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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Heaven can’t wait Harald Rein* zur Kontroverse um Grundeinkommen, Mindestsicherung und Bürgergeld Im letzten express berichtete Anne Alex über die AG zum Thema »Mindesteinkommen für Alle« im Rahmen des Perspektivenkongresses. Mit Harald Reins Referat beginnen wir hier damit, einige Beiträge dieser AG zu dokumentieren. Harald Rein macht deutlich, dass die Forderung nach einem Grundeinkommen allein noch nichts Emanzipatorisches hat, sondern hier Fragen der Quantität – 325 Euro oder 850 Euro –, vor allem aber der Qualität diskutiert werden müssen: Die Forderungen nach einem Grundeinkommen müssen sich zum einen abgrenzen von Grundeinkommensvorstellungen der herrschenden Klasse und zum anderen zu einer Debatte über qualitative gesellschaftliche Veränderungen werden. Seit einigen Jahren werden unterschiedlichste Vorschläge und Vorstellungen zu neuen sozialen Sicherungsmodellen jenseits der auf Grundlage geregelter Lohnarbeit basierenden Sozialversicherungen diskutiert. Sie nennen sich Grundsicherung, Grundeinkommen, Mindestsicherung, Bürgergeld, negative Einkommenssteuer usw. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie eine Reaktion sind auf die Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Arbeitswelt. Stichworte wie Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, Ausbau von prekären Arbeitsfeldern und systematischer Sozialabbau seien hier stellvertretend genannt. Die Diskussion über dieses Thema ist nicht neu, es hat sie bereits in den Achtziger Jahren [1] gegeben und sie erlebte einen kurzen Höhepunkt Ende der Neunziger Jahre mit einem von autonomen politischen Gruppen zusammen mit Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen organisierten Existenzgeldkongress in Berlin, dessen positiver Nachklang auch mit der kurze Zeit später veröffentlichten Neubestimmung eines garantier-ten Grundeinkommens durch André Gorz in seinem Buch: »Arbeit zwischen Misere und Utopie« im Zusammenhang stand. Aber erst seit – trotz aller »Bemühungen« unterschiedlicher Bundesregierungen – Arbeitslosigkeit zum Dauerzustand geworden bzw. zum regelmäßigen Lebensablauf vieler Menschen gehört (dabei sind noch nicht die berücksichtigt, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt von Anfang an »verschlossen« ist oder denen es nur möglich ist, auf illegalem Wege am Lohnsystem der Bundesrepublik zu partizipieren), findet eine breitere, auch öffentlich geführte gesellschaftliche Debatte über Alternativen zu den herkömmlichen Sozialversicherungssystemen statt. Zum Teil auch deshalb, weil die vorherrschenden Konzepte offensichtlich an ihre eigenen ökonomischen Grenzen stoßen. An Vollbeschäftigung glauben nur noch Gewerkschaftsfunktionäre, die von alten Zeiten des unbegrenzten Wachstums industrieller Kernbelegschaften träumen, und Sozialdemokraten oder ähnliche politische Spezies, die daran festhalten, weil ihnen die Aufrechterhaltung der Mär von der Vollbeschäftigung als gesellschaftsstabilisierend erscheint. In der Praxis ist die Antwort der rot-grünen Bundesregierung auf dauerhafte Arbeitslosigkeit die Verschärfung des bürokratischen Repressionsapparats, also der Ausbau autoritärer Staatsstrukturen, die insbesondere bei Arbeitslosen und SozialhilfebezieherInnen Armutsprozesse verstärken. Leistungskürzungen, Ausschluss aus dem Leistungsbezug und Zwang zur Niedriglohnarbeit sind die »Rezepte« zur statistischen Bereinigung zu hoher Arbeitslosenzahlen. Das ganze nennt sich ab 2005 offiziell »Grundsicherung für Arbeitssuchende«. Eine Grundsicherung also, die ihren Namen nicht verdient, ähnlich wie die bereits 2001 verabschiedete »Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung«. Hieraus ergeben sich für uns drei Aspekte für die weitere Diskussion:
Grundsicherung (z.B. Mindesteinkommen, Mindestsicherung, Bürgergeld) Die Grundsicherung ist vom Bedarfsfall abhängig (Bedürftigkeitsprüfung), Erwerbsarbeit hat Vorrang, mit dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt. Es geht um die Sicherung des Existenzminimums (je nach Definition) des Personenkreises, der arbeitssuchend bzw. arbeitslos ist oder aus unterschiedlichen Gründen nicht am Erwerbsarbeitsprozess teilnehmen kann. Mit den jetzigen und den geplanten Reformen sollen die sozialen Sicherungssysteme in diesem Sinne reformiert werden. Sie bleiben bei diesen Modellen von der Struktur her unangetastet. Grundeinkommen (z.B. Sozialdividende) Beim Grundeinkommen besteht ein Rechtsanspruch auf eine
bedarfsunabhängige, ausreichende materielle Absicherung. Bedürftigkeitsprüfungen
und die Abhängigkeit von zu leistenden Arbeiten entfallen. Es wird
an den einzelnen Bürger ausgezahlt. Die Sozialsysteme sollen ersetzt
werden. Was bewegt Arbeitslose, sich mit diesem Thema zu beschäftigen? Je dauerhafter die Massenerwerbslosigkeit anhielt, desto deutlicher wurde die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, jedem Menschen im erwerbsfähigen Alter einen angemessenen Arbeitsplatz oder zumindest eine menschenwürdige materielle Absicherung zu garantieren, und um so häufiger wurde eine Lebensperspektive in Frage gestellt, die ausschließlich die Lohnarbeit als Sinn des Lebens akzeptiert. Hinzu kam das Scheitern des »Realsozialismus« und der Beginn des »Umbaus« des Sozialstaates. Altes musste neu diskutiert und Neues genau analysiert werden. Profit ist das Treibmittel des Kapitalismus, dessen Logik ist nicht die Produktion für den Bedarf, sondern er beruht auf der Aneignung und der Akkumulation von Profit. Diese setzt eine unaufhaltsame Dynamik der Rationalisierung und Produktivitätssteigerung in Gang, an deren Ende der massive Austausch von Menschen durch Maschinen steht. Diese Entwicklung wird von Robert Kurz als »irreversibles Systemversagen« gekennzeichnet. [2] Von 1991 bis 2000 ist die Zahl der ArbeiterInnen in der Industrie in Westdeutschland von 4,9 auf 3,6 Millionen zurückgegangen. Die Produktivität von IndustriearbeiterInnen ist in Deutschland in diesem Zeitraum um über 70 Prozent gestiegen. (Statistisches Jahrbuch 2002) Im Jahr 2000 wurde in den USA die im Jahre 1958 innerhalb einer Stunde produzierte Automenge in weniger als 18 Minuten hergestellt. Die Forderung nach vermehrtem Wachstum bedeutet in ihrer Konsequenz den systematischen Abbau von existenzsichernden Erwerbsarbeitsplätzen. Festzuhalten bleibt außerdem, dass die so genannten
Arbeitslosen zwar erwerbslos sind, aber nicht arbeitslos. In unterschiedlichsten
Feldern sind sie aktiv, z.B. auf den Gebieten Kunst, Erziehung, Selbstversorgung,
Sport, Politik usw., aber für diese gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeiten
erhalten sie keine materielle Unterstützung. Es soll in der Höhe ausreichend sein (nach Berechnung der BAG-SHI 850 Euro plus entsprechende Wohnkosten), es wird bedingungslos an Individuen ausgezahlt, es gilt auch als Mindestlohn, Mindestrente usw. Es gibt ein eigenständiges Finanzierungskonzept sowie eine Begründung zur Höhe des Existenzgelds, das Basis ist für soziale Kämpfe gegen die Agenda 2010, für Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr usw. Und es tritt für ein anderes Gesellschaftsmodell ein. Kriterien für eine Grundeinkommenssicherung ohne Lohnarbeit
Vorschläge, die sich primär am Erwerbseinkommen über den Arbeitsmarkt oder an der Pflicht zur Lohnarbeit orientieren, sind keine Alternative. Sie reproduzieren die kapitalistischen Grundbedingungen der Ausbeutung, der Produktivitätssteigerung ohne positive Auswirkungen für die Betroffenen, autoritäre Formen des Sozialstaates usw. Ebenso wenig sind Vorstellungen zu akzeptieren, die von einer Leistungshöhe ausgehen, die das Armutsrisiko erhöhen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Gesellschaftsanalyse dem jeweiligen Vorschlag zugrunde liegt, welches Menschenbild und welche Vorstellungen von Glück und einem menschenwürdigen Dasein zu erkennen sind (z.B. ob die gesellschaftlichen Spaltungen aufgrund von Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt erträglicher gestaltet werden sollen, etwa durch subventionierte Arbeit). Letztendlich stellt sich damit die Frage, ob es so etwas wie eine Utopie gibt (Leben ohne Arbeitslosigkeit und Armut, ohne Ausbeutung von Arbeitskraft, ohne Ausplünderung anderer Länder etc.) und wie eine gesellschaftliche Perspektive aussieht. Ein garantiertes Grundeinkommen in diesem Sinne
Ein garantiertes Grundeinkommen wird nicht automatisch alle gesellschaftlichen Probleme lösen, dazu gehören bestimmte Voraussetzungen: Wir müssen einen Bewusstseinswandel hin zur Notwendigkeit eines garantierten Grundeinkommens herbeiführen. Wir müssen unsere alltäglichen Lebensverhältnisse (Konsumorientierung, soziale Beziehungen etc.) verändern. Wir müssen, im Sinne von André Gorz, dafür sorgen, dass Arbeitszeit aufhört, gesellschaftlich vorrangige Zeit zu sein. Wir müssen lernen, neue Formen der Gesellschaftlichkeit, neue Kooperationsverfahren, die jenseits der Lohnarbeit soziale Bindungen und sozialen Zusammenhalt schaffen, zu entwickeln und vielleicht müssen wir überhaupt erst wieder lernen, außerhalb der Lohnarbeit tätig zu sein. Dazu gehört auch solidarisches Handeln jenseits von egoistischen Rangeleien.
* Harald Rein arbeitet für das Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ). Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/04 Anmerkungen 1) Eine Diskussion über garantiertes
Grundeinkommen wurde bei den Grünen bzw. im Rahmen der europäischen
Regenbogenfraktion geführt, aber auch libertäre Positionen forderten
es, wie z.B. in der Zeitschrift Alemantschen, oder der 1. Bundeskongress
der Arbeitslosen. |