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Updated: 18.12.2012 15:51
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Workers Center in Germany?

Ein Anruf genügte zunächst: " Guten Tag, ich gehöre zur Initiative für die Rechte der WanderarbeiterInnen in Frankfurt. Wir haben im Kontakt mit rumänischen Saisonarbeiterinnen sowie deren Anwalt erfahren, dass Sie trotz entsprechender gerichtlicher Anweisung Ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, die den 18 Frauen zustehenden Löhne für ihre Arbeit in der Spargelernte nachzuzahlen [1]. Wir geben Ihnen nun 10 Tage Zeit, die Ratenzahlung wieder aufzunehmen, ansonsten werden wir zu Ihnen in den Ort kommen, mit Flugblättern und Transparenten vor Ihrem Hof stehen sowie mittels lokaler Pressearbeit Ihren Fall so weit es geht öffentlich machen!"

Der Anruf erreichte den Bauern im Mai 2004 in der anlaufenden Spargelsaison, insofern sicher kein schlechter Zeitpunkt, um Druck zu machen. Jedenfalls war er offensichtlich beeindruckt und hat binnen weniger Tage die Zahlungen an die rumänischen Frauen wieder aufgenommen. Nun, die Frankfurter Initiative für die Rechte von WanderarbeiterInnen gibt es zwar (noch) nicht, die Aktionsankündigung war allerdings kein reiner Bluff. Vielmehr könnten in Zukunft solche Formen der Intervention zum Handlungsrepertoir eines Projektes gehören, das im Rhein-Main-Gebiet seit Ende letzten Jahres unter dem Titel Workers Center diskutiert wird.

"Bezugnehmend auf Erfahrungsansätze in den USA, aber auch z.B. ZAPO/Berlin wäre die Idee, unter dem Begriff Workers Center ein Projekt zu starten, das auf verschiedenen Ebenen Zugang zum Komplex prekarisierter Arbeit und Migration sucht, letztlich ein vor allem auch praktischer orientierter Suchprozess, um die Aneignungsmomente in und gegen die Ausbeutung zu stärken.(...) Das Projekt benötigt mittelfristig jedenfalls einen sozialen Ort, der gleichermaßen als Treffpunkt, Versammlungsraum, Beratungsstelle und Archiv zu nutzen wäre. Dabei geht es einerseits um einen "Vermittlungsraum", in dem also Erfahrungen zwischen bzw. über einzelne "ethnische Enklaven" oder spezielle Arbeitsbereiche hinaus ausgetauscht werden und immer auch nach gemeinsamen Interessen und übergreifenden Handlungsmöglichkeiten gesucht wird. Zum zweiten um eine "Brücke" hin zu Arbeitsloseninitiativen und Betriebs- oder Gewerkschaftslinken, indem die besonderen Ausbeutungsbedingungen von MigrantInnen auf den insgesamt zunehmenden Zwang zu Niedriglohnarbeit bzw. auf die Verallgemeinerung von entgarantierten
Arbeitsbedingungen bezogen werden. Verschiedene, sich ergänzende Elemente sind denkbar und sollten es unterschiedlichsten Leuten ermöglichen, sich an einem Workers Center zu beteiligen.

  • Beratung: juristische wie auch öffentlichkeitsorientierte Unterstützung in Fragen von
    Lohnraub, Niedrigstlöhnen, Leiharbeit oder Arbeitsbedingungen.
  • Untersuchung: in erster Linie ein Interviewprojekt, um Zugang und Informationen zu gewinnen über die Situation in den verschiedensten prekären Arbeitsbereichen. Kontakte lassen sich zum Teil direkt an Arbeitsstellen knüpfen oder über MigrantInnencommunities.
  • Initiative und Kampagne: aus Beratung und Untersuchung können sich - auf Anfrage oder in Abstimmung mit den Betroffenen - Öffentlichkeitsarbeit und Interventionsvorschläge ergeben. Darüber hinaus sind Aktivitäten denkbar, die aktuelle Arbeitskämpfe irgendwo auf dem Globus aufgreifen und sich gegen hier ansässige Enden der Wertraubkette richten. ..." [2]

Soweit also zu den theoretischen Möglichkeiten und Ideen für ein Workers Center in Rhein Main, dessen praktische Umsetzung zu einer handlungsfähigen Initiative allerdings längst nicht in Sicht ist. Der Konstituierungsprozess gestaltet sich bislang mühselig, das Workers Center Projekt bleibt insofern zur Zeit eher ein ferner Fluchtpunkt.

Das Garment Workers Center (GWC) in Los Angeles als Inspiration

Dieser Fluchtpunkt ist allerdings kein Zufall. Denn es war mehr als beeindruckend, was Kimi Lee, Mitgründerin des GWC in L.A., zu ihrem Projekt im speziellen wie auch zum Ansatz der Workers Center in den USA im allgemeinen zu berichteten hatte [3]. Das GWC, wie auch eine Reihe weiterer
Workers Center, steht für einen unabhängigen Selbstorganisierungsprozess migrantischer und oftmals illegalisierter ArbeiterInnen, deren Interessen in traditionellen Gewerkschaften nicht repräsentiert werden können (oder auch gar nicht sollen!). Das GWC bietet einerseits juristische Beratung und Unterstützung in Fällen von Lohnbetrug bzw. miserablen Arbeitsbedingungen, was angesichts eines hochflexiblen Subkontraktsystems in der kalifornischen Bekleidungsindustrie mit Tausenden von kleinen Sweatshops (Schwitzbuden) zum Alltag gehört. Zum anderen werden über das GWC politische Kampagnen organisiert, die sich in der Regel gegen die größeren Vertriebsketten und Markennamen richten, die als Endprofiteure an der Spitze der Ausbeutungspyramide stehen.

Das GWC setzt gezielt auf Herkunftsländer übergreifendes, transnationales "organising", denn allzu oft sind es ethnische Spaltungslinien, entlang derer z.B. lateinamerikanische und asiatische Arbeiterinnen gegeneinander ausgespielt werden. Nicht ohne Stolz betonte Kimi Lee bei ihrem zweiten Besuch Ende 2003, dass sich im auf über 150 MigrantInnen angewachsenen Mitgliederstamm mexikanische und chinesische Frauen gegenseitigen Sprachunterricht geben (in spanisch und chinesisch wohlgemerkt, denn englisch ist in L.A. längst Minderheitensprache...!).

Neben Arbeitrecht gehören Sprach- und Computerkurse zum Bildungsangebot des GWC, was wiederum Teil des "holistic approach" ist, also einer "ganzheitlichen", umfassenden Herangehensweise, die zwar die Arbeits- und Ausbeutungssituation der MigrantInnen als zentralen Ausgangspunkt hat, aber eben längst nicht darauf beschränkt bleibt. Frauengruppen und Empowerment, Gesundheitskurse oder eine Kampagne, die Führerscheinlizenzen auch für MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus durchgesetzt hatte [4]...., das Spektrum der Aktivitäten ist vielfältig, eben von den unmittelbaren Interessen der MigrantInnen selbst geprägt und in L.A. oftmals als Kooperation mit ähnlichen Projekten oder in Zusammenarbeit mit MigrantInnencommunities. Dazu zählt insbesondere die langfristige Schwerpunktkampagne für die
Legalisierung der "undocumented workers", die zwar nach dem 11. September 2001 schwere Rückschläge erlitten hatte, die aber nicht nur im GWC immer noch und immer wieder ganz oben auf der Agenda steht.

Zurück in die Zukunft ...

Die Verbindung von Organisierungsprozessen und Kampagnen um Bleiberecht und Papiere einerseits und um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen andererseits, genau in dieser Verknüpfung von Kämpfen gegen Ausgrenzung UND Ausbeutung steckt die Attraktivität des Workers Center Beispiels auch für hiesige Verhältnisse.

Zweifelsohne lässt sich die Situation in den USA und speziell im Großraum L.A. nicht auf die BRD oder gar Rhein-Main übertragen. Geschätzte 2 Millionen (!) Menschen ohne Aufenthaltspapiere, riesige MigrantInnencommunities und eine Polizei, der bei Kontrollen bislang der Datenabgleich mit der Immigrationsbehörde untersagt bleibt .... allesamt Dimensionen und Ausgangsbedingungen, die für hier undenkbar sind. Und dementsprechend kann es nicht um einfache Übertragbarkeiten gehen, vielmehr um einzelne Erfahrungs- und Handlungsansätze, die auch für hier nutzbar gemacht werden könnten.

Dass sich die antirassistische Linke in der Vergangenheit mit der kapitalistischen Reorganisierung unzureichend auseinandergesetzt hat, diese Selbstkritik hat sich mittlerweile doch einigermaßen verbreitet. "Rassismus reichte als Erklärungsvariable für die Abschottungspraxis der Festung Europa weitgehend aus. Die Dienstboteneingänge blieben ein Randthema, der Zusammenhang von Ökonomie und Migrationsregime absolut unterbelichtet."[5]

Doch das hat sich, jedenfalls auf der Diskursebene, vor allem in den letzten beiden Jahren ziemlich verändert. Einerseits über die notwendige Auseinandersetzungen mit Greencards, Zuwanderungsgesetz und nicht zuletzt dem Begriff des "Migrationsmanagements" [6], eben der Funktionalität des Grenz- und Lagerregimes für die Arbeitsmärkte.

Zum anderen über die Besuche und Impulse, wie z.B. aus den USA, aber auch aus Italien und den starken Mobilisierungen von MigrantInnen gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen gegen das dortige Bossi-Fini-Gesetz. Einige Foren und Workshops, kleinere Aktionen [7] sowie unlängst vor allem die Prekarisierungskonferenz in Dortmund (als Kooperationsprojekt von Aktiven aus Labournet und kein mensch ist illegal) stehen für den anhaltenden Versuch, die inhaltlichen wie praktischen Verbindungslinien in den Kämpfen gegen Ausgrenzung und Ausbeutung weiter zu verdichten. Und für den 1. Mai 2005 gibt es inzwischen erste Überlegungen, die Idee der Euromaydays [8] aufzugreifen und auch in der BRD einen Kristallisationspunkt zu "prekärer Arbeit und Migration" zu schaffen. Doch selbst wenn eine solche punktuelle Mobilisierung gelingen sollte, kann dies nicht über das zentrale Manko hinwegtäuschen: dass nämlich bislang kaum eine lokal-regionale und alltäglichere Praxis in diesem Feld entwickelt werden konnte.

Eine rühmliche Ausnahme bilden die "Bauarbeiterauseinandersetzungen in Berlin" [9], und insofern kann in der Frage nach Handlungsoptionen die amerikanische Erfahrung nur hilfreich sein. Nicht zufällig war die Workers Center Idee - wie eingangs in der Einladung für Rhein-Main formuliert - als
Katalysator für einen "praktisch orientierten Suchprozess" aufgegriffen worden. Denn absehbar wird es dort kein Center als realen sozialen Ort, als physikalischen Raum geben. Dazu fehlt zuallererst die stärkere Beteiligung und Auseinandersetzung von MigrantInnen selbst. Doch Interviews und erste Untersuchungen in den prekären Arbeitsbereichen, in denen vor allem MigrantInnen, mit und ohne Papiere, beschäftigt sind, haben begonnen oder sind in Planung: im Putzsektor oder in der Landwirtschaft, in Restaurants oder in der Pflege oder auch genereller im Leiharbeitsgewerbe.

Mehr Zugänge zu prekären migrantischen Arbeitsrealitäten eröffnen, diesbezügliche Informationen sammeln, potentiellen Konfliktualitäten nachspüren und dabei vor allem Interessen und Bewegungsformen der Betroffenen kennenlernen .... dieser Suchprozess dürfte noch einige Zeit in
Anspruch nehmen, bevor von direkter Mobilisierung für oder gar Intervention aus einem Workers Center die Rede sein kann.
Doch vielleicht kann die Erfahrung aus Los Angeles hier ebenfalls nutzen: es bedurfte auch dort einer immerhin 5-jährigen Vorbereitungszeit, bevor das GWC dann im Jahr 2000 als konkretes Projekt gestartet wurde.

h., AG3F, Hanau

Anmerkungen:

1. Der "beispielhafte Fall" der 18 rumänischen Saisonarbeiterinnen war erstmals in dem Artikel "Ackern für Deutschland" von Petra Ehrenfort (ehemals ZAPO) beschrieben worden, veröffentlicht u.a. in der Zeitschrift "Archipel" im Sommer 2003.
Seit Juni 2004 liegt zudem ein 12-minütiger Videofilm unter dem Titel "Spargelernte" vor, der vor allem anhand von Interviews mit den betroffenen Frauen dokumentiert, wie diese sich erfolgreich gegen den Lohnbetrug zur Wehr gesetzt haben. Der Film ist mit deutschen, rumänischen und englischen Untertiteln verfügbar (Kontakt über amplitude@kein.org) sowie im Internet
anzusehen: http//:thistuesday.org externer Link

2. Zitat aus der Einladung zu einem "Sondierungstreffen für ein Workers Center in Rhein-Main" im Dezember 2003.

3. Im November 2001 hatte die "Temporäre Assoziation jeder mensch ist ein experte" Kimi Lee sowie Valery Alzaga von Justice for Janitors zu einer Veranstaltungstour durch die BRD eingeladen. Von dieser Rundreise gingen zahlreiche neue Impulse und Kooperationen in Sachen "Arbeit und Migration aus. Im November 2003 war Kimi Lee im Rahmen einer Konferenz des internationalen Betriebs- und Gewerkschaftslinken Netzwerks TIE dann ein zweites Mal zu Besuch.

4. Die Kampagne hatte nach langen Jahren gerade zum Erfolg geführt, als in Kalifornien ein Gouverneur namens Arnold Schwarzenegger gewählt wurde und dieser die neue Regelung -ganz in seiner Rolle als Terminator - wieder außer Kraft setzte.

5. Zitat aus dem Artikel "Zwischen Ausbeutung und Aneigung" in Analyse und Kritik von Amplitude/kein mensch ist illegal .

6. Mit diesem Begriff arbeitet insbesondere die IOM (International Organisation for Migration), gegen die als zentrale Agentur der Migrationskontrolle das europaweite Nobordernetzwerk 2002 eine Kampagne begonnen hat (www.noborder.org externer Link).

7. U.a. 2003 im Rahmen des Kölner Grenzcamps vor der Zentralen Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn und während der Aktionstage gegen das Ausreiselager in Fürth vor der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ...

8. http://www.euromayday.org/ externer Link

9. siehe auch die Auswertung von Elixira unter http://www.elexir-a.org/ externer Link


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