle wilder Streiks 1969. »Eine solche Streikwelle hatte es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.« (S. 34). Diese Streiks, die jenseits institutionell geregelter und an Tarifrunden gekoppelter Aushandlung stattfanden und zum großen Teil auch vom gewerkschaftlichen Kernklientel mitgetragen wurden, ließen die Linke auf einen Bruch der Arbeiterklasse mit der Sozialdemokratie und gewerkschaftlicher Repräsentanz hoffen. Hoffnungen auf die Entfaltung von gemeinsamen Kämpfen von StudentInnen und ArbeiterInnen wie in Italien und Frankreich wurden wach. Vor diesem Hintergrund schienen zu Beginn der Interventionen schnelle Erfolge möglich. Die ML-Gruppen setzten hierzu auf die Übernahme einer unterstellten proletarischen Lebensweise (kurze Haare, Kleinfamilie), so »sollten die Maoistischen Kader (...) ihre kleinbürgerliche Herkunft ›überwinden‹ und zu ›Arbeitern werden‹« (S. 62). Durch konsequente Beteiligung an Arbeitskämpfen sollte das Vertrauen der Arbeiter gewonnen und zugleich der ›Verrat‹ der Gewerkschaften und ›Revisionisten‹ aufgezeigt werden. Das politische Bewusstsein sollte von ›außen‹ durch die Revolutionäre an die Arbeiter herangetragen werden, denn die Partei galt als »›objektive‹ Trägerin des proletarischen Klassenbewusstseins« (S. 60). Während die ML-Gruppen also mit einem eher statischen Bild einer zu belehrenden Arbeiterschaft in die Fabriken zogen, stand für die operaistisch Orientierten ein ›Kennenlernen‹ dieser im Vordergrund. Klassenverhältnisse sollten in ihrer betriebsspezifischen Erscheinungsform untersucht werden. Die ›autonomen Bedürfnisse‹ der ArbeiterInnen (mehr Geld, weniger Arbeit, mehr Freizeit, weniger Hierarchie), wiesen, so die Vorstellung, bereits in ihren Tendenz über die Grenzen des Bestehenden hinaus. In diesem Ansatz sahen sich die AktivistInnen weniger als allwissende Oberlehrer, sondern vielmehr als der ›Funke am Pulverfass‹. Arps schildert das Auseinanderklaffen zwischen der Analyse der Intervenierenden und dem Problemempfinden der Arbeiter. Das verdeutlicht er unter anderem an den Kämpfen türkischer Arbeiter bei Ford, denen es in erster Linie nicht um Geld, sondern um Respekt ging. Ebenso zeigt er dies anhand des Verhältnisses zu deren deutschen Kollegen, die in Teilen rassistisch reagierten, statt ›ihr objektives Interesse‹ zu erkennen. Deutlich wird dies aber auch am Beispiel junger Arbeiter bei Opel, die sich, nachdem sie mit den Aktivisten in Kontakt kamen, eher für Wohngemeinschaften und alternativen Lebensstil begeisterten als für den Kampf in der Fabrik. Dass die Arbeiterklasse nicht ganz so tickte wie erwartet, führte bei MLern wie auch Operaisten zu einem ersten Realitätsschock. Für einen zweiten sorgte die Fabrik selbst. Arps beschreibt den Gang der Studenten von der Universität in die Fabrik daher folgerichtig als »Übergang von einer Welt in die andere« und spricht vom »Rhythmus, den die Fabrik den Menschen aufzwingt«. Dabei waren offensichtlich nicht nur die Schichtpläne und die Arbeitsorganisation das Problem. Vielmehr waren die Studierenden mit den Schwierigkeiten konfrontiert, die sich offenbaren, wenn der eigene Erfahrungsbereich verlassen und ein fremder betreten wird. Implizite Regeln, Verhaltensweisen und Kommunikationsformen, aber auch Erwartungen und Zielvorstellungen waren ihnen unbekannt, und so blieben viele von ihnen Fremdkörper in den Betrieben. Ebenso blieben den ArbeiterInnen die Sprache der Flugblätter, die Abgrenzungsversuche der verschiedenen linken Gruppierungen untereinander und die von ihnen ausgegebenen Ziele fremd. Die Ansätze, die Arbeiter für die Partei zu begeistern bzw. die betrieblichen Konflikte immer weiter zuzuspitzen, brachen sich zunehmend an der betrieblichen Realität. Für Linke, ob inner- oder außerhalb der Betriebe, lässt sich aus den Erfahrungen der Fabrikintervention bis hierher zumindest ableiten, dass über die unterschiedlichen sozialen Realitäten nicht hinweggegangen werden kann und die Ziele und der Eigensinn der Menschen zu respektieren sind. Wer von außen kommt, eine abstrakte Wahrheit verkündet und darauf hofft, dass ihm die Leute vor Begeisterung die Tür einrennen, oder erwartet, mit einer kleinen Aktion von heute auf morgen einen Flächenbrand auszulösen, wird zwangsläufig daran scheitern. Eine Politik, die Menschen als Manövriermasse oder schlicht als Zielgruppe von Agitation begreift, scheitert zu Recht. Stattdessen empfiehlt es sich, die Auseinandersetzung mit den betrieblichen Logiken und den sozialen Belangen der KollegInnen zu suchen. Kenntnis der betrieblichen Kultur, der gängigen Verhaltensweisen und das Wissen darum, was Beschäftigte wollen, sind eine entscheidende Voraussetzung für Erfolg oder Scheitern einer betrieblichen Kampagne. Betriebsintervention heute? »Wer in der Geschichte des linken Fabrik-Experiments gute Beispiele zu finden hofft, wird (...) enttäuscht werden« (S. 211), schreibt Arps im letzten Kapital und spricht sich gegen Interventionen in den Betrieben heute aus. Denn bereits die ML-Gruppen seien mit der Übernahme von Organisationsmodellen aus den 20er-Jahren gescheitert. In Bezug auf die ML-Gruppen ist Arps recht zu geben, deren organisatorische und politische Ansätze liegen zu Recht auf dem Müllhaufen der Geschichte. Den ›operaistischen‹ Ansatz entsorgt er jedoch – wie wir weiter unten sehen werden – zu schnell, weist er doch einige Parallelen zu aktuellen Ansätzen auf. Als Blaupause taugen die Ansätze aus den 70ern zwar nicht, das ist richtig, doch als Reflexionsfolie sind sie allemal geeignet. Aus den gemachten Erfahrungen lässt sich lernen, wie die eine oder andere Sackgasse vermieden werden kann. Ebenso wenig haben sich die Gewerkschaftsapparate oder die rechtlichen Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Arps schlussfolgert, dass »beide Modelle zur Gesellschaftsveränderung« (S. 213) nicht aufgingen, und er beschreibt, dass jene, die in den Fabriken blieben, bald Abschied genommen hätten von »revolutionären Perspektiven« (S. 212). Dennoch bleibt festzuhalten, dass jene, die in den Betrieben geblieben sind, »nach kurzer Zeit ›Interessenvertretung‹, meist ›konsequenter‹ [gemacht haben], als es die traditionellen Interessenvertreter taten, oft auch demokratischer ...« (S. 212). Hier ist genauer hinzuschauen. Was Arps als Scheitern beschreibt, ließe sich genauso gut interpretieren als ›rausgeholt, was in nicht-revolutionären Zeiten eben geht‹. Für diese andere Sicht auf die Dinge spricht auch der Beitrag von Wolfgang Schaumberg von der Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) bei Opel (s. express, Nr. 8-9). Die Kolleginnen und Kollegen von GoG halten in ihrer betriebspolitischen Praxis daran fest, dass der Kapitalismus ein zu überwindendes Gesellschaftssystem ist. Im Fabrikalltag erlebten sie es als wichtig und befriedigend zugleich, »die Eigeninitiative zur Gegenwehr voranzubringen, aufrechten Gang vorzumachen und mit anderen einzuüben«. Auch die Möglichkeiten der Betriebsratsarbeit wurden anders genutzt, als »sie vom Betriebsverfassungsgesetz mit seiner Doktrin friedlicher Sozialpartnerschaft gemeint sind« (ebd.). Als Alternative für eine linke Strategie schlägt Arps vor: »Gespräche organisieren und eine neue Sprache suchen (...) Orte zu finden und schaffen, an denen sich eine Wut äußern kann« (S. 222). In diesem Zusammenhang führt er als Positiv-Beispiel das Konzept des gewerkschaftlichen Organizings an (S. 221). Das überrascht, weist der Organizing-Ansatz doch zahlreiche Parallelen zu den Interventionen der 70er-Jahre auf. Auch die Organizer treten zunächst von außen, als Betriebsfremde, an eine Belegschaft heran – wenn das mal keine Intervention ist. Organizer wollen Beschäftigte in einer Organisation – der jeweiligen Gewerkschaft – organisieren. Sie suchen in der Belegschaft nach sogenannten Schlüsselpersonen, bringen Aktive zusammen und bauen mit ihnen Aktivenkreise auf. Diese Aktivenkreise sind die Struktur, die Aktionen tragen und Konflikte führen soll. Nachdem die Organizer weiter gezogen sind, sollen die Aktivenkreise in der Lage sein, selbstständig weiterzuarbeiten. Ziel ist es, ›nachhaltige‹ gewerkschaftliche Strukturen zu schaffen. Ein Vergleich mit dem antiautoritären Ansatz der Gruppe »Revolutionärer Kampf« illustriert die Gemeinsamkeiten. Arps beschreibt diesen Ansatz wie folgt (vgl. S. 51): Der Fokus lag auf einer langfristigen Organisation. In betrieblichen Kämpfen würden sich diejenigen Arbeiter zu erkennen geben, mit denen man »revolutionäre Kerne« aufbauen könne. Wenn diese Kerne sich stabilisiert hätten, wollte man den Betrieb wieder verlassen. »Man verstand sich gewissermaßen als Starthilfekabel für die revolutionäre Selbstorganisation der Arbeiter«. Auch der Anspruch, nicht zu repräsentieren, sondern dazu zu befähigen, die eigenen Belange zu ›artikulieren‹ (S. 53) deckt sich mit einem Leitmotiv des Organizings. Ähnlich wie im Ansatz des Revolutionären Kampfs – und hierin besteht ein zentraler Unterschied zu dem Ansatz der ML-Gruppen – soll auch ein Organizing-Prozess im Idealfall dazu führen, dass die Organizer sich nach und nach überflüssig machen. Die DGB-Gewerkschaften IG Bau, ver.di und IG Metall setzen inzwischen in unterschiedlicher Intensität auf verschiedene Varianten von Organizing – und das nicht ohne Erfolg. Doch Organizing ist nicht ausschließlich daraufhin orientiert, Basisaktivität zu befeuern, oder gar ein per se linkes Konzept, auch wenn sich in der kleinen Organizer-Szene bisher erfreulich viele Linke tummeln. Materielle Grundlage für die Organizing-Experimente ist eher die Erosion der bisherigen gewerkschaftlichen Geschäftsgrundlage als eine emanzipatorische Verschiebung der Kräfteverhältnisse in den Gewerkschaftsapparaten. Die brüchig gewordene Sozialpartnerschaft, heterogener werdende Belegschaften, die Aushöhlung der Tariflandschaft und die härtere Gangart des Kapitals lassen das eingespielte gewerkschaftliche Handlungsrepertoire zunehmend ›alt aussehen‹. Organizing soll hier helfen, wieder auf die Höhe der Zeit zu kommen. Nichtorganisierte Bereiche sollen erobert und gewerkschaftliche Organisationsmacht wiederhergestellt werden. Genauso sind die Organizing-Konzepte aber auch verbunden mit der Hoffnung auf schnellen Mitgliederzuwachs und mit dem Abstecken von Zuständigkeiten in Zeiten gewerkschaftlicher Konkurrenz. Die Konzeption des Organizing-Ansatzes trägt dennoch Emanzipationspotentiale in sich. Organizing kommt nicht ohne Konflikt aus, setzt auf Basisbeteiligung statt Stellvertretertum und macht die Themen der Beschäftigten zum Ausgangspunkt betrieblicher Aktivität. Im Idealfall führt das zur Herausbildung solidarischer Strukturen in den Belegschaften, die in der Lage sind, eigenständig für ihre Belange einzutreten, Konflikte zu führen und sich im Gewerkschaftsapparat Gehör zu verschaffen. Nicht unberechtigt ist darum die Hoffnung, dass mit Organizing dazu beigetragen werden kann, die verschlafene Konfliktkultur in der BRD zu beleben und etwas bunter zu gestalten. Das weist noch nicht über das Bestehende hinaus und ist auch kein Ersatz für eine linke Intervention. Dazu führen, dass es Linke in den Betrieben künftig leichter haben, könnte es allemal. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10/11 |