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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Lieber nach Hamburg pilgern! »Prekärendemos« quer durch Europa am 1. Mai Mit »Würde« will der DGB am 1. Mai seine »sommerliche Kreuzfahrt« in die Agendagewässer starten. Ob einem dazu nun eher die kontrafaktisch gute Stimmung auf der »unsinkbaren« Titanic oder der Fatalismus auf B. Travens Totenschiff in den Sinn kommt: Während an einen »turnaround« von DGB-Skippern und Crew so richtig keiner glauben mag, nimmt der 1. Mai zumindest in Hamburg einen anderen Weg. Dort versammelt sich dieses Jahr die hiesige Sektion der »Prekären aller Länder« zum ersten deutschen »EuroMayday« - allerdings erst im Anschluss an die DGB-Kundgebung. Ob so das angekündigte »Anti-Depressivum« EuroMayday seine Wirkung entfalten und die gewünschte gemeinsame Debatte über »globale Rechte unabhängig von Arbeit und Staatsangehörigkeit« in Gang kommen kann, oder ob zwei Parallelwelten friedlich ihre Bahnen ziehen, muss offen bleiben. Klar ist jetzt schon, dass »ein Sonntag für globale Rechte« nicht reichen wird, höchstens ein symbolischer Anfang sein kann. Wir dokumentieren daher einen Bericht über die Entstehung und die Ziele dieses »experimentellen Umzugs«, den Aufruf zum EuroMayday selbst und Auszüge aus einem Thesenpapier zum Thema »Prekarisierung«, das von Teilen der veranstaltenden Gruppierungen verfasst wurde. Ausgehend von so genannten MayDay-Paraden in den letzten Jahren in Mailand mit rapide wachsenden TeilnehmerInnenzahlen (2004 mit bis zu 80000 DemonstrantInnen!) kam es am 1. Mai letzten Jahres zu einer ersten Ausweitung der nun »EuroMayday« genannten karnevalesken 1. Mai-Aufzüge in andere Länder. Inhaltliche Klammer war und ist die Thematisierung prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse. In Barcelona versammelten sich letztes Jahr im ersten Anlauf über 10000 Menschen, wobei dort mehrere hundert »Sans Papiers« mit ihren Forderungen nach Aufenthaltsrechten die Demonstrationsspitze bildeten. In gut besuchten Arbeitsgruppen der »Autonomous Spaces« während des ESF im vergangenen Oktober in London wurde schließlich der Grundstein für eine nochmalige Ausweitung gelegt. Und nach weiteren internationalen Treffen in Berlin und Paris in den letzten Wochen wird deutlich, dass der EuroMayday-Prozess nun wirklich zum europaweiten Projekt wird. Helsinki, Barcelona, Lüttich, Ljubljana, Sevilla, Mailand, Kopenhagen, Paris, Amsterdam, Wien, London und Stockholm, so liest sich mittlerweile die Liste der Städte, in denen kleinere und größere Mobilisierungen am Laufen sind. Und in Hamburg! Vor allem AktivistInnen der Hamburger »Gesellschaft für Legalisierung« sowie der dortigen Umsonst-Gruppe bereiten zur Zeit ein umfassenderes Programm für die letzte Aprilwoche vor, das zum 1. Mai in einer eigenen EuroMayday-Parade münden wird. In inhaltlicher Anknüpfung an die Dortmunder Konferenz »Die Kosten rebellieren« im letzten Jahr werden Kooperationen mit gewerkschaftslinken Initiativen gesucht, während gleichzeitig der Bezug auf migrantische Lebensrealitäten einen Schwerpunkt bildet. Prekarisierung wird also ausdrücklich über die Arbeitsverhältnisse hinaus definiert, die Frage globaler Rechte steht im Mittelpunkt. Insofern ist vielleicht auch mehr Barcelona als Mailand das Vorbild der Mobilisierung nach Hamburg, auch wenn hier keine vergleichbaren TeilnehmerInnenzahlen zu erwarten sind, sondern mit einem sehr viel bescheideneren Anfang zu rechnen ist. Vernetzung und Debatte Ausgehend von Florenz, dann in Paris und letzen Herbst in London haben migrationsbezogene und antirassistische Gruppen im Rahmen oder auch parallel zum ESF einen Vernetzungsprozess in Gang gebracht, der jetzt zum 2. April bereits zum zweiten Mal in einen dezentralen »europäischen Aktionstag für Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit« mündete (Aufruf und mehr dazu unter www.noborder.org). Nicht wenige der Gruppen, die darin engagiert sind, beteiligen sich auch an der neueren EuroMayday-Vernetzung, motiviert von dem Interesse, die Verbindungslinien zwischen Prekarisierung und Migration herzustellen bzw. die Bedeutung migrantischer Arbeit in den aktuellen Transformationsprozessen deutlich zu machen. Das schlägt sich positiv insofern nieder, dass sich die europaweiten Aufrufe zum 2. April und zum EuroMayday jeweils aufeinander beziehen und dass beide inhaltlich so wichtigen Vernetzungsprozesse eben nicht getrennt voneinander laufen. Gleichzeitig stecken in dieser Kooperation inhaltliche Differenzen, die ansatzweise rund um das oben erwähnte Treffen in Berlin zur Sprache gekommen sind. In einem Arbeitspapier hatte das seit dem Sommer 2003 bestehende »Frassanito-Network« [1] deutlich kritisiert, dass mit der Einführung des »Prekariats«-Begriffs eine neue, vereinfachende Identität in den EuroMayday-Diskursen auftauche, die die Heterogenität und Hierarchisierungen innerhalb der Prekarisierungsprozesse ausblende. In der letzten These wird (allzu) kurz aufgerissen, warum der Frage »migrantischer Arbeit« eine paradigmatische Position zugemessen wird. Immerhin: der Text hatte innerhalb der EuroMayday-Vorbereitung zugleich für Kontroversen gesorgt: Wie groß sind die Gemeinsamkeiten der prekären Lebensverhältnisse, und gibt es ein neues >zentrales< Subjekt des »Flexworkers«? Welche Bedeutung hat und behält die Kategorie der Migration? Geht es um verstärkte Kooperation und Kommunikation auf Grundlage unterschiedlicher Realitäten oder um eine neue Wobbly-Gewerkschaft? In den EuroMayday-Vernetzungstreffen überwiegt zunächst und notwendigerweise eine pragmatische Herangehensweise, mit der jetzt Aufruf und Plakate für den übergreifenden Mobilisierungsprozess in Umlauf kommen. Doch eine Debatte um Perspektiven ist mit erwähnten Kontroversen jedenfalls aufgemacht und muss unbedingt Teil eines hoffentlich kontinuierlicheren EuroMayday-Prozesses werden. h., kein mensch ist illegal/Hanau Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/05 1) Frassanito ist eine Kleinstadt im italienischen Apulien, in der im Sommer 2003 ein Nobordercamp stattgefunden hat. Im Rahmen dieses Camps waren es zunächst Initiativen und Einzelpersonen aus Italien, Frankreich und Deutschland, später auch aus Spanien, Griechenland, Großbritannien und Slowenien, die sich im »Frassanito-Netzwerk« zusammengefunden haben, um gemeinsam die migrationsbezogenen Initiativen in den Europäischen Sozialforen (2003 in Paris, 2004 in London) zu stärken und zu koordinieren. Migration als Sozialbewegung zu begreifen, ihre Autonomien und offensiven Momente zu betonen sowie die Verbindungslinien zu anderen sozialen Auseinandersetzungen herzustellen sind dabei gemeinsame inhaltliche Ausgangs-punkte dieses Netzwerkes, das sich spätestens während des Londoner ESF zu einem bedeutenden Implusgeber entwickelt hat. Der vollständige Text ist auf englisch einzusehen unter:
http://thistuesday.org
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