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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Alles wird gut": Wie Norbert Walter und Klaus Martini von der Deutschen Bank ihre Welt schön reden "Alles wird gut", verkündet der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter. "Der deutsche Arbeitsmarkt in Bestform, die Unternehmenszuversicht steigt, die Verbraucherstimmung wird besser. Die Schwellenländer sind im Höhenflug. Lasst uns getrost in die Ferien fahren. Das haben wir verdient", folgert der Herr Professor aus Frankfurt. Und sein Kollege aus der Aktienstrategie, Klaus Martini, macht Nägel mit Köpfen: "Diesmal ist alles anders", verkündet er und denkt dabei an die guten Geschäfte der Deutschen Bank auf dem Kapitalmarkt. "Wir müssen alte Beurteilungsmaßstäbe über den Haufen werden". China treibe das Wachstum an. Kapitalströme aus den Schwellenländern stärken die Finanzmärkte. Die Unternehmergewinne gehen nach oben. Der Dax werde deshalb weiter steigen, bis Mitte 2007 auf rund 9000 Punkte. Vor allem deutsche Aktien sollte man kaufen, denn "vor zwei Jahren noch galt Deutschland als der kranke Mann in Europa, heute ist das Land der heimliche Champion der Globalisierung und eindeutig ein Globalisierungsgewinner". Immer wieder das gleiche Lied: Die Konjunktur bessert sich und schon vergisst die Wirtschafts- und Finanzwelt all die Probleme, die noch vor kurzer Zeit Angst und Schrecken auslösten. So war es Ende 1999 / Anfang 2000, als eine New Economy mit ewig währendem Wohlstand verkündet wurde, so war es am Vorabend der Weltwirtschaftskrise Ende der "Goldenen Zwanziger Jahre" des vorigen Jahrhunderts, als die berühmtesten Ökonomen eine Wirtschaftskrise für undenkbar hielten, und so wiederholte sich der Optimismus in den zyklisch auftretenden Boomzeiten der 60er und 70er Jahre. Das schnelle Vergessen hat mit der kommerziellen Sache selbst zu tun. Wenn die Geschäfte einmal laufen, die Unternehmergewinne, die Managergehälter etc. zunehmen, dann wächst der Optimismus. Jedes gute Jahr ist ein erneuter Beweis für den positiven Trend. Schlechte Stimmung bremst nur den Erfolg. Warum sich unnötig Sorgen machen, wenn doch alles so gut ist? Die gute Konjunktur überdeckt in solchen Zeiten alle Strukturprobleme, wie eine hohe Welle die scharfen Kanten am Strand. Eine Welt, wie die kapitalistische, die sich als Höhepunkt und Endpunkt der Geschichte sieht, vergisst schnell ihre Probleme und hat keinen Blick für die selbst produzierten Widersprüche und Gegensätze. Den Finger in die Wunde ihrer Gesellschaftsordnung zu legen, hieße, ihre innere Gebrechlichkeit erkennen, zu sehen, dass ihrer Existenz nur eine Gnadenfrist gewährt ist. Die Tintenkulis der Geschäftswelt, egal ob sie direkt der Deutschen Bank oder etwas entfernter als Hochschulprofessoren der Geschäftswelt im allgemeinen dienen, haben keine Interesse und werden dazu auch nicht getrieben, die wirklichen Tendenzen des Kapitalismus zu erforschen. Im Gegenteil: Das Bedürfnis der Geschäftswelt besteht gerade darin, neben praktischen Hilfestellungen eine Rechtfertigung für ihr problematisches Treiben zu bekommen. Und unsere beiden Tintenkulis schreiben sich wund, erstens um das Provisionsgeschäft (deshalb optimistische Kapitalmarktprognosen) sowie das Kreditgeschäft (Ausweitung der Kreditvergabe durch günstige Konjunktur) zu steigern und zweitens, um die allgemeine Geschäftsgrundlage vor Kritik zu schützen. Der Auftrag und das Resultat ist hier klar: Der Kapitalismus muss als die beste, einzig mögliche, ewige Wirtschaftsordnung erscheinen, als eine harmonische, gleichgewichtige Ordnung. Seit ihrer Geburtsstunde hat die bürgerliche Wirtschaftstheorie gebetsmühlenartig diese Rechtfertigungslehre verkündet. Dass solche Schreiberlinge überhaupt kein Interesse für das Elend inmitten des Konjunkturbooms zeigen, hat neben den Systemstabilisierenden Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, auch noch mit anderen Dingen zu tun. Es ist nicht nur ihre sehr komfortable soziale Lage, die den Blick für soziales Elend trübt, sondern auch eine Ahnung davon, dass der kommerzielle Reichtum, ihr eigener wie der der Bank, nur dadurch zustande kommt und rasch wachsen kann, weil andere dafür die Zeche zahlen. Die Vermehrung des Reichtums ist Folge einer Politik der Arbeitzeitverlängerung, der Lohnkürzung und der Einbeziehung neuer Arbeitskräfte in die inzwischen boomende Wirtschaft. Im Gegensatz zu den Funktionären des Kapitals können die Lohnabhängigen von den relativ geringen Einkommen gerade mal so leben und besitzen häufig zu wenig, um "getrost in die Ferien zu fahren". Professoren wie Norbert Walter oder andere Funktionäre des Kapitals denken nicht an solche Opfer des Konjunkturaufschwungs, aber die Opfer denken um so mehr an sie, wenn sie mit geballten Fäusten ihr elendes Dasein mit dem komfortablen Dasein solcher Strahlemänner vergleichen. Die jüngste Verteilungsdiskussion wird auch deshalb so heftig geführt, weil genau dieser Gegensatz mehr und mehr ins Bewusstsein tritt: Elend, Not, Verzweifelung als Voraussetzung für den kommerziellen Reichtum der anderen. Wie aus der am 25. Juni veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Kienbaum hervorgeht, verdienten 2005 die Vorstände der 100 größten deutschen Unternehmen etwa 43-mal so viel wie ihre Angestellten. Von Mitte der 70er Jahre bis Mitte der 90er Jahre war es erst das 20-Fache; das Durchschnittsgehalt lag 2005 bei 1,8 Millionen Euro. Der Arbeitsmarkt, der sich gerade in "Bestform" befinden soll, spielt in dem Verteilungskampf eine wichtige Rolle. Die Hartzgesetze und andere "Reformen", auf die Professoren und Unternehmer damals gedrängt hatten, dienen dazu, nicht nur die Arbeitslosen auch noch um das wenige Geld zu berauben, sie zusätzlich unter Druck zu setzen, sondern ebenso dazu, um die Beschäftigten zu disziplinieren, indem man ihnen den sozialen Abstieg in eine noch bittere Arbeitslosigkeit vor Augen führt. Folge davon ist eine Verstärkung des Trends hin zu einer Intensivierung der Arbeit und zur Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichzeitig weniger Gehalt. Der Konflikt bei der Deutschen Telekom bildet hier nur ein weiteres Glied in dieser Kette. "Alles wird gut", sagt der Herr Professor. Er hat zu seinem eigenen kommerziellen Glück selbst beigetragen, indem er mit den Hartzgesetzen wichtige Voraussetzungen für sein Glück und für das der Geschäftswelt geschaffen hat. Aber der Arbeitsmarkt hat noch eine andere wichtige Funktion. Denn wie hätte der kommerzielle Reichtum so rasch vermehrt werden können, wenn es nicht so viele Arbeitslose gegeben hätte, eine Reservearmee also, die jederzeit beim Vormarsch der Geschäftswelt einsatzbereit ist, wie eben eine Reserve im Krieg. Und tatsächlich haben die Unternehmer vom deutschen Boden aus eine Exportoffensive gestartet und das Duell auf den Weltmärkten erst einmal für sich entschieden, so dass ihr Land gerühmt werden kann als "Champion der Globalisierung", als ein "Globalisierungsgewinner". Wie der einfache Soldat im Krieg nur die Lasten trägt, so ist es hier auch im Wirtschaftskrieg. Er wird verheizt, sein Verdienst besteht darin, als Wirtschaftssoldat zu überleben. Zwischen Mitte 2004 und März 2007 schickte die Wirtschaft rund eine halbe Million neue Erwerbstätige in den erfolgreichen Kampf um die Märkte. Aber diese Wirtschaftsoffensive setzte die hohe Arbeitslosigkeit geradezu voraus, und zwar nicht nur, weil die Kampfkraft des Kapitals durch die vom Arbeitsmarkt erzwungenen niedrigen Löhne und längeren Arbeitszeiten gestärkt worden war, sondern auch, weil die nötigen Reserven zur Expansion bereit standen. Hier liegt der tiefe Grund dafür, warum sich Norbert Walter über die Existenz des Arbeitsmarktes samt dem darin enthaltenen Arbeitslosenheer wirklich freuen kann. Die von ihm herausgestellte "Bestform des Arbeitsmarktes" bedeutet nur, dass die Geschäfte besonders gut laufen und dass die Reservearmee durch "Arbeitsmarktreformen" so richtig gedrillt worden ist, um sich ordentlich für die Unternehmer, ihre Funktionäre und Ideologen ins Zeug zu legen. Die Arbeitslosigkeit ist also ebenso wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg, wie die Kriegsreserve für den militärischen. Guenther Sandleben |