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Updated: 18.12.2012 15:51
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Recht auf Arbeit - Recht auf FaulheitRecht auf Arbeit - Recht auf Faulheit

So heisst das schöne und reich bebilderte, von Holger Menze, Petra Gerstenkorn und Udo Achten herausgegebene Buch im Klartext Verlag (392 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, Festeinband, Großformat, 39,80 €, ISBN 3-89861-533-2). Siehe dazu:


Recht auf Arbeit, Recht auf Faulheit

Vorwort von Peter Heller

Bei der jahrelangen Suche nach Arbeit muss ich erst einmal innehalten. Klar haben wir ein Recht auf Arbeit. Zumindest ein moralisches. Doch ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Arbeit? Wenn ja, wie durchsetzen? Und wie steht es mit dem Recht auf Faulheit?

Die jahrzehntelange Massenarbeitslosigkeit hat beide Forderungen längst zu zwei Seiten einer Medaille gemacht: für die, die keine Arbeit haben, ein Recht auf vernünf tig bezahlte Arbeit - für die, die sich durch Überstunden kaputt schuften, ein Recht auf mehr Faulheit.

Über die Pflicht zur Arbeit scheint es gesellschaftlich einen breiten Konsens zu geben, vom Stammtisch bis zu den Regierungen. Bei genauem Hinsehen gibt es jedoch große Unterschiede. Wir Arbeitslose und die Gewerkschaften fordern Arbeit, von der wir und unsere Gesellschaft existieren können. Doch quer durch alle Schichten der Bevölkerung gibt es viele, die schwadronieren von der Pflicht zur Arbeit, um Arbeitslose zu diskriminieren. Um zu un-terstellen, die könnten alle arbeiten, wenn sie nur wollten. Dabei müsste es doch im

Gegenzug zur Verpflichtung zur Arbeit den gleichen Konsens für ein verbindliches Recht auf Arbeit geben. Dem ist nicht so. Und: Wenn es eine Pflicht zur Arbeit gibt, in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit jedoch nur für 20 % der Erwerbslosen Arbeit ver fügbar ist - dann müsste es doch für die verbleibenden 80 % ein Recht auf (zeitweilige) Faulheit geben. Das wäre doch logisch.

Gleichwohl hat das Recht auf existenzsichernde Arbeit angesichts wachsender Armut, sinkender Realeinkommen und anhaltender Massenarbeitslosigkeit zumindest bei den Gewerkschaften und der breiten Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Das kann man vom Recht auf Faulheit nicht behaupten. Vielleicht eher schon vom Recht auf Freizeit, Muße und Erholung. Für die Gewerkschaften geht es einerseits um die Begrenzung der täglichen, wöchentlichen und jährlichen Arbeitszeit sowie der Lebensarbeitszeit - sei es per Gesetz, sei es per Tarifvertrag. Andererseits geht es um eine gerechtere Verteilung von Arbeit, um die Verteilung von Produktivitätsgewinnen. Unternehmensverbände haben offenbar sowohl zum Recht auf Arbeit als auch zum Recht auf Faulheit bzw. aufplanbare Freizeit bestenfalls ein allgemeines, abstraktes Verhältnis. Konkret scheuen sie Verbindlichkeiten - sowohl, was das Recht auf Arbeit für alle, als auch, was das Recht auf Faulheit bzw. Freizeit angeht. Ihr Ideal ist eher die billige jederzeitige volle Verfügbarkeit ohne Verbindlichkeit. Kurz: hire and fire.

Ideologen neo liberaler Couleur und einige Erwerbslose haben nach Jahrzehnten der Beobachtung bzw. eigener Erfahrungen das Ende der Arbeit ausgerufen. Gingen vor 100 Jahren angeblich in Europa die Lichter aus, so soll nun die Arbeit ausgehen. Einige folgern daraus ein Recht, andere eine Verpflichtung zur Faulheit. Wieder andere ru fen zur Selbstbeschäftigung auf - sei es in sozialen Projekten im tertiären Sektor, sei es am primären Dienstleistungs- und Warenmarkt. Folgt hier das Bewusstsein dem Sein oder das Sein dem Bewusstsein?

Die Probleme und Themen sind nicht neu. Sie begleiten die Gewerkschaften seit deren Entstehung vor ca. 150 Jahren. Die Landflucht infolge der Veränderung der Agrargesellschaft hin zur Industriegesellschaft; die Stadtflucht im Zeitalter der Dienstleistungsgesellschaft; die derzeitige Automatisierung der Dienstleistungsgesellschaft - immer wieder wurden traditionelle Formen von Beschäftigung dezimiert, ohne dass neue existenzsichernde Arbeit in Sicht war. Massenarbeitslosigkeit und Elend waren die Folgen. Wie haben die Menschen, die Gewerkschaften, die Gesellschaften diese Umbrüche bewältigt? Wie dachte man vor 100 Jahren darüber, wie wird die heutige Situation gesehen? Was sind die aktuellen gewerkschaftlichen Debatten? Welche Handlungsmöglichkeiten wurden damals gesehen und beschritten, welche heute? Einkommen, von denen man leben kann, eine Familie bzw. Kinder ernähren kann. Arbeitszeiten, die Platz für Freizeit und Familie lassen. Arbeit mit guter sozialer Sicherung. Mit Freizeit, die planbar ist. Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen. Eine materielle Sicherung bei Erwerbslosigkeit, die nicht in die Armut führt. Ein Recht auf existenzsichernde Arbeit für alle. Keine Not, kein Zwang - vielmehr Mög lichkeiten, Anreize zur Arbeit.

Wie sinnvoll der Abbau von Überstunden und die Verteilung der Arbeit auf möglichst viele Menschen auch sein mag: Eine Verpflichtung zu Freizeit und Muße dürfte eher als Kuriosität empfunden werden. Doch ist das in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Workaholismus wirklich paradox? Eine Umverteilung von Arbeit bzw. von Arbeitszeiten, die für die einen weniger Arbeit und mehr Faulheit und für die anderen weniger Faulheit und mehr Arbeit bedeutet. Eine andere Kultur von Arbeit und Faulheit.

Dieses Bilder- und Lesebuch enthält zahlreiche Materialien unterschiedlichster Art. Es soll zur Diskussion anregen. Es kann bei unseren erwerbslosen Kolleginnen und Kollegen das oftmals angeschlagene Selbst bewusstsein stärken und die Erkenntnis, dass es nicht unbedingt ihr persönliches Versagen ist, in dieser Situation zu sein.

Dieses Buch muss nicht von vorne bis hinten gelesen werden. Vielmehr möchten wir dazu einladen, hineinzuschauen, herumzublättern, einen genaueren Blick auf dieses oder jenes zu werfen und Konsequenzen zu diskutieren; ob im Sinne von Faulheit und Muße - oder im Sinne von Arbeit.


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