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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Unser soziales Europa ? Die meisten Versuche, eine Art Aufbruchstimmung zur europäischen
Einigung entweder zu erzeugen, oder doch wenigstens zu simulieren, sind
aufgegeben worden: 1.Kurze Bemerkungen zur Vorgeschichte und Verlauf der Osterweiterung Was nun am 1.Mai 2004 vollzogen wird, der Beitritt 10 weiterer Staaten, wovon 7 ehemals im Mitglieder des "Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe" und einer Bestandteil Exjugoslawiens waren, war beispielsweise Ungarn einst bereits für 1996 "versprochen" worden. Hannes Hofbauer fasst in seinem Beitrag "Peripherisierung" bei der "Jungen Welt" vom 29.April 2004 diesen Verlauf so zusammen: "Am Freitag, den 13. Dezember 2002, beschlossen Rat und Kommission der Europäischen Union im dänischen Winter die Einladung an acht osteuropäische Staaten (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien) sowie an Malta und Zypern, dem Brüsseler Klub beizutreten. Seit November 1998 haben dazu strikt bilaterale Gespräche zwischen EU und den je einzelnen Aufnahmekandidaten stattgefunden, in denen es um die Übernahme von EU-Recht und neoliberalen Standards ging - im Brüsseler Amtsjargon "Aquis communitaire" genannt. Verhandelt wurde hierbei nicht, der gesamte EU-Rechtsbestand ist den einzelnen nationalen Verfassungen übergestülpt worden; bei einzelnen Kapiteln, wie z.B. der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit oder dem freien Erwerb von Grund und Boden, sind Fristverlängerungen bis zum Inkrafttreten der EU-Gesetze vereinbart worden." Der von den bürgerlichen Analysten ausgemachte Reformstau ist immer wieder zentrales Thema sowohl der Verschiebungen der Beitrittsdaten gewesen, als er auch heute herangezogen wird, die nächsten Massnahmen vorzuschlagen. Noch am 28.April 2004 schreibt Tobias Daniel in einem für das Portal "europa-digital.de" verfassten Beitrag "Von Reformstau und Minderheitenproblemen" etwa über Polen: "Auch in die erweiterte EU bringt Polen einen Packen von Problemen mit. So sorgten die Polen mit ihrem ausgeprägten Selbstbewusstsein und dem Anspruch, eine regionale Führungsrolle in Mittel- und Osteuropa spielen zu wollen, schon bei den Beitrittsverhandlungen für manche harte Verhandlungsrunde. Zudem ist die Kritikliste der EU-Kommission bei Polen länger als bei anderen Beitrittsländern. Denn Polen hinkt mit der Anpassung seiner Gesetze an die EU-Normen noch hinterher. Auch die allgegenwärtige Korruption bereitet nicht nur den EU-Politikern einige Sorgen." Hinterherhinken tut Polen vor allem bei der Beseitigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft - weshalb sich dort auch nationalistische Strömungen breit machen - und ausserdem wird der polnischen Regierung übel genommen, dass sie sich dem Druck der Strasse gebeugt habe und eine stärkere Vertretung des Landes in der EU gefordert. Was die Korruption nun in den bisherigen EU Staaten betrifft, braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden - jedenfalls ist dies kein Grund, Polen Vorwürfe zu machen. Und auch was demokratische Rechte betrifft: Gerade eben wird in Irland das Streikverbot in Unternehmen des (halb)öffentlichen Dienstes diskutiert, wie vom "european industrial relations observatory on-line" in dem Beitrag "Employers call for public service strike ban" vom April 2004 berichtet wird. Eine Bilanz des Prozesses seit dem Zerfall des RGW zieht Michael Dauderstädt in einem Beitrag für "Euro-Kolleg Online" bei der Friedrich Ebert Stiftung "Europas Schwieriger Osten: Konkurrent oder Armenhaus" so: "Im Ergebnis erzielte diese Strategie der "bewußtlosen Strukturpolitik" die Entwertung des Humankapitals, den Zusammenbruch der Produktionen mit höherer Technologie und eine Exportspezialisierung in Bereichen niedriger Wertschöpfung. In den ersten Jahren nach dem Umbruch hat die neue Arbeitsteilung in Europa MOE Arbeitsplätze genommen. Insgesamt läuft dies von der Produktionsstruktur auf eine "Peripherisierung" von MOE hinaus." (MOE bedeutet Mittel und Osteuropa). Noch einmal Hannes Hofbauer im oben bereits zitierten Beitrag: "Vielsagender als solche Momentaufnahmen ist der soziale Prozeß, wie er sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren entwickelt hat. Der Wegfall staatlich verordneter und betrieblich verankerter sozialer Sicherheiten ging in allen osteuropäischen Ländern mit einer - für Friedenszeiten - unvergleichbaren Schnelligkeit vor sich. Entsolidarisierungen großen Ausmaßes waren die Folge. Der Wegfall betrieblicher und staatlicher Vorsorge, die Einstellung von Subventionen der unterschiedlichsten Art - von der Energie, dem öffentlichen Verkehr über das Wohnen bis zu den Grundnahrungsmitteln - sowie Deindustrialisierung, Privatisierung und anschließende betriebliche Rationalisierungen haben zu einer enormen sozialen Deregulierung geführt. Diese ist statistisch schwer faßbar, doch jedem leicht zugänglich, der einen Blick auf Regionen außerhalb der wenigen neuen Wachstumspole in Osteuropa wirft. Wer ins polnische Niederschlesien nach Walbrych, ins oberschlesische Katowice, ins ungarische Tatabanya oder in die Mittelslowakei nach Martin reist, der braucht keinen wissenschaftlichen Beweis für die soziale Entrechtung, die sich der dort lebenden Menschen bemächtigt hat." 2.Ein Europa. Ein Problem: Kapitalismus Dass die Entwicklung je nach Bedarf für die je eigene Argumentation eingesetzt wird, ist auch in der Diskussion um die EU Ostererweiterung Fakt. Legen die einen mehr Gewicht auf die Übernahme von produktiven Einheiten durch (meist) westliche Unternehmen, so haben andere den Schwerpunkt ihrer Analyse im vorherigen Niedergang der "Planwirtschaft". Wobei die Zwänge von denen oft die Rede ist, durchaus auch sehr konkrete politische Forderungen waren. So schreibt Klaus-Peter Schmid in einem Beitrag für die "Zeit" vom 11.März 2004 "Aufbruch im Osten" : "Unbestreitbar ist, dass die zehn Neuen die Vorbereitung bereits zur Modernisierung ihrer Wirtschaft genutzt haben. Ohne den Zwang, auf europäisches Niveau zu kommen, hätten weder Polen noch Slowaken die Privatisierung ihrer Staatskonzerne zu Ende gebracht und schon gar nicht die mit Massenentlassungen schmerzlich erkaufte Modernisierung des verrotteten Produktionsapparats. Die Kandidaten haben gewaltige Anstrengungen unternommen, um sich fit zu machen. Jetzt hoffen sie, dass diese Anstrengungen Früchte tragen." Über 40 Milliarden Euros an Direktinvestitionen haben deutsche Unternehmen Ende 2001 getätigt, 5,8% aller ausländischen Investitionen in Mittel und Osteuropa. 1990 waren es noch 0,9 Mrd gewesen. Die Entwicklung bundesdeutscher Investitionsstrategien - zumindest grosser Unternehmen - beurteilt Dr. Rudolf Welzmüller in der Broschüre EU - Osterweiterung" des IG Metall FB Wirtschaft-Technologie-Umwelt vom Januar 2004 so: "Die deutschen Investoren verfolgen mittlerweile auch gegenüber den neuen Beitrittsländern diese Strategie bei ihren Direktinvestitionen. Das heißt, dass die kurzfristige und auf schnelle "Schnäppchen" (Kostenvorteile bei "verlängerter Werkbank" etc.) orientierten Investitionsentscheidungen an Bedeutung verlieren werden - u.a. auch deshalb, weil es mittlerweile bereits noch günstigere Länder gibt." Was dies für die soziale Lage der meisten Menschen in den Beitrittsländern bedeutet fasst wiederum Hannes Hofbauer (siehe oben) so zusammen: "Mehr noch als die Arbeitslosenzahlen gibt die Beschäftigungsstatistik Auskunft über die Verlierer der Wende. Gleichsam als Voraussetzung für ausländisches Investment und Privatisierung ist in allen EU-Beitrittsländern ein Arbeitsmarkt geschaffen worden, der die kommunistischen Beschäftigungsverhältnisse auf den Kopf gestellt hat. Vor allem Frauen, unter den KP-Arbeitszwangsregimen in aller Regel auch Lohnarbeiterinnen, sind an den Herd zurückgedrängt worden; ältere Arbeiter, Roma und andere soziale Randschichten gingen im großen Stil der Möglichkeit verlustig, einen bezahlten Arbeitsplatz zu erhalten. So verloren in Ungarn von 5,3 Millionen Menschen, die 1990 beschäftigt waren, bis zum Jahr 2002 1,4 Millionen ihren Arbeitsplatz, das sind 26 Prozent aller Lohnabhängigen; in Tschechien beträgt der Rückgang in der Beschäftigungsstatistik zehn Prozent (500 000 Tausend), in Polen 7,5 Prozent (1,2 Millionen). Einzig Slowenien konnte seinen Beschäftigtenstand fast halten. Bildung und Gesundheitsvorsorge haben sich parallel zur fortgesetzten Peripherisierung der Ostregion verschlechtert. In den Ex-RGW-Ländern hat sich die Anzahl der Grundschulgänger teilweise drastisch reduziert. Gingen beispielsweise in Polen im Jahr 1990 von 10 000 Einwohnern 1 380 in die Grundschule, waren es zehn Jahre später nur noch 833. In Ungarn verringerte sich der Plichtschüleranteil an der Bevölkerung von 1 092 (bei 10 000 Einwohnern) auf 957, in der Slowakei von 1 362 auf 1 245. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben oft mit dem vorzeitigen Abbruch der Schule zu tun, der vor allem in Polen häufig ist." Kapitallogischerweise hatten und haben solche Prozesse auch ihre Entsprechungen in den traditionellen EU Staaten, insbesondere jenen mit relativ hohen Arbeitskosten, wie etwa Deutschland. Bereits 1998 schrieb Georg Worthman in "Der Bauarbeitsmarkt unter Veränderungsdruck: Kontrolldefizit in Folge der Transnationalisierung". (In: Institut Arbeit und Technik: Jahrbuch 1997/98. Gelsenkirchen, S. 70-85) folgende generelle Einschätzung, der zuzustimmen ist, auch wenn die Überwachungsstaatslösung nicht geteilt wird : "Die gegenwärtig stattfindende Entsendung von Arbeitskräften betrifft vor allem die Baubranche. Die dortigen Produktionsbedingungen unterscheiden sich in einem wesentlichen Merkmal von den Bedingungen anderer Branchen: Die Ortsgebundenheit der Produktion. Die z.B. in der Automobilindustrie häufig praktizierte Auslagerung der Produktion in ausländische Produktionsstätten mit niedrigerem Lohnniveau ist in der Baubranche nicht möglich, da die Bauproduktion an den Ort der späteren Nutzung des Produktes gebunden ist. Produktionsmittel und insbesondere Personal sind jedoch mobil und können - auch aus dem Ausland - an den Ort der Produktion gebracht werden. Auf diese Weise können u.a. die niedrigeren Lohnkosten vom ausländischen Unternehmen als Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Die Entsendung von ausländischen Arbeitnehmern stellt demzufolge ein Pendant zur Auslagerung der Produktion in anderen Branchen dar". Und demzufolge, in umgekehrter Richtung bei der Automobilindustrie, zusammengefasst beispielsweise in einem redaktionellen Beitrag der "Tagesschau" mit letztmaligem Update 28.April 2004 "Automobil-Industrie: Chancen und Risiken in Osteuropa" anhand einer Untersuchung des Gelsenkirchener CAR (Center Automotive Research) : "Anhand einer Modellrechnung zeigt Dudenhöffer, dass Zulieferer wegen niedrigerer Arbeitskosten in der Slowakei um 22,1 Prozent preisgünstiger produzieren können als in Westdeutschland. Im Vergleich zu Ostdeutschland betrage der Unterschied immerhin noch 10,6 Prozent. "Dies sind unüberbrückbare Welten im Zuliefergeschäft. Jeder Zulieferer, der diesen Kostenvorteil nicht wahrnimmt, wird im harten Geschäft mit dem Autohersteller auf kurz oder lang in Konkurs gehen", so Dudenhöffer". Die bereits angeführte IG Metall Broschüre fasst dies so
zusammen: "Automobilindustrie in den Beitrittsländern Was auch für andere Staaten und andere Branchen zutrifft. "Spediteure: Große Chancen in den neuen EU-Ländern" heisst das Interview von Kristina Jagemann mit DSLV-Hauptgeschäftsführer Heiner Rogge vom 27.April 2004, in dem der Vertreter des Verbandes der Spediteure im Rahmen der "Tagesschau" Osterweiterung-Dokumentation so zitiert wird: "Es gibt schon Tendenzen, dass einige große europäische Speditionen ganz massiv über Niederlassungen in den Beitrittsländern Fahrzeuge registrieren lassen oder dort auch investieren, um dann in den EU-Verkehr als Frachtführer mit einzusteigen. So hat gerade eine niederländische Großspedition angekündigt, dass sie in Polen jetzt 800 Fahrzeuge registrieren lassen wird. Diese sollen aber nicht nur im Verkehr zwischen Polen und den Niederlanden zum Einsatz kommen, sondern ihre Leistungen in ganz Europa zu polnischen Kostenbedingungen anbieten. 3.Polen im Mittelpunkt - zumindest für Deutschland Das geht einerseits aus den Berichten und Schwerpunkten der Medien ganz allgemein hervor, die bereits zitierte IG Metall Broschüre führt dazu zahlreiche Daten an (Seite 20 vor allem). Resultat der Kombination aus Grösse und wirtschaftlichem Potenzial. Eben aufgrund seiner Grösse und der Geschichte nimmt polen dabei, zumindest in der deutschen Wahrnehmungssteuerung eine nochmals besondere Rolle ein. Schliesslich ist Polen nicht nur traditionell das Land mit der höchsten Arbeitsemigration - es waren nicht nur die Zechen an der Ruhr, sondern auch jene etwa in Nordfrankreich die vor allem auf der Basis polnischer Migranten funktionierten - weshalb es auch immer schon eine (oft gewollte) Reduzierung des Blickwinkels bedeutet von Zuwanderung in Deutschland etwa erst ab 1960 zu reden. Polen stellt auch heute mehr als die Hälfte der Einwohnerzahl aller 10 Beitrittsstaaten. "Der wilde Osten" ist ein politisches Produkt der Deregulierung, die Julian Auleytner und Miroslaw Grewinski in ihrem Beitrag "Die soziale Lage von Arbeitnehmern in ausländischen Firmen (am Beispiel von Supermärkten in Polen)" in "Die soziale Gestaltung der Osterweiterung der EU - Zur Verantwortung von EU, Staaten und Zivilgesellschaft" (Dokumentation einer Tagung an der Evangelischen Akademie Mülheim 2001) so zusammenfassen: "Das Ausmaß und die Art der Regelwidrigkeiten in vielen Supermärkten, die oft zu westlichen Konzernen und Ketten gehören, ist so groß, dass die staatliche Arbeitsinspektion und das Arbeitsamt eine Initiative vorgeschlagen haben, dass man die Vorschriften der Beschäftigungsgesetze und die Arbeitslosigkeitsbekämpfung im Bereich der nicht erteilten und zurückgenommenen Einverständnisse und die Führung von wirtschaftlicher Tätigkeit für Ausländer, die krass und oft die Gesetze brechen, ändern sollte." Nun sind Regierungen und Behörden sowohl Polens als auch der beiden anderen Staaten beileibe nicht als Gegner des Kapitalismus bekannt - im Gegenteil. In Tschechien mehr noch als in Polen wurde noch jede Regierung an ihren Versprechen gemessen - und abgewählt (in Tschechien immer, in Polen oft, ebenso in Ungarn). wenn also bereits diese Behörden Vorschläge zur Eindämmung machen, ist leicht vorstellbar, wie die Zustände sein müssen. In dem Überblick von Julian Auleytner und Miroslaw Grewinski wird auch jene berüchtigte Sendung von TV Polonia zitiert, in der Kassiererinnen sich über die Regelung "ein Toilettengang pro Schicht" ausliessen - dass viele eben mit Windeln an der Kasse sitzen. Auch die nicht eben kritische "Warsaw School of Economics" führte im Mai 2003 eine Erhebung über irreguläre Bedingungen in Privatunternehmen durch und kam zu folgenden Ergebnissen: "Notably, many employers, especially in the private sector, pay wages to their employees only on an irregular basis - for example, unpaid back wages was the main cause of a major strike in the clothing industry in 2002 (at the Odra plant in Szczecin). Furthermore, it is relatively common for employers not to pay the full obligatory social security contributions to the Social Insurance Institution" - was bedeutet, dass 9% aller noch Beschäftigten ihre löhne verspätet bekommen und 17% bei den Sozialabgaben betrogen werden. "Unfair employer practices examined" - Länderbericht Polen Ende 2003 beim "european industrial relations observatory on-line". Polen ist, nachdem der Grossteil des massiven Privatisierungsprogramms realisiert ist, das Beitrittsland mit der höchsten Erwerbslosenquote: sie schwankt offiziell um die 20%. Nachdem Anfang der 90er Jahre die Gewerkschaftsbewegung - dominiert von der "Regierungsgewerkschaft" Solidarnosc - aktiver Träger des Privatisierungsprogramms gewesen war, hat sich dies erst in den letzten Jahren etwas verändert. Notgedrungen auch, denn etwa die groben Zahlen des "european industrial relations observatory" zeigen, dass Polen mit 18% den niedrigsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad aller Beitrittsländer hat: 40% in der Slowakei und je ca 33% in Ungarn und Tschechien. Aus Problems facing the trade union movement analysed" - Bericht über ein Seminar vom Mai 2003. Die beiden grossen Gewerkschaftszentralen NSZZ Solidarnosc und die OPZZ (die sich etwa gegen die polnische Beteiligung am Irak-Krieg wandte) haben dabei - entgegen dem Trend unter der Militärregierung Jaruzelski in den 80er Jahren - etwa gleichviele Mitglieder. 2002 entstand mit der FZZ "Trade Unions Forum" eine dritte Föderation (vor allem durch Verlassen des OPZZ), die mit über 300.000 Mitgliedern ebenfalls die Voraussetzung erfüllte, an der "Nationalen dreiseitigen Komission" teilnehmen zu dürfen - bevor die neue Zulassungsbestimmung verabschiedet wurde, hatten 7 verschiedene Gewerkschaftsorganisationen an dieser Institution der Sozialpartnerschaft teilgenommen. Insgesamt haben die beiden grossen Zentralen das Problem, dass sie - entsprechend ihrer Politik - je mit der konservativen bzw neuen sozialdemokratischen Regierungen identifiziert wurden und somit auch deren Popularitätsveränderungen ausgesetzt waren. Und dementsprechend arbeiteten sie lange Zeit auch prinzipiell gegeneinander. "MANIFESTATION OF HEALTH CARE EMPLOYEES WHICH HAS BEEN TRANSFORMED INTO THE FIRST INTER-UNION PROTEST" heisst ein Bericht der OPZZ vom 21.November 2003 in dem herausgestellt wird, dass die Proteste im Gesundheitswesen ende letzten Jahres die ersten gewerkschaftsübergreifenden Aktionen seit langem waren - wie auch die ebenfalls im November 2003 organisierten Aktionen bei der Eisenbahn und den Kohlezechen (in denen es eine weitere unabhängige Gewerkschaft "Serpien 80" gibt). "Die Mehrzahl der etwa 80 Teilnehmenden, die sich im Kulturhaus von Miastko einfinden, ist erwerbslos. In diesem Teil Polens beträgt die Arbeitslosenquote 36%,in Masuren sogar 57%; landesweit offiziell 17,6%. Die anwesenden Männer und Frauen, mehrheitlich im mittleren Alter, waren vor der Wende meist auf den großen Staatsfarmen und in der angegliederten Nahrungsmittelindustrie beschäftigt. Ihre Geschichte ähnelt fatal der Ostdeutschlands. Überall trifft man auf Industriebrachen; gerade die gutlaufenden, produktiven Betriebe wurden dicht gemacht, nur wenige von ausländischen Besitzern übernommen. Miastko war einmal ein bedeutendes Lederzentrum, in dem3-4.000 Menschen Arbeit fanden; die besseren Zeiten sieht man der Kleinstadt an. Heute ist das Unternehmen in italienischem Besitz und zählt gerade noch 200 Beschäftigte". So schreibt Angela Klein im "ATTAC - EU - Newsletter" Nr 3 in ihrem Bericht "Reise nach Kaschubien" von der Gründung des pommerschen Sozialforums. Ein Bericht, der nicht nur deutlich macht, wie es in Polen - wie in den anderen Beitrittsländern auch - nochmal ein inneres Gefälle gibt, sondern in dem auch erstmals vertreter der Gewerkschaftszentrale OPZZ an einem solchen Forum teilnehmen. 4.Ungarn mit Vorsprung Auch in Ungarn sind in den letzten Jahren zahlreiche Gesetzesänderungen vor allem im Arbeitsbereich auf Anforderungsdruck vorgenommen worden - die jedoch wie in Polen, nur nachvollzogen, was etwa juristisch bereits etabliert war. Der Bericht vom european industrial relations observatory on-line "New legislation on fixed-term and part-time work in force" etwa gibt zur Teilzeitbeschäftigung die Wertung ab: "With regard to fixed-term work contracts, Hungarian case law had elaborated practically the same rules as those in the relevant EU Directive, and therefore the formal transposition of the Directive has not brought too much novelty into the practice of Hungarian employment law". Auch in anderen Bereichen hatte Ungarn weniger zu reformieren, als andere ehemalige RGW Staaten: Das Monopol der Zentralbank etwa war schon Mitte der 80er Jahre aufgehoben worden, was die Etablierung einer sogenannten Finanzwirtschaft einleitete. Der grösste Gewerkschaftsverband MSZOSZ hat, wie alle anderen grösseren Gewerkschaften der Beitrittsländer im Prinzip auch, eine positive Haltung zur EU, wie auch im Mai 2000 im Dokument "Civil Country Report - or a view from below" - der MSZOSZ Beitrag zu einer EU Konferenz aller grösseren Gewerkschaften - unterstrichen wird: "Workers expect that accession to the European Union will bring about the assertion of their interests, an improvement of their quality of life; so they show interest in accession primarily from this angle". 5.Abschliessendes zu Migrantinnen und Gewerkschaften Länder wie Ungarn und Tschechien werden in der hysterisch angeheizten Migrationsdebatte kaum erwähnt. Die - zumindest in Kernzonen - vorhandenen industriellen Traditionen inklusive qualifizierter "Arbeitskräfte" lassen da eher Verlagerungsszenarien aufkommen. Aber dennoch müssen sie mindestens die Aussengrenzen "sichern". Andreas Dietl schreibt in seinem Beitrag "Willkommen im Club" in der "Jungle World" vom 28.April 2004: "Mehr als auf juristische Standards achten die EU und ihre bisherigen Mitgliedsstaaten bei der Erweiterung darauf, dass die Überwachungs- und Grenzsicherungsmaßnahmen, die schon jetzt die EU nach außen und innen abschirmen, auf das Territorium der neuen EU-Länder ausgedehnt werden. »Polizeiliche Zusammenarbeit«, die Anpassung der Allzweck-Überwachungsdatenbank SIS (Schengen Information System) an die vergrößerte EU, sowie die »Sicherung der EU-Außengrenzen« sind schon seit Jahren in Brüssel Dauerthemen. Immer wieder neu werden immer dieselben Maßnahmen beschlossen, jedesmal noch ein bisschen verschärft. Zuletzt trafen sich am 16. April in Wien die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Spaniens und Österreichs mit ihren Kollegen aus Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, um die gegenseitige Öffnung der Datenbanken, die weitere Stärkung der EU-Polizeibehörde Europol und den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen zu vereinbaren. Vier Wochen vorher waren beim Anti-Terror-Gipfel der EU in Brüssel dasselbe und noch darüber hinausgehende gemeinsame Strategien schon einmal vereinbart worden". Wie in Deutschland auch, haben sich die Gewerkschaften diverser Beitrittsländer voll zu einer Politik der Verhinderung von freiem Zugang gewandt - erst recht natürlich an den "Aussengrenzen der Gemeinschaft", mit derselben Argumentation: Dies sei nötig wegen der Gefahr des "Sozialdumpings". Ein Beitrag von Renate Krauß-Pötz bereits in der Nummer 10 von 1998 "Gewerkschaftsarbeit im Postsozialismus - Schlaglichter von einem Besuch der Öffentlichen Dienst-Gewerkschaften in der Tschechischen und der Slowaksichen Republik" fasst einige wesentliche Erfahrungen der damaligen Zeit zusammen, die auch heute noch gelten dürften. Dass schliesslich der Schwerpunkt von Gewerkschaftsarbeit darin bestehen wird, das "deutsche Modell" zu exportieren wird auch aus dem Überblick "Die EU wird größer - was bedeutet das für den EBR?" beim Portal "Euro-Betriebsrat" ersichtlich: " Mit dem Beitritt übernehmen die neuen EU-Länder die europäische Gesetzgebung und damit auch den Europäischen Betriebsrat. Mit Ausnahme von Estland und Litauen haben alle Beitrittsländer die EBR-Richtlinie bereits in nationales Recht umgesetzt. Dennoch wird die Richtlinie in allen zehn Beitrittsländern ab dem 1. Mai 2004 angewendet werden. Für die Arbeitnehmervertretungen europaweit tätiger Konzerne ergibt sich somit eine verbesserte Möglichkeit, unter Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Standorte auf verbindliche Mindestnormen hinzuarbeiten. Von den derzeit 1.899 EBR-fähigen Unternehmen verfügen rund 43% über Standorte in den Beitrittsländern. Von diesen 825 Unternehmen haben aber erst 167 einen Europäischen Betriebsrat gegründet, d. h. in rund 80% aller Unternehmen mit Standorten in den MOE-Ländern gibt es bisher noch nicht einmal eine grenzübergreifende Arbeitnehmervertretung für die westeuropäischen Belegschaften. Die meisten Unternehmen mit Standorten in den EU-Beitrittsländern sind in Polen, in Ungarn und in der Tschechischen Republik". |