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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fetisch Arbeit und die GewerkschaftslinkeVon Mag Wompel "Das Bündnis ist tot", sagte DGB-Schulte am 23.4.1996 - das mit Kohl. Zurecht. Die selbst auferlegte Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen und die Bereitschaft Schultes zur Kürzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gegen die Halbierung der Arbeitslosenquote brachten uns jenes 50-Punkte-Programm ein, von dem selbst kritische Gewerkschafter meist nur die symbolische Kürzung der Lohnfortzahlung nennen. Was hinsichtlich der weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen auf Bundesebene nicht klappte, haben betriebliche und regionale Bündnisse erledigt:
Eine gerade veröffentlichte WSI-Befragung von Betriebs- und Personalräten hat ergeben, daß in 24% (Betriebsräte) bzw. 12% (Personalräte) der Unternehmen 'Bündnisse für Arbeit' vereinbart wurden (FR vom 05.01.1999). Gegen Beschäftigungsgarantien oder den Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen gab es Mehrarbeit ohne Zuschläge (15%), Samstagsarbeit und Abstriche bei Sonderzahlungen (10%) sowie Abschläge bei übertariflichen Einkommensbestandteilen (7%). Je nach Branche dürften diese Zahlen noch höher, die Folgen noch härter ausfallen. All diese 'Errungenschaften' haben dazu beigetragen, im Rahmen der Prekarisierungspyramide auch die Lebensbedingungen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zu verschlechtern. Nicht zuletzt die Akzeptanz des auch in Gewerkschaften und Belegschaften breit akzeptierten Lohnabstandsgebots hat hieran ihren Anteil. Und aus all diesen Gründen meint Hundt daher in einem FAZ-Interview: "Bündnisse für Arbeit gehören in den Betrieb" (vom 02.12.1998). Nur Betriebsräte - laut FR vom Silvester 98 die Mehrheit der vom WSI befragten Betriebs- und Personalräte - scheinen daher noch zu glauben, beispielsweise die massive Arbeitszeitflexibilisierung hätte den Beschäftigten mehr Zeitsouveränität gebracht - und nicht den Unternehmen flexiblere Verfügemasse. Von den versprochenen Arbeitsplatzeffekten dieser Arbeitszeitgestaltung wird wenigstens nicht mehr gesprochen. Kann es auch nicht, denn die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitdisposition begünstigen die unternehmerische Politik der 'dünnen Personaldecke': "Damit ist das klassische Instrument der IG Metall, über die Verteuerung der Mehrarbeit Druck auf Einstellungen auszuüben, wirkungslos geworden. Durch die lohnpolitische Neutralisierung der Überstunden werden diese jetzt erst recht zur hauptsächlichen Kapazitätsreserve, werden Einstellungen weitgehend überflüssig.[2] Dennoch streben nach dem ersten Gespräch zur zweiten runde des Bündnisses für Arbeit alle beteiligten Seiten an, ausgerechnet durch flexible Arbeitszeiten Überstunden, die 1998 um rund 20 Millionen gegenüber 1997 angestiegen waren (FR vom 05.01.1999), abzubauen.[3] Gemeint sein kann nur deren Vergütung. Neueinstellungen unter Tarif und sonstige Tarifbrüche sind also längst Bestandteil der gewerkschaftlich geduldeten Tagesordnung - entgegen gewerkschaftlichen Beschlüssen, die z.B. lauten: "Die IG Metall ... lehnt alle Vorschläge zur Einführung untertariflicher Einstiegslöhne für Arbeitslose ab" (Gewerkschaftstag der IG Metall 1995), und entgegen anderslautenden Versprechen: "Wir werden an den Eckpfeilern unserer Grundsicherung, den Tarifen und dem Sozialsystem, nicht rütteln.", so Zwickel (im Interview mit Spiegel 50/1994). Der Abbau von Arbeitsplätzen wie die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen geht - so oder so - munter weiter. Kritische GewerkschafterInnen wußten es längst: "Bündnis für Arbeit? Das hat sich erledigt, Kollege Zwickel!" [4] "Bündnis für Armut und Profit? Nein Danke!" [5] bzw. "gegen ein Bündnis für Armut und Profit!" [6] "Bündnis für Arbeit?: Schluß mit den 'Spitzengesprächen' - Raus auf die Straße!" [7] "Pakt zum Sozialabbau und zur Arbeitsplatzvernichtung" [8] "Sozialabbau im Konsens mit dem DGB: Großbündnis für Standort, Einbindung und Augenwischerei" [9] "Wer einen Pakt halbherzig schmiedet, kommt darin um!" [10] Damit schien alles gesagt, das Thema abgehandelt. Und doch: Zwickel sagt zum erneuten Bündnis "Wir sind bereit" (metall 11/1998), die Gewerkschaftslinke setzt dem ein kategorisches "Kein Bündnis für Arbeit!" entgegen, während die Mehrheit der Deutschen angeblich (immer noch) der Meinung ist, "daß ein Bündnis für Arbeit die Beschäftigungskrise mildern kann."[11] Diese Umfrage erscheint glaubwürdig, denn "bei aller chronischen Unzufriedenheit mit den konkreten Formen und Ergebnissen der 'Sozialpartnerschaft' hat die Masse der Lohnabhängigen immer noch ihre grundlegende Prämisse geteilt, die Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit des (hiesigen) Kapitals zu erhalten. Nicht bloß die Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch die Basis sah und sieht sich daher gezwungen, dem Druck des Kapitals und der herrschenden Meinung nachzugeben, von der unorganisierten Mehrheit der Lohnabhängigen (die die Gewerkschaftslinke gern zu vergessen geneigt ist) gar nicht zu reden."[12] Die Gewerkschaftslinke scheint nicht überzeugen zu können - weil sie nicht die richtigen Argumente hat? Eine falsche Orientierung der Gewerkschaften - ist das so neu?Es macht zwar schwindelig, wie ein Klaus Zwickel mühelos zwischen zumindest potentiell gegensätzlichen Forderungen ("Bündnis für Arbeit und Standortsicherung" von 1995 - 32-Stunden-Woche - "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" von 1998) tänzelt, doch kann dies unmöglich als ein neues Zeichen für die Anpassungsfähigkeit der bundesdeutschen Gewerkschaften interpretiert werden. Sich immer wieder aufs Neue über die Problematik, wer mit wem und gegen wen ein Bündnis eingeht, aufzuregen fällt ebenso schwer, denn die diesen Allianzen zugrundeliegende sozialpartnerschaftliche Orientierung reicht von der 'Konzertierten Aktion' - dem 'Bündnis zwischen Arbeit und Kapital' der sechziger Jahre -, über die innerbetrieblichen Bündnisse der frühen siebziger Jahre und das Flexibilitätsbündnis, in dem die Kampagne für die 35-Stunden-Woche 1984 mündete, bis zu jenem Bündnis für Arbeit I von 1995. Es stimmt: "Zum Verzichten braucht man keine Gewerkschaft".[13] Aber diese Erkenntnis ist genauso alt wie die entsprechende Gewerkschaftspolitik, deren Kontinuitäten bis spätestens Anfang der 50er Jahre, wenn nicht auf Lassalle, 1906 oder 1914-18 bzw. 1933 zurückverfolgt werden können.[14] Wer erschüttert ist, wenn ein neues Bündnis für Arbeit für notwendig erklärt wird, "weil die zügige Verminderung der Massenarbeitslosigkeit und die gezielte Verwirklichung von mehr sozialer Gerechtigkeit am ehesten im Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften möglich ist"[15], der oder die hat lange geschlafen. Eine solche Politik ist auf einen doppelten Gedächtnisschwund angewiesen: nicht nur bei denen, die sie betrifft, sondern auch bei denen, die sie verfolgen. Arbeitsminister Riester, noch vor wenigen Monaten Stellvertreter Zwickels, will neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, auch mit Niedrigtarifen (vgl. FAZ vom 2.12.1998). Ist dies der versprochene Neuanfang nach der Ablösung der Regierung Kohl? Zur Kürzung der Lohnfortzahlung mutmaßt Zwickel: "So etwas passiert bei sozialdemokratischen Regierungen nicht" (FR vom 9.11.1998). In einem Flugblatt des IG Metall-Bezirks Baden-Württemberg schrieb er über die damalige sozialdemokratische Regierung 1981 noch: "Unter dem Vorwand, Mißbräuche zu beseitigen und sparen zu wollen, fährt die Bundesregierung mit einem Mähdrescher über die sozialen Leistungen hinweg!" Ähnliche Erfahrungen hat übrigens einer seiner Vorgänger, Eugen Loderer, 1974 mit der sozialdemokratischen Regierung unter Willi Brandt machen müssen, damals im Rahmen der Konzertierten Aktion. Ähnliche Erfahrungen werden nun auch in Frankreich und Italien gemacht. Wer mit am Tisch sitzen will, muß vergessen können. Allerdings: ob Bündnis für Standortsicherung oder Wettbewerbsfähigkeit - mit diesen Zielen stehen die Gewerkschaftsspitzen mittlerweile offen zur Politik der Standortkriege durch Standortsicherung und machen die wiederholte Entlarvung durch ihre oppositionellen Strömungen überflüssig.[16] "Damit Deutschland wieder stimmt", so die IG Metall-Broschüre zur Tarifrunde '99, will man die "Schlacht für die Arbeit" (L. Jospin) gewinnen. Der (noch) proklamierte Verzicht auf den Lohnverzicht trotz Bündnis für Arbeit wird von der IG Metall und der ÖTV mit der Rolle der Binnennachfrage für die Konjunktur begründet und die soll ja bekanntlich gut für Arbeitsplätze sein. Auch hier ist die IG Metall traditionsbewußt: "Deutschland ist ein starker Standort. Tun wir was, daß es so bleibt", so lautete eine Anzeige der IG Metall im Oktober 1993. Die Arbeitgeberseite hat also wahrlich keinen Grund, "Eingriffe in die Tarifautonomie" oder "eine Entmündigung der Tarifvertragsparteien"[17] zu befürchten. Entsprechend sagt sie jetzt schon zu, nichts zuzusagen: "Aber niemand kann von uns quantifizierte Zusagen über Ausbildungs- und Arbeitsplätze verlangen. Das wäre idiotisch!"[18] Und der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Schartau deutet bereits an, die Gewerkschaft könne nicht in Bonn auf Partnerschaft setzen und in den Tarifverhandlungen "gleichzeitig den Krieg erklären" (zitiert im Spiegel 51/1998). So sieht das Ende vom "Ende der Bescheidenheit" aus, wenn diese Formel nurmehr zur Beruhigung der Mitglieder dient, weil sie sonst den Standort gefährdet. In der Tat: "Die IGM reagiert nur defensiv, läßt sich von den Arbeitgeberverbänden die Problemdefinitionen vorgeben, und daher bleibt ihre Argumentation in allen wesentlichen Momenten der neoliberalen Hegemonie verhaftet" (so in der Studie von Bergmann, Bürckmann und Dabrowski [19]), und nach einer Befragung von Betriebsräten konstatieren die Autoren: "Soviel hat auch noch das letzte IGM-Mitglied vom marktwirtschaftlichen Einmaleins begriffen, daß in kapitalistischen Ökonomien Beschäftigung keine autonome Zielgröße ist und daß die Gewerkschaften, auch wenn ihre Vertreter in den mitbestimmten Aufsichtsräten sitzen, keinen wirksamen Einfluß auf die entscheidenden Größen, Gewinne und Investitionen, haben." [20] Wohl deshalb werden Betriebsräte selbst von VW-Vorstandsmitlgied Hartz gelobt: Die Mitbestimmung habe sich "von der Gegenmacht zur Gestaltungsmacht emanzipiert" (FR vom 18.11.1998). Es ist eine offensive und bewußte Orientierung. Deren Folgen sind bereits 1995 beschrieben worden: "Gestaltungsmacht reduziert sich nur auf Mitgestalten von Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbssituation der Unternehmer, auf Profitsicherung. Angesichts der Weltmarktzwänge kann das nur als Mitgestaltung des eigenen Funktionsverlustes als Gewerkschaft und zu Lasten der Lohnabhängigen funktionieren." [21] Wir als Gewerkschaftslinke konnten damit nicht verhindern, daß die Mehrheit der Lohnabhängigen dieser Politik zustimmt, mangels realistischer und attraktiver Alternativen zur Leiden verursachenden, aber realen Lohnabhängigkeit. Denn in einem Vierteljahrhundert der Gewerkschaftsopposition mußten wir zweierlei lernen:
Hat die Gewerkschaftslinke echte Alternativen?In vielen Diskussionsrunden zum Bündnis Nr. 1, den genannten Gegen-Aufrufen sowie der Debatte um die "Konkurrenz- und Standortlogik" im Anschluß an die TIE-/express-Konferenzen wurde deutlich, daß es gilt, die Ursache, nämlich die alternativlose Akzeptanz der Lohnabhängigkeit, und nicht das logische Symptom 'Sozialpartnerschaft', 'Interessensgemeinschaft' oder 'Bündnis für Arbeit' zu kritisieren.[23] Und doch erklingen auch aus kritischen Gewerkschaftskreisen nur Neuauflagen: "kein Bündnis für Arbeit!", so der "Stuttgarter Aufruf" 1998 (SoZ vom 20.8.1998). Wie bereits im Februar 1996 in einer Erklärung des DGB-Ortskartells Eisenach "Für eine neue Opposition von unten!" wird nun wieder ein Aktionsprogramm von Arbeitern und Angestellten aller Branchen und Nationalitäten sowie von Arbeitslosen gefordert, begleitet durch die "Thesen über die Notwendigkeit einer organisierten linken Strömung in den Gewerkschaften" von Tom Adler und Bernd Riexinger, Mitgliedern des Stuttgarter "Zukunftsforum Gewerkschaften" (vgl. express 9/1998). In der Tat: "Die herrschende Politik der Standortsicherung ist kein Naturereignis und das "Bündnis für Arbeit" ist nicht alternativlos." [24] Und in der Tat sind Appelle an Regierung und Arbeitgeber Ersatz oder Verhinderungstaktik des Widerstandes.[25] Doch wissen wir auch genau genug, wofür wir Widerstand leisten wollen, um zu überzeugen? In den genannten Stuttgarter Papieren wird angestrebt, durch breiten Widerstand gegen die Kapitalerpressungen, außerparlamentarische Mobilisierung und unter Nutzung des angesichts der Gewinnlage der Konzerne vorhandenen Verteilungsspielraums die massiven Verschlechterungen der letzten Jahre rückgängig zu machen. Doch solche, von der Konjunktur abhängigen Forderungen nach Rückverteilung von oben nach unten bleiben auf dem Stand eines Verständnisses von Gewerkschaften als Reparaturbetrieben der 'sozialen Marktwirtschaft' gefangen, auch wenn man sich von einer Verklärung des rheinisch-fordistischen Verteilungskonsenses der 60er/70er Jahre distanziert und den Bedarf nach "grundlegenden Alternativen zur kapitalistischen Marktwirtschaft" betont. Bündnis der (Gewerkschafts)Linken - wofür?"Grundsicherung, gesetzliche Arbeitszeitregelungen, Mindestlohn usw. dies alles sind Stichworte für eine Re-Regulierungspolitik. Nun wird niemand etwas gegen eine Verbesserung der gesetzlichen Regelungen haben, es ist ja nicht alles reformistisches Teufelswerk, was das Leben besser macht. Aber hier drücken sich Gewerkschaften und linke Sozialpolitiker nur gleichermaßen um das Problem: Denn was können die parlamentarischen Sozialpolitiker schon im Gesetzeswerk bewegen, wenn es keine außerparlamentarische soziale Mobilisierung, also Kämpfe gibt?" [26] Doch können wir konsequent Widerstand leisten - auch außerhalb des Tellerrandes traditioneller Großbetriebe und international -, wenn wir auf Arbeit fixiert bleiben und doch nur Lohnarbeit meinen? Wenn wir keine Alternativen finden oder uns nicht trauen, diese auszusprechen? Die Fixierung auf Lohnarbeit fixiert auch dieses System und damit ein grundsätzliches Interessenbündnis für den Erhalt der Lohnarbeit. Da bleibt nur noch, sich auf die Frage der 'Härte' der Forderungen zu kaprizieren und diese zum graduellen Unterscheidungskritierium zwischen traditioneller und linker Gewerkschaftspolitik zu machen. Und dieses erscheint bei der Gewerkschaftslinken als Ruf nach besseren, basisdemokratischen Gewerkschaften und besseren Betriebsräten als besseren, gemeint ist: konsequenteren Stellvertretern der Interessen der Lohnabhängigen - als Lohnabhängige.[27] "Zum Verzichten braucht man keine Gewerkschaft" - wollen die meisten letztlich vielleicht doch verzichten, weil sie keine Alternativen sehen? Denn Arbeit ist in der Tat eine "seltsame Sucht" (Paul Lafargue), und offensichtlich fällt es sehr schwer, sich der Forderung nach Arbeit zu entziehen. Hannah Arendt [28] schrieb bereits in den 50ern: "Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht." Das könnte auch ein Grund zur Freude sein und eine Anregung, auch andere Kompetenzen zu entwickeln. Dennoch wird künstlich Nachfrage nach Arbeitskraft zu schaffen versucht, die das Kapital in immer geringerem Maße braucht. Es braucht allerdings Arbeitswilligkeit - doch brauchen wir Arbeit um jeden Preis? Wie würden wir die gesellschaftlich notwendige Arbeit verteilen und gestalten? Welcher Stellenwert bliebe ihr? Hier sind undogmatische Gewerkschafts(Linke) noch sprachlos. Trotz frühzeitiger (wenn auch nur soziologischer) Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft, z.B. auf dem Soziologentag 1982, ist die Frage nach dem Stellenwert der Erwerbsarbeit für die Menschen nie ausdiskutiert worden.[29] Für viele arbeitende Menschen [30] bedeutet Arbeit einerseits Streß, Lebensverkürzung, zeitlicher/körperlicher Druck, sie macht krank, ist Freiheitsberaubung, Tretmühle. Genannt werden auch Angst vor dem Tag, Angst vor dem Montag, Terror, Haß, Mobbing und die Angst vor Überforderung/Versagen. Freizeit verkommt da zum Ausgleich zur Arbeit und verspricht Erholung, Entspannung, Spaß und Freiheit. Doch der lange Arm der Arbeit wird immer länger und selbst die auf Reproduktion der Arbeitskraft beschränkte Freizeit wird nicht nur immer kürzer, sondern auch immer teurer. Für viele beginnt hier ein Teufelskreis aus Konsum und Überstunden, der es so schwer macht, für Arbeitszeitverkürzung (auch mit vollem Lohnausgleich) zu mobilisieren. Andererseits wissen oder ahnen viele, daß Arbeit auch das Selbstwertgefühl steigern kann, das Gefühl gibt, gebraucht zu werden sowie soziale Bezüge und Kontakte vermittelt. Sie kann Hobby sein, Lebenssinn, Erfüllung, Anerkennung und Bestätigung. Zur Erfüllung dieser menschlichen Bedürfnisse bietet die kapitalistische Gesellschaft Lohnarbeit und/oder Konsum an - beide für die breiten Massen untrennbar miteinander verbunden. Auch deshalb zählen die "Glücklichen Arbeitslosen" zur verschwindenden Minderheit. So sind viele geradezu dazu verdammt, in noch so entfremdeter und prekärer Arbeit die Erfüllung dieser Bedürfnisse zu finden. Kurzfristig müssen wir wohl akzeptieren, daß für die meisten Lohnabhängigen ein bekanntes Übel den Vorteil hat, ein bekanntes und zudem reales Übel zu sein. Auch dies fixiert die Abhängigkeit, obwohl die meisten eigentlich wissen, daß eine diese Bedürfnisse langfristig erfüllende Arbeit keine Lohnarbeit sein kann. Die Suche nach einem besseren Leben wie nach einer besseren Arbeit bedeutet daher die Suche nach einer besseren Gesellschaftsordnung, die wir erst zögernd wieder aufnehmen. Hier hat der Wegbruch einer Systemalternative, die in ihrer Umsetzung ernsthaft nie eine gewesen sein konnte, uns nachhaltig paralysiert. Wird Lohnarbeit aber, weil angeblich alternativlos, gleichgestellt mit Geld, Lebensstandard, Luxus und gilt die Überzeugung, "je beschissener die Arbeit, desto mehr Kompensation brauche ich", bleibt sie ein Disziplinierungsmittel und die berühmte 'Karotte vor dem Esel'. Das Kapital braucht diese Abhängigkeit: "Ihr sollt leben, um zu arbeiten und nicht arbeiten, um zu leben" lautet das erste Gebot. Wird es mißachtet, werden die Pflicht zum Arbeitswillen und der Zwang zur Arbeit eingesetzt: durch die Aufhebung der Zumutbarkeits-Klausel für Arbeitslose, durch die Kürzung der Sozialhilfe bei Ablehnung 'zumutbarer Arbeit' um bis zu 25%, Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Renten etc. Wer lieber arbeitslos bleibt, als McJobs anzunehmen, ist ein Schmarotzer, so einfach ist das. Zwang zur Arbeit ist entwürdigend, ein Zwang zu nicht vorhandener Arbeit hat aber auch etwas Lächerliches an sich. Er ist allerdings kaum noch notwendig, denn Arbeit dominiert mehr denn je das Denken der Menschen, sei es aus Angst, keine zu bekommen, sei es aus Angst, die vorhandene zu verlieren, oder sei es schließlich, weil viele nach Feierabend zu kaum noch etwas anderem in der Lage sind. Das Wie der Arbeit spielt längst keine Rolle, wenn die Arbeit zum Selbstzweck wird: "Arbeit, Arbeit, Arbeit" (SPD im Europawahlkampf 1994) oder "Arbeitsplätze für Millionen!" (MLPD). Selbst von den Betroffenen der Ausselektierung nicht voll 'Funktionsfähiger' wird erwartet, nichts als möglichst bald Arbeit zu haben oder zumindest haben zu wollen. Und in der hart erarbeiteten und teuer bezahlten Vorruhestandsregelung - auf die sich viele perverser- und bezeichnenderweise jahrzehntelang freuen - besteht die Pflicht, sich beim Arbeitsamt zu melden, bei nur 3 Wochen Urlaub. Es ist blanker, von Kontrollbedürfnissen diktierter Zynismus, auf der nun erreichten Stufe der Produktivkräfte den Menschen auch nur eine Halbierung der Arbeitslosigkeit zu versprechen und sie zur Arbeitswilligkeit zu zwingen. Was setzt die Gewerkschaftslinke, die gegen die Betriebsborniertheit wettert, dem entgegen? Ich fürchte, auch wenn wir nun wieder beginnen, nach Organisationsmustern der gesellschaftlich notwendigen Arbeit in der Assoziation freier und gleicher Produzenten zu suchen, daß unser Bild vom arbeitenden Menschen nicht besser oder attraktiver ist. Mit der positiven Abkoppelung von Geld und Arbeit über Einkommen für alle - in der Tat eine Frage, die direkt zu den "Bestandsbedingungen des ökonomischen Systems" [31] führt! - ist die Sinnfrage für die Arbeitssüchtigen allerdings noch nicht vom Tisch. Es ist und bleibt ein ambivalentes Verhältnis zur Arbeit, solange wir für die Arbeitsgesellschaft zugerichtet werden und bleiben. Ein Effekt des ersten Bündnisses lautet aber leider: "Alle zaghaften Ansätze in den Gewerkschaften, (...) nach gesellschaftlichen Lösungen neben und jenseits eines bornierten 'Arbeit um jeden Preis' zu suchen, gehen nun den Bach 'runter." [32] Die Aufgabe lautet daher nun, diese Ansätze zu qualitativen Alternativen wiederaufzunehmen und damit auch das falsche Arbeitsethos der Arbeiterbewegung zu überwinden, denn vom 'Lohn des Schweisses' und der 'ehrlichen Arbeit' ist es nicht weit zur Ideologie des 'gerechten Lohnes'. Bündnis der (Gewerkschafts)Linken - wie und mit wem?In einer aktuellen Glosse heißt es: "Wir brauchen kein Bündnis für Arbeit. Das BÜNDNIS GEGEN ARBEIT steht auf der Tagesordnung." [33] Oder ein, sicherlich langfristiges, Bündnis gegen die Lohnarbeit, für das wir realistische und attraktive Bilder einer gerechten Gesellschaftsordnung (wieder) entwickeln müssen. Der grassierenden Selbstbescheidung, um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden, müssen wir aber bereits kurzfristig ein neues Anspruchsdenken entgegensetzen. Hierzu gehören 'unverschämte' Ansprüche auch an die Qualität der notwendigen Arbeit und Produkte, aber eben nur auch. Ein solches Bündnis gegen lohnabhängige Arbeit und für Arbeits- wie Lebensqualität (nennen wir es doch mal so, da andere Begriffe nun verpönt sind) setzt aber auch voraus, nicht nur wieder Anprüche zu stellen, sondern auch Begriffe wiederzugewinnen. Der wichtigste in diesem Zusammenhang lautet Solidarität. Solidarität - mit wem?Die Massenarbeitslosigkeit bei Arbeitsabhängigkeit erleichtert es den Arbeitgebern, auch den Begriff der Solidarität zu besetzen. Zugleich wird die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen von den Arbeitenden als ein Akt der Solidarität gegenüber den Arbeitslosen eingefordert. Diese Umverteilung zwischen den Lohnabhängigen ist faktisch die Solidarität mit dem Kapital. Es fällt schwer, sich dieser aufgezwungenen Solidarität zu entziehen, weil wir noch keine praktische Alternative entwickelt haben. Trotz theoretischer Bekenntnisse zum "social unionism" werden oft genug auch von linken Betriebsräten Stammbelegschaften gegen 'Fremdfirmenarbeiter' verteidigt. "Verstärkt werden diese Fronten im Massenbewußtsein durch eine Hierarchisierung des Elends, worin leider Linke die größten Meister sind. Argumentationsmuster wie 'Euch gehts ja noch gut, ihr profitiert vom Elend der Armen und Entrechteten' reproduzieren bei den fest Beschäftigten nur das Bewußtsein vom Glück und Privileg: 'Warum soll ich noch kämpfen, wenn es anderen doch noch viel schlechter geht?' (...) Solidarität und Ausgrenzung bestimmen sich nicht danach, wer wo in der Hierarchie des Elends steht, sondern danach, ob und wofür gekämpft wird." [34]] In der Theorie erscheint alles viel einfacher und ist uns lange klar: "Die Notwendigkeit von Gewerkschaften ergab sich aus ihrer Funktion, die Konkurrenz der Lohnabhängigen durch ihren organisierten Zusammenschluß ein Stück weit aufzuheben. Solidarität ist für uns nicht nur ein moralisches Prinzip, sondern lebensnotwendig. (...) Dabei müssen wir Gewerkschaften als Interessenorganisation aller einrichten, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, besonders angesichts der Tatsache, daß immer weniger Menschen einer "normalen" Beschäftigung nachgehen."[35] Doch wie setzen wir es praktisch um? Wir müssen neue Wege für den politischen Alltag finden, ohne uns auch in einer re-regulierten Lohnarbeit einzurichten. Dafür muß das aktuelle "Alle für sich und niemand für alle" durch ein "nicht nur für uns, sondern für uns und Alle" [36] ersetzt werden. Hierfür gibt es bereits gute Ansätze: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen Eure Forderung nach Entfristung
der Arbeitsverträge und zusätzlichen Einstellungen. Auch wenn
Ihr einen Arbeitsplatz habt und wir keinen, haben wir doch dieselben Interessen.
Nur solche solidarische Grundlage, Wege aus der Arbeitsfixierung und eine überzeugende, zu konkretisierende Alternative zur Lohnabhängigkeit machen zusammen aus den Bündnissen für Arbeit endlich kein Thema mehr. Langfassung des in analyse & kritik (ak) 422 vom 21. Januar 1999, S. 21 sowie in express 1/1999, S. 1-4 erschienenen ArtikelsAnmerkungen
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