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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Gewinnen
mit Hartz IV?
Frank Jäger* über neue Legenden der Bundesregierung Mit dem Inkrafttreten von Hartz IV wird die Armutsschwelle sehr viel weiter in die Mitte der Gesellschaft rücken. Erwerbslose, die im Januar nächsten Jahres aus Arbeitslosengeld und -hilfe in das Arbeitslosengeld II (Alg II) fallen werden, begreifen allmählich, dass ihnen und ihren Familien ein Absturz auf Sozialhilfeniveau droht. Unklar ist vielen zurzeit allerdings noch, wie niedrig dieses Niveau wirklich sein wird: Besteht überhaupt Anspruch auf Alg II, oder ist das Einkommen des/der Partner/in zu hoch? Werden die tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen, oder droht ein Umzug in eine billigere Wohnung? Was bleibt vom Mini-Job übrig? Wird der Unterhalt für das Kind aus erster Ehe auf die Leistung angerechnet? Um Forderungen nach weiteren Nachbesserungen abzuschmettern, bringt die Regierung nun diejenigen ins Spiel, die sich angeblich zu den »Hartz-Gewin-nern« zählen dürfen – die erwerbsfähigen Sozialhilfebeziehenden. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob Hartz IV für diese Gruppe tatsächlich – wie von Rot-Grün und vielfach auch in der Presse behauptet – eine Verbesserung bedeutet. Zwecks Stützung dieser Behauptung wird von der Bundesregierung
zunächst auf die Erhöhung des Regelsatzes beim Alg II gegenüber
dem Sozialhilfesatz um etwa 48 Euro verwiesen. Zudem seien die Vermögensfreibeträge
deutlich höher als bei der Sozialhilfe, und künftig erlaube
man Sozialhilfebeziehenden sogar den Besitz eines »angemessenen«
PKW. Verbesserungen versprechen sich RegierungspolitikerInnen auch von
den Eingliederungsleistungen der Bundesarbeitsagentur, die ab Januar gleichermaßen
für alle Alg II-Berechtigten offen stünden. Ein genauerer Blick
auf die neuen Regelleistungen zum Lebensunterhalt macht aber deutlich,
dass die Regierung auch hier mit gezinkten Karten spielt. 1. Aus dem Regelsatz müssen künftig nicht nur die Kosten zum täglichen Bedarf gezahlt, sondern auch not-wendige Neuanschaffungen, wie Kleidung, Möbel, Küchengeräte, Schulbedarfe, Renovierungen u.s.w. be-stritten werden. Diese Bedarfe werden in der heutigen Sozialhilfe noch auf Einzelantrag erstattet oder durch zusätzliche Pauschalen abgegolten. Im Schnitt bedeutet diese Umstellung eine zusätzliche Belastung vor allem für Haushalte mit Kindern. Alg II-BezieherInnen sollen in Zukunft aus dem winzigen Regelsatz Rücklagen für solche vergleichsweise teuren Anschaffungen bilden. Untersuchungen, die im Rahmen der Modellversuche zur Pauschalierung von Leistungen in der Sozialhilfe durchgeführt wurden, belegen aber, dass Sparen mit Alg II kaum möglich sein wird. 2. Kinder und Jugendliche im Alter von sieben bis 17 Jahren werden künftig niedrigere Leistungen erhalten als bisher in der Sozialhilfe. Lediglich Kleinkinder bis zum siebten Lebensjahr erhalten etwas mehr Geld. Diese Verbesserung wird aber durch die komplette Anrechnung des Kindergeldes auf die Regelleistung ab 2005 fast völlig aufgezehrt. Bislang blieben Familien im Sozialhilfebezug immerhin je 10,25 Euro vom Kindergeld für die ersten beiden Kinder. Die Regierung, die vorgibt, Kinderarmut bekämpfen zu wollen, stellt mit dem Alg II/Sozialgeld Minderjährige von 7 bis 17 Jahren monatlich zwischen 44 und 49 Euro schlechter als in der heutigen Sozialhilfe.[1] 3. Aus dem Regelsatz der Sozialhilfe müssen seit Inkrafttreten
der Gesundheitsreform im Januar 2004 zusätzliche Kosten für
Zuzahlungen bei Krankheitskosten und Praxisgebühren bis zu einer
Belastungsgrenze von zwei Prozent des Jahresregelsatzes (ChronikerInnen:
ein Prozent) getragen werden. Allein das führt in der Regel zu Ausgaben
von monatlich ca. 6,30 Euro. Hinzu kommen die Kosten für nichtverschreibungspflichtige
Medikamente, Brillen und Krankenfahrten, die JedeR jetzt selbst tragen
muss. Die Gesundheitsreform führte zu Jahresbeginn erstmals zu einer
realen Senkung des Sozialhilferegelsatzes, dem gesetzlich und gesellschaftlich
anerkannten Existenzminimum. [2]
Weil der Sozialhilferegelsatz jedoch seit vielen Jahren nur unzureichend
der tatsächlichen Entwicklung von Preisen und Verbrauchsverhalten
angepasst wurde, erfolgte schon dieser Einschnitt weit unterhalb der Armutsschwelle.
Mit Hartz IV wird in kleinen Schritten an unterschiedlichen Stellen weiter
am Existenzminimum gesägt: Die Eigenbeteiligung bei Krankheitskosten
wird auf 8,86 Euro heraufgesetzt (minus 2,14 Euro pro Monat); vielerorts
wird versucht, die Wasserkosten aus den Leistungen für die Unterkunft
heraus- und in den Regesatz hineinzurechnen (minus 15 bis 20 Euro pro
Kopf und Monat); und es ist abzusehen, dass die »angemessenen«
Kosten für die Unterkunft künftig weiter nach unten definiert
werden... * Frank Jäger arbeitet bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen e.V. (BAG-SHI), jaeger@bag-shi.de; www.bag-shi.de (1) Der heutige Sozialhilfe-Regelsatz
für Kinder von 7 bis 13 Jahren (NRW) beträgt: 192 Euro + 24
Euro (Bekleidungspauschale) + 25 Euro (Summe einmalige Leistungen) = 241
Euro, zzgl. 10,25 nicht angerechnetes Kindergeld nach Abs. 2 Nr. 5 BSHG.
In Summe mtl. Haben = 251,25. Demgegenüber beträgt das Sozialgeld
ab 2005 für Kinder von 0 bis 13 Jahren 207 Euro (Kindergeldzuschlag
fällt ab 2005 weg). Differenz: 44,25 Euro (2) Vgl. Helga Spindler: »Kollateralschäden der Gesundheitsreform. Existenzminimumsenkung in der Sozialhilfe«, in: express, Nr. 3/2004, S. 6ff. und Nr.4/2004, S. 12ff. Erschienen im express,
Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
12/04 |