letzte Änderung am 17. Sept. 2002

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Geldzentrierung – und kein Ende!

Kritische Anmerkungen zu Harald Reins "Kritischen Bemerkungen zur ‚Initiative für eine sozialstaatlich orientierte aktive Arbeitsmarktpolitik’"

 

Harald Rein schreibt: "Der von der ‚Initiative’ vorgeschlagene langfristige ‚Konsens über die Aufgaben, Ziele und Grenzen der Arbeitsmarktpolitik’ ist an mehreren Punkten kritikwürdig."

Wer wollte dies bestreiten. So weit so (un)gut. Ist es wirklich nur das: in "mehreren Punkten kritikwürdig"? Oder eher dieses: wie alle gutgemeinten, aber arbeitszentrierten Wege und Auswege aus der Krise der Arbeitsgesellschaft, bei aller Kritik an Hartz und Co., in ihrer ganzen Stoßrichtung ein letztlich hilf- und alternativloses bis prekäres Konzept?

Steht die Frage: Was hat’s mit Harald Reins Alternative auf sich?

Er konfrontiert dieses "Manifest" mit einer vielversprechenden Alternative: dem "existenzsichernden Grundeinkommen" (Ob dies nun ein Grund zum Jubeln oder ein gründlicher Irrtum, ist zu klären): "Er (der Vorschlag der Initiative) fällt hinter eine Diskussion zurück, in der seit einiger Zeit, nicht nur unter Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen, die bisherigen traditionellen Vorschläge, Wege aus der Arbeitslosigkeit zu finden (Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung usw.) kritisiert werden und die Alternative eines bedingungslosen, existenzsichernden Einkommens aufgezeigt wird."

Ad 1:

Nun steht, wenn ich richtig gelesen habe, von dem "traditionellen" Vorschlag "Arbeitszeitverkürzung" gar nichts in dem "Manifest" der "Initiative". Ohne die AZV als Alternative und Ausweg aus der Arbeitsmisere und –zentriertheit sehen zu wollen, scheint es mir sinnvoll, dieses ja durchaus aus der "Mode" auch ("links"-)gewerkschaftlichen Engagements gekommene Projekt endlich wieder anzustoßen. Sicher mit einer anderen Perspektive, als unsinnige bis gemeingefährliche Arbeit "gerechter" zu verteilen, sondern einzuschränken bis einzustellen – 24 Stunden in der Woche wäre für’s erste genug und durchaus greifbar.. Könnte nicht weniger attraktiv sein, als das Motto "talk half" in Sachen Existenzgeld. Die dann wieder in Gang zu bringende und kommende gesellschaftliche Debatte um das Thema, würde sicher zu der von Ribolits und Rein gesehenen Notwendigkeit "einer kulturellen Bewegung, in der die Menschen fremdbestimmte moralische Fesseln ablegen und sich selbstbestimmt einer ‚Tätigkeit in Freiheit’ (Dahrendorf) zuwenden, die sie aus ihren Interessen heraus entwickeln" beitragen können.

Wobei die Berufung auf Dahrendorf und die "Freiheit die er meint", auch gut in dem "Manifest" hätten Platz finden können und sicher nicht so ernst gemeint sein kann.

Da ist mir eine Berufung auf den weniger bekannten arbeitskritischen Marx, und ein Streiten für Arbeitszeitverkürzung, freie Tätigkeit und Entwicklung der Individuen im Sinne seiner Perspektive schon lieber:

Einschub: Remember Marx:

"... Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht. Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung." (Karl Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 827 f.)

"In dem Maße aber, wie die grosse Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichthums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesezt werden und die selbst wieder - deren powerful effectiveness - selbst wieder in keinem Verhältniß steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Production kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Production. ... Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr in den Produktionsprozess eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst verhält. .... Er tritt neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständniß der Natur, und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der grosse Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint.

Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die grosse Industrie selbst geschaffne. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die grosse Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozess erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht." (Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1857/58), MEW 42, S.600-601)

Ad 2:

Ist das Existenzgeld nun wirklich der Königsweg, bei allem Charme, den es auf den ersten Blick ausstrahlt, und verlässt dieser Weg, den Harald Rein im weiteren so emphatisch und mit Argumentationshilfe des evangelischen "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt" (kda) anpreist, wirklich den Boden, die Grundlage, auf der auch das "Initiativen-Manifest" steht?

Harald Rein schreibt:

"Logische Konsequenz aus dem bisher gesagten ist die Forderung nach einem ausreichenden und bedingungslosen Einkommen für Alle. Vorschläge in diese Richtung gibt es bereits von Erwerblosen- und Sozialhilfeinitiativen (Existenzgeld) und wird auch in anderen gesellschaftlichen Feldern diskutiert. So findet sich in der jüngsten Ausgabe des evangelischen "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt" (kda) unter der Überschrift "Wer nicht arbeitet, soll trotzdem essen" folgende Ausführung: "Moralisch gut ist eher der zu nennen, der die knappe Ressource Erwerbsarbeit anderen überlässt und auf dieses Privileg verzichtet ... Das Grundeinkommen kann dann als eine Art 'Ausstiegsprämie' für den Verzicht auf einen Erwerbsarbeitsplatz verstanden werden." Und "In dieser Situation weist ein staatlich garantiertes Grundeinkommen, das die Existenz des einzelnen sichert ohne diskriminierende Bedingungen wie Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitsverpflichtung, einen Ausweg, der als sozial gerecht zu bezeichnen wäre." (kda Nr.2/2002)

Die Begriffe machen deutlich, worum es geht: Existenz-"geld", Ausstiegs-"prämie", Grund-"einkommen". Also, wenn ich richtig verstehe, Arbeit nein!, oder laut kda "überlaß sie den anderen", aber Geld ja!

Um nicht missverstanden zu werden: dem Arbeitszwang, noch mehr der Arbeitsverrückheit, dem Arbeitsfetischismus, der Arbeit als das unser gesellschaftliches Leben prägendes und die Lebenswelt nicht unwesentlich zerstörendes Prinzip den Kampf angesagt, voll d’accord!. Aber dann bitte auch seinem Zwillingsbruder, dem Geld, das nichts anderes ist als ein Aggregatzustand – eben "geronnene Arbeit" eine Wertform, Kapital - derselben irrwitzigen kapitalistischen Fetischverhältnisse, die Karl Marx verschiedentlich auch als "die Herrschaft der Sache über den Menschen, der todten Arbeit über die lebendige, des Products über den Producenten" charakterisiert.

(Karl Marx, Ökonomische Manuskripte 1863-1867, "Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses", MEGA 2, II, 4.1, S. 64)

Ja, wir sollten unbedingt darauf orientieren, das jedem ein Auskommen ohne Einkommen zusteht. Statt für ein Recht auf Arbeit ist dem Menschen ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten, jenseits von Arbeit, aber auch Geld. Selbst das scheinbar gerechteste, vermeintlich so einfach zu rechnende und bezahlbare "take half" - Existenzgeld, ist und bleibt ein monetäres Grundeinkommen, das natürlich nicht anders als durch Arbeit finanziert werden kann und wird, ebenso wie die heute in der Tat immer weiter zurückgeschraubten Sozialeinkommen. Prekär wird’s allemal, unsere Kämpfe werden bestimmte Schwerkraftgesetze letztendlich nicht außer Kraft saetzen können. Entgegen der landläufigen (auch linken) Meinung wird Geld, ungeachtet der ziemlich vergeblichen Hoffnung und Orientierung auf "gerechtere Verteilung", in der Tat knapper, weil es vom Funktionieren der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie abhängt und diese von produktiver, mehrwertschöpfender Arbeit gespeist werden muss, aber immer weniger wird.

Harald Rein ist zuzustimmen, wenn er sagt: "dass es darum geht, neue Wege und Alternativen zur kapitalistischen Verwertung zu finden". Das Projekt Grundeinkommen/Existenzgeld setzt aber gerade letztere voraus, eine möglichst gut funktionierende, will es bezahlt sein.

Die Alternativen, die ich sehe und die gangbar sein könnten, sind und wären kooperative, genossenschaftliche Wege assoziierter Individuen, Produzenten und Konsumenten zur Bewerkstelligung von Grundversorgung. Durchaus auch eines der wenigen noch sinnvollen gewerkschaftlichen Projekte, jenseits von Geld , Staat und Markt, coop und Neuer Heimat, dass auch verschiedenste Formen der Aneignung von Wohnraum, Kommunikationszentren, Kinderbetreuungsstätten, Waschsalons, von sharing- statt shareholder- Modellen aller Art usw., usf. einschließt.

Illusionär? Vielleicht, aber vermutlich weniger als der Traum von sozialer Gerechtigkeit mittels einer nicht oder nur prekär bezahlbaren "Ausstiegsprämie" Existenzgeld, dafür aber eine alternative, arbeits-und wert-lose Zukunft im Auge.

Ulrich Leicht, Industriebuchbinder, BR-Vorsitzender, ver.dianer.

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