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Updated: 18.12.2012 15:51
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Nochmals einige Bemerkungen zur Diskussion über die Forderungen nach höheren Regelsätzen

In seiner ihm eigenen polemischen Art setzt sich Rainer Roth mit meinem Artikel "Das Ende der Bescheidenheit? Anmerkungen zur Diskussion über den Regelsatz" (erschienen in express 9/10 und 11/2009) auseinander. Seine Behauptung es handele sich um die "bisher umfassendste Stellungnahme . warum die Forderung nach einer Erhöhung des Eckregelsatzes auf 500 Euro abzulehnen sei" und dass die Aussagen des Aufsatzes sich "frontal gegen die Kampagne des Bündnisses 500 Euro Eckregelsatz" ("Stellungnahme zur Ablehnung der Forderung nach 500 Euro Eckregelsatz durch Harald Rein" pdf-Datei) richteten, entsprechen schlichtweg nicht der Intention des Autors.

Inhaltliches Ziel meines Beitrages war gewesen, den Stand der derzeitigen Diskussion (außerhalb der bürgerlichen Debatten) zur Erhöhung der Regelsätze vorzustellen, ihre Begründungen nachzuvollziehen, wenn nötig Kritik vorzubringen und einen eigenen Vorschlag zur Diskussion zu stellen. In diesem Zusammenhang ist die 500 € Forderung nur eine, wenn auch wichtige Alternativforderung. Sie zu hinterfragen ist nicht Teufelswerk, sondern notwendiger Bestandteil kritischer Auseinandersetzungen innerhalb sozialer Bewegungen. Damit sollen keine Bündnisse diskreditiert werden, sondern inhaltliche Anhaltspunkte gegeben werden, Positionen immer wieder zu überprüfen und wenn nötig auch zu verändern.

In Kurzfassung seien hier nochmals meine Überlegungen vorgestellt:

  1. In der Debatte sozialer Initiativen über mögliche Erhöhungen des Eckregelsatzes/Kinderregelsätze geht es hauptsächlich um die inhaltliche Begründung und dem Umfang der Leistung. Maßgeblich in dieser Diskussion sind die Untersuchungen und Forderungen des Paritätischen (Rudolf Martens) und von Rainer Roth anzusehen. An ihren Argumentationslinien und Resultaten orientiert sich die Mehrheit der aktiven sozialen Initiativen. Sie gehen von der bestehenden Regelsatzbemessung aus, weisen deren Unredlichkeit nach und kommen so zu einem verbesserten Regelsatz.
  2. Der Paritätische verlangt in einer eigenen Untersuchung die Rücknahme von Kürzungen seit Hartz IV und die Einbeziehung von erfolgten Preissteigerungen. So gelangt er zu einem erhöhten Eckregelsatz von 440 €, der ansatzweise vom VdK und den GRÜNEN mit 420 €, von ver.di mit 435 € und von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen mit 440 € geteilt wird.
    Es ist zu vermuten, dass die Position des Paritätischen durch die Nähe und Einflussnahme zur politischen Entscheidungsgewalt geprägt ist und weniger durch die grundsätzliche Infragestellung des Eckregelsatzes. Nur so ist es zu erklären, warum der Paritätische ausschließlich einzelne Komponenten des Regelsatzes kritisiert und andere nicht berührt.
  3. Rainer Roth greift die Kritik des Paritätischen auf, ergänzt sie mit einer eigenen Untersuchung (Hartz-IV führt zu Mangelernährung) und kommt so auf einen notwendigen Eckregelsatz von 500 €, der von der Partei DIE LINKE, verschiedenen Sozialbündnissen und sozial engagierten WissenschaftlerInnen mitgetragen wird.
    Seine Kopplung der Regelsatzhöhe von 500 € mit einem Mindestlohn von 10 € birgt Gefahren in sich: wird ein umfassenderer Regelsatz gefordert, kann er von der Höhe her gesehen möglicherweise den Mindestlohn erreichen oder gar übersteigen. Hier könnte der Grund zu sehen sein, warum die 500 € Grenze nicht überschritten werden darf. Da ich nicht der Auffassung bin, dass Erwerbstätige einen höheren Bedarf als Nicht-Erwerbstätige benötigen, stehe ich einem existenzsichernden Regelsatz sehr positiv gegenüber.
    Festzuhalten bleibt: Der Paritätische und Roth greifen mit ihren Forderungen nur einzelne Aspekte einer möglichen Begründung für eine Erhöhung auf.
    Diese Nachweise reichen für einen existenzsichernden Regelsatz nicht aus, zumal andere Bedarfe, wie z.B. der Regelsatzanteil von Strom oder die Gesundheitskosten, in diesem Zusammenhang, nicht berücksichtigt sind.
    Von einer grundsätzlich anderen Regelsatz- bzw. Bedarfsdeckungsbemessung auszugehen, um zu einem verbesserten Regelsatz zu gelangen, wie es etwa Matthias Frommann, die frühere Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) oder auch aktuelle empirische Untersuchungen vorschlagen, spielt bei beiden keine Rolle.
  4. "Wir kämpfen um das, was wir brauchen", so war die Devise des 2. Bundeskongresses der Arbeitsloseninitiativen 1988 in Düsseldorf. Daran sollten wir uns auch heute halten. Bescheidenheit ist das Letzte, was uns weiterbringt. Um zu einer qualitativen und quantitativen Bewertung eines "guten Lebens" zu kommen, helfen uns die vorliegenden Ansätze nur teilweise weiter. Von Anfang an auf einen niedrigen Betrag hinzuarbeiten (der nicht einmal ausreichend begründet ist), der angeblich gesellschaftlich akzeptabler ist (breites Bündnis!) halte ich für falsch. Und auch der Vorwurf weitergehende Überlegungen seien nicht "realistisch" oder nicht "mehrheitsfähig" ist problematisch. Als "realistisch" gelten Forderungen offenbar nur dann, wenn sie als Bezugsgröße die herrschenden Vorgaben nehmen. Sie dokumentieren damit aber nur ihre eigene Kraftlosigkeit und fragen nicht danach, was notwendig wäre.
  5. Wir benötigen eine von uns selbst bestimmte und durchgeführte Untersuchung zur Bestimmung eines ausreichenden Einkommens. Was bereits von der BAG-SHI in nicht repräsentativer Weise begonnen wurde, nämlich als Ausgangsbasis die eigene soziale Existenz zu nehmen und einen eigenständigen Warenkorb zu definieren, könnte auch in größerem Stil in Städten oder Bundesländern organisiert werden. In Form von öffentlichen Treffen, in denen es um die Beantwortung der Frage geht: was brauchen wir für ein gutes Leben.
  6. Einen in diesem Zusammenhang interessanteren politischen Ansatz verfolgte die frühere BAG-SHI. Als ersten Schritt forderte sie den Eckregelsatz auf 500 € zu erhöhen und als zweiten Schritt die Einführung eines Existenzgeldes für Alle (800 € plus Kosten der Unterkunft und Krankenkasse, Stand 2007/2008). Allerdings sollte die 500 €-Forderung in Anlehnung an den letzten "Frankfurter Appell" ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei" gefordert werden, oder wie es das Treffen des "Netzwerkes Hessischer Erwerbsloseninitiativen" auf seiner Sitzung im April 2009 beschlossen hat: "Wir fordern eine Eckregelsatzerhöhung auf 500 €. - Weg mit den Bedarfsgemeinschaften, - Keine Zumutbarkeitsregelungen, -repressionsfrei. Darüber hinaus diskutieren wir Alternativen zum Regelsatzsystem in Form von Kindergrundsicherung, Existenzgeld oder anderen weiterführenden Forderungen!"

Klarstellung von Harald Rein vom Februar 2010


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