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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Häppchenweise zum Taschengeld? Ein bedingungslos subjektiver Bericht vom Grundeinkommenskongress (1) In Berlin tagte vom 24. bis 26. Oktober der dritte deutschsprachige Grundeinkommenskongress. (2) Unter den mehr als 600 TeilnehmerInnen waren auch VertreterInnen von Pilotprojekten in Namibia und Sambia. Die Bandbreite der Debatte um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE), an der sich nach den sozialen Bewegungen nun auch Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler und auch Esoteriker beteiligen, spiegelte sich leider auch in den Diskussionen wieder. Nicht leider, weil Diskussionen und Kontroversen unerwünscht wären! Leider, weil die Diskussionen und Kontroversen sich nicht um das BGE, sondern um eine mittlerweile kaum überschaubare Anzahl von Modellen dreht, die die Idee des BGE zunehmend verwässern, wenn nicht gar als Idee ad absurdum führen. Ein Treffen emanzipatorischer BGE-BefürworterInnen am Vortag des Kongresses ging noch weit über die vier den Grundkonsens darstellenden Kriterien der Netzwerke für ein BGE hinaus: individueller Anspruch, in existenzsichernder Höhe, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Gegenleistung. In den Kongressdebatten bröckelte dann die Definition teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Ohne Zweifel hat der dm-Besitzer Götz Werner schon allein durch seinen medialen Einfluss viel dazu beigetragen, dass die Debatte ums BGE die Zirkel der Erwerbslosen oder radikalen Linken verlassen hat. Auch ist seine Rhetorik - "Hartz IV ist offener Strafvollzug" - für einen Kapitalisten sicherlich ungewöhnlich. Doch rechtfertigt die Bekanntheit des Anthroposophen, dass in der Öffentlichkeit sein unklares, aber eindeutig unternehmerfreundliches Modell der Konsumsteuerfinanzierung mit der Idee des BGE gleich gesetzt wird? Und berechtigt ihn seine Popularität, von den KongressveranstalterInnen die stille Akzeptanz seines Interviews mit der Jungen Freiheit zu verlangen und sie zur Bedingung für seine Teilnahme zu machen? Nicht erst in meinem Kongressbeitrag gehe ich - als Kritikerin der BGE-KritikerInnen auch in der Gewerkschaftslinken (3) - davon aus, dass die Stärke der BGE-Idee nicht in der Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit durch drastische Umverteilung und Abschaffung überflüssiger, menschenverachtender Jobs liegt, sondern vor allem in der Option der faktischen Abschaffung der Lohnabhängigkeit. Diese wäre durch das Kriterium einer wirklich existenzsichernden Höhe des BGE gegeben, aber nur, wenn es ein individueller Rechtsanspruch für alle wird, insbesondere die Lohnabhängigen! Realisierbar ist, wofür wir kämpfen! Diese befreiende - und den Kapitalismus direkt angreifende - Option ist aber in vielen der diskutierten Modelle nicht gegeben. Sei es Werners "Wellenmodell", beginnend für Kinder und RentnerInnen, später erst für alle (und längst nicht in existenzsichernder Höhe); sei es das "Häppchenmodell" aus Minderheitskreisen der SPD, das Grundeinkommen nur schrittweise auf einigermaßen existenzsichernde Höhe zu steigern - sie opfern die Idee der Befreiung vom Lohnarbeitszwang für ein quasi Taschengeld zur schnellstmöglichen Akzeptanz bei den BGE-KritikerInnen. Wer aber um das kapitalistische System, dessen bisherige Profiteure oder die Arbeitsmoral in einem Ausbeutungssystem fürchtet, wird auch durch Taschengeld oder eine faktische Erhöhung von Kindergeld, Rente oder ALG II nicht vom Skandal des Lohnarbeitszwangs überzeugt werden. Keine Missverständnisse: Erhöhung der Sozialleistungen - auch für MigrantInnen! - gerne, dann aber sofort und nicht als BGE! Irgendein BGE kann nicht zur Debatte stehen - dessen Höhe muss echte Unabhängigkeit von Lohnarbeit gewährleisten. Wellen- und Häppchenmodelle nehmen auch ebenso falsche Rücksicht auf Interessen und Ängste hinsichtlich der Finanzierbarkeit - von der Gefahr der Umschichtung der ohnehin zu geringen Sozialleistungen ganz zu schweigen. Leider wird in der Debatte um ein BGE so getan, als würden hier zusätzlich horrende Kosten entstehen. Zusätzlich sind diese Kosten aber nur, wenn sie nicht durch Umverteilung ausgeglichen werden; oft genug gehen auch linke BefürworterInnen dieser Tatsache aus dem Weg. Dabei zeigt gerade das aktuelle Rettungspaket für die Banken (weltweit), wie einfach drastische Umverteilung möglich ist - wenn sie gewollt ist und von uns geduldet wird - und wie dringend ein BGE angesichts dieser neuen Umverteilung von unten nach oben noch sein wird. Und dass ein BGE nur global denkbar ist. Doch bei den TeilnehmerInnen des Kongresses schien die Tendenz zu einem vorsichtigen Einstieg zu überwiegen, z.B. zu einer Konsumsteuerfinanzierung à la Götz Werner, die die Ärmsten belastet. Dabei sind m.E. erregte Dispute über die BGE-Finanzierung innerhalb kapitalistischer Vorgaben überflüssig. Alle detaillierten Finanzierungspläne haben bisher aufgezeigt: Entweder stellen sie das System (unausgesprochen) in Frage oder das System stellt die Finanzierungspläne in Frage. Die Frage ist dabei eine andere und ganz einfach: Was will ich, was ist wichtiger? Den Erhalt oder gar die Rettung des Kapitalismus mit ein bisschen Bekämpfung der sich drastisch verschärfenden Armut oder ein ausreichend hohes BGE, um alle vom Lohnarbeitszwang und Erwerbslosigkeit zu befreien? Es lässt sich alles finanzieren, was die Menschen brauchen und wollen, und realistisch ist, wofür wir kämpfen. Ein wirklich emanzipatorisches BGE dreht sich dabei gar nicht ums Geld. Es dreht sich um bedingungslose Befreiung von Existenzangst und um bedingungslosen Zugang zur breiten sozialen Infrastruktur, die schrittweise die Geld- und Warenform verlassen hilft. Doch wie soll der Kapitalismus mit kapitalistischem Denken überwunden werden? Gerade angesichts der aktuellen Finanzkrise hätte der Kongress weniger über Geld und Ängste und mehr über bedingungslose Ansprüche und Rechte debattieren sollen. Bericht von Mag Wompel aus ak - zeitung für linke debatte und praxis vom 21.11.2008 - wir danken der Redaktion Anmerkungen: 1) Da die Autorin am Eröffnungspodium teilnahm und zwei Workshops moderierte, kann hier nur eine selektive und subjektive Einschätzung erfolgen. 2) Programm, Thesenpapiere und erste Berichte siehe 3) Mag Wompel (2007): Realisierbar ist, wofür wir kämpfen. Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) - eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit. In: graswurzelrevolution Nr. 322, Oktober 2007 ak - analyse & kritik |