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Updated: 18.12.2012 15:51
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Konspirieren und streiten für ein freies, offenes und radikales Europa - Stellungnahme des Frassanito-Netzwerks für die Euromayday-Bewegung

Die folgende vom express übersetzte Stellungnahme ist das Ergebnis eines Treffens des Frassanito-Netzwerks (siehe dazu express 3/2005) während des Borderline Academy/Fadaiat-Projektes [1] Ende Juni im südspanischen Europa-Grenzort Tarifa. In ihr ziehen die VerfasserInnen eine Bilanz der bisherigen Versuche einer europäischen Kooperation rund um das Thema Prekarisierung und Migration, insbesondere jedoch zu den beiden europäischen Aktionstagen. Wir dokumentieren:

  • Bewegungsfreiheit war die zentrale Forderung bei den Aktionen rund um den zweiten »Tag der Migration«, am 2. April, bei denen es in mehr als 50 Städten in elf Ländern große und kleine Protestaktionen und Demos gab (siehe: www.noborders.org externer Link)
  • Prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen waren nur wenige Wochen später das Thema des 1. Mai, als es Euromayday-Paraden und Aktionen gleichzeitig in 18 Städten in 13 Ländern gab.

Wir halten beide Mobilisierungen für erfolgreiche und für wichtige Schritte bei der Entwicklung einer Bewegung von wahrlich europäischer Dimension. Wir meinen, dass es wichtig ist, dass beide Vernetzungsprozesse nicht nur in ihren jeweiligen Aufrufen Bezug aufeinander genommen haben, sondern dass in den meisten Ländern die einzelnen Aktionen selbst auch miteinander verbunden waren. Die Stärkung dieser gegenseitigen Verbindung in ihrer europäischen Dimension scheint heute wichtiger denn je; nach den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, die - unabhängig davon, wie man die Europäische Verfassung selbst einschätzt - die Gefahr einer Re-Nationalisierung der Politik - nicht nur auf der Rechten, sondern auch auf der traditionellen Linken signalisieren. Um den europaweiten Kampf für ein »freies, offenes und radikales Europa« weiterzutreiben, könnten die Euromayday-Paraden zwar als Brennpunkt und Katalysator dienen. Aber diese Art von Events muss auch verbunden werden mit stärker lokalen und alltäglichen Initiativen, Projekten und Kampagnen, die in vielen Städten und Ländern zu fehlen scheinen. Ob innerhalb der oder in enger Kooperation mit den großen Gewerkschaften, ob in autonomen Basisgewerkschaften, in kommunalen Organisationen, oder in Arbeiter- oder Sozial- oder Kommunikationszentren, wir meinen, dass Forschung und Untersuchungen, Kampagnen und Konflikte, Widerständigkeiten und Kämpfe den paradigmatischen Charakter migrantischer Arbeit zur Kenntnis nehmen müssen. Damit meinen wir nicht, dass die Migranten eine Art Zentrum innerhalb des Euromayday-Prozesses sein sollen, das es gegen andere, die ebenfalls beanspruchen im Zentrum zu stehen, zu verteidigen gelte. Wenn wir von dem paradigmatischen Charakter migrantischer Arbeit sprechen, dann wollen wir auf das Faktum aufmerksam machen, dass Migranten schon viel früher Erfahrungen mit den allgemeinen Bedingungen heutiger Arbeit machen, mit allen Formen von Abwertung und Prekarisierung. Zugleich wollen wir aber auch darauf aufmerksam machen, dass die praktische Mobilität der Migranten eine radikale Herausforderung an genau diese Prozesse der Deprivation darstellen.

Mobilität scheint uns das entscheidende Charakteristikum bei der Transformation und Neuzusammensetzung der lebendigen Arbeit - und zwar in einem doppelten Sinne und auf einem umstrittenen Feld. Auf der einen Seite versucht der Kapitalismus die Mobilität zum Zwecke der flexibelsten und kostengünstigsten Ausbeutung zu kontrollieren und zu regulieren. Auf der anderen Seite unterläuft die Mobilität der Migranten die Grenzregime, die dazu als Filter für den Arbeitsmarkt dienen sollen; diesen Prozess nennen wir »selektive Inklusion«. Autonome Migration attackiert diese gesamte Logik des europäischen Raums. Deshalb kann die Mobilität angesehen werden als eine Quelle der potentiell subversiven politischen Macht der Migranten. Die Dynamik ihrer sozialen und politischen Kämpfe fordert die europäische Apartheid heraus.

Vielfalt scheint uns die zweite entscheidende Bedingung, um die aktuellen Transformationen der Arbeit zu verstehen. Der vielfältige Charakter der »Arbeiterklasse«, der Prekarisierten und auch der Migranten macht es unmöglich, die lebendige Arbeit auf ein neues homogenes Subjekt zu reduzieren. Vor dem Hintergrund der Hierarchien, die die neue Zusammensetzung bestimmen, erfordern die großen Unterschiede der sozialen Bewegungen respektive ihrer Forderungen und Wünsche zuallererst mehr Kommunikation und neue Formen der Kooperation. »Gemeinsamkeiten zu entwickeln« ist ein langer Prozess, der seine Basis in der Autonomie verschiedener Kämpfe hat. Wenn wir z.B. über »Flexicurity« diskutieren, müssen wir die Frage des (Nicht-)Zugangs zum Arbeitsmarkt für viele Migranten mitbedenken oder auch die erpresserische Verschränkung zwischen Arbeitsvertrag und Aufenthaltsrecht.

Wir sind überzeugt von der Strategie der Verbindung des Kampfs für Bewegungsfreiheit, für das Recht, Rechte zu haben mit den Kämpfen gegen Prekarisierung und für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. In diesem Sinne haben wir großes Interesse, die Kooperation zwischen migrantischen Netzwerken und dem Euromayday-Prozess fortzusetzen und zu intensivieren. Und in diesem Sinne stimmen wir nicht nur zu und wollen uns beteiligen an einem weiteren europaweiten Treffen von Euromayday im September, sondern wir halten dieses Treffen für einen entscheidende Verabredung für alle sozialen Bewegungen in Europa.

Frassanito Netzwerk in Tarifa, Juni '05

erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/05

Anmerkung:

Borderline Academy/Fadaiat nannte sich die Veranstaltung, deren Teilnehmer sich in den uralten Steinmauern im Castle Guzmán el Bueno trafen, direkt am Meer, in Tarifa, Stadt der ewigen Winde und Surferparadies. Rund 150 Aktivisten, Künstler, Theoretiker, Architekten und Performer aus ganz Europa mit ihren Laptops, Digitalkameras und Schnittprogrammen versammelten sich für diese Fortsetzung des »Neuro-Networking Europe«-Kongresses, der letztes Jahr im Februar in München stattfand und wie die Borderline Academy Teil eines EU-Vernetzungsprojekts namens D-A-S-H ist.


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