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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Das lukrative Geschäft mit den Erwerbslosen Wie sich vermeintliche Sozialunternehmen in der Hauptstadt am System Hartz IV bereichern Von Holger Marcks [*] Der Berliner Arbeitsmarkt ist eng. Durch die aktuelle Krise wird sich die Situation noch verschlechtern. Viele Menschen in der Hauptstadt sind auf staatliche Hilfen angewiesen. Die Jobcenter pumpen Riesensummen in Beschäftigungsmaßnahmen, mit denen Betroffenen Druck gemacht wird, neue Arbeit zu finden. Um das System Hartz IV herum aber ist eine regelrechte Industrie entstanden, die an der Arbeitslosigkeit noch verdient. Vollkommen neu ist das nicht. Die Hans-Böckler-Stiftung hatte bereits in den 90ern darauf hingewiesen, dass sich mit den ABM ein neuer, grauer Markt auftue. Mit den Hartz IV-Gesetzen und v.a. der Einführung der sog. Ein-Euro-Jobs (MAE) hatte sich dieser Trend jedoch massiv verstärkt. Die Investitionen in diesen Sektor sind immens. Fast eine halbe Mrd. Euro gaben die zwölf Berliner Jobcenter im letzten Jahr für diesen Bereich aus. Hinzu kamen hohe zweistellige Millionenbeträge aus Landes- und EU-Geldern, mit denen Projekte über Serviceunternehmen (siehe Kasten) ko-finanziert wurden. Für jeden betreuten Erwerbslosen erhalten die Träger u.a. Fallpauschalen von 200-500 € monatlich. Insbes. die MAE, die seit ihrer Einführung zunehmend die kostenintensiveren ABM verdrängen, eignen sich dazu, schnell viele Erwerbslose unterzubringen. Wo größere Träger z.B. Projekte für Gruppen von 50-100 Leuten auflegen, die wenig Aufwand erfordern (Beispiel: "Spielplatzkümmerer"), wird es für sie lukrativ. Der Berliner Verdi-Bezirkserwerbslosenausschuss deckte bereits 2007 auf, wie sich Unternehmen aus der Normalwirtschaft durch eigens gegründete Tochtergesellschaften oder durch Erweiterung ihrer Gesellschaftsverträge als Träger qualifizieren, um auf diesem Markt tätig zu werden. Zusammen mit anderen, darunter regelrechten Sozialkonzernen, ringen sie um die Aufträge durch die Jobcenter. Bernd Wagner, Stellvertretender Vorsitzender jenes Verdi-Gremiums spricht sogar spöttisch von einer "Träger-Mafia". Seines Erachtens "haben in manchen Jobcentern die Trägervertretungen aus den Bezirksämtern das Sagen". Kenner der Branche meinten gar, dass der Sturz der Geschäftsführung des Jobcenters in Mitte Ende 2008 mit der Einflussnahme des größten Berliner Trägers, Goldnetz, zu tun hat, der sich bei der Vergabe von Aufträgen übergangen sah. In der Tat fällt die Beschäftigungspolitik der einzelnen Jobcenter höchst unterschiedlich aus, befinden sich doch in manchen Bezirken überproportional viele Erwerbslose in Projekten. Glaubt man Wagner, so gäbe es in verschiedenen Jobcentern Beiräte, in denen die Begünstigten solcher Aufträge selbst sitzen und die Projekte einfach abnicken würden. Genaue Zahlen und Auftragslisten der einzelnen Jobcenter zu erhalten, die diese Vermutung bestätigen könnten, erweist sich als schier unmöglich. Die Verschwiegenheit gehört zum Programm der eigenwilligen Jobcenter. Hinzu kommen die Interessenvertretungen der Träger, die ihren Einfluss z.B. in bezirkspolitischen Gremien geltend machen. Laut Bundesarbeitsagentur wurden 2008 in der Region Berlin-Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen (BB/SAT) 400 Vertragsstörungen durch nicht ordnungsgemäß arbeitende Träger sanktioniert. Obwohl der Sanktionskatalog der Agentur z.T. drastische Konsequenzen wie Schadensersatz und Strafanträge vorsieht, bleibt es i.d.R. bei symbolischen und halbherzigen Maßnahmen, um den "Mittelabfluss" nicht zu unterbrechen. Die Jobcenter belassen es häufig bei Mahnungen; Rückforderungen kommen selten vor, von einer schwarzen Liste unseriöser Träger ist nichts bekannt. Auch in der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales sieht man das nicht so eng. Im Ressort Beschäftigungsförderung meint man gar, die Jobcenter würden noch zu wenig Rücksicht auf die Träger nehmen. Diese stünden unter einem hohen Druck, nicht auszubluten und in der Konkurrenz um die Auftragsvergabe zu bestehen. Auch die Interessenvertretungen der Träger nehmen zur Kenntnis, dass es schwarze Schafe in der Branche gebe, halten die bestehenden Kontrollinstrumente jedoch für ausreichend. Laut Frank Holzmann von der Interessenvertretung Freier Träger Marzahn-Hellersdorf, würden Missstände bei der Klientel gelegentlich "intern thematisiert". Ansonsten sehe sich die Vertretung nicht in der Verantwortung. Unabhängig von einem anzunehmenden Profitkalkül mancher Träger stellt sich die allgemeine Kosten-Nutzen-Frage. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden z.B. MAEler im Schnitt später in Arbeit vermittelt als andere Langzeitarbeitslose, ein Sachverhalt, der auch in einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofes 2008 festgehalten wurde. Für die Zuständigen in der Senatsverwaltung liegt dieser "Verpuffungseffekt" u.a. darin begründet, dass die Maßnahmen nicht in Konkurrenz zum 1. Arbeitsmarkt stehen dürften und deshalb keine ordentliche Qualifizierung ermöglichten. Für ihn stehe deshalb die "soziale Stabilisierung" der Erwerbslosen im Vordergrund. Manch einer mag das als zynisch empfinden. Denn sozial instabil sind viele Erwerbslose i.d.R. wegen ihrer prekären Finanzlage. Es ist äußerst bezeichnend, dass die 200.000 Berliner Langzeiterwerblosen jeweils 2.500 € mehr im Jahr hätten, wenn ihnen die Beschäftigungsgelder direkt zugute kommen würden. So aber unterhält sich eine graue Branche allein von öffentlichen Geldern und verkommt zu großen Teilen zum Selbstzweck.
Artikel von Holger Marcks, der am 12.5.09 Tagesthema im ND war, in einer ungekürzten Version |