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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Zurück ins Zentrum Ingo Schmidt* über die Grenzen neoliberaler Krisenpolitik und falsche Sündenböcke Ende April verständigte sich die griechische Regierung mit dem IWF und der EU-Kommission auf ein 110 Mrd. Euro schweres Kreditpaket. Dadurch wurde die Refinanzierung fälliger Schulden gesichert, die am Kapitalmarkt nur noch zu prohibitiven Zinssätzen möglich gewesen wäre. Gleichzeitig verpflichtete sich die Regierung in Athen zu einem drakonischen Sparprogramm, dessen Einhaltung von IWF und EU-Kommission gemeinsam überwacht wird. Vorausgegangen waren wochenlange Medien- und Börsenspekulationen über eskalierende Staatsverschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Staatsbankrott. Diese Spekulationen richteten sich nicht nur gegen Griechenland, sondern auch gegen Portugal, Irland, Italien und Spanien; in gehässiger Weise oft als »PIIGS« zusammengefasst. Folgerichtig wurde das Kredit-Sparpaket für Griechenland lediglich als erstes in einer Reihe angesehen, an deren Ende möglicherweise sogar der Austritt oder Ausschluss von Ländern aus der Europäischen Währungsunion vermutet wurde. Wie auch immer sich die Fiskalkrisen in den genannten Ländern entwickeln mögen: Mit Steuergeldern abgesicherte Kreditgarantien erwarten private Investoren in jedem Fall. Zu Recht, wie die Schaffung des 750 Mrd. Euro-Rettungsfonds bei einem EU-Gipfel Anfang Mai gezeigt hat. Auf diesen Fonds können künftig EU-Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, kurzfristig zugreifen, müssen sich im Gegenzug aber zur mittel- und langfristigen Sanierung ihrer Haushalte verpflichten. Zurück zum neoliberalen Normalzustand? Das Muster »kurzfristige Kredithilfe gegen dauerhafte Verpflichtung auf neoliberale Wirtschaftspolitik« hat seit Beginn der internationalen Schuldenkrise in den frühen 1980er Jahren die ganze Welt umgepflügt und gilt in Wirtschafts- und Regierungskreisen als alternativlos. Der Flirt mit John Maynard Keynes, zu dem sich verunsicherte Finanzmagnaten und Politiker während der Börsenstürze 2008/09 haben hinreißen lassen, ist wieder vergessen. Dennoch ist die Welt nicht mehr so, wie sie sich von den 1980ern bis zum Wall Street-Krach im September 2008 entwickelt hat: Zwar mag in den Herrschaftszentren dieser Welt weiterhin neoliberal gedacht und gehandelt werden, die neoliberale Akkumulationsmaschine lässt sich trotzdem nicht wieder in Gang setzen. In der Vergangenheit wurden Finanzkrisen in der Peripherie in den Zentren entweder gar nicht wahrgenommen oder führten in letzteren sogar zu Kursfeuerwerken. Periphere Krisen waren ein Kernbestandteil neoliberaler Akkumulation in den Zentren. Jetzt ist alles anders: Die Krise in Griechenland wurde als Menetekel einer zerfallenden Währungsunion angesehen. Unmittelbar vor Einrichtung des EU-Rettungsfonds brachen die Kurse an Börsen in Europa, Amerika und Asien ein und stiegen erst wieder an, nachdem die EU Ausfallgarantien für die Euro-Länder gegeben und die Zentralbanken in Frankfurt und Washington dem europäischen Finanzsystem eine weitere Liquiditätsspritze verpasst haben. Die Geldmarkt-Intervention der US-Zentralbank in Europa zeigt, dass die aktuelle Entwicklung in Griechenland und Europa als Teil eines weltweiten Krisenprozesses wahrgenommen wird. Aus gutem Grund: Die europäische Währungsunion wurde zu einer Zeit beschlossen, als das neoliberale Projekt im Westen konsolidiert werden konnte und gleichzeitig die Expansion des Kapitalismus in die ehemals staatssozialistischen Länder Osteuropas und Asiens begann. Die Währungsunion bzw. der europäische Integrationsprozess insgesamt, war Teil dieser Doppelbewegung aus Konsolidierung und Expansion. Mit der gegenwärtigen Fiskalkrise in Griechenland wird ein Akkumulationszyklus abgeschlossen, der 1992 mit den Währungskrisen in Großbritannien und Schweden begonnen hatte und in der Zwischenzeit durch das neoliberale Politikmodell vorangetrieben und abgesichert wurde. Eine Fortsetzung der neoliberalen Politik wird diesen Akkumulationsprozess nicht wieder in Gang setzen, sondern ökonomische Stagnationstendenzen festschreiben. Zur Erinnerung: Im Februar 1992 wurde der Maastricht-Vertrag zur europäischen Währungsunion unterschrieben. Dieser enthielt neben dem Zeitplan zur Euro-Einführung auch finanzpolitische Richtlinien für die Mitgliedsländer und eine No-Bailout-Klausel. Letztere sollte verhindern, dass in Zahlungsschwierigkeiten geratene Länder der Euro-Zone Liquiditätshilfen von anderen Ländern erhalten. Mit dem jüngst eingerichteten EU-Rettungsfonds wurde diese Klausel schlicht umgangen. Finanzpolitische Richtlinien, insbesondere die 1997 in den Stabilitätspakt überführte Obergrenze von drei Prozent des BIP für öffentliche Defizite, und die No-Bailout-Klausel sollten jedes einzelne Mitgliedsland der Währungsunion auf eine Sparpolitik verpflichten, die im Endeffekt zu einer Senkung der Staatsquote führen und dadurch die private Akkumulation anregen sollte. Sinkende Staatsquoten wurden zwar nicht realisiert, die Akkumulation ist aber trotzdem in Gang gekommen, auch wenn die Wachstumsraten der Nachkriegsprosperität nicht wieder erreicht werden konnten. Unmittelbar dem Maastricht-Vertrag vorangegangen waren Krisen. Die Weltwirtschaft war 1991, während der »heißen Phase« der Verhandlungen über die Währungsunion, in eine Konjunkturkrise eingetreten, die allerdings schnell überwunden werden konnte. Dafür erlebten Großbritannien und Schweden im September 1992, kurz nach Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags, Währungs- und Finanzkrisen, die in beiden Ländern zu einem Anti-Euro-Konsens sowie – im Falle Großbritanniens – zur Stabilisierung ihrer Stellung im »neoliberalen Weltsystem« bzw. – im Falle Schwedens – zur Eingliederung in dieses System führten. Die klassenübergreifende Ablehnung des Euro erlaubte es der City of London, ihre Stellung als Außenposten des Dollar-Wall-Street-Regimes zu festigen. Dadurch wurde, ähnlich wie in den USA, ein Finanzmarkt-getriebener Aufschwung möglich. Die aktuelle Krise hat Großbritannien denn auch in die gleiche »Defizitklasse« – über 12 Prozent in 2009 – katapultiert wie die USA – und Griechenland. Der Unterschied: In den Heimstätten des Finanzmarktkapitalismus wird die Defizitbekämpfung der eigenen Regierung überlassen, in Griechenland treten IWF und EU-Kommission als oberste Sparkommissare auf. In Schweden führte die Währungs- und Finanzkrise zu einer Abkehr von jenem »Nischenkeynesianismus«, mit dem sich das schwedische Sozialstaatsmodell, seit den 1930er Jahren als ›Volksheim‹ bekannt, durch die von Reagan und Thatcher dominierten 1980er gemogelt hatte. Zur Überwindung der Krise führte die schwedische Regierung das Modell der großzügigen Sozialisierung privater Verluste ein. Dieses Modell trug zur Transformation einer privaten Finanzkrise in eine Fiskalkrise des Staates bei und schuf damit jenen Konsolidierungsdruck, der notwendig ist, um den Rückbau von Sozialstaaten politisch durchzusetzen. Kein Wunder, dass die Architekten der ›Bad Banks‹ auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 das »Finanzkrisen-Modell Schweden« zum Vorbild nahmen. Gleichwohl können die gegenwärtigen Krisen von der Wall Street bis zum griechischen Finanzministerium nicht als bloße Wiederholung der Konjunktur- und Finanzkrisen zu Beginn der 1990er Jahre angesehen werden. Die Expansion nach Osteuropa und China nahm damals erst ihren Anfang, ist aber mittlerweile an ihre Grenzen gestoßen. Viele Länder Osteuropas haben sich bereits kurz nach Ausbruch der Krise Kredit- bzw. Sparprogramme verpassen lassen und fallen somit auf absehbare Zeit als Nachfragemotoren der Weltwirtschaft aus. China hat im Verlauf der Krise zwar seine Binnennachfrage erheblich ausgedehnt und sich dabei jüngst sogar ein Handelsbilanzdefizit eingehandelt. Die dabei angewandte Methode der gleichzeitigen Förderung von Schulden und Spekulation entspricht jedoch genau jenem Modell, das in den USA und Großbritannien nach einer Phase der Euphorie zu Börsenkrach und Wirtschaftskrise geführt hat. Kurz: Die Nachfragemotoren, von denen die Weltwirtschaft seit den frühen 1990er Jahren angetrieben wurde, sind entweder bereits ausgefallen oder gerade dabei, heiß zu laufen. Das ist auch der Grund, weshalb die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone bzw. der EU insgesamt gerade jetzt zum Thema werden. Mit der Finanz- und Produktivkraft der europäischen Zentren konnten die Peripherien im Süden und Osten Europas zu keiner Zeit konkurrieren. Sollten sie auch gar nicht: Sie waren gerade gut genug, Waren aus den Zentren abzunehmen und die dortigen Arbeiterklassen durch die Drohung mit Produktionsverlagerung in die Peripherie auf Trab zu halten. Das ist gelungen, und dabei sind in der Tat Produktionskapazitäten in der Peripherie entstanden, deren Installation zeitweilig einen Investitionsboom ausgelöst hat. Als dieser sich dem Ende zuneigte, der Kapitalzustrom aus den Zentren aber anhielt, verlagerte sich die Akkumulation in den europäischen Peripherien, insofern den amerikanischen und britischen Zentren des Finanzkapitalismus vergleichbar, immer mehr in Richtung Immobilienboom und schuldenfinanziertem Konsum. Die 2008 in den Zentren ausgebrochene Krise hat die Kapitalflüsse in die Peripherien drastisch reduziert. Ohne eine Ausweitung von kreditfinanzierten Staatsausgaben hätte der wirtschaftliche Absturz dort ebenso wenig eingedämmt werden können wie in den Zentren. Nur fällt es den Regierungen der Peripherie, schließlich werden auch Staatspapiere international gehandelt, sehr viel schwerer, sich in Krisenzeiten auf dem Kapitalmarkt mit Geld zu versorgen als den Machtzentren von Washington bis Berlin. Die Staatspapiere der Zentren gelten als sichere Anlage, die der Peripherien stehen unter permanentem Junkbond-Verdacht. Dieses Kalkül unterstellt allerdings, dass Zentren und Peripherien getrennte Welten darstellen: Erstere bewohnt von ebenso fleißigen wie sparsamen Bevölkerungen – Klassen kennt die Investorenklasse bekanntlich nicht – und regiert von verantwortungsbewussten Regierungen, während letztere die Heimat von Faulenzern und korrupten Bürokraten sind. Darüber kann man denken, wie man will. Tatsache ist, dass Zentren und Peripherien sich als Bestandteile eines kapitalistischen Weltmarktes entwickelt haben. Erstere mögen letztere politisch beherrschen, oder zumindest dominieren, und wirtschaftlich ausbeuten. Wenn sich in letzteren aber keine neuen Märkte mehr erschließen lassen, wird es auch für die Zentren eng. Waren finden keinen Absatz und Kapital keine rentablen Anlagemöglichkeiten. Die Krise kehrt von der Peripherie in die Zentren zurück, von denen sie mit Immobilienkrise und Börsenkrach 2008 ausgegangen war. Die politischen Konflikte um die Durchsetzung der Griechenland vorgeschriebenen Sparpolitik werden sich dann in Washington, London, Paris und Berlin wiederholen. Gewerkschaftsaktivisten in den Zentren haben allen Grund, sich schon jetzt mit ihren Kollegen in Griechenland zu verständigen. Auf sich allein gestellt, wird die griechische Arbeiterbewegung nicht viel gegen die Triade aus IWF, EU-Kommission und eigener Regierung ausrichten können, egal wie klug und mutig sie auch vorgehen mag. Als Ausgangspunkt einer europäischen Bewegung stehen die Chancen für die Arbeiterklassen in den Peripherien und den Zentren wenigstens etwas besser. * Ingo Schmidt lebt in Vancouver und leitet das Labour Studies Program der Athabasca University. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5-6/10 |