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Updated: 18.12.2012 15:51
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Elend ist relativ...

Berichte von Zeitarbeitern bei Opel/GM, Nokia, Flextronics, Gate Gourmet und Kasino-Baustellen in Deutschland

Intro

Bisher hat die radikale Linke auf Prekarisierung meist formal und letztendlich Politik machenden reagiert. Anstatt sich auf die reale Wut und ihren materiell möglichen Ausdruck im proletarischen Alltag einzulassen, bleiben die Forderungen nach einem garantierten Mindesteinkommen oder nach globalen Rechten ein Anhängsel der Realpolitik oder versorgen sie mit einem kritisch-spektakulären Beigeschmack. Folgender Text setzt die momentane Strategiedebatte der Unternehmer, des Staats und der Gewerkschaften um die Neuregulierung des Lohngefälles in Kontrast zu realen Erfahrungen aus dem Niedriglohnsektor.

Der erste Teil liefert eine Zusammenfassung der quantitativen und rechtlichen Entwicklung von Zeitarbeit und der Diskussion um Mindestlohn. Im zweiten Teil schreiben Zeitarbeiter über Situationen im Jahr 2006 in folgenden Unternehmen :
General Motors/Opel (Bochum),
Nokia (Bochum),
Flextronics (Paderborn),
Gate Gourmet (Düsseldorf),
Grossbauunternehmung City Palais (Duisburg).

Am Schluss eine kurze politische Zusammenfassung. Augenmerk des Artikels liegt auf der neuen Zusammensetzung der Zeitarbeitskraft. In den multinationalen Unternehmen wird Zeitarbeit zum einen benutzt, um Umstrukturierungsprozesse zu beschleunigen, zum anderen ist sie fest einkalkulierter Bestandteil der Produktion geworden. Mit der quantitativen Ausweitung entstand eine Mischung von sehr jungen, oft migrantischen ArbeiterInnen und älteren ArbeiterInnen, die aus den Kernbelegschaften ausgeschieden sind. Durch die begrenzte Verweildauer der Arbeitskraft in den jeweiligen Unternehmen zirkuliert diese neue Zusammensetzung innerhalb der Kernbereiche der Industrie, ohne grössere Angst vor HartzIV und ohne Aussicht auf formale Unternehmenszugehörigkeit und die mit ihr verbundenen Illusionen.

Teil 1: Zeitarbeit und Mindestlohn

Zeitarbeit weitet sich auf kleiner Basis aus

Mitte 2006 sind in Deutschland rund 500.000 Menschen über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. In den letzten zehn Jahren hatte die Branche ein jährliches Wachstum von ca. 10 Prozent. Im europäischen Vergleich ist in Deutschland der Anteil der Zeitarbeit an den gesamten sozialversicherungspflichtigen Jobs mit 1,7 Prozent immer noch relativ gering, in Grossbritanien liegt der Anteil bei rund 4,7 Prozent. Dass die Zahlen nicht höher sind, liegt nicht am sozialen Gewissen der Unternehmer in Deutschland, vielmehr bieten staatliche Lohnzuschüsse und Einstiegstarife zusammen mit befristeten Verträgen den Unternehmern Alternativen zur Zeitarbeit. Das produzierende Gewerbe, und hier speziell Helfertätigkeiten in Grossunternehmen der Metall- und Elektroindustrie gelten weiterhin als zentraler Einsatzort für Zeitarbeit. Rund ein Drittel aller Zeitarbeitseinsätze fallen dort an, dort wird umstrukturiert und dort sind die Lohnunterschiede zwischen Festangestellten und ZeitarbeiterInnen am grössten. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat für 2002 ergeben, dass insgesamt 2,4% der Unternehmen in Deutschland Zeitarbeit nutzen, die Anteile aber nach Betriebsgröße deutlich variieren. Bei Unternehmen über 500 sind es 35 Prozent aller Unternehmen. In anderen Ländern der EU, wo befristete Vertrage bzw. Zeitarbeit weiter verbreitet sind als in Deutschland, zeigen sich bereits die Grenzen solcher Vertragsverhältnisse. Im Jahr 2005 bekam z.B. Spanien eine offizielle Rüge von Seiten der EU, da der Anteil an befristeten bzw. Zeitarbeitsverträgen an den neuabgeschlossenen Verträgen zu hoch sei. Begründet wurde dies durch die negativen Auswirkungen auf die Produktivität: eine moderne industrielle Produktion sei auf eine gewissen Identifikation bzw. Zukunftsverbundenheit der ArbeiterInnen mit ihrem Arbeitsplatz angewiesen. Sobald befristete Vertrage bzw. Zeitarbeitsverträge einen bestimmten Prozentanteil überschreiten, verfliegt der Anreiz, sich durch Fleiss und Zuverlässigkeit einen "festen Arbeitsplatz" zu erarbeiten. Die Leute kündigen innerlich, was sich in der Zunahme des Krankenstands und schlechterer Arbeitsleistung ausdrückt.

ZeitarbeiterInnen werden mobiler

Neben den absoluten Zahlen hat sich auch die Beschäftigungsbiographie der ZeitarbeiterInnen geändert. Mit der Flexibilisierung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts in den letzten Jahren verkürzten sich sowohl die Beschäftigungsverhältnisse bei der Zeitarbeitsfirma als auch die Verweildaür in den Betrieben, an die die LeiharbeiterInnen verliehen sind. Im Jahr 2003 waren nur dreizehn Prozent der LeiharbeiterInnen ein Jahr oder länger beim gleichen Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt. Zudem haben sich die Kettenverträge ausgeweitet, d.h. Leute werden öfters zwischen den Aufträgen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Dementsprechend waren 2003 rund 43 Prozent der ArbeiterInnen, die bei einer Leiharbeitsfirma anfingen, zuvor arbeitslos. Die durchschnittliche Verweildauer in einem Betrieb betrug im selben Jahr 2,1 Monate und lag somit rund einen Monat unter dem Durchschnitt von 1997. Die Mobilität drückt sich auch darin aus, dass Leute bereit sind, "berufsfremde Tätigkeiten" zu übernehmen. Zwar hatten im Jahr 2003 rund drei Viertel der ZeitarbeiterInnen eine Berufsausbildung, rund die Hälfte aller ArbeiterInnen wurden aber als "NichtfacharbeiterInnen" eingesetzt.

Überblick über die rechtlichen Änderungen der "Arbeitnehmerüberlassung"

1994
Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 6 auf 9 Monate und Aufhebung des Synchronisationsverbots für von der BA zugewiesene schwer vermittelbare Arbeitslose. Das Synchronisationsverbot schreibt vor, dass die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses die Zeit des ersten Entleiheinsatzes "erheblich" überdauern muss. Die Rechtsprechung hat als Faustregel hierfür eine Daür von 25 Prozent des Ersteinsatzes festgelegt.
1997
Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 9 auf 12 Monate und Zulassung lückenlos aufeinander folgender Befristungen mit demselben Leiharbeitnehmer.
2002 Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 12 auf 24 Monate
2003

Wegfall des Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbots und der Überlassungshöchstdauer. Das Wiedereinstellungsverbot schließt aus, dass der Verleiher Arbeitsverträge durch Kündigung beendet und den Leiharbeitnehmer innerhalb von drei Monaten wiederholt einstellt. Hinzu wurde das Entleihverbot im Bauhauptgewerbe gelockert. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der ZeitarbeiterInnen und Festangestellte offiziell die gleichen Bedingungen garantiert, wurde durch eine Klausel unterlaufen: er gilt nur sofern es keine abweichenden Tarifvereinbarungen gibt. Folge waren zahlreiche Tarifabschlüsse, die nicht nur den Gleichbehandlungsgrundsatz ausschalteten sondern auch zu einer allgemeinen Lohnsenkung in der Branche führten.

 

In der Debatte um einen Mindestlohn geht es nicht um Besserstellung von ArbeiterInnen, sondern um die Frage, wer die Niedriglöhne vermittelt

Die Diskussion um den Mindestlohn in Deutschland dreht sich weniger um die absolute Lohnhöhe, als um die Frage, welche Lohnspreizungen zwischen HartzIV und einem Durchschnittslohn genug Arbeitsanreiz bzw. Lohndruck erzeugt und wie sich diese Lohndifferenzen kontrollieren und vermitteln lassen. Mit der HartzIV-Reform wurde im Grunde ein durch Lohnunterschiede in den jeweiligen Sektoren varierendes Arbeitslosengeld bereits durch einen staatlich festgesetzten Mindestlohn für Arbeitslose ersetzt. In den meisten anderen europäischen Ländern (im Gegensatz zu Deutschland haben 18 von 25 EU-Mitgliedsstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn) wird in Krisenzeiten vor allem dem Staat zugetraut, niedrige Einkommen durchsetzen und verteidigen zu können. Das steht in Deutschland zur Debatte. Mit dem Anfang September 2006 ausgehandelten 2-Stufen-Plan zur Einführung eines Mindestlohns wollen SPD und DGB sicherstellen, dass die sichere Allianz von Politik, Gewerkschaft und Unternehmen bei der Definition des Niedriglohnsektors bestehenbleibt. Dies soll "politischen Konflikten" a la Montagsdemos oder Protest gegen die CPE-Reform in Frankreich präventiv den Wind aus den Segeln nehmen. Bei dem 2-Stufen-Plan bleibt der erste Schritt den Tarifparteien vorbehalten. Sie sollten versuchen, Mindestlöhne für ihre Branchen zu beschließen, auf die dann das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (ÄntG) auszudehnen wäre. Erst wenn sich herausstellen sollte, dass auf diese Weise branchenbezogene Mindestlöhne nicht zustande kommen, soll der zweite Schritt folgen, die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes. Für das Gebäudereiniger-Handwerk ist eine Ausdehnung der ÄntG, das bislang für das Baugewerbe, das Maler- und Lackierhandwerk und für Dachdecker galt, bereits im Sommer 2006 von der Bundesregierung beschlossen worden.

Testfall Zeitarbeit

Bislang tun sich die Diskutanten des Mindestlohns noch schwer bei der Frage, inwieweit regionale und sektorale Lohnunterschiede bei der Bestimmung eines Mindestlohns eine Rolle spielen. Ob zum Beispiel der Lohnvorteil des Tariflohns einer thüringischen Friseur-Handwerkerin von 3,80 Euro brutto die Stunde so einfach gegen den Vorteil eines staatlich legitimierten aber auch höheren Mindestlohns ersetzt werden soll. Die Zeitarbeitsbranche zählt daher neben der Baubranche als eine Art Präzedenzfall für die Debatte, da hier durch die Mobilität weder regionale noch sektorale Unterschiede gross zur Geltung kommen und die tatsächlich gezahlten Löhne auch niedrig genug sind, um als Messlatte zu funktionieren. In der Zeitarbeitsbranche ist dementsprechend das formale Schattenboxen der kapitalistischen Institutionen am intensivsten. Der im Jahr 2003 nach EU-Richtlinie übernommene Gleichbehandlungsgrundsatz wurde durch eine Extraklausel ausser Kraft gesetzt, die Unternehmen und Gewerkschaften ermöglicht, schlechtere Bedingungen per Tarifvertrag festzulegen. Gab es vor dieser Gesetzesbestimmung kaum Tarifverträge in der Zeitarbeitsbranche so sind heute etwa 95% aller Zeitarbeitskräfte auf Basis tariflicher Vereinbarungen beschäftigt. Viele dieser Vertrage wurden mit der kleinen und ansonsten einflusslosen christlichen Gewerkschaft (Christliche Gewerkschaft Zeitarbeit PSA - CGZP) abgeschlossen. In einigen Zeitarbeitsunternehmen wurden dadurch Einstiegslöhne von 5,20 Euro brutto verankert. Der DGB mokierte sich erst über diese Tarifabschlüsse, stellte die Tariffähigkeit der kleinen Gewerkschaft in Frage. Mit dem Argument, dass ansonsten die meisten Unternehmen Vertrage mit der Konkurrenz abschliessen würden, entschied sich der DGB schliesslich doch, den Gleichbehandlungsgrundsatz ebenfalls durch schlechtere Tarifabschlüsse zu unterlaufen. Im Mai 30. Mai 2006 schlossen die beiden großen Zeitarbeitgeberverbände - der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.) und der Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA e.V.) - mit der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB einen Tarifvertrag zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit ab. Dieser soll nach dem Willen der Beteiligten über eine Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (ÄntG) auf die Zeitarbeitsbranche per Ministerverordnung für allgemein verbindlich erklärt werden. Die von Staat und Kapital geforderte Lohnspreizung ist damit gewährleistet: die mit dem DGB ausgehandelten Tariflöhne liegen im Westen bei 43,6 bis 46,1 Prozent des Medianlohns. In der Europäischen Arbeitsmarktforschung gelten Löhne als Niedriglöhne, die unter zwei Drittel des Medianlohns liegen, wobei der Medianlohn nur besagt, das 50 Prozent aller Löhne darüber, die anderen 50 Prozent darunter liegen. Im Jahr 2005 sollen bereits 290.000 von insgesamt 440.000 Zeitarbeitskräften (also knapp zwei Drittel) nach dem von den DGB-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge bezahlt worden sein. Der folgende Vergleich der Löhne zeigt, dass sich sowohl die "gelbe" christliche Gewerkschaft, der DGB als auch der Staat nicht wirklich über die Lohnhöhe streiten: im Westen (Osten) liegt der Einstiegslohn laut christlichem Tarifvertrag bei 6,80 Euro (5,60 Euro), beim DGB-Vertrag bei 7,00 bis 7,20 Euro (6,00 bis 6,20 Euro), der staatliche Mindestlohn läge bei 7,15 Euro (6,20 Euro). Für die einzelnen ArbeiterInnen gleichen sich die Lohnunterschiede oft bereits dadurch aus, dass bei derartig niedrigen Löhnen noch Zusatzleistungen vom Staat bezogen werden können, was de facto ebenfalls einer Art real-existiereden Mindestlohn bedeutet. Im September 2005 nahmen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bundesweit bereits 906.000 Personen - darunter rund 280.000 Vollzeitbeschäftigte - diese Zusatzleistungen in Anspruch. In diesem Sinne würde ein Mindestlohn für die meisten ArbeiterInnen keine Verbesserung darstellen, es würde lediglich das Zahlungsverhältnis zwischen Unternehmen und Staat verändern.

Quellen

  • Dr. Claudia Weinkopf, Mindestbedingungen für die Zeitarbeitsbranche?, Expertise im Auftrag des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.)
  • Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Nr. 14 / 19.9.2006

Teil 2: Formalitäten beiseite...

Im Folgenden Berichte von jenen, um deren Leben es bei der Strategiedebatte, den arbeitsmarktpolitischen Massnahmen und Verhandlungsabschlüssen geht. Die Berichte geben erst einen groben Überblick über das jeweilige Unternehmen und die laufenden Umstrukturierungen, dann Einblicke in den Arbeitsalltag.

General Motors/Opel Bochum

Das Unternehmen

Seit dem Streik 2004 haben rund 3.000 ArbeiterInnen mit Abfindungen von bis zu 180.000 Euro den auf drei Werke verteilten Standort von General Motors in Bochum verlassen. Im August 2006 arbeiteten noch 6799 ArbeiterInnen am Standort. Der Streik konnte eine radikale Umstrukturierung zunächst verhindern, diese ging seitdem schrittweise voran. So wurde das Werk 3 (Teilelager) an die Firma Caterpillar ausgelagert, die Achsen und Auspufffertigung an den US-Konzern Magna. KeineR der Auszubildenden wird mehr übernommen, sie können ein halbes Jahr mit der niedrigsten Lohngruppe (13,50 Euro brutto) über die Zeitarbeitsfirma Adecco im Werk bleiben, danach sind sie "normale" ZeitarbeiterInnen, die für 10 Euro brutto im gesamten Bundesgebiet für jedweden Job eingesetzt werden können. Hinzu kommen verschiedenste angedrohte Kleinauslagerungen, so zum Beispiel des Werkschutzes. Der folgende Bericht beschreibt Arbeitserfahrungen aus dem Werk 1 (Endmontage Astra/Zafira) im Sommer 2006. Alle europäischen General Motors Werke waren zu diesem Zeitpunkt angehalten, um die Produktionsvergabe für den Delta II (Astra-Nachfolger) zu konkurrieren. Zusätzlich zum Werk in Portugal und der Nachtschicht in der Fabrik in England stand im Rahmen der (Nicht)Vergabe ein weiterer Standort auf der Abschussliste. Im Werk 1 wurde neben den allgemeinen geforderten Lohnkürzungen für den Erhalt des Delta II Auftrags die Auslagerung der internen Logistik (550 ArbeiterInnen) angedroht, einer strategisch wichtigen Abteilung, ohne die die Bänder ohne Teile bleiben. Durch einen wilden Streik konnte die Auslagerung 1999 verhindert werden. Im Sommer 2006 wurde der Bochumer Standort in der Presse als einer der produktivsten in Europa gepriesen, im Werk ist die Stimmung schlecht, das kollektive Gefühl der ArbeiterInnenmacht zerrieselt mit dem individuellen Poker um Abfindungen ("Die meisten haben sich rauskaufen lassen") und täglich angekündigte Untergrabungen der Belegschaft.

Die ZeitarbeiterInnen in der Endmontage werden über eine Fremdfirma beschäftigt, SCB (Sils Center GmbH Bochum). SCB ist eine Tochter von Ferrostaal, die wiederum von MAN. Im Bochumer Werk organisiert SCB die Vormontage von diversen Innenteilen (Verkleidung, Dachhimmel, Handschuhfach etc.) und deren getackteten Transport ans Band. SCK in Köln montiert auf dem Werksgelände von Ford Frontschürzen, bei General Motors in Rüsselsheim ist SCR mit der Motorenvormontage beauftragt. Die Vormontageabteilung von SCB war früher die Kranken bzw. Genesendenabteilung von Opel. Leute die nicht mehr oder noch nicht wieder am Band arbeiten konnten, fanden hier einen "Leichtarbeitsplatz". Die Leute wurden damals mit der Schliessung der Krankenabteilung erpresst, um einen Vertrag mit der ausgegliederten SCB zu unterschreiben. Die Bedingungen ihrer alten "Opel/GM-Verträge" blieben erhalten. Somit ergeben sich drei sehr unterschiedliche Vertragssituationen bei SCB: erstens Leute mit alten Opel-Verträgen, zweitens Leute mit SCB-Verträgen und ZeitarbeiterInnen. Der reine Brutto-Stundenlohn unterscheidet sich bereits merklich: Opel/GM 16,50 Euro, SCB 13,54 Euro, Wico Zeitarbeit 7,03 Euro. Mit der Auslagerung an SCB hat sich auch die Situation der schon zuvor bei Adecco beschäftigten ZeitarbeiterInnen dramatisch verschlechtert. Opel/GM zahlte den Adecco ZeitarbeiterInnen einen Ausgleich, so dass ihr Bruttostundenlohn 13,50 Euro betrug. Mit der Ausgliederung im April 2006 fiel diese Zahlung weg. Von rund 150 Adecco ArbeiterInnen kündigten 149, eine 50 prozentige Lohnkürzung wollten sie nicht hinnehmen. Zum Bruttolohn kommen Unterschiede durch verschiedene Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld, bezahlte Bandpausen usw., die die ZeitarbeiterInnen nicht bekommen. Auf den Jahreslohn gerechnet dürften die ZeitarbeiterInnen tatsächlich nur ein Drittel des Lohns der Festangestellten mit Opel/GM-Verträgen bekommen, bei gleicher Arbeit. Hinzu kommen andere Nachteile: in den drei Wochen Werksferien wurden die ZeitarbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit entlassen, um dann wieder eingestellt zu werden. Wenn am bei Schichtübergabe Leute fehlen müssen die ZeitarbeiterInnen bis zu zwei Stunden länger bleiben. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie ohne Begründung von einer Minute auf die andere bei Opel/GM rausfliegen können. Momentan arbeiten tatsächlich noch relativ wenige ZeitarbeiterInnen am gesamten Standort, vielleicht 400 Leute, ohne Putzkräfte, Kantine, Security. Diese sind aber zum Teil sehr konzentriert, z.B. in der Vormontage, oder bei den Staplerfahrern in der Nachtschicht in der Endmontage, wo sie fast die Hälfte der Logistik-ArbeiterInnen stellen sollen. Anders als Opel/GM gibt es bei den 150 ausgegliederten Firmen wie SCB, die alle auf dem Werkgelände arbeiten, keine rechtlichen Beschränkung was den Einsatz von ZeitarbeiterInnen angeht. Opel/GM fordert im Rahmen der Delta II-Vergabe, dass der Zeitarbeitsanteil auf 15 Prozent der Belegschaft ausgedehnt werden kann.
Die Zeitarbeitsfirma Wico aus Essen beschäftigt rund 35 ArbeiterInnen pro Schicht in der Vormontage. Es ist im Vergleich zu Adecco eine winzige Zeitarbeitsfirma, die ihre knapp 150 ProduktionsarbeiterInnen in erster Linie an die Autoindustrie verleiht. Leute von Wico arbeiten bei Opel/GM, bei Ford in Köln, bei Tower Automotive in Duisburg (Türen für DC Sprinter und VW T5) und Nobel in Essen (Bremssysteme). Bei der Einstellung wird angekündigt, dass je nach Auftragslage bei allen Unternehmen eingesetzt werden kann.

Einstellung

Sowohl Nokia, als auch Opel und Ford verlangen eine Art Deutschtest, quasi nachgelagert zum diskutierten Deutschtest der Ausländerbehörde. Andere berufliche Qualifikationen sind eher hinder- als förderlich. Das Vorstellungsgespräch dauerte zwei Minuten und endete mit: "Sie stehen auf der Liste, bitte seien sie telefonisch erreichbar. Es kann sein, dass wir sie nachmittags anrufen und sie bitten, die nächste Nachtschicht zu übernehmen". So in etwa kam es dann auch. Beim Einstellungsgespräch wurde betont, dass sich "SCB einen festen Stamm von Leuten aufbauen will". Es wurde keine Festeinstellung versprochen, lediglich gesagt, dass der Aufenthalt bei Opel/GM länger dauern könnte. Ausserdem wurde vor "den älteren Opel-Kollegen" gewarnt, da diese die neuen Qualitätsstandards und Unternehmensphilosophie von SCB nicht akzeptieren würden, was sie sich leisten können, nicht aber die ZeitarbeiterInnen. Wico hat einen Vertreter mit eigenem Büro im Opel/GM-Werk. Ist man bei Schichtübergabe um 5:50 Uhr nicht am Arbeitsplatz, wird man angerufen. Einmal pro Woche besucht der Vertreter seine ArbeiterInnen, versucht bei Problemen zwischen ihnen und SCB zu vermitteln.

Zusammensetzung der (Zeit)Arbeitskraft

Die meisten ZeitarbeiterInnen sind jung, zur Hälfte migrantisch und drei Viertel männlich. Sie sind jünger als die meisten Opel-ArbeiterInnen, aber ansonsten eine ähnliche Mischung. Die meisten haben irgendeine sich auf dem absteigenden Ast befindliche Ausbildung gemacht, Mechaniker im Bergbau oder Bauschlosser. In unserer Dachhimmel-Gruppe sind wir zu acht, vier ältere Opelaner und vier ZeitarbeiterInnen, in der Nachtschicht sind fast nur ZeitarbeiterInnen. Eine Kollegin hat bei Opel gelernt, ihre Mutter hatte einen Kiosk auf dem Werksgelände und kannte die Betriebsräte, dann drei Jahren in der Produktion gearbeitet, gekündigt worden, in einer Bäckerei angefangen, dann arbeitslos und jetzt über Zeitarbeit wieder bei Opel. Für die Hälfte des vorherigen Lohns. Zwei türkische Kollegen haben vor kurzem bei Nokia gearbeitet und sind dort nach kurzer Zeit rausgeschmissen worden, Stress mit den Vorarbeitern. Die Leute bei Opel strahlen eine gewisse Gelassenheit und ein etwas müdes Selbstbewusstsein aus. Sie sind mitleidig freundlich uns gegenüber. Man merkt noch etwas von der Tradition als Arbeiterbastion, es hängen mehr Gewerkschafts- und Vertrauensleute-Infos aus, Demo-Aufrufe und Zeitungen der MLPD, es wird viel gemeckert, gegen die da oben. Aber gleichzeitig sagen die meisten, dass das Werk wohl irgendwann dichtmachen wird oder sie die meisten Jobs auslagern werden.

Arbeitsorganisation

Wir arbeiten wir fünf Meter neben der Linie, bereiten die Dachhimmel für die Montage vor. Wir sehen, ob das Band läuft und hören, wo es Probleme gibt. Die über Lautsprecher in der Halle durcheinandergespielten Problemmelodien unterscheiden sich je nach Bandabschnitt. So wissen die Springer, Instandhalter und Abteilungsleiter wo sie hin müssen. Schlechte elektronische Versionen der "Vogelhochzeit" oder "Der Mond ist aufgegangen", alle zwei Minuten. Psycho. Die Arbeit ist einfach, zwei Stunden Anlernzeit, vier Tage, um aufs richtige Tempo zu kommen. Angelernt werden die ZeitarbeiterInnen durch bereits arbeitende ZeitarbeiterInnen. Einmal im Rhythmus ist es auch nicht zu stressig, zumindest solange alles glatt geht, alle Teile da sind, der Transport zum Band gut läuft. Aber Extrapause gibt es selten, im Grunde arbeitet man immer. Man nehme einen dem Modelltyp (rund sechs unterschiedliche) entsprechenden Dachhimmel und montiere dann die richtige Dachleuchte, Abstandhalter, Parkhilfe und elektrische Kabel. Pro Dachhimmel rund drei Minuten. Ein Kollege bringt alle fünfzehn Minuten einen Wagen mit zehn Dachhimmeln ans Band, rund 300 Meter Fluss aufwärts. Wir sollen immer zwei Wagen Vorlauf haben, denn wenn für zehn Minuten kein neuer Wagen ans Band kommt, steht es. Das sollte nicht vorkommen. Es sollten auch keine falschen Modelltypen dabei sein oder Abstandshalter fehlen. Dann gibts Stress und Leute müssen hin und her rennen. Abwechselnd soll immer einer aus der Gruppe einen Wagen kontrollieren und dafür unterschreiben. Dann soll der Fahrer kontrollieren und dann steht zusätzlich ein alter Opelaner am Band und kontrolliert noch mal. Aber den wollen sie sich sparen, was schwierig wird. Gerüchte gehen um, dass er ein 150.000 Euro Abfindungsangebot abgelehnt hat. Von daher machen sie mehr Druck auf die Vormontage. Den Wagen gut zu kontrollieren und zwischendurch zu montieren erhöht den Stresslevel. Wenn aber der Fehler eines anderen Kollegen ans Band durchgeht, gibt es Zank untereinander. Der SCB-Abteilungsleiter droht mit der Kapitalmasse: "Hier sollen heute 370 Autos pro Schicht raus, eine Minute Stillstand kostet den Laden 15.000 Euro. Das wollt ihr euch doch nicht antun". Antwort eines Leiharbeiters: "Wenn ich hier eine so verantwortungsvolle Aufgabe habe, dann sollten Sie mir lieber mehr als 7 Euro brutto die Stunde zahlen". Selbst bei einem profanen Dachhimmel, dessen Materialwert 10 Euro nicht überschreiten dürfte, ist die einen umgebende internationale Kooperation beachtlich. Die Dachhimmel selbst kommen aus Polen (Faurecia Sia), sie wurden oft noch in der selben Woche von dort losgeschickt. Die Leuchten sind aus Südfrankreich, die Kabel aus der Tschechischen Republik.
Alle ZeitarbeiterInnen sollen langfristig auch als Elektrokarren-FahrerInnen eingesetzt werden, die die Bänder mit Teilen beliefern. Der Job ist höchst eintönig und relativ einsam. Die BandarbeiterInnen unterhalten sich eher untereinander, was am Arbeitsstress liegen mag, aber sicherlich auch an der Tatsache, das die FahrerInnen fast jede Woche wechseln. Und was für eine Unterhaltung liesse sich in der einminütigen Übergabezeit führen?! Die ZeitarbeiterInnen machen auch einen Staplerschein, vielleicht um später auch in der Logistik eingesetzt werden zu können. Sie unterschreiben einen Zettel, dass sie die Kosten des Scheins übernehmen, falls sie innerhalb der nächsten drei Monate den Job verlassen sollten, rund 150 Euro. Die Fluktuation ist ein Problem, vor allem der Vorarbeiter von SCB, da sie jeden Monat neue Leute in die Gruppe integrieren müssen.

Ist es an sich schon merkwürdig, ein Massenprodukt herzustellen, ohne es sich leisten zu können, so ist auf einer unmittelbaren Ebene umso absurder, dass man trotz offen eingestandener Überkapazitäten und Absatzkrise weiter Samstagssonderschichten und tägliche 30 Minuten Schichtverlängerung fährt, um den Blechberg weiter aufzutürmen. Gleichzeitig schaffen die angekündigten Zwangs-Freischichten und eine angedrohte Vier-Tage-Woche ab Januar 2007 Unruhe. Arbeit ist scheisse, aber man kann froh sein, eine zu haben. Surreal auch, wenn erwachsene Männer, die den grössten Industriegiganten der Welt am laufen halten, Angst vor Schaumstoffwürfeln haben müssen. In unserer Gruppe montieren sechs Leute Dachhimmel, beim neuen Modelljahr fallen pro Dachhimmel vier Abstandhalter weg, das spart pro Dachhimmel 30 Sekunden, pro Tag dreieinhalb Stunden Arbeitzeit, ein guter Rationalisierer kürzt damit einen Arbeitsplatz. Als reiche die Entfremdung der Arbeit nicht, erfindet das Management zusätzliche. Neben dem Fliessband steht ein "verwundetes Auto" unter einem grossen Schild "Mutilation Parcour", es zeigt, wo am Auto Kratzer durch Gürtelschnallen und andere Unachtsamkeiten entstehen. Am "Mutilation Parcour" vorbei fährt täglich ein Staplerfahrer, der sich bei einem Arbeitsunfall buchstäblich das Genick gebrochen hat und seit drei Jahren auf Entschädigung klagt.

Konflikte

ZeitarbeiterInnen und Festangestellte machen zusammen Pause, es gibt keine Animositäten, aber die Probleme scheinen unterschiedlich intensiv. Die Hauptsorge der Festangestellten ist die Umstrukturierung ihres Werks, der Angst vor weiteren Entlassungen, die Frage der Abfindungen. Für die ZeitarbeiterInnen ist es eine Lehrstunde, am Pausentisch erfährt man etwas über moderne Betriebsführung. Der Streik von 2004 wird selten erwähnt, aber ab und zu taucht er in den Gesprächen auf. Kurz danach wird meistens angemerkt, dass nach 3.000 abgefundenen Leuten die Situation heute eine andere sei. Die Festangestellten machen Kaffee/Zigarettenpause zusammen mit ihrem worst-case-scenario, der nächsten Generation. Die ZeitarbeiterInnen können ihnen etwas zum Leben auf HartzIV erzählen, zur Situation in üblen Jobs und wie es sich mit 850 Euro im Monat leben lässt, wenn man nebenbei einer Vollzeitbeschäftigung in der Automobilindustrie nachgeht. Die Festangestellten entfremdet die Scheissegal-Haltung gegenüber der Zukunft des Betriebs. Das Hauptproblem der Zeitarbeiter ist tatsächlich der Lohn. Sowohl materiell als auch moralisch scheint die akzeptable Grenze momentan bei 10 Euro brutto zu liegen. In Jobs, in denen man weniger bekommt, wird der Lohn zum ständigen Thema. Man hat 150 Euro mehr im Monat als auf HartzIV, aber die gehen drauf fürs Benzin und den zusätzlichen Rauschmittelkonsum. Hinzu kommt der Stress der Unsicherheit. Die gestrichenen Samstagsschichten, zusätzliche Freischichten, Gerüchte über eine Vier-Tage-Woche treffen die ZeitarbeiterInnen härter als die Festangestellten. Diese werden auch nicht an einem Urlaubs- oder freien Tag um fünf Uhr morgens aus dem Bett geklingelt, ob sie nicht doch zur Schicht kommen könnten, wie es bei einigen ZeitarbeiterInnen der Fall ist. Die Festangestellten werden auch nicht um fünf vor sechs morgens von ihrem persönlichen Manager angerufen, wenn sie sich etwas verspäten.

Hinzu kommen Gerüchte, das alle verbleibenden Adecco-Leute, die nach Mai neueingestellt wurden, wieder gehen sollen. Bei uns in der Gruppe arbeiten zwei Leute von Adecco, wir sitzen zusammen am Tisch. Die Festangestellten, selbst der Vorarbeiter raten uns, bei SCB nach möglichen Festverträgen zu fragen. Oder zumindest nach der absehbaren Zukunft, möglicher Lohnerhöhung.

Abgang

Verschiedene Faktoren haben zu einer vielleicht übereilten Aktion geführt, die mit einer Kündigung endete. Die Stimmung war mies, die meisten in der Gruppe und auch in der benachbarten Innenverkleidungsmontage meinten, dass sie sich nach einem anderem Job umsehen wollten. Vor den Werksferien hatten wir uns die Zusage vom Vertreter der Zeitarbeitsfirma eingeholt, dass nach den Ferien alle Leute der Gruppe wieder an Bord seien. Tatsächlich bekam ein für uns wichtiger Kollege keinen neuen Vertrag, angeblich wegen Zuspätkommens und Drogen. Es schien also klar, das sowohl von Unternehmensseite als auch von unserer Seite die Joblage prekär war. Eine gemeinsame Aktion schien besser als individuelles Gehen oder Gegangen werden. Die Idee kam auf, dass sowohl Wico als auch Adecco-Leute in der viertelstündigen Mittagspause bei SCB im Büro auflaufen und nach möglichen Festübernahmen, der Zukunft der Adecco-Leute, nach mehr Geld fragen sollten. Wir sagten Leuten aus anderen Abteilungen bescheid, wofür sich der Fahrerjob gut eignete. Im Gespräch hielten die meisten die Idee für richtig, einige rissen das Maul recht weit auf und meinten, sie würden vierzehn Kollegen mitbringen. Zwei Tage vor der geplanten Bürobegehung bekam der Wico-Vertreter Wind von der Sache und setzte einzelne Leute unter Druck, drohte mit Kündigung, meinte, dass die Aktion die Jobs von allen gefährden würde. Auf die Schnelle gab es keine gemeinsame Antwort auf seine Angstmache. Er fragte nach Drahtziehern und zum Schluss stand ein E-Karrenfahrer oben auf seiner Liste. Trotz gut eingelegter Worte auch von Seiten der SCB-Leute wurde der Zeitarbeiter von Opel/GM abgezogen. Dies ist umso demoralisierender, da es die Meinung der meisten Festangestellten bestätigt, dass ZeitarbeiterInnen in erster Linie Opfer sind, die man feuern kann, sobald sie das Maul aufmachen, und die nie lang genug zusammen sind, um etwas dagegen zu unternehmen. Eine gelungene Aktion von ZeitarbeiterInnen, die ihre zentrale Position in der Endmontage der Auto-Industrie zu nutzen wissen, wäre ein wichtiges Zeichen gegen den allgemeinen Trend.

Nokia Bochum

Das Unternehmen

Nokia produziert seit 1989 Mobiltelefone in Bochum, es werden täglich 100.000 bis 150.000 Handies montiert und in die ganze Welt geliefert. Es sind noch 2500 Leute festeingestellt, vor vier oder fünf Jahren waren es noch über 3.000. Unter anderem wurde die Fernseherproduktion eingestellt und die Lagerarbeiten und die Teilebelieferung der Linien vor drei Jahren an die Firma Exel ausgelagert. Hinzu kommen andere Fremd- und Zeitarbeitsfirmen (Adecco, Randstad, W.I.R, Allbecon, Persona).

Zeitgleich mit Flextronics und anderen Multis der Branche führte Nokia im Jahr 2001 einen grösseren Schub von Entlassungen und Umsetzungen durch. Es gab in Folge einige "Schauprozesse", die ArbeiterInnen klagten, da dem Management zur Zeit der Entlassungen bereits klar war, das der Anteil der LeiharbeiterInnen dauerhaft ausgeweitet werden soll. Die linken oder oppositionellen GewerkschafterInnen der Region beklagen, dass es bisher nicht möglich war, eine unternehmerkritischere ArbeiterInnen-Vertretung bei Nokia zu etablieren. Die offizielle Arbeitnehmervertretung sei bei jedem Angriff des Unternehmens eingeknickt oder habe kollaboriert. So rühmt sich der Gesamtbetriebsratsvorsitzender Hammer, dass sich die Arbeitnehmerseite dafür stark gemacht, Nokia als Pilot-Betrieb für die Umsetzung des Entgeltrahmenabkommens (ERA) zu gewinnen. Gerade dieses Entgeltrahmenabkommen sorgt bei den meisten ArbeiterInnen, insbesondere in der Produktion für Lohneinbussen und Individualisierung durch Neueingruppierung. Zu den extrem durchrationalisierten Arbeitsabläufen und ausgeweiterter Arbeitszeitflexibilisierung meint Hammer: "Die Kreativität unserer Produkte muss sich auch in kreativen Lösungen bei den Arbeitsbedingungen niederschlagen".
Am Aushang des Betriebsrats wird über die Aufkündigung verschiedener Betriebsvereinbarungen informiert, alles für den Standorterhalt. So wurde die "genehmigte" Anzahl der Leihkräfte wurde von 550 auf 800 erhöht, ab dem vierten Quartal 2005 auf 1.200. Übertarifliche Leistungen werden gestrichen, rund 20 Prozent Lohnkostensenkung sollen erreicht werden. Beim direkten Lohn macht dies zwischen 70 und 120 Euro monatlich aus. Leute in der Produktion verdienen zwischen 1.600 und 2.200 Euro brutto. Hinzu kommen Kürzungen bei verschiedenen Extra-Zahlungen, Verpflegungszuschuss etc. auch die Arbeitszeitberechnungen für die Jahresarbeitszeitkonten soll geändert werden, die Normalarbeitszeit von 33,50 auf 35 Stunden erhöht werden. Der Betriebsrat ruft die Leute auf, den Forderungen der Geschäftsleitung nicht nachzukommen, Tage des Jahresurlaubs für die Minusstunden zu investieren. Falls der Betriebsrat weiteren Einschnitten nicht zustimme, droht das Management mit der Aufnahme von Verhandlungen mit der IG Metall über eine 40-stunden Woche ohne Lohnausgleich. Der Betriebsrat informiert, dass er sich in der schwächeren Position sieht und kündigt an, sich ebenfalls statt auf die Betriebsvereinbarungen nun auf die (schlechteren) allgemeinen Tarifbestimmungen zurückzuziehen.

Eine sehr interessante und aktuelle Untersuchungsarbeit über die negativen Auswirkung der globalen Handy-Produktion auf ProduzentInnen und ihre Umwelt findet sich hier:
http://www.somo.nl/html/paginas/pdf/High_Cost_of_Calling_nov_2006_EN.pdf externer Link pdf-Datei

Einstellung

Die lokale Zeitarbeitsfirma W.I.R. sucht Leute für die Schlössermontage in einem Zulieferbetrieb der Automobilindustrie. Auf dem Büro warten viele junge iranische, pakistanische, syrische Studenten, die allerdings alle bei Nokia arbeiten. Um 14 Uhr wird einem zugesagt, dass man für die Nachtschicht desselben Tages dort anfangen kann. Aus Telefonaten und ersten Gesprächen lässt sich entnehmen, dass viele Leute abspringen oder erst gar nicht erscheinen. Das mag am Lohn liegen, man bekommt 6,80 brutto pro Stunde, kein Fahrgeld. Vor dreizehn Jahren hat man als Bauhelfer nicht weniger verdient und da kostete der Sprit ein Drittel. Die Firma W.I.R. hat pro Schicht rund 80 Leute im Einsatz.

Zusammensetzung der (Zeit)Arbeitskraft

Viele der Festangestellten sind weiblich, ende vierzig und aus osteuropäischen Ländern. Einen Festvertrag hat seit Jahren niemand mehr bekommen. Die ZeitarbeiterInnen sind jünger und eher aus der Türkei oder anderswo südlich. Die Festangestellten haben einen Nokia-Sticker am Kittel, die anderen nicht. Geschätzt sind rund 60 Prozent der ProduktionsarbeiterInnen weiblich und 70 Prozent mit "migrantischem Hintergrund". Die deutschen Männer fahren in erste Linie Stapler. Die ZeitarbeiterInnen haben verschiedenste Erfahrungen. Eine alleinerziehende Mutter, die vor der Babypause bei Hella (Autozulieferer) am Band gearbeitet hat. Ein Mitzwanziger, dessen Eltern aus dem Iran kommen und der gerade seine Ausbildung zum Mechatroniker in der Zeche Hamm abgeschlossen hat. Die Festeingestellten sprechen von "festen ZeitarbeiterInnen", die schon seit langem in der Produktion arbeiten und momentan im Urlaub sind. Für diese ZeitarbeiterInnen springen Aushilfen ein, in erster Linie ausländische StudentInnen während der Semesterferien.

Arbeitsorganisation

Die Fabrik ist gut bewacht. Es gibt einen speziellen Eingang nur für die ZeitarbeiterInnen, jeden Tag gibt es neue Fabrikausweise, speziell nach Zeitarbeitsfirmen zugeteilte Umkleideräume. Die Ausgangskontrollen sind rigide. Leute müssen einzeln durch die Schranke, ihren Werksausweis abgeben, jeder Vierte muss durch eine Flughafenähnliche Körperkontrolle. Diese Kontrollen verlängern die Arbeitszeit. Wir müssen 30 Minuten vor Schichtbeginn den Werksausweis abholen und nach der Schicht Schlange stehen, um das Gelände verlassen zu können.

Es gibt mehrere grössere Hallen. In den Abteilungen sitzen Personalmanager der verschiedenen Zeitarbeitsfirmen an speziell dafür eingerichteten Ständen und verteilen ihre Arbeitskräfte. In der Produktionshalle werden die sogenannten "engines" hergestellt, das Kernstück des Handies, die Platinen werden angeliefert, die Kartons für die Plastikteile tragen chinesische bzw. taiwanesische Schriftzeichen. Die Halle ist im Vergleich zur Montage und Verpackungshalle menschenleer und mit Maschinen vollgestellt. In der Montagehalle, der sogenannten SOP (supply operations), gibt es dutzende Produktionsinseln bzw. Linien. Ein Betriebselektriker meint, es wären 50 Einheiten. Die Elemente der Produktionsinsel (Scanner, Tester, Staubpuster, Kartonierer etc.) stehen auf Rollen und im Viereck angeordnet. Innerhalb dieses Vierecks, oder in der "Zelle", wie es hier heisst, arbeiten sechs Leute. Über den sechs Leuten schwebt ein Bildschirm mit IST und SOLL-Zahlen, die grün, meistens rot unterlegt sind. Festangestellte erzählen, dass mit der Anordnung der Linien viel experimentiert wird. Vorher gab es lange Fliess-Linien, seit Juni 2006 diese Inseln. In der Nokia-Mitarbeiterzeitung schreiben sie vom "Brezel Produktions-layout", vielleicht, weil es den Leuten im Hals stecken bleibt, eher wegen der Form, die Leute laufen kreuz und qür wie ein Brezel. Typischerweise arbeiten drei Festangestellte zusammen mit drei ZeitarbeiterInnen. Die Sollzahl pro Insel liegt bei 1000 montierten Handies pro siebeneinhalb Stunden-Schicht. Diese Stückzahl ist ohne maximalen Stress nicht zu erreichen und diesen Stress soll man sich dank der zehn Quadratmeter Brezel-Zellen-Struktur selbst machen. Es gibt grob ein Dutzend einzelner Arbeitsschritte, von den Einzelteilen bis zum verpackten Fünfer-Karton.

  1. drei kleinere Plastikschalen auf die "engine" und Kamera drücken
  2. die entstehende Schale auf die Tastatur-Schale drücken
  3. das Handy in einen Schrauber stecken, der beide Schalen verbindet
  4. das Handy in einen Tester stecken
  5. ein Etikett in das Handy und auf eine Tüte kleben
  6. das Handy auf Kratzer etc. untersuchen, die Batterieabdeckung aufschieben
  7. das Handy in die Tüte packen
  8. Batterien, Ladestecker, Headset, Modul in einen Eierbecher (offiziell: "inner pulp") packen
  9. das Handy, die Betriebsanleitung, zwei Prospekte und eine CD dazu packen
  10. die Handy-Tüte einscannen, den Eierbecher in einen Glanz-Karton packen
  11. den Karton auf eine Waage stellen und dann mit Etikett bekleben
  12. jeweils fünf Kartons in grösseren Karton packen, ebenfalls etikettieren und auf Palette stellen

Diese Arbeitsschritte sollen frei und flexible unter den sechs Leuten kombiniert werden. Wenn man an "seiner" Station nichts zu tun hat, soll man woanders einspringen. Gibt es Vorlauf bei den eingetüteten Handies, sollen mehr Leute verpacken. So sagt es auch die Firmenzeitung: "Jeder ist am Ende des Tages dafür verantwortlich, darauf zu achten, dass der Prozess möglichst nicht unterbrochen wird (...) und dass sich jeder in der Fertigungslinie ohne Unterbrechung auf den One-Piece-Flow konzentriert" (Nokia People, 2/06). Und es funktioniert, die Leute machen sich Stress. Während der Zusammenarbeit mit fünf fremden Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Geschlechts entwickelte ich eine Abneigung gegen jene Leute, die von kognitiver oder affektiver Arbeit sprechen, wenn sie von Call Centern reden und diese von der dumpfen manuellen fordistischen Arbeit abgrenzen, die ja scheinbar keiner emotionalen Fähigkeiten bedarf. Unter solchem Stress menschliche Beziehungen aufzubauen und den eigenen emotionalen Haushalt aufrechtzuerhalten ist wohl eine der affektivsten Herausforderungen, an denen ich je gescheitert bin. Zudem kommt ab und zu kommt ein Vorgesetzter in den Käfig, kontrolliert und erinnert an die Stückzahlen. Er guckt auf die Toiletten-Liste, jeder muss sich eintragen und man geht nur einzeln aufs Klo. Bei besonderem Arbeitsanfall sind nur versetzte Pausen erlaubt. Einmal im Monat kommt eine unangekündigte Managerin in die Zelle, mit einer langen Strichliste und steht rund eine Stunde lang in der Mitte, guckt und macht Haken. Manche würden es beim Namen nennen ("Kapo-Schweine schnüffeln"), andere machen eine Philosophie daraus: "Seit März führt Nokia im Bochumer Werk regelmässig Kaizen Events durch. Die Idee hat ihre Wurzeln in der japanischen Produktionsphilosophie. Es geht darum, in Gemba (dem Ort der Wertschöpfung) Muda (Verschwendungen) zu beseitigen" (dito).

Zu der rein quantitativen Herausforderung, dem manuellen Stress, 1.000 Handies in siebeneinhalb Stunden zu montieren und zu verpacken, kommt die rigide Qualitätskontrolle, das Nachjustieren und Umstellen der Maschinen und der Verwaltungsaufwand. Sobald eine Fluse unter dem Display, ein kleiner Kratzer auf dem Handy etc. zu sehen ist, müssen die Plastikteile wieder ausgetauscht werden. Es wird vorgegeben, in welcher Richtung die Prospekte zu liegen haben. Wenn ein Etikett des Kartons nicht mit dem Inhalt übereinstimmt, gibt es eine Abmahnung. Bei drei Abmahnungen ist man draussen. Oft werden ganze Paletten mit 180 einzelnen Kartons wieder gelöscht und alle Kartons ausgepackt, weil irgendwas "falsch gelaufen" ist. Für die gesamten 50 Inseln gibt es ganze zwei Elektriker/Mechaniker, d.h. viele kleinere Mängel an den Maschinen müssen innerhalb der Gruppe behoben werden. Das Arbeitstempo ist enorm, die Stimmung paranoid. Leute beschweren sich, dass sie innerhalb der Hallen umgesetzt werden, dass sich alles ständig ändert. Ein ehemaliger Lagerarbeiter wurde mit der Ausgliederung der Lagerarbeiten an die Linien versetzt. Alle sprechen von zunehmendem Stress, ständigem Ertrinken im one-piece-flow. Der Fetisch-Charakter eines Video-Handies zerlegt sich nach zwei Nachtschichten in nervenden Plastikschrott. Nicht nur die Arbeitsorganisation ändert sich ständig, auch die Arbeitszeiten sind sehr variabel. Erst am Donnerstag wird bekanntgegeben, ob es Samstagsschicht gibt, oder nicht. Zwei Samstagsschichten pro Monat sind obligatorisch. Momentan gibt es eine Dauernachtschicht und eine Früh- Spätwechselschicht, aber ein neues Modell ist im Gespräch, zwei Früh, zwei Spät, zwei Nacht, zwei Tage frei. Die Zeitarbeiter werden noch flexibeler behandelt. Bei Schichtbeginn wird die Anwesenheitsliste kontrolliert, es kommt vor, das ZeitarbeiterInnen "zuviel" auf der Liste stehen, dass der "Kunde" weniger bestellt hatte, dann werden die auch Mitten in der Nacht nach Hause geschickt. Andersrum ruft die Zeitarbeitsfirma am Nachmittag vor Nachtschichtbeginn Leute an um ihnen mitzuteilen, das "keine Teile da sind" und sie daher zur Frühschicht kommen sollen.

Abgang

Zwei weibliche Festangestellte haben in der Produktionsinsel den Ton angegeben und waren auch Ansprechpartnerinnen des Kapos. Sie haben das Arbeitstempo durch ihr eigenes Tempo und ihre Position bestimmt. Wer zu langsam arbeitete oder zu viele Fehler machte, wurde gedisst, immer mit Bezug auf die Sollzahl und mögliche Abmahnungen bei Qualitätsmängeln. Ein etwas langsamerer syrischer Student wurde nach einer halben Schicht rausgekantet. Ein normales "Arbeiterverhalten" war nicht möglich. Als unsere Geschwindigkeitsanzeige mal ausnahmsweise im grünen Bereich steht, wir auf 1000er Kurs liegen, schlage ich vor, jetzt etwas langsamer zu arbeiten. "Wieee bieete?!" (bulgarischer Akzent). "Naja, ansonsten dürft ihr bald 1200 Stück pro Schicht fahren". Getuschel. Ich geh aufs Klo, komm zurück und da steht der finnische Abteilungsleiter. "Sie meinen, sie können langsamer arbeiten, wenn wir im grünen Bereich liegen?". "Naja, nur mal lockermachen, so durchatmen". Als der Typ weg ist frage ich die Dame, ob sie immer alles direkt dem Abteilungsleiter erzählt. Kleiner Streit. "Wir müssen ihm erklären, warum wir die Stückzahl nicht schaffen. Und wir müssen noch die niedrigen Stückzahlen von letzter Woche nacharbeiten". Nach der Pause kommt der Kapo von der Zeitarbeitsfirma und führt mich ab. Ich versuche noch ein Fass aufzumachen, aber ist nicht. Habe auch keine grosse Lust, um meinen Arbeitsplatz zu kämpfen. Im Zeitarbeitsbüro bieten sie eine Strafabteilung an. Dauernachtschicht in einer Metallbude in einem 40 Kilometer entfernten Dorf. Danke, aber nein danke.

Flextronics Paderborn

Das Unternehmen

Flextronics gehört zusammen mit Solectron und Celestica zu den weltweit grössten Auftragsherstellern für Elektronikartikel. Flextronics stellt im Auftrag von Firmen wie Sony, Ericsson, Microsoft oder Siemens Play-Stations, Handys oder Satellitenreceiver her. In den USA betrug 2002 der Anteil von durch Auftragshersteller hergestellten Elektronikgütern bereits 50 bis 70 Prozent, in Europa immerhin 20 Prozent. So hatte Siemens 2000 mit Flextronics einen Vertrag über 33 Millionen zu produzierender Handys abgeschlossen, kurz bevor der Rest der Handy-Sparte an BenQ verkauft und zur weiteren Abwicklung freigegeben wurde. Im Jahr 2001 traf Flextronics, wo zu diesem Zeitpunkt rund 80.000 ArbeiterInnen beschäftigt waren, wie alle Unternehmen der Branche ein Kriseneinbruch, der im weiteren Verlauf 10.000 ArbeiterInnen bei Flextronics den Job kostete.

Die höhere Wettbewerbsfähigkeit stellen die Auftragshersteller nicht nur über niedrigere Löhne her, sondern in erster Linie über höhere Auslastung und flexibleren Maschineneinsatz in der Produktion und über ein Betriebsnetz, das den Einkauf von Komponenten auf globaler Ebene koordiniert und Produktionsaufträge verteilt. Besonders eng ist der Austausch zwischen den identisch aufgebauten Spielkonsole-Werken im mexikanischen Guadalajara und im ungarischen Sarvar, wo die Microsoft-Spielekonsole für den europäischen Markt gebaut wird. In Ungarn wird nicht allein auf die Produktion für Microsoft gesetzt. In der Halle nebenan läuft die Produktion im Wechsel der Jahreszeiten. Im Sommerhalbjahr bauen die angelernten Arbeitskräfte Einwegkameras für Kodak und ab Herbst im Auftrag von Philips und Panasonic Videorecorderteile für das Weihnachtsgeschäft.

Rückrad dieser Produktionsform ist eine neue Generation von Platinenbestückungsmaschinen, die sich in kürzerer Zeit auf neue Serien umrüsten lassen sollen, wobei auch hier klar zwischen der offiziellen Ideologie einer flexiblen Massenproduktion nach Bedarf und den realen Erfahrungen der Produktion zu unterscheiden ist. Die Betriebsleitung des Flextronics-Werks in Paderborn gibt an, dass nur 8 Prozent der Baugruppen in einer Losgrösse von über 1.000 Stück produziert werden, der Durchschnitt läge bei 200. Laut Firmenangaben laufen sieben unterschiedliche SMT Linien (Platinenbestückung), die zusammen 165.000 Komponenten pro Stunde bestücken können sollen, das ganze für fünfzehn unterschiedliche Kunden und für diese ca. 500 verschiedene Produkte. An den Linien selbst merkt man aber nichts davon, dass die Produktvariation so gross sein soll. Das Werk gehört zur SBS Sparte von Flextronics (Special Business Solutions - Produktion für Mittelständische Kundenbetriebe). Zu den Kunden gehören Macro System, PWB Technologies, TRW Automotive, Aastra, Wincor Nixdorf, Blaupunkt, Conrad, Fujitsu Siemens, Hella, Bintec Funkwerk, ADVA - optical Network, SUN Microsystems, Siemens, Data Display, KBA, SINN. Das Werk in Paderborn ist im Jahr 1999 von der Fujitsu Siemens GmbH übernommen worden, die dort Server-Montage betrieb. Fujitsu Siemens selbst hat sich als Siemens Nixdorf Tochter aus dem grösseren Produktionskomplex ausgegliedert. Die 630 damals bei Fujitsu Siemens beschäftigten ArbeiterInnen wurden von Flextronics übernommen. Neben der Server-Montage kommen weitere Produktgruppen von anderen Auftraggebern hinzu. Das Auftragsvolumen für die grösseren Aufträge beträgt zwischen 20 und 30 Millionen Euro. Diese Infos werden auf Betriebsversammlungen verkündet, zusammen mit Vorträgen auf englisch und jeder Menge bunter Flip-Charts. Der locale Flextronics Standort befindet sich im Auftragswettbewerb mit den anderen weltweiten Standorten, aber dass dieser Wettbewerb erzeugt ist, zeigt das Beispiel des Auftrags der Firma SUN. SUN wollte die Computerkomponenten eigentlich im Werk in Ungarn herstellen lassen, Flextronics willigte ein, die Lohnkostendifferenz aus eigener Tasche auszugleichen, um den Auftrag aus firmenpolitischen Gründen in Paderborn produzieren lassen zu können.
http://www.flextronics.com/Contacts/GlobalLocations/paderborn.asp externer Link

Zusammensetzung der (Zeit)arbeitskraft

Zu den rund 600 Beschäftigten der Stammbelegschaft kommen rund 60 Zeitarbeiter von mindestens zwei kleineren regionalen Zeitarbeitsfirmen. PPS is eine Zeitarbeitsfirma aus Lippstadt die ArbeiterInnen z.B. nach Hella vermittelt und so etwas wie ein Maschinenbedienerpool aufzubauen. Weil viele Leute, die sie für Flextronics eingestellt haben, rasch wieder abgehauen sind, wurden LeiharbeiterInnen von Hella (Autozulieferer) nach Flextronics versetzt. Einige ZeitarbeiterInnen die speziellere Aufgaben erledigen können und aufwendiger angelernt sind, werden auch in Phasen mit geringer Auslastung behalten. Andere werden schnell entlassen, dann wieder neu eingestellt oder durch andere ersetzt.

Randstad beschäftigt Zeitarbeiter im benachbarten Werk von Wincor Nixdorf. Laut Haustarif sollen maximal 45 Leiharbeiter eingesetzt werden dürfen, diese Zahl wird aber überschritten.
Von den Festangestellten sind einige türkischer Herkunft, andere sind Anfang/Mitte der Neunziger aus der ehemaligen Sowjetunion (der größte Teil, auch Techniker u. Ingenieure) oder bereits in den 80ern aus Polen gekommen. Frauen machen im Betrieb wohl (ähnlich wie der mitgrantische Teil) etwa die Hälfte der ArbeiterInnen aus. Diese Eindrücke sind allerdings wie die meisten anderen Infos von den Erfahrungen in der SMD-Bestückung geprägt. So gibt es etwa auch einen recht großen Lager- und Logistikbereich über den ich kaum etwas weiß. Da arbeiten vermutlich auch Leiharbeiter aber da gibt es keine Kontakte und die wären dann auch von anderen Sklavenhändlern. Einige der Festangestellten haben übers Arbeitsamt Praktika bei Nixdorf gemacht haben und sind dann darüber im Betrieb gelandet sind. Früher hat Nixdorf aber auch noch selbst Industriemechaniker u.ä. ausgebildet, einige dieser Facharbeiter arbeiten auch an den SMD-Bestückungs Linien. Viele der Festangestellten arbeiten schon seit zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren im Werk. Seit mehr als fünf Jahren ist niemand mehr fest eingestellt worden. Es hingen Zettel aus mit Abfindungsangeboten, andererseits gibt es momentan einen Auftragsboom und nicht genug erfahrene Leute. Auch von den Zeitarbeitern sind viele "ausländischer Herkunft", bzw. "Aussiedler". Es gibt auch einige StudentInnen, die speziell an den Wochenenden arbeiten. Einige Zeitarbeiter waren schon öfter und für längere Zeitabschnitte bei Flextronics. Jeweils für ein paar Monate und das seit drei bis vier Jahren. Insgesamt sind die Festangestellten gelassener, fordern auch die ZeitarbeiterInnen auf, öfter mal Kaffee trinken zu gehen.

Arbeitsorganisation

Es gibt sieben Linien, zwei davon sind "Massenfertigungslinie" für die Grossaufträge, vor allem Audio-Platinen für Blaupunkt. Blaupunkt hat bis vor einem Jahr in Frankreich produzieren lassen, war aber unzufrieden. Flextronics hat die Maschinen des französischen Herstellers aufgekauft und die Produktion von Frankreich nach Paderborn umgezogen. Die Arbeit an den zwei Blaupunkt-Linien ist sehr standardisiert dort werden hohe Stückzahlen gefahren. An den anderen Linien gibt es kleinere Stückzahlen von z.B. 400 Stück einer bestimmten Sorte Platinen, danach müssen die Maschinen umgerüstet werden. In der Stunde können an diesen Linien mit kleiner Stückzahl zwischen 30 und 150 Platinen pro Stunde produziert werden. Neben dem Umrüsten ist das Bestücken der Automaten eine Hauptaufgabe. An den Bestückungsautomaten arbeiten nur wenige Frauen, die meisten Frauen arbeiten in der Handlötabteilung und in der Qualitätskontrolle. Die Anlernzeit für die Linien mit kleinerer Stückzahl beträgt offiziell einen Monat, es sind aber eher zwei bis drei Monate notwendig, aufgrund der speziellen Kenntnisse fürs Umrüsten. Die Anlernzeit an den Massenfertigungslinien beträgt rund eine Woche, die Arbeit ist bei Vollauslastung stressiger. An den Massenlinien will Blaupunkt den Qualitätscheck nur von festangestellten ArbeiterInnen durchgeführt sehen, Leiharbeiter, die bereits ein halbes Jahr angelernt waren, mussten nach dieser Ansage eine andere Arbeit machen. Das mir dem Überwachungs- oder wie sie es nennen "Qualitätswesen" wurde an den Linien noch etwas intensiviert. Man soll jetzt jede Stunde seine Produktionszahlen in Tabellen und in Kurven eintragen bzw. aufzeichnen. Beispielsweise sollen für ein bestimmtes Produkt an der SMD-Bestückungslinie 40 Leiterplatten pro Stunde produziert werden. Auf dem Rechner an der Linie kann man dann schauen wie nah man da dran gekommen ist. Da steht dann sowas wie:
Linie Hannover,
Typ KGBA938177439 ,
Auftrag 10056,
Soll: 40 Leiteplatten,
Ist: 30,
75 % Effizienz

Also in Tabellenform für alle Linien. Das soll man dann abschreiben und noch mal in Tabellenform und Kurven auf an den Linien stehende Flip-charts eintragen. Das wird von den meisten Leuten auch so gemacht - wenn auch widerwillig und "schlampig". Da das für die Chefs keine neuen Infos sind und sie diese Zahlen auf ihren Rechnern auch sehen ist allen klar, dass diese Massnahme dazu dient, den Leuten ein schlechtes Gewissen einzutrichtern. Bei einer Effizienz von unter 80 Prozent muss man auch angeben, warum das Ergebnis so schlecht ausgefallen ist. Aber durchgesetzt hat sich diese Massnahme noch nicht. Viele Leute "vergessen" das Ausfüllen öfter.
Das bereits erwähnte Betriebsnetz, mit dem Flextronics die Produktion der einzelnen Standorte integriert, gehört zu einem gewissen Grad auch zum Arbeitsmittel der BandarbeiterInnen. Im Alltag benutzt man dieses Netz z.B. wenn man eine Schablone für den Lötpastedruck sucht. Man gibt die Materialnummer ein und im Netz ist der Lagerort nachzulesen. Man kann aber auch nachsehen für wen ein bestimmter Auftrag ist, wie teür das Produkt ist, die Stückzahlvorgabe usw..

Inwieweit sich kleinere Serien für einen industriell organisierten Betrieb wie Flextronics lohnen hängt in erster Linie von der Umrüstzeit der Maschinen und der Zeit für notwendige Änderungen der Arbeitsorganisation ab. Nach Gesprächen mit Kollegen und eigener Erfahrung scheint es realistisch zu sein, dass die Wiederaufnahme der Produktion eines bereits eingefahrenen Produktes - d.h. kein Prototyp - innerhalb ca. einer Woche möglich sein sollte. Vorraussetzung ist, dass das Material vorrätig ist. Es ist schon vorgekommen das so was dann sehr knapp wird. Letzte Woche liefen Telefone an meiner Linie und ich hab z.B. nur ca. 750 von eigentlich 1000 Produzieren können da Material gefehlt hat. Der Rest wird dann später nachproduziert. Der Produktwechsel an den Linien soll laut Vorgabe zwölf Minuten daürn, aber die Tendenz ist ein bis zwei Stunden. Bei Auftragsmangel werden Linien manchmal auch vorübergehend stillgelegt. Zwei der Massenfertigungslinien für wurden an ein Werk in Rumänien abgegeben.

Lohn und Arbeitszeit

Die Festangestellten in der untersten Lohngruppe bekommen um die 12,50 brutto die Stunde, die ZeitarbeiterInnen zwischen 7,50 und 10,50 brutto, je nach formaler Qualifikation. Mit der Übernahme durch Flextronics und einem neün Haustarifvertrag haben die festangestellten ArbeiterInnen zwischen 200 und 300 Euro monatlichen Lohnverlust hingenommen. Zudem gibt es, wie wohl überall in der Metallindustrie Reibereien aufgrund der individuellen Lohngruppenbestimmung ERA.

Es werden drei rotierende Schichten gefahren, deren Anfang alle drei Wochen zwischen Sonntag 22Uhr und Montag 22Uhr wechselt. Das heisst, dass für den individuellen Arbeiter regelmässig drei Wochen Samstagsschicht angesagt ist und seine Arbeitswoche bei Bedarf auf sechs Tage ausgeweitet werden kann. Da durch dieses System Montags und Samstags nur die Hälfte der VollzeitarbeiterInnen da ist, werden an diesen Tagen zusätzlich die Studie-LeiharbeiterInnen eingesetzt. Die normale wöchentliche Arbeitszeit beträgt somit 40 Stunden bzw. 37 1/2 reine Arbeitszeit, für die ZeitarbeiterInnen gibt es 25 Prozent Nachtschichtzuschläge, für die Festangestellten dürfte es mehr sein. 2005 gab es auch Kurzarbeit. Bei den Festangestellten ist größte Thema die Vereinbarung von Betriebsleitung und Gewerkschaft, dass sie etwa 180 Stunden, die sie am Anfang des Jahres von ihrem Arbeitszeitkonto abgezogen bekommen haben (Minusstunden), jetzt abarbeiten müssen.

Konflikte

Viele ZeitarbeiterInnen springen ab, es gab Streitereien wegen der niedrigen Löhne. Ein paar StudentInnen, die 7,50 brutto bekamen fragten das Management, warum bei gleicher Arbeit dieser Lohnunterschied von 3 Euro brutto zu den ZeitarbeiterInnen mit Facharbeiterbrief besteht. Die Studies in der Qualitätskontrolle haben übrigens einen "Qualitätszuschlag" von 50 Cent bekommen - die anderen ArbeiterInnen der selben Zeitarbeitsfirma allerdings nicht. Dafür werden die StudentInnen oder generell die Leute an den Massenlinien auch schneller entlassen, die "verschwinden" dann einfach und man bekommt erst sehr viel später mit, dass da drei Studies gekündigt wurden. Viele Leute hören auch wegen Stress auf, es gibt eine sehr minutiöse elektronische Kontrolle und strikte Vorgaben. Kein Produkt darf "unregistriert" durchgehen. Oft sind für Stunden keine Vorgesetzten zu sehen und wenn sie ankommen fragen sie: "Was ist los mit ihrer Effizienz?!". Für alles mögliche müssen die ArbeiterInnen unterschreiben, ohne das der Grund ersichtlich wird. Bei den letzten Tarif-Warnstreiks der IG Metall sind wenig der festangestellten ArbeiterInnen aus der Produktion hingegangen, in erster Linie Leute aus dem Büro.

Gate Gourmet

Das Unternehmen

Zu Gate Gourmet ist im Zuge des langen Streiks im Winter 2005/06 viel geschrieben worden, ein ausführliche Dokumentation des Streiks von Flying Pickets, daher hier nur eine kurze Einleitung. Der folgende Bericht eines Zeitarbeiters behandelt einen sehr kurzen Arbeitsaufenthalt rund drei Monate nach Ende des Streiks, eines Streiks, der nicht zuletzt durch den Streikbruch von ZeitarbeiterInnen unterlaufen wurde.

Gate Gourmet ist einer der weltweit grössten Catering-Multis für Airlines. In Deutschland wurde Gate Gourmet als Tochter der LTU ausgegliedert. Schon vor Beginn des Streiks im Herbst 2005 waren ZeitarbeiterInnen bei Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen beschäftigt, allerdings oft nur auf Aushilfsbasis. Während des Streiks wurde deren Einsatz ausgeweitet und im Folge der vielen Abgänge von Festangestellten nach Ende des Streiks basiert nun ein Grossteil der Arbeit in Küche und im Lager auf Zeitarbeit. Drei Zeitarbeitsfirmen stellen Arbeitskrafte zur Disposition, wobei die Firma Avci in erster Linie türkische ArbeiterInnen rekrutiert, die Vertragsbedingungen für diese ZeitarbeiterInnen ist im Vergleich schlechter. Ein Problem nach dem Streik bestand darin, Streikende, StreibrecherInnen und die zahlreichen neüingestellten ZeitarbeiterInnen zusammenarbeiten zu lassen.

Einstellung

Zusätzlich zu den üblichen Einstellungszeremonien verlangt Gate Gourmet von den Zeitarbeitsfirmen eine Sicherheitsüberprüfung durch die Luftfahrtsbehörde, im wesentlichen wird nach den Meldeadressen der letzten zehn Jahre gefragt und diese wohl auch überprüft. Die Zusage für die Einstellung gab es direkt nach dem Vorstellungsgespräch, für alle drei Bewerber. Der Zeitarbeitsmanager von Mumme erklärte, das Gate Gourmet eine Stamm-Mannschaft im "Transport" aufbauen will, also eine ähnliche Aussage wie zur Stamm-Mannschaft bei Opel/GM, allerdings auch hier ohne das Hoffnung auf Festverträge gemacht wurde.

Arbeitsorganisation

Die Arbeit bei Gate Gourmet ist in vier Bereiche aufgeteilt: Küche (ca. 30 Leute), Zollager (ca. 20 Leute), Transportlager (ca. 25 leute) und LKWs (ca. 10 Leute). Küche und Zollager sind weitestgehend abgetrennte Bereiche, insbesondere im Zollager arbeiten viele der ZeitarbeiterInnen von Avci. Ihre Bedingungen sind am schlechtesten, sie bekommen keine Zuschläge für Nacht- und Sonnagsarbeit und ihnen wird Geld für das Kantinenessen abgezogen, das für alle anderen "umsonst" ist. Die Supervisoren im Transportlager sind Festangestellte, in erster Linie Streikbrecher. Die "organischen VorarbeiterInnen" sind meist Festangestellte, die während des Streiks von LTU zu Gate Gourmet versetzt wurden, um dort die Arbeit am Laufen zu halten. Diese hatten bei LTU nur befristete Verträge und die zahlreichen Minus-Stunden, die in dieser Zeit bei LTU anfielen erhöhte den Druck, den sichereren Streibrecher-Job anzunehmen. Andere Leute mit VorarbeiterInnen-Rolle sind einige der ZeitarbeiterInnen, die schon vor oder während des Streiks bei Gate Gourmet gearbeitet haben. Die LKW-Fahrer sind durch die Bank Festangestellte. Einem Zeitarbeiter mit LKW-Führerschein wurde ein Posten als Fahrer angeboten, trotz des höheren Lohns von 9 Euro statt 6,50 Euro brutto lehnte er den Job ab, da er zu stressig sei. Vor dem Streik haben die LKW-Fahrer auch die Ladung teilweise zusammengestellt und die LKWs beladen, jetzt sollen sie sich aufs Fahren konzentrieren. Zusammengestellt (Essen, Getränke, Zeitschriften, Zeitungen, Zollwaren) und beladen wird jetzt in erster Linie von ZeitarbeiterInnen, die meisten von ihnen wurden nach dem Streik angeheuert. Insgesamt dürften damit mehr als die Hälfte der ArbeiterInnen bei Gate Gourmet von Zeitarbeitsfirmen kommen. Grund dafür sind sicherlich weniger die unmittelbaren Lohnkosten, als die unsichere Situation nach dem Streik und die geplanten Umstrukturierungen, die Festeinstellungen als zu riskant erscheinen lassen. Als Kehrseite der flexibleren Zeitarbeit hat Gate Gourmet mit einer enorm hohen Fluktuation zu kämpfen. Gerade die Arbeit im Transportlager erfordert ein Spezialwissen, dass eine Anlernzeit bzw. Arbeitserfahrung von mindestens zwei bis drei Wochen erfordert: Wieviel Bild-Zeitungen für Inlandsflüge, auf welche Seite des LKWs kommen die Trolleys mit ungeraden Laufnummern, wieviel Kotztüten für einen Langstreckenflug? Vorarbeiter und Supervisoren klagen über vermehrte Verspätungen und Fehler, suchen die Schuldigen bei den unerfahrenen Neulingen und vergrämten ehemaligen Streikenden, ein Aushang spricht von "Sabotageakten".

Nach dem Streik

Visuell erinnert nichts an den Streik, von daher war es interessant zu sehen, wie ein neuer Zeitarbeiter drei Monate nach einem langen Streik von diesem erfahren würde, ohne nach ihm zu fragen. Bereits am ersten Arbeitstag erwähnte ein junger Staplerfahrer im Transportlager den Konflikt: "Ich arbeite schon seit Februar hier, ich bin einer der Streikbrecher". Zwei Tage später reden ein paar ehemalige Streikende in der Kantine von "der Zeit vor dem Streik" und über die Drangsalierungen und Kürzungsandrohungen, die zum Auslöser wurden. Ansonsten ist die Atmosphäre weder ge- noch entspannt. Es gibt keine offenen Reibereien zwischen ehemaligen Streikenden, StreikbrecherInnen oder neuen ZeitarbeiterInnen. Offen auf den Streik angesprochen sagen die streikbrechenden ZeitarbeiterInnen, dass sie sich von dem Streik nicht angesprochen gefühlt hätten. Drei Leute sagten unabhängig voneinander, dass die Forderungen der Streikenden aus einer anderen Liga gewesen seien: Kürzungen hin- oder her würden die Festangestellten trotzdem aufs Jahr gerechnet rund 40 Prozent mehr verdienen und hätten sicherere Arbeitsplätze. Präsenter als die Geschichte des Streiks sind die aktuellen Probleme der Arbeit. Viele der ZeitarbeiterInnen kommen aus der strukturschwachen Region am Niederrhein und haben Anfahrtswege von bis zu 80 Kilometern. Die Schichten sind mörderisch, z.B. sechs Tage hintereinander von 3 Uhr früh bis 12 Uhr Mittag (Frühschicht), zwei Tage frei, dann sechs Tage von 19 Uhr bis 4 Uhr (Nachtschicht). Falls zu wenig Leute zur Schicht erscheinen, müssen Leute länger bleiben, meist ein bis zwei Stunden. Auch werden kurzfristig Extraschichten angekündigt. Angesichts dieser Schichten und des Lohns ist es nicht weiter verwunderlich, dass die zwei Leute, die zusammen mit mir eingestellt wurden schon nach drei Tagen nicht mehr erschienen. Ein kurz darauf zirkulierendes Flugblatt gegen die Ausbeutung der LeiharbeiterInnen, das zwischen Getränkekartons, in Trolleys und Zeitschriften, zwischen den Fresspaketen gefunden wurde sorgte für Aufregung. Manager liefen herum und riefen Leute auf, alle bereits verplombten Trolleys wieder zu öffnen. Einige der sich auch in Englisch an die Passagiere wendenden Flugblätter schafften es an Bord, was Gate Gourmet dazu veranlasste, die Kripo einzuschalten. Die allgemeine Unruhe und Fluktuation bei den Leiharbeitern und die Erfahrung eines Streiks, bei dem es neben Blockaden auch zu Sabotage-Aktionen und zur Zerstörung eines Zeitarbeitsbüros kam, schien die Nerven des Managements beansprucht zu haben.

Grossbaustelle City Palais

Das Unternehmen

Das City Palais in der Duisburger Innenstadt ist ein Grossbauprojekt, das eine Shopping Mall, eine Konzert- und Veranstaltungshalle sowie ein Spielkasino umfasst. Direkt gegenüber des City Palais befindet sich eine weitere Grossbaustelle, das "Forum", eine Shopping Mall. Deutschlands grösste Innenstadt Shopping Mall befindet sich keine 25km entfernt in Essen im Bau. Bereits in den 90ern entstand das ebenfalls im Einzugsbereich gelegene "Centro" in Oberhausen, ein Einkaufskomplex, in dem rund 4.000 Menschen beschäftigt sind und welcher die grösste Investition im Ruhrgebiet nach dem Ausbau des General Motors Werks in Bochum darstellte. Mit dem Bauentscheid wurde die übliche (klein)bürgerliche Kritik laut, die über Folgen für den mittelständischen Einzelhandel und die offensichtliche Verquickung von lokaler Politik und Bauprojekten dieser Art lamentiert. Interessanter vielleicht die Frage, warum zur Zeit dermassen viel Kapital in diese Art von Immobilien fliesst und unter welchen Bedingungen ArbeiterInnen diese Paläste bauen und betreiben.

Die geschätzte Investitionskosten für das City Palais betragen 160 Millionen Euro, rund 90 Millionen Euro investiert die LEG (Landesentwicklungsgesellschaft) als Bauherr, der Rest der Innenausbaukosten wird von den zukünftigen Mietern bestritten. Die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist eines der grössten Immobilienunternehmen in Deutschland. Der LEG gehören rund 110.000 Wohnungen in NRW und ist mit über 1.200 Hektar Industrie- und Gewerbeflächen der größte Flächenanbieter in NRW. Im Oktober 2005 verkündete die LEG die Privatisierung der Wohnungen des Konzerns, was bei Mietervereinigungen auf verbalen Protest stiess. Im Oktober 2006 fand die LEG einen Käufer für das sich noch im Bau befindliche City Palais, die Unternehmensgruppe Hannover Leasing zahlte 100 Millionen. Das Unternehmen finanziert Immobilien im In- und Ausland, Großanlagen, Infrastruktureinrichtungen, Schienenfahrzeuge, Schiffe, Verkehrsflugzeuge sowie internationale Kinofilmproduktionen. Insgesamt werden Investments mit einem Anschaffungswert von über 11,5 Mrd. Euro verwaltet. Rund 34.000 Anleger haben bisher 7,5 Mrd. Euro in geschlossene Fonds der Unternehmensgruppe Hannover Leasing investiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde angegeben, dass rund 85 Prozent der rund 35.400 Quadratmeter Mietfläche bereits vermietet worden seien. Einer der grössten Mieter ist der Kasino-Betreiber West-Spiel.

Bauhauptunternehmen ist Bilfinger Berger und Hitzbleck, auf dem Rohbau arbeiteten rund 200 Arbeiter, während des Innenausbaus (Zwischenwände, Installationen usw.) zwischen 500 bis 700 ArbeiterInnen. Bei Razzien im Sommer wurde festgestellt, dass einige Unternehmen keine Mindestlöhne zahlten und ArbeiterInnen "illegal" beschäftigt wurden. Im Oktober 2006 hatte das sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahr im Bau befindliche Projekt einen Rückstand von rund vier Wochen, es wurden Schichtverlängerungen zugestimmt. Es wurde auch klar, dass sich die von der Stadt Duisburg zu tragenden Kosten für den Konzert- bzw. Veranstaltungsbereich erhöhen würden. Die bereits durchgewunkenen 35 Millionen Euro wurden um weitere 3,6 Millionen aufgestockt. Die PDS führt dies auf die Tatsache zurück, das der Stadtdirektor Brandt (SPD) auch Projektleiter für den Innenausbau des CityPalais ist. Der folgende Bericht beschreibt den Einsatz von ZeitarbeiterInnen in der Innenausbauphase des Bauprojekts.
http://www.citypalais.de/index.php?typ=html&content=Story&sub=1 externer Link

Einstellung

Die bundesweit tätige Zeitarbeitsfirma Tremonia sucht nach Elektrikern für die Installation von Brandmelde- und Lautsprecherkabeln auf der City Palais Baustelle, Arbeitsbeginn am folgenden Tag. Der Facharbeiterlohn liegt beim mit der christlichen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarif von 9,80 Euro brutto. Tremonia zahlt keinerlei Zuschüsse, z.B. für die Fahrtkosten. Tremonia beschäftigt fünf Leute auf der Baustelle.

Zusammensetzung der (Zeit)Arbeitskraft

Für Tremonia arbeiten drei ältere Elektriker, Mitte vierzig, mit langer Berufserfahrung. Alle drei waren vor Arbeitsaufnahme für rund ein Jahr arbeitslos. Einer der Kollegen arbeitet schon seit Jahren für Zeitarbeitsfirmen, u.a. in der Autozulieferindustrie, im Bergbau, auf Montage in Spanien und er installierte die Elektrik für das Löwengehege im Wuppertaler Zoo. Auf den ersten Blick scheint er ein altgewordener Hooligan von Rot-Weiss Essen, im nächsten Frühjahr feiert er das Hochzeitsritual im nigerianischen Dorf seiner Frau. Die zwei anderen Arbeiter sind Anfang dreissig. Seit Beginn der Baustelle vor vier Monaten haben fünf Leute bereits wieder aufgehört, einige wegen der langen Arbeitszeiten, andere wurden wegen Unzufriedenheit der "Kundenfirma" abgemeldet.

Die Kundenfirma ist ein grösserer Elektro-Handwerksbetrieb aus Leipzig, Firma Heinrichs. Diese Firma hat ebenfalls rund fünf Leute für das City Palais abgeordert, wobei die Anzahl schwankt, da die Firma noch einen Auftrag auf einer Krankenhausbaustelle rund 10km entfernt hat. Dort arbeiten weitere zehn Handwerker von Heinrichs und zwei Zeitarbeiter von Tremonia, einer von ihnen hat zuvor einige Wochen als Zeitarbeiter bei Siemens/BenQ gearbeitet. Die Arbeiter aus Leipzig teilen sich zwei Wohnungen im leerstehenden Schwesternwohnheim des Krankenhauses, fahren entweder am Donnerstag, oft erst am Freitag Abend zurück nach Leipzig, von wo sie am Sonntag Abend wieder zur Arbeit aufbrechen. Je nach Verkehrsverhältnissen brauchen sie zwischen sechs und neun Stunden für die Fahrt. In Leipzig und Umgebung gibt es ihrer Aussage nach wenig Arbeit für Elektriker. Ein Kollege arbeitete in einem Zulieferbetrieb der Autoindustrie in Leipzig. Das Unternehmen verlangte CNC-Kenntnisse von den als Ungelernte eingestellten ArbeiterInnen und Samstags und Sonntagsschichten ohne Zulagen. Der fünfzigjährige Kollege kündigte und kassierte eine Sperre vom Arbeitsamt. Ein anderer Kollege wurde arbeitslos, als der ihn beschäftigende Handwerksbetrieb pleite machte. Er hat noch einen Arbeitsgerichtsprozess wegen ausstehender Löhne. Alle Arbeiter waren schon einmal arbeitslos, rund die Hälfte lange genug, um auf HartzIV zu landen.

Firma Heinrichs hat den Auftrag für die Installation von Brandmeldekabeln von der Firma Imtech ausgelagert bekommen, die wiederum hat den Auftrag von Siemens, Siemens stellt die Ingenieure, die mit der Bauhauptfirma zusammenarbeiten. Für Imtech arbeiten neben Heinrich andere kleinere Firmen auf der Baustelle, auf im Herbst 2006 rund 400 Leute beschäftigt sein dürften.
Die wenigsten ArbeiterInnen des City Palais kommen aus Westdeutschland und wenn dann sind sie entweder Techniker der Bauhauptfirma, vom Reinemachtrupp einer türkischen Dienstleistungsfirma aus Duisburg, Leiharbeiter oder gehören zu irgendeiner Spezialfirma (Motorkran, Hebebühnen etc.). Der Grossteil der Arbeitskraft kommt aus Ostdeutschland, Polen, Bulgarien. Die meisten Firmenkolonnen sind klein, um die zehn Leute, so dass es z.B. drei oder vier verschiedene Firmen gibt, die Brandmeldekabel verlegen und vielleicht ein Dutzend, die Gipskartonwände stellen.

Arbeitsorganisation

Am Eingang der Baustelle befindet sich ein Drehkreuz, das man nur mit einem Ausweis passieren kann. Auf der Baustelle ist man angehalten, diesen Ausweis mit Lichtbild offen zu tragen. Als Zeitarbeiter bekommt man zwar diesen Ausweis, aber kein Werkzeug. Auch nach mehrmaligem Nachfragen und Versprechungen rückt die Firma Tremonia kein Werkzeug heraus. Einige Kollegen bringen daraufhin eigenes Werkzeug mit, andere verlangsamen das Arbeitstempo in dem sie sich Werkzeug der Firma Heinrich untereinander ausleihen. Nachdem der Rohbau fertiggestellt ist übernimmt die Bauhauptfirma nur noch wenige Tätigkeiten auf der Baustelle, in erster Linie die Koordination von Arbeiten, die alle betreffen, so zum Beispiel die Eingangskontrollen, die Verteilung von Pausencontainern, das Herumkommandieren der dreissig Baustellenfeger, den Antransport von Material. Die Koordination der einzelnen Gewerke splittet sich auf, so betreut z.B. ein Ingenieur von Siemens die Sub-Unternehmen, die die Brandmeldekabel verlegen. Wir bekommen dann Pläne und Anweisungen von einem Kollegen der Firma Heinrich. Dann zieht im Normalfall ein Zeitarbeiter zusammen mit einem Leipziger Monteur los, so zumindest will es der Chef von Heinrich, die Realität, Sympathien und Erfahrungen sorgen aber für abwechselnde Zusammensetzungen. Die Arbeit besteht darin Brandmelder, Lautsprecher oder Kameras nach Plan an der rund sieben Meter hohen Decke anzubringen, Kabel in die dafür vorgesehenen Trassen zu schmeissen oder falls nötig zusätzliche Halter anzubringen. Bei einer drei Fussballfelder grossen Fläche plus der Fläche von drei Tiefgaragenebenen für 700 Autos besteht die elfstündige Schicht oft nur darin, auf einer fahrbaren Hebebühne zu wackeln und alle anderthalb Meter ein Loch über Kopf in den Beton zu bohren und einen Stahlanker einzuschlagen. Durch die hierarchische Baustellenorganisation, die Aufteilung in dutzende Klein-Kolonnen und den Zeitdruck entsteht nicht nur Stress, sondern die übliche Mehrarbeit und Zeitverzögerung. Zum Beispiel sind die Vorrichtungen zum Abhängen der Decke bereits montiert bevor die Elektriker ihre Kabel verlegen konnten. Oder man fährt mit der "eigenen" Hebebühne eine halbe Stunde quer durch die Baustelle nur um an der Ziellinie festzustellen, dass dort bereits fünf andere "firmenfremde" Bühnen nutzlos herumstehen. Durch Planänderungen mussten in der Tiefgarage die Hälfte aller Brandmeldekabel neu verlegt werden, was für drei "Zwei-Mann-Kolonnen" einen Monat zusätzlicher Arbeit bedeutete. All dies führt zu Extrastress und zu den baustellenüblichen Rivalitäten, insbesondere zwischen Sachsen und Berliner Preussen. Rivalitäten selbst mit albanischen Marmorplattenlegern werden beigelegt, wenn man auf die Bauleitung schimpft. Keine Arroganzschienen oder Rivalitäten zwischen Festangestellten und Zeitarbeitern, was vor allem daran liegt, dass die Bedingungen der Festangestellten aus Ostdeutschland im Vergleich schlechter sind, Baustellen selbst eine Art Zeitarbeit sind und sich die Festangestellten daher nicht sicher sein können, ob und wie es nach Fertigstellung weitergehen wird.

Lohn und Arbeitszeit

Im Vergleich zu den Festangestellte aus Leipzig bekommen die Zeitarbeiter aus dem Ruhrgebiet mit rund 10 Euro einen höheren Stundenlohn und arbeiten weniger. Die Elektriker bei Heinrich bekommen 8 Euro brutto pro Stunde, sie arbeiten auf Montage erhalten aber keine Auslöse, sprich Verpflegungsgeld. Sie kommen oft erst Freitag nachts nach Hause und müssen am Sonntag Nachmittag bereits wieder los. Täglich arbeiten sie im Durchschnitt zwölf Stunden. Ein erfahrener Elektriker aus Leipzig meinte, er hätte seit 1994 nie mehr als 7,50 Euro brutto bekommen, von daher sei dieser Job nur relativ beschissen. Hinzu kommen Lohnzahlungsverspätungen im Oktober, die Leipziger mussten zwei Wochen auf ihr Geld warten. Ein Zeitarbeiter bringt eine Lohntabelle des Tarifbereichs Metall und Elektro mit und steckt ihn einem Kollegen von Heinrich in die Hand. Insgesamt gibt es aber erstaunlich wenig Diskussionen über miserable Löhne, die Kollegen ärgert die Montage, sich manchmal mit zwei, drei Leuten ein Zimmer teilen zu müssen oder im Wohnzimer zu schlafen, wo andere bis spät Kartenspielen und schlucken.

Abgang

Die Arbeit endete mit einem Arbeitsunfall, eine im Stress ausgeliehenes Rollgerüst kollabierte und das Handgelenk auch. Ein Durchgangsarzt ist speziell für die Baustelle abgestellt, er meinte, er bekomme des häufigeren Besuch. Alle anderen Zeitarbeiter wurden einen Monat später gekündigt, durch die vielen Verspätungen und Änderungen geriet Firma Heinrich in Zahlungsschwierigkeiten, meldete die Zeitarbeiter ab und Zeitarbeitsfirma Tremonia hatte keine weiteren Verwendungsmöglichkeiten. Was aus den Festangestellten geworden ist, ist unklar.

Resumee

Die Berichte machen deutlich, dass sich aus der Vertragsform der Zeitarbeit allein noch keine vereinheitlichende politische Linie entwickeln lässt, die Situationen und Ausgangsbedingungen für mögliche Initiativen unterscheiden sich je nach Einsatzort. Interessante Linien könnten dort entstehen, wo ZeitarbeiterInnen durch die regionale oder industrielle Konzentration zwar nicht in einem bestimmten Unternehmen, aber in einem erweiterten Erfahrungsrahmen zusammenkommen. Sowohl bei Opel/GM als auch bei Gate Gourmet haben Leute gearbeitet, die zuvor über Zeitarbeit bei Nokia eingesetzt waren. Leute bei Opel hatten zuvor über die selbe Zeitarbeitsfirma bereits bei zwei Autozulieferern gearbeitet. Interessant wäre auch zu sehen, ob die hunderten StudentInnen, die jedes Jahr über längere Zeiträume bei Nokia beschäftigt sind Verbindungen zwischen dieser Arbeit und den zum Einsatzzeitpunkt im Sommer 2006 laufenden Auseinandersetzungen und Besetzungen an der Bochumer Uni ziehen. Wichtig für die Beurteilung der gemeinsamen Ausgangssituation ist auch die Tatsache, dass man, sofern zwischen 20 und 45 Jahre alt, mehr oder weniger von heute auf morgen einen Job in den industriellen Kernbereichen bekommen kann, aber zu Löhnen, die bei der geforderten Arbeitsintensität die Hälfte der Leute nach kurzer Zeit dazu bewegen, den Job wieder zu schmeissen. Eine weitere Parallele der genannten Beispiele ist die Tatsache, dass alle Zeitarbeitsfirmen die im ersten Teil erwähnten Tarifverträge vorschieben und den niedrigen Lohn zum Teil explizit mit Verweis auf den Tarifvertrag rechtfertigen. Zumindest in den vier Industriebetrieben ist deutlich, dass Leute mit einer "dauerhaften Beschäftigung" als ZeitarbeiterInnen im Betrieb geködert werden, aber keine Übernahme in Aussicht gestellt bekommen. Bei Nokia war offensichtlich, dass sie kurzfristig den Zeitarbeitsbestand erheblich ausweiten, die ZeitarbeiterInnen dann fast die Mehrheit in der unmittelbaren Produktion stellen. In einem der zentralen Weltmarktfabriken für Handies und in einer Region, in der die ArbeiterInnen des Handy-Werks von Siemens/BenQ keine Stunde Autofahrt entfernt ein gutes Beispiel dafür geliefert haben, wie man nicht kämpft. Bei Opel/GM sind die ZeitarbeiterInnen eine kleine Minderheit, die sich allerdings oft in zentralen Positionen befindet, so in der Logistik und Vormontage. Bei Gate Gourmet ist ein eher tragisches Ergebnis des Streiks, der selbst durch Zeitarbeitereinsatz unterlaufen wurde, dass ein Grossteil der ProduktionsarbeiterInnen nach dem Streik durch ZeitarbeiterInnen ersetzt wurden, mit denen jetzt die Re-Organisation des Arbeitsablaufs durchgeboxt wird. Als eine Schwäche des Streiks war, dass sich die ZeitarbeiterInnen nicht in der Lage gesehen haben, den Streikbruch zu verweigern bzw. sich durch Form und Inhalt des Streiks nicht angesprochen gefühlt haben. Die gescheiterte Kleinaktion bei Opel zeigt, dass zumindest auf dem embryonalen Stand von Auseinandersetzung die rechtliche Handhabe der Bosse, Leute von einer Minute auf die andere und ohne Begründung Leute aus dem Betrieb abzuziehen, ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Das Beispiel des Einsatzes auf der Grossbaustelle zeigt, dass Niedriglohn und "prekäre Bedingungen" kein alleiniges Problem von ZeitarbeiterInnen, jungen Ungelernten oder freiberuflichen Theaterpädagogen, sondern längst Teil der Lebenserfahrung des Handwerker-Familienvater-Typs ist. Hoffen wir, dass nicht die verlieren, die sich zuerst bewegen.

Deutsche Fassung eines bei www.prol-position.net externer Link in englischer Übersetzung veröffentlichten Berichtes


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