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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Ralf Pandorf/Mag Wompel

Antwort auf Rainer Göckler[*]

Sehr geehrter Herr Göckler,

vielen Dank für Ihre Gegendarstellung, die wir selbstverständlich veröffentlichen! Da Sie aber darin ausdrücklich nach unseren Gründen fragen, die zur Publizierung des Kommentars von Antonín Dick fragen, gestatten Sie die Darstellung unserer Sicht der Dinge.

Es ist insgesamt ein Fortschritt, daß inzwischen das beschäftigungsorientierte Fallmanagement überhaupt als Konzeption einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist und auch von ihr diskutiert wird - wir wollen unser Möglichstes dazu beitragen. Es ist auch unbestritten, daß sich dieses Konzept der Bundesagentur auf empfohlene Vorbilder aus den Niederlanden, Dänemark oder Großbritannien, auf Vorarbeiten verschiedener Experten wie Claus Reis und Beratungsunternehmen wie die Bertelsmann Stiftung oder die Firma con_sens stützt.

Aber die Frage ist trotzdem weiter erlaubt, ob das richtig ist.

Herr Göckler rechtfertigt es mit seinem Ziel der bestmöglichen Unterstützung arbeitsloser Menschen und behauptet es gehe nur so. Das Ziel ist richtig, aber die gewählte Methode kann trotzdem falsch sein und ist auf keinen Fall alternativlos. Es geht hier um die Abgrenzung von Casemanagement als Hilfemethode und Casemanagement als Eingriff in die Persönlichkeit und in die Berufsethik sozialer Dienstleister.

Das was Herr Dick etwas polemisch moniert, ist, daß der Betroffene als Persönlichkeit zum Objekt dieser Methode wird und daß das Ganze zur Sozialtechnik verkommt.

Das liegt daran, daß es sich hier nicht um einen geschützten Hilfeprozeß handelt, sondern daß die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, daß eine Zwangsdiagnose stattfindet, eine Zwangsbehandlung eingeleitet wird, daß die Hilfeangebote die billigsten sein müssen und häufig nur noch abschreckend ausgestaltet sind, und daß der Casemanger nach dem ausdrücklichen Willen der Erfinder "Ungemütlichkeit organisieren" "fürsorglich belagern" soll, sich als "teacher, preacher, friend and cop" verstehen soll ( Bertelsmann Stiftung). So wird diese Methode nicht nur in Deutschland als Hilfemethode pervertiert, auch wenn sie noch so gut gemeint sein mag. Wer zum Arzt geht oder zum Therapeuten, der kann sich auf dessen Loyalität und Verschwiegenheit verlassen und darauf, daß er versucht eine für ihn optimale Lösung zu finden. Deswegen öffnet sich der Kranke mit seinen Problemen und deswegen kann diese Vertrauensperson dann oft gute Lösungen mit ihm erarbeiten. Diese Voraussetzungen auf den Fallmanager eines Arbeitslosen zu übertragen, ist lächerlich. Und die bekannt gewordenen Eingliederungs"vereinbarungen" sprechen dieser individuellen Hilfeausrichtung auch geradezu Hohn.

Wer entscheidet nach welchen Kriterien, was "Brüche in den lebens- und erwerbsbiografien, instabile soziale Beziehungen, marginalisierte Lebenszusammenhänge oder fatalistische Lebenseinstellungen" sind? Was sind "Fehlentwicklungen oder Blockierungen" oder "Defizite in Person und Lebensumständen"? Wird diese Person gefragt, wenn im "aktivierenden Kern (Potenzialansatz" die Frage gestellt wird: "wohin will ich und was hilfe dem Kunden weiter?"

Wenn umgekehrt die Arbeit der neuen ARGEn, Trainingsmaßnahmen, Bildungsmaßnahmen und der Beschäftigungsbetriebe nur annähernd so tiefgehendem Profiling und Anamnesen unterworfen wären, wie der überrumpelte Arbeitsuchende, dann wäre das noch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Stattdessen herrscht da aber nur bornierte Selbstgerechtigkeit und als Erfolg wird schon registriert, wenn jemand ganz ohne Mitsprache irgendwohin "zugewiesen" wird.

Es ist mit dem Casemangement etwa so wie mit dem Geschlechtsverkehr: auf freiwilliger Basis mit gegenseitigem Vertrauen oder auch kleinen Mogeleien und Täuschungen ist das eine schöne Sache. Aber unter Zwang, Ausnutzung von Abhängigkeit, Angst und ähnlichem ist es eben nicht mehr so schön und so fiel auch der Bild Zeitung instinktiv der Begriff "Intimverhör" ein. Diese Kritik muß erlaubt sein und ist auch dringend notwendig, wenn wir soziale Demokratie nicht mit Sozialtechnokratie verwechseln. Deshalb liegt auch die Drohung mit der Haftung für Verleumdung zwar in der Sache daneben, aber methodisch ganz auf der übrigen autoritären Linie dieses Ansatzes.

Und nur ganz am Rande: Es gäbe auch menschenwürdige und sogar casemanagement-ähnliche Verfahren den Menschen - die es wollen - den Zugang zu den wenigen noch verbliebenen Arbeitsplätzen zu vermitteln und ihre Qualifikationen samt Menschenwürde und Persönlichkeitsrechten zu erhalten.

Mit freundlichem Gruss
Die Redaktion des LabourNet Germany

Anmerkung:

Wir antworten hiermit auf:

"Liebes Team von labour.net
Namentlich in mehreren Publikationen als Mitautor des Fachkonzeptes zum beschäftigungsorientierten Fallmanagement genannt, will ich mich auch bei Ihnen zu Wort melden. Besonders irritiert bin ich über den provokanten Artikel von Antonin Dick, bei dem ich mich frage, hat er das Fachkonzept zum beschäftigungsorientierten Fallmanagement nicht gelesen, hat er es nicht verstanden oder ging es ihm zur Gänze um eine Ablehnung jedweder Unterstützung für arbeitslose Menschen
.." Gegendarstellung von Rainer Göckler pdf-Datei (Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung) vom 15. Juni 2005 zu: "Zur Sprache der vollständigen Okkupation des Individuums. Die Bundesagentur für Arbeit und die Produktion "marktfähiger" Individuen". Kommentar von Antonín Dick zu Fachkonzept "Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement im SGB II" externer Link pdf-Datei

Wir rufen die interessierte Leserschaft auf, diese Debatte aufzunehmen!


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