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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Recht auf Faulheit. Nach Paul Lafargue "Recht auf Faulheit" Als Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, 1883 das "Recht auf Faulheit" in einem polemischen Manifest diesen Titels ausruft, wird er meist ignoriert oder im günstigsten Fall belächelt. Zu sehr kippt die Kampfschrift ins Parodistische. Zu sehr nimmt der Text sich selber das Recht heraus, statt zu argumentieren in Traumwelten eines geglückten Lebens zu schwelgen. Im Rückblick erscheinen Lafargues Traumwelten jedoch zum Teil realistisch: Die Maschinen der industriellen Revolution, so Lafargues Pointe, könnten die Tätigkeit der Industriearbeiter weitgehend übernehmen. Davon, dass Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften zumindest nicht mehr Fabrikarbeit sein muss, zeugen Mitte des 20. Jahrhunderts die Verschiebung weg von Fabrikarbeit hin zum Dienstleistungssektor ebenso wie die globale und immer neu ansetzende Suche nach Orten für "Sweatshops", in denen menschliche Arbeit noch billiger als Maschinenproduktivität sein mag. Lafargues eigene Schlussfolgerung von 1883 gerät demgegenüber sehr optimistisch: Allein schon um die von den Maschinen bewirkte Überproduktion zu drosseln und eine Überschwemmung der Märkte mit nicht dem unmittelbaren Lebensunterhalt nötigen Gütern zu verhindern, müsse das Proletariat die Fabriken verlassen - und notfalls gar zur Untätigkeit erzogen werden. Eine den menschlichen Bedürfnissen angepasste Regulierung des ökonomischen Systems werde sich daraus folgerichtig ergeben. Und so bleibt das "Recht auf Faulheit" trotz der zahlreichen Bilder von ausschweifenden Feiern, welche Lafargues Manifest mit melancholischem Unterton aus der vorindustriellen Zeit heraufbeschwört, ein asketisches Recht: das Recht auf einen Freiraum von erzwungener Tätigkeit, aus dem sich ein Recht auf Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisse ergibt. In diesem Freiraum werde sich die Verwirklichung dessen, was den Menschen zum Menschen mache, schon ganz von alleine einstellen - als kreativer Selbstentwurf des eigenen Lebenssinns, nach Abschaffung einer Fremdbestimmung des Menschen. Das "Recht der Faulheit" stellt bloß einen Zwischenschritt dar auf dem Weg zur höheren und höchsten, auf dem Weg zur menschlichen Produktivität. "Muße" als Produktivität Lafargues Manifest überdeckt durch Polemik und Parodie, dass seine ökonomische Theorie voll und ganz auf den Menschen und eine diesem unterstellte Schaffenskraft abzielt. Unterstellt wird, dass die ökonomische Struktur durch einen zwar kollektiven, aber doch am jeweiligen Individuum orientierten Lebensentwurf entscheidend beeinflusst werden könne. Die Arbeitsmoral der Tätigen, mit der die bürgerliche Gesellschaft Arbeit als Lebenssinn und Lebenszweck predigt und durch die auch die "Arbeiterklasse" sich vom "Lumpenproletariat" abgrenzen soll, kippt in eine Moral der Arbeitsverweigerung. Doch ist diese Moral weit weniger umwälzend als Lafargue sie darstellt. Seine regelmäßigen Verweise auf feudale Festkultur deuten es an: Die Untätigkeit des Nichtarbeitenmüssens ist das Privileg des Adels. Sobald im 18. Jahrhundert die Annahme dominant wird, erst seine Produktivität mache den Menschen zum Menschen, beruft sich der sporadisch auftretende Widerspruch von Schlegel bis Nietzsche gerne auf das Bild eines dem Menschen innewohnenden Adels, welcher sich erst im Rückzug von der hektischen Betriebsamkeit des Arbeitslebens verwirklichen könne: etwa im Müßiggang des ungezwungenen Sichausprobierens, in der Muße einer völligen Verweigerung des Tätigsein, die einen Freiraum für Inspiration und Selbstverwirklichung bereit stelle. Lafargues Ansatz verfährt analog, hat aber das Verdienst, zumindest versuchsweise einen Zusammenhang zwischen dieser höheren Produktivität und dem ökonomischen System herzustellen. Lafargues Wiedergänger Mit der seit den 1990ern einsetzenden gesellschaftlichen Flexibilisierung geht eine Uminterpretation der meisten Lebensverhältnisse, auch des Bereichs für Freizeit und "Rekreation", nach Maßgabe der Arbeit (Leistung, Quantifizierbarkeit, zeitliche Durchstrukturierung) einher. Untätigkeit findet sich verstärkt problematisiert: "Es gibt kein Recht auf Faulheit", heißt es von einem sozialdemokratischen Kanzler angesichts der Umstrukturierung des BRD-Arbeitsmarkts im Frühjahr 2001. Erwartbarer Weise bekommt auf der anderen Seite auch die Verklärung der Nicht-Arbeit in all ihren Facetten wieder Konjunktur, angefangen bei politischen Debatten (z.B. in der Bewegung der "glücklichen Arbeitslosen" in der BRD) bis hin zur Lebensratgeberliteratur (auf grandiose Weise etwa in Tom Hodgkinsons Anleitung zum Müßiggang ). Doch auch hier darf die Faulheit kaum je faul sein, nie wirklich unproduktiv; stets dient sie dem Zweck, dass sich in ihr die bessere Zukunft ankündigt: eine Produktivität und Tätigkeit, die sich von den Systemzwängen weitgehend verabschiedet hat. Stets sollen Muße, Faulheit etc. für eine kreative Auszeit von den hektischen Zwängen der Arbeitswelt (und inzwischen auch Freizeitwelt) einstehen, die in einem zweiten Schritt eine höhere Form der Produktivität, den kreativen Selbstentwurf, ermöglichen werde. "Kreativarbeit" etc.: Pufferzonen In der Pervertierung von Lafargues These - die Überforderung der Ökonomie mit Bereitstellung von "Arbeit für alle" führt zu einer Ausweitung des Arbeitsbegriffs statt zu einem "Recht auf Faulheit" - offenbart sich aber auch das Problem einer Definition neu: Was wäre denn nun überhaupt als Arbeit, was als kreative Muße und was als völlig unproduktive Untätigkeit anzusehen? Die Ausgrenzung selbst schwerster körperlicher Arbeit von der Definition von Arbeit, etwa als "Hausarbeit", hat eine lange Geschichte. Aber mit den gesellschaftlichen Umstrukturierungen fordern auch andere Gruppen die Anerkennung ihrer Tätigkeit als Arbeit, etwa die in wechselnden Projekten und Netzwerken aktiven, herumschweifenden Arbeitenden einer "digitalen Bohème": "Wir nennen es Arbeit" - und zwar explizit für jene "kreativen" Praktiken, die für Schlegel, Nietzsche oder Lafargue eindeutig dem Faulsein und Müßiggehen zuzuordnen wären. Der kreative Selbstentwurf, den die Faulheit verspricht, ist inzwischen Produkt auf dem Arbeitsmarkt. Zur Frage stehen hier die Definitionsgewalt und die Anerkennung, die an der Definition von "Arbeit" hängt. Der Kampf zielt jenseits der Einforderung von Gehalt auch darauf, dass der eigene Lebenssinn als sinnvoll anerkannt werden möge - und immer mit Spuren der Lafargueschen Prämisse: dass die Akzeptanz einer bestimmten Arbeits- oder Faulheitsmoral nicht nur gesellschaftlichen Respekt und individuellen Lebenssinn, sondern in einem zweiten Schritt auch eine zumindest "bessere" Gesellschaft bewirken werde. Arbeitsethik wie Faulheitsethos fungieren als Puffer. Sie berauschen sich an der in ihnen unterstellten Selbstermächtigung, während der "Unterbau" unangetastet bleibt - in diesem Falle eine Wirtschaft, die auf Konkurrenz der Produzenten untereinander basiert und, in ihrer offiziellen Variante abseits der "Schattenökonomien", darauf, dass die an ihr Teilnehmenden für ihre Arbeit oder eben Nichtarbeit Lohn oder sonstige finanzielle Vergütungen erhalten. Die Forderung nach Respekt vor dem arbeitenden oder eben faulen Lebenssinn tut, als könnte dieser nicht bloß unabhängig vom Medium des Geldes bestehen, sondern das System der Geldwirtschaft grundlegend verändern. Die Systemzwänge der marktwirtschaftlichen Ökonomie, gegen die Arbeits- wie Faulheitsethiker sich richten, bleiben von beiden unangetastet. Güter bedürfen unter derzeitigen marktwirtschaftlichen Produktionsbedingungen nicht notwendig Herstellung durch Arbeit; digitalisierte Maschinen sind bloß auf minimalen menschlichen Einsatz angewiesen, und digitale Informationstechnologien können sich oft selber reproduzieren. Es bedarf nicht notwendig Lohnarbeit zum Geldverdienen oder zumindest Aufrechterhalten des Lebenserhalts; von alternativen Beziehungsnetzwerken und informellen Ökonomien bis zu Web 2.0-Aktionismus und Aktienspekulation gibt es zahlreiche andere, mehr oder weniger erfreuliche Praktiken . Und es ist möglich, bis zum Verrecken zu schuften, ohne Anteil an Geldfluss und Gütertausch zu erlangen. Arbeits- und Faulheitsethiken sind individuelle oder kollektive Wege, sich in diesem System einzurichten - nicht um es zu verändern. Ein Faulheitsethos wie das Lafargues mag, auch wo es sich wieder in eine Arbeitsethik verkehrt, zum individuellen oder kollektiven besseren Leben beitragen - und zur Illusion der Selbstverwirklichung des eigenen Lebenssinns. Mit der Uminterpretation von Untätigkeit und Muße in "kreative Arbeit" geht dem "Recht auf Faulheit" jedoch ein kritischer Impuls ab. Martin Jörg Schäfer Erschienen im Dossier "Hängematte für alle?" in der österreichischen Zeitschrift Malmoe Nr. 36 des Vereins zur Förderung medialer Vielfalt und Qualität Literatur:
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