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Updated: 18.12.2012 15:51 |
The making of: Militärmacht EUropa Arno Neuber* Beim 15. Forum »Bundeswehr und Gesellschaft« der »Welt am Sonntag« schwärmte Ex-»Verteidigungs«-Minister Peter Struck Anfang November 2004 von einem militärisch starken Europa, das künftig »seinen Einfluss auf die amerikanische Supermacht besser geltend« machen könne. Gleichzeitig fand er Grund zur Klage. So seien nach einer Studie des German Marshall Fund (Transatlantic Trends 2004) zwar über 70% der Europäer dafür, dass die EU eine Supermacht wie die USA werden sollte. Aber nur gut 20% seien bereit, hierfür höhere Militärausgaben zu akzeptieren. »Der politische Anspruch, den Europa formuliert, muss in der Realität eingelöst werden. Und dies gilt für verschiedene Handlungsebenen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Eine Ebene sind die militärischen Fähigkeiten der EU.«[1] Vorbei ist die Zeit, da die Europäische Union in Selbstdarstellungen als reine »Friedensmacht« posierte. Immer offener werden die militärischen Ambitionen propagiert - und sie werden machtpolitisch begründet: Wenn es stimmt, dass »die Welt ein Dschungel ist«, wird ein hoher Beamter aus dem Stab von »Mr. GASP«, Javier Solana, zitiert, »dann sollten wir sicherstellen, dass Europa zu den Tigern gehört und nicht zu den Affen.«[2] In dieser EU ist schon heute ein gigantisches militärisches Potenzial angehäuft. Die 25 Mitgliedstaaten geben jährlich rund 182 Milliarden Dollar für Rüstung aus, 500 Millionen an jedem Tag. Zwar ist die Militärpolitik nach wie vor stark von nationalen Entscheidungen geprägt, aber seit einigen Jahren ist sie der politische Bereich innerhalb der EU, der sich am dynamischsten entwickelt. Walter Kolbow, 1998 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Struck-Ministerium, konstatierte in einem Vortrag an der NATO-Schule Oberammergau am 27. September 2004 ein »erstaunliches« Tempo der Militarisierung. Die Europäische Union ist im Jahr »2003 von der Aufbauphase zur Anwendung ihrer Fähigkeiten übergegangen. [...] Knapp fünf Jahre nach ihrer Geburtsstunde beim Europäischen Rat in Köln ist die ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) operativ.«[3] Diese Fakten stehen in offenkundigem Kontrast zu propagandistischen Darstellungen, die die EU zum militärischen »Zwerg« schrumpfen lassen, um dann umso heftiger für den Ausbau eines Militärapparates zu werben. Grund genug also, kritisch die Entwicklung und den aktuellen Stand der Militarisierung Europas zu beleuchten. 1. Die Anfänge der EU-Militärpläne und die Rolle Deutschlands Eine (west-)deutsche Wiederaufrüstung im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde am 30. August 1954 von Frankreich zum Scheitern gebracht. Französische Ängste vor einer wiedererstarkenden Militärmacht Deutschland verhinderten also zunächst die Europa-Armee, doch das US-amerikanische Verlangen nach Hilfstruppen für den Kampf gegen den Kommunismus und die britische Idee, sich eine lästige Wirtschaftskonkurrenz vom Halse schaffen zu können, indem der Bundesrepublik Deutschland umfangreiche Rüstungslasten aufgebürdet wurden, führten schließlich dazu, die Bundesrepublik Deutschland in den bereits 1948 gegründeten Brüsseler Pakt, die spätere WEU, aufzunehmen. Auf der Pariser Konferenz vom 19. bis 23. Oktober 1954 wurden die ehemaligen faschistischen Achsenmächte Deutschland und Italien in den WEU-Vertrag aufgenommen. Am 27. Februar 1955 verabschiedete der Bundestag in Bonn die Pariser Verträge. Am 6. Mai desselben Jahres trat der WEU-Vertrag in Kraft und am 9. Mai 1955 wurde die BRD Mitglied der NATO. Im Oktober 1970 legten die Außenminister der sechs EG-Mitgliedstaaten den so genannten Luxemburger Bericht vor, der regelmäßige Konsultationen in außenpolitischen Fragen, Abstimmung der Haltungen und die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorgehens vorsah. Konkretisiert wurde diese »Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)« im Kopenhagener Bericht vom Juli 1973 und auf zwei weiteren Gipfelkonferenzen. Es war eine deutsche Initiative, die dazu führte, dass 1981 militärpolitische Fragen in den Zuständigkeitsbereich der EPZ aufgenommen wurden. Die Schaffung eines militärischen Spitzengremiums, eines »Rates der Verteidigungsminister«, wurde durch den Widerstand Dänemarks, Griechenlands und Irlands vereitelt. In den 1980er Jahren bekamen die Befürworter einer europäischen Militärpolitik Auftrieb. In Frankreich trieben die Sozialisten, zur Ausbalancierung deutscher Hegemonialansprüche die Einbindung der Bundesrepublik in eine europäische Rüstungs- und Militärpolitik im Rahmen der EG voran. 1984 wurde die, gegenüber der NATO, bedeutungslose WEU nach deutsch-französischen Vorstößen reaktiviert. Ihr Amt für die Kontrolle der deutschen Rüstungspolitik wurde nun (auf französischen Vorschlag) zu einem Institut für Strategische Studien, und es wurde ein Rat der »Verteidigungs«-Minister installiert. Paris und Bonn knüpften ein militärpolitisches Netzwerk, das von regelmäßigen Treffen der Regierungsspitzen, über gemeinsame Rüstungsprojekte bis zur Aufstellung einer deutsch-französischen Brigade reichte. Der Ministerrat der WEU beschloss im gleichen Jahr eine »Plattform der Europäischen Sicherheitsinteressen«. Darin bekannte sich die WEU zur Strategie der atomaren Abschreckung und zu den Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens. Ein Jahr darauf wurde ein deutsch-französischer »Sicherheits- und Verteidigungsrat« ins Leben gerufen. Er sollte eine europäische Militärstrategie ausarbeiten. Außerdem wurde eine gemischte Brigade aufgestellt und gemeinsame Manöver und Rüstungsprojekte vereinbart. Von da an betrieb die deutsch-französische Achse mit Hochdruck die weitere Militarisierung der EU. 2. Keine »Friedensdividende«: Die EU-Militarisierung nach dem Kalten Krieg Nach dem Ende der Blockkonfrontation hofften viele auf eine Abkehr von der hochgradig militarisierten Politik des Kalten Krieges. Die Weichen wurden aber anders gestellt: Bereits im Maastrichter Vertrag von 1992 war die Möglichkeit vorgesehen, die WEU mit Kriseneinsätzen zu beauftragen. Das Eurokorps wurde bereits am 5. November 1993 offiziell in Dienst gestellt und ist seit Ende 1995 einsatzbereit. Die damaligen Regierungschefs Helmut Kohl und François Mitterrand, die bei ihrem Treffen in La Rochelle im Mai 1992 die Initiative zur Aufstellung dieser Einheit ergriffen hatten, sahen das Korps schon seinerzeit als »Kern einer europäischen Verteidigungsidentität«.[4] Der Amsterdamer EU-Gipfel 1997 erklärte die WEU zum integralen Bestandteil der EU-Entwicklung. Eine gemeinsame »Verteidigungspolitik« wurde festgelegt, die »humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen«, also die so genannten Petersberg-Aufgaben, umfassen sollte. Im ersten Halbjahr 1999 übernahm die »rot-grüne« Regierung in Berlin den Vorsitz in der EU und in der WEU. Deutschland nutzte seinen Doppelvorsitz, um der Militärmacht Europa den Weg zu ebnen. Die EU müsse »die Fähigkeit auch für ein eigenes Krisenmanagement entwickeln, wann immer aus europäischer Sicht ein Handlungsbedarf besteht. Das muss letztlich auch eine militärische Komponente beinhalten. [...] Wir werden uns in unserer Doppelpräsidentschaft in EU und WEU mit Nachdruck darum bemühen, die Diskussion in der Substanz voranzutreiben.«[5] Im April 1999 stimmte Deutschland der neuen NATO-Strategie zu, die den US-dominierten Pakt zur weltweiten Eingreiftruppe machte. Weniger Beachtung fand die Tatsache, dass es Berlin und Paris im Gegenzug gelang, die Zustimmung der USA für ihre europäischen Militärpläne zu erhalten. Die Tagung des Europäischen Rates im Juni 1999 in Köln beschloss, dass die EU »die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen« muss, »deren Einsatz zu beschließen, um - unbeschadet von Maßnahmen der NATO - auf internationale Krisensituationen zu reagieren«.[6] Unter anderem als eine direkte Reaktion auf die US-Alleingänge während des Kosovo-Krieges wurde somit beschlossen, dass die EU künftig zu eigenständigen Militäraktionen, auch ohne die NATO und damit ein mögliches Veto der USA, fähig sein muss. Weiter wurde festgelegt, die Zusammenarbeit der europäischen Rüstungsindustrien zu fördern und die WEU bis Ende des Jahres 2000 in die Europäische Union einzugliedern. Die EU wurde damit zum Militärbündnis. Javier Solana, damals amtierender Generalsekretär der NATO und Scharfmacher im Krieg gegen Jugoslawien, wurde Beauftragter der EU für Außen- und Militärpolitik. Vor allem aber wurde beschlossen, eine eigene europäische Armee aufzustellen: »Bis zum Jahr 2003 sollen rund 50.000 bis 60.000 Soldaten, ausgerüstet mit hoch modernem Material, innerhalb von sechzig Tagen mobilisiert werden können, um bei Konflikten selbst in peripheren Gebieten auf diesem Globus rasch nach dem Rechten sehen zu können.«[7] Das bedeutet, dass mit Reserven insgesamt 180.000 Soldaten ausgebildet und bereitgehalten werden müssen. Deutschland stellt mit 30.000 Soldaten, 90 Kampfflugzeugen und 15 Schiffen das größte Kontingent dieser Truppe. Sie soll ein Jahr durchhalten können, unabhängig von den USA und der NATO. Laut Planung sollen 18.000 deutsche Soldaten als »Erstkontingent« zur Verfügung stehen, der Rest ist zur Unterstützung gedacht. Im Mai 2003 wurde die EU-Interventionstruppe von der griechischen Ratspräsidentschaft für einsatzbereit erklärt. Im Juni 2004 folgte das »Headline Goal 2010«, das den schrittweisen Ausbau zur globalen Interventionsarmee weiter präzisierte. Um die »Krisenreaktionsfähigkeit« der Union zu verbessern, wurden drei neue Gremien eingerichtet: Ein »Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee« (PSK) soll die politische Kontrolle und die strategische Leitung von Militäreinsätzen der EU ausüben. Dazu verfügt es über einen Militärausschuss (EUMC) und einen Militärstab (EUMS). Der Militärausschuss besteht aus den Generalstabschefs der Armeen der Mitgliedstaaten. Er berät das PSK und leitet alle Militäroperationen. Der Militärstab umfasst rund 140 Militärs und ist seit Frühjahr 2001 einsatzbereit. Ihm obliegt die strategische Planung, die Führung des Lagezentrums und die Vorbereitung militärischer Entscheidungen und Aktionsoptionen. Im November 2004 beschlossen die EU-»Verteidigungs«-Minister in Brüssel zusätzlich zur EU-Armee den Aufbau hochmobiler Kampfeinheiten, deren Einsatz explizit nicht an ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gebunden ist. Jede dieser »Battlegroups« soll innerhalb weniger Tage an den jeweiligen Einsatzort verlegt werden können und auch für den Kampf im Dschungel, im Gebirge, in Wüstenregionen und für den Häuserkampf ausgebildet sein. Deutschland schloss sich diesem »Battlegroups«-Konzept, das aus einer britisch-französischen Idee entstanden war, bereits im Februar 2004 an. Eingegangen in das Konzept sind Erfahrungen, die beim Kongo-Einsatz 2003 gesammelt wurden. Inzwischen sind 13 Battlegroups mit jeweils 1.500 Soldaten geplant, deren Einsatzfähigkeit im Umkreis von 6.000 km rund um Brüssel gewährleistet sein soll. Auf 2007 ist die volle Einsatzbereitschaft der hochmobilen Einsatzkräfte terminiert, deren Aufstellung durch die jeweilige Nation in der nebenstehenden Tabelle zu sehen ist.[8] Mit dem Battlegroup-Konzept ist es gelungen, sowohl die osteuropäischen EU-Mitgliedsländer als auch die Staaten, die traditionell eine neutrale und zurückhaltende Militärpolitik betreiben, in die Interventionsstrategie der EU einzubinden. Als Einsatzschwerpunkt hat die EU offensichtlich den afrikanischen Kontinent im Auge.
Weltraummacht EUropa Maßgebliche Stütze einer Militärmacht EU soll die europäische Weltraumpolitik werden. »Die Europäische Union soll durch eine stärkere Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), unterstützt durch eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), mehr Gewicht in der Welt bekommen«, heißt es im Weißbuch Raumfahrt, das die Europäische Kommission im November 2003 vorgelegt hat.[9] »Um glaubwürdig und wirksam zu sein, muss eine GASP und ESVP auf einem unabhängigen Zugang zu verlässlichen globalen Informationen beruhen. [...] Raumfahrttechnologien und -infrastrukturen gewährleisten den Zugang zu Wissen, Informationen und militärischen Fähigkeiten am Boden.« [10] Das Weißbuch tritt nachdrücklich für die Koppelung ziviler und militärischer Weltraumkapazitäten ein. Eine spezielle Arbeitsgruppe soll dazu aus Vertretern der EU, der Mitgliedstaaten, der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) sowie ziviler und militärischer Weltraumnutzer gebildet werden. Sie hat die Aufgabe, den genauen Bedarf an »Mehrzweckkapazitäten« festzustellen und Verbindungen zur Europäischen Rüstungsagentur zu organisieren. Für die EU-Militärpolitik soll sowohl die »GMES«-Plattform als auch das »Galileo«-Projekt eingespannt werden. Die globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung (GMES) wurde auf dem Gipfeltreffen der EU im Jahr 2001 in Göteborg ins Leben gerufen. Ihre damals verkündete Aufgabe war die Bereitstellung von Daten für Umweltschutz, Landwirtschaft, Fischfang, Verkehr und Regionalentwicklung. Jetzt heißt es im Weißbuch: »Die GMES-Plattform könnte allgemein einen Beitrag zu humanitären Maßnahmen und Rettungsaktionen, zur Friedenssicherung sowie zur Unterstützung von Kampfverbänden in Krisenmanagement- und Befriedungseinsätzen leisten.« Die militärischen Bedürfnisse nach Globalüberwachung sind »zu einem großen Teil von den durch die GMES-Plattform bereitgestellten Diensten zu erfüllen«.[11] Im März 2005 hat die Bundeswehr ihren ersten Spionagesatelliten des Systems SAR-Lupe ins Weltall geschossen. Vier baugleiche Exemplare werden im sechsmonatigen Abstand folgen. »Satelliten haben gegenüber allen anderen Aufklärungsplattformen den entscheidenden Vorteil, ohne rechtliche oder geografische Einschränkungen einsetzbar zu sein. Der Weltraum ist für jedermann frei zugänglich, staatliche Hoheitsrechte und sonstige Einschränkungen im Einsatz entfallen.« [12] Die deutsche und die französische Regierung haben fest vereinbart, ihre nationalen militärischen Systeme SAR-Lupe und Helios 2 (Frankreich) zu einem unabhängigen europäischen Aufklärungsverbund zusammen zu führen. Mitte 2006 soll mit der Realisierung des Systemverbundes begonnen werden. Die militärischen Spitzen Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens und Belgiens haben bereits ein Grundsatzpapier zur Nutzungsweise eines europäischen militärischen Satellitensystems unterzeichnet. Neben den Militärsatelliten sollen auch das Dual-Use-Programm Cosmo Skymed/Pléiades und das deutsche kommerzielle Programm Terra-SAR in einen europäischen Verbund einbezogen werden. Gelingt dies, stünde »ein leistungsfähiges Gesamtsystem zur Verfügung, das einen Vergleich mit US-Fähigkeiten nicht mehr scheuen müsste«. [13] »Für das europäische Satelliten-Navigationssystem Galileo sei vorerst keine militärische Nutzung geplant«, teilte der Vorstandschef von Galileo Industries, Günter Stamerjohanns, Mitte September 2003 der Presse mit. Dagegen berichtete der »Spiegel« in seiner Ausgabe vom 27. Oktober 2003: »Das vorgeblich rein zivile Galileo-Netz liefert zudem Europa mit einem codierten, empfangs- und störungssicheren Navigationssignal den Schlüssel zu militärischer Hightech, über die bislang die Supermacht allein verfügt.«[14] Die Daten, die Satelliten-Navigationssysteme liefern, sind eine wesentliche Voraussetzung für die moderne, »netzwerkzentrierte Kriegsführung« (network centric warfare), wie sie die US-Militärs im Irak erprobt haben. Für den Chef der Rüstungssparte der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS), Thomas Enders, ist es deshalb »notwendig, auch eine militärische Nutzung von Galileo vorzusehen. Zumal dann, wenn man auf längere Sicht eine eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit will. Galileo muss ein zentrales Schlüsselelement unserer militärischen Grundinfrastruktur sein. Es wäre ein schlechter Witz und militärisch wie ökonomisch unsinnig, wenn Galileo nur zivil genutzt würde.«[15] Im März 2004 begrüßte das militärische Fachblatt »IAP-Dienst« die »neue Dimension auf dem Weg zu mehr strategischer Eigenständigkeit. Galileo wird die EU-Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit auf eine neue Grundlage stellen und zu einem späteren Zeitpunkt die Basis für eine neue Qualität militärstrategischer Navigations- und Führungsmittel bieten. Ein zunehmend eigenständiges EU-Krisenmanagement könnte dann ohne amerikanischen Beistand auskommen.« [16] Die Militärmacht im Einsatz Heute sind weit über 25.000 europäische Soldaten an weltweiten Einsätzen beteiligt. Am 15. März 2003 brachten die EU-Militärs den NATO-Einsatz in Mazedonien (Amber Fox) »unter die politische Kontrolle und die strategische Führung« der EU.[17] Javier Solana wollte rasch Fakten schaffen, damit die EU-Militärpolitik nicht in den Geruch eines Papiertigers kommt. Unter dem Operationsnamen »Concordia« schickte die EU 400 Soldaten in die ehemalige jugoslawische Teilrepublik, davon 40 Soldaten der Bundeswehr. Der neun Monate dauernde Einsatz fand nach den Vereinbarungen des »Berlin-plus«-Abkommens statt, also unter Rückgriff auf Ressourcen der NATO. »Concordia« war ein erstes »Manöver« unter realistischen Bedingungen, bei dem die neuen Militärstrukturen der EU und die Zusammenarbeit mit der NATO erprobt werden konnten. Die Führung des Einsatzes lag beim Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU. EU-Militärstab und NATO-Hauptquartier Europa (SHAPE) arbeiteten zusammen. Der deutsche Admiral Rainer Feist leitete das Hauptquartier der EU, das bei der NATO in Brüssel eingerichtet wurde, und fungierte gleichzeitig als Stellvertretender Oberkommandeur der NATO (SACEUR, Supreme Allied Commander Europe). Der erste autonome, also unabhängig von der NATO durchgeführte Militäreinsatz der Europäischen Union fand von Juni bis September 2003 auf dem afrikanischen Kontinent statt. Die Operation »Artemis« in der Demokratischen Republik Kongo machte deutlich, dass Afrika von den EU-Verantwortlichen als ureigenes Interessengebiet gesehen wird.[18] Sie war insofern auch ein Signal an die USA. »Artemis« war ein Militäreinsatz nach dem Vorbild französischer Kolonialeinsätze. Frankreich stellte dementsprechend ein nationales Hauptquartier zur Verfügung. Die Bundeswehr beteiligte sich mit 100 Soldaten und organisierte den Lufttransport. Anfang Dezember 2004 übernahm die EU von der NATO die SFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina. Die Operation »Althea« ist mit 7.000 Soldaten aus 22 EU-Mitgliedsländern und elf weiteren Staaten der bislang umfangreichste Militäreinsatz der Europäischen Union. Die Bundeswehr stellt mit 1.100 Soldaten das größte Kontingent. »Althea« oder auch EUFOR wird erneut mit Unterstützung der NATO organisiert, die mit einem eigenen Hauptquartier in Sarajevo vertreten bleibt. Das EU-Hauptquartier: Schaltzentrale künftiger Kriege Ende 2004 wurde im EU-Militärstab der Kern eines künftigen Operationszentrums eingerichtet. Dieses Zentrum soll ab 2006 »zivil-militärische« EU-Operationen und auch die Battlegroups führen, ohne dass auf NATO-Einrichtungen oder nationale Hauptquartiere zurückgegriffen werden muss. Im NATO-Hauptquartier SHAPE im belgischen Mons wird eine »EU-Zelle« installiert und im Gegenzug ein NATO-Verbindungsteam bei der EU etabliert. Um das EU-Hauptquartier hatte es monatelange heftige Auseinandersetzungen mit den USA gegeben. Nachdem der so genannte Pralinengipfel in Brüssel (Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg) am 29. April 2003 die Errichtung eines unabhängigen Hauptquartiers für EU-Militäreinsätze beschlossen hatte, konterte London mit dem Vorschlag, im NATO-Hauptquartier Europa eine »EU-Zelle« einzurichten. Am 13. Oktober 2003 berichtete der »Spiegel« über eine geheime Übereinkunft des Feldherren-Trios Blair, Chirac und Schröder, nach der die zu schaffende EU-Kommandozentrale mittelfristig auch Einsätze »hoher Intensität« führen können soll. Falls nicht alle EU-Staaten mitmachen wollten, sei man auch zu einem Alleingang bereit. [19] Massives Störfeuer kam aus den USA. Der US-Botschafter bei der NATO, Nicholas Burns, griff die Pläne als »die bedeutendste Bedrohung für die Zukunft der NATO« [20] an. Beim EU-Gipfel am 17. Oktober 2003 in Brüssel rückte Blair unter massivem Washingtoner Druck weiter von einer eigenständigen EU-Militärführung ab. »Ich werde die NATO niemals aufs Spiel setzen«, ließ Blair verlauten.[21] Er wolle höchstens EU-Planungskapazitäten mittragen, die in NATO-Strukturen eingebunden sind, keinesfalls aber getrennte Strukturen. Am 23. Oktober 2003 befasste sich auch das Europäische Parlament (EP) mit dem Thema. Nach Informationen des Insider-Dienstes »IAP« plädierten die Abgeordneten »für den Aufbau eines mobilen multinationalen Hauptquartiers«.[22] In einer Entschließung forderte das EP außerdem einen eigenen EU-Militärhaushalt und verlangte: »Spätestens bis 2009 soll die EU die Fähigkeit entwickeln, Operationen in der Größenordnung des Kosovo-Einsatzes durchzuführen.«[23] Inzwischen hat man sich auf eine Sprachregelung verständigt, die vorgibt, einen »Nukleus von Führung« aufzubauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann aus diesem Kern ein ausgewachsenes EU-Hauptquartier wird. Rüstungsagentur Im Artikel I-41 des EU-Verfassungsvertrages ist die Errichtung einer EU-Rüstungsagentur festgeschrieben, die nach Artikel III-311 dem Europäischen Rat unterstellt wird. Ungeachtet der Tatsache, dass die Verfassung erst noch per Referenden bestätigt werden musste, was dann bekanntlich misslang, trafen sich in Brüssel schon zu Beginn des Jahres 2004 zwölf Experten, das so genannte Agency Establishment Team, um diese »Agentur für Militarisierung« rasch auf den Weg zu bringen. Der vier Monate später fertig gestellte »Aufbauplan« wurde beim Brüsseler Gipfel im Juni bestätigt. Danach sollte die European Defence Agency (EDA) 2005 zunächst mit rund 80 Mitarbeitern und einem Budget von 25 Millionen Euro starten. Am 22. November 2004 einigten sich die EU-Verteidigungsminister auf ein Arbeitsprogramm der Agentur. Danach gehören neben der Entwicklung von Technologien für unbemannte Luftfahrzeuge die Raumfahrtpolitik und die so genannte Sicherheitsforschung zu ihren Schwerpunkten. Unter dem Schlagwort »Sicherheitsforschung« ist die EU dabei, die Trennlinien zwischen ziviler und militärischer Forschung aufzulösen und bei Forschungsvorhaben generell die Interessen der Militärs zu berücksichtigen. In diese Richtung weist offensichtlich das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU. Den maßgeblichen Einfluss in der Agentur werden die drei großen Militärmächte Deutschland, Frankreich und Großbritannien ausüben. 3. Die EU ist kein Papiertiger Das dramatische Ausmaß, mit dem die Militarisierung Europas bereits vorangeschritten ist, sollte in diesem Abschnitt hinreichend deutlich geworden sein. Die EU ist weit davon entfernt, ein Papiertiger oder gar eine »militärische Pygmäe« (Ex-NATO-Generalsekretär George Robertson) zu sein. Diese verharmlosenden und grob irreführenden Äußerungen zielen einzig und allein darauf ab, angesichts klammer Kassen noch mehr Finanzen in den im Entstehen befindlichen militärisch-industriellen Komplex Europas zu pumpen. Die Tatsache, dass diese Ausgaben nicht nur unnütz sind, sondern schlimmer noch, dass die hierdurch finanzierte Militarisierung Europas sich überdies kontraproduktiv auf die friedliche Beilegung von Konflikten auswirkt (»wer über den Hammer verfügt, für den sind alle Probleme Nägel«) und gleichzeitig zivile Komponenten europäischer Außenpolitik mehr und mehr als bloße Ergänzung effektiver Kriegsführungskapazitäten betrachtet werden, macht Widerstand gegen diese Entwicklung umso notwendiger. Es ist ein Beitrag zum Teil 1: "Strukturen und Grundlagen der Weltmacht EU" des Buches "Welt-Macht Europa. Auf dem Weg in weltweite Kriege", herausgegeben von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner 2006 im VSA-Verlag (€ 19.80, ISBN 3-89965-183-9). Siehe dazu auch das Inhaltsverzeichnis und eine Rezension von Johannes M. Becker
Fußnoten: 1) Struck, Peter: Rede zum 15. Forum »Bundeswehr und Gesellschaft« der Welt am Sonntag, 9.11.2004, URL: http://www.bmvg.de . 2) Süddeutsche Zeitung vom 21.5.2003. 3) Kolbow, Walter: Rede an der NATO-Schule Oberammergau, 27.9.2004, URL: http:// www.bmvg.de 4) Chronologie der Bundeswehr, URL: http://www.fen-net.de/norbert.arnoldi/army/chrono/CHRO_4.html 5) Pressereferat des Auswärtigen Amtes, Bonn, 6.2.1999. 6) Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates, Köln, 3./4.6.1999, URL: http://ue.eu.int 7) Handelsblatt vom 10./11.12.1999. 8) Der Tabelle liegen folgende Quelle zugrunde: General Affairs and External Relations Council: Brussels 22 Novembre 2004, in: Gnesotto, Nicole (comp.): EU security and defence, Chaillot Papers No. 75, Institute for Security Studies, February 2005, S. 278- 316, S. 300f. 9) Weißbuch Raumfahrt: Europäische Horizonte einer erweiterten Union: Aktionsplan für die Durchführung der europäischen Raumfahrtpolitik, KOM (2003) 673 endgültig, Brüssel, 11.11.2003, S. 12. 12) Zur Bedeutung der satellitengestützten Aufklärung durch das System SAR-Lupe für die strategischen Aufklärungsfähigkeiten der Bundeswehr siehe die URL: http://www.dgap.org/bfz/veranstaltung/Praes_Herrmann_2003.doc 13) Europäische Sicherheit, Nr. 9/2003. 14) Neuber, Arno: Weltraummacht Europa, in: Unsere Zeit, 5.12.2003. 15) VDI Nachrichten vom 1.8.2003. 17) Frankfurter Rundschau vom 6.2.2002. 18) Siehe dazu auch das Kapitel: Europas Platz unter Afrikas Sonne, S. 225ff. 19) Vgl. Der Spiegel vom 13.10.2003. 20) EU-Gipfel: Streit um europäische Verteidigungspolitik, Die Welt, 17.10.2003. 21) Bacia, Horst: Das Reizwort »Tervuren«, FAZ, 18.10.2003. 23) Dokument A5-0348/2003, URL: http://www.europarl.de |