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Updated: 18.12.2012 15:51
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Daniel Kreutz
Manuskript zur Veranstaltung am 10.10.2006 in der ver.di-Bildungsstätte Lage-Hörste

"Bedingungsloses Grundeinkommen" - Kritik und Alternativen

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

als erstes möchte ich darauf hinweisen, dass sich unter der Überschrift "bedingungsloses Grundeinkommen" ganz gegensätzliche Richtungen zu Wort melden. Da gibt es nicht nur solche von links, die das für ein Konzept zur Überwindung von Armut und für soziale Emanzipation halten, sondern da gibt es auch solche von rechts, aus der neoliberalen oder arbeitgeberorientierten Ecke, die damit die Löhne senken, den Zwang zur Annahme von Billig-Jobs verstärken und den Sozialstaat ganz abschaffen wollen. Die sind meistens inspiriert von der Idee eines "Bürgergelds" oder einer "negativen Einkommensteuer", die von Milton Friedman stammt, dem Vordenker des Neoliberalismus. Dazu zähle ich den Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Straubhaar, der damit die Sozialversicherung abschaffen will; den thüringischen Ministerpräsidenten Althaus von der CDU, der mit seinem Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens das Grundsatzprogramm der CDU bereichert; oder den milliardenschweren Chef der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, der offen sagt, das die Löhne um den Betrag des Grundeinkommens gekürzt werden sollen und der zugleich sämtliche Unternehmens- und Einkommenssteuern abschaffen will, indem die Mehrwertsteuer auf 48 Prozent hochgetrieben wird.

Es ist allerdings nicht so, dass die linken Grundeinkommensbefürworter allergrößten Wert darauf legen würden, mit denen nicht in einen Topf geworfen zu werden. Eher wird da alles begrüßt, wo "bedingungsloses Grundeinkommen" draufsteht, egal was drin ist.

Damit wir wissen, wovon die Rede ist, kurz die Eckpunkte :

Das bedingungslose Grundeinkommen - abgekürzt BGE - soll ein garantiertes steuerfinanziertes Einkommen sein,

  • das vom Staat sämtlichen Bürgerinnen und Bürgern ausgezahlt wird, vom Ärmsten bis zum Reichsten,
  • und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung - also ohne zu fragen, ob es als Schutz vor Armut benötigt wird, oder ob ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist,
  • und ohne Arbeitszwang - man soll also auch sagen können: ich will keine Lohnarbeit, mir reicht das BGE.

Der Punkt, mit dem sich die Linken von den Rechten unterscheiden, wenn es um die Zahlen geht, heißt: das BGE soll hoch genug sein, um Einkommensarmut zu vermeiden - also auf alle Fälle deutlich höher als Hartz IV.

Die ganze Idee basiert auf der irrigen Meinung, eine Perspektive für eine neue Vollbeschäftigung, das heißt der Möglichkeit für alle, einen existenzsichernden Arbeitsplatz zu bekommen, sei objektiv unmöglich. Der Gesellschaft gehe in Folge fortschreitender Rationalisierung die Erwerbsarbeit aus; die dauerhafte Spaltung in Erwerbstätige und Erwerbslose sei unüberwindbar. Ich halte das für eine irrige Meinung - um nicht gleich "Unsinn" zu sagen.

Erstens bedeuten Produktivitätssteigerungen nicht von sich aus, gleichsam naturgesetzhaft, dass die Arbeitsplätze weniger werden. Vielmehr liegt dazwischen die entscheidende Frage, für welche Zwecke die Produktivitätsgewinne genutzt werden. Werden sie von den Arbeitgebern angeeignet, indem Leute entlassen, Arbeitsplätze abgebaut und noch dazu die Sozialversicherungen geschwächt werden? Oder werden sie genutzt, um die Arbeitszeit für alle zu verkürzen - bei gesicherten Einkommen?

Zweitens bleibt ausgeblendet, dass heute ein Großteil dringend nötiger gesellschaftlicher Arbeit liegen bleibt, weil der Markt sich dafür nicht interessiert und die öffentlichen Kostenträger sie wegen der falschen Verteilung des Reichtums nicht bezahlen können. Das betrifft vor allem Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, zum Beispiel das Erziehungs- und Bildungswesen, die Jugend- und Familienhilfe, die Altenpflege, die Wasserver- und -entsorgung, den öffentlichen Personenverkehr, die Kultur - aber auch die energetische Sanierung des Wohnungsbestands, den ökologischen Umbau der Landwirtschaft, den Aufbau der Solarwirtschaft, die Verallgemeinerung umweltverträglicher Produktionsverfahren und Produkte, und, und, und.

Ich kann keinen plausiblen Grund dafür erkennen, warum eine neue Vollbeschäftigung nicht möglich sein soll, wenn man bereit ist, die heutigen kapitalistischen Macht- und Verteilungsverhältnisse in Frage zu stellen - was ja die linken BGE-Befürworter für sich auch reklamieren.

Wenn wir heute für einen gesetzlichen Mindestlohn streiten, dann deshalb, weil wir sagen: der Arbeitgeber hat die Pflicht, für Vollzeitbeschäftigung einen Lohn zu zahlen, von dem man leben kann, und zwar oberhalb der Armutsgrenze. Das wurde übrigens in der Gründungszeit unseres früheren Sozialstaats auch in die Landesverfassung von NRW geschrieben. Da steht in Artikel 24 Absatz zwei: "Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie sichern." Und der "angemessene Lebensbedarf" ist hier allemal mehr als der "notwendige Lebensunterhalt" des Sozialhilferechts.

Was würde nun passieren, wenn der Staat die Garantenpflicht für die armutsfeste Existenzsicherung aller BürgerInnen übernehmen würde? Die Löhne würden entsprechend gekürzt. Sie wären dann ja nur noch "Zuverdienst" zum BGE, zum bedingungslosen Grundeinkommen. Es gäbe überhaupt keine Begründung mehr dafür, warum Arbeitgeber existenzsichernde Mindestlöhne bezahlen sollen. Dafür ist ja dann der Staat zuständig. Was kommt dann raus? Kombilohn für alle Beschäftigten. Der Arbeitgeber braucht nur noch den Teil des Lohnes zu bezahlen, der über das Existenzminimum hinausgeht. Das kann man wollen oder auch nicht. Aber das bleibt die faktische Wirkung auf das Lohnsystem, wenn die Zuständigkeit für die Existenzsicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - und damit gleichsam ein Teil der Lohnzahlungspflicht - vom Arbeitgeber auf den Staat übergeht, das heißt auf die Steuerzahler.

Das gleiche passiert bei allen Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung , also bei der Rente, beim Arbeitslosengeld I oder beim Krankengeld. Soweit die nicht gleich ganz abgeschafft werden sollen, werden alle Ansprüche unterhalb des Grundeinkommens überflüssig. Die Sozialversicherung schrumpft bei den Lohnersatzleistungen auf eine "aufstockende Zusatzversicherung".

Es wird behauptet, beim BGE gebe es keine Bedürftigkeitsprüfung . Aber das ist falsch. Tatsächlich verlagert sich die Bedürftigkeitsprüfung lediglich von Sozialbehörden auf die Finanzämter. Wieso das? Weil das BGE ja im Wege der Besteuerung bezahlt werden muss. Deshalb wird es denen, die wegen ausreichender eigener Einkommen der Besteuerung unterliegen, mit der Steuerschuld wieder abgezogen. Und wenn das Finanzamt somit säuberlich zu unterscheiden hat zwischen denen, die Netto-Empfänger des Grundeinkommens sind, und denen, die Netto-Zahler sind - was ist das anderes als eine säuberliche Unterscheidung von Bedürftigen und nicht Bedürftigen? Dass es sozial gerechter zugeht, wenn das Finanzamt die Bedürftigkeit prüft, das mag glauben, wer will - ich gehöre jedenfalls nicht dazu.

Und was ist mit dem Schutz vor Armut? Die Linken wollen, dass das BGE dafür hoch genug ist. Aber sie sind ja alle Realos genug, um immer zu unterstreichen, dass das ja nicht auf einen Schlag gehe, dass man da wohl erstmal klein einsteigen müsse. Zum Einstieg sind da durchaus Kompromisse mit dem rechten Flügel vorstellbar, die näher am erbärmlichen Leistungsniveau von Hartz IV liegen, als an dem, was zur Vermeidung von Armut notwendig wäre.

Was wir tatsächlich und dringend brauchen , ist die Durchsetzung

  • erstens des Anspruchs gegen die Arbeitgeber, das man von seinem Vollzeitlohn ohne Armut leben kann, also eines entsprechenden Mindestlohngesetzes.
  • zweitens des Anspruchs derer, die keine Arbeit haben, auf ein menschenwürdiges Leben. Das heißt auch: auf ein Leben ohne Armut und sozialen Ausschluss. Tatsächlich ist es in Folge von Artikel eins Absatz eins Grundgesetz - Schutz der Menschenwürde - die Pflicht eines Sozialstaats, eine Mindestsicherung zu gewährleisten, mit der niemand unter die Armutsgrenze rutscht.
  • Drittens brauchen wir eine Reform der Zumutbarkeit, die sich an sozial regulierten Beschäftigungsverhältnissen ausrichtet und das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit berücksichtigt und die damit den Zwang zur Annahme von prekären Billig-Jobs und den neuen Arbeitsdienst der so genannten "Ein-Euro-Jobs" beendet.
  • Und viertens brauchen wir dringend den Einstieg in eine neue Politik zum Abbau der Massenerwerbslosigkeit - mit öffentlichen Investitionen, Stärkung der Massenkaufkraft und Arbeitszeitverkürzungen.

Zur Finanzierung dieser dringenden Reformen ist der gigantische privatisierte Reichtum von Unternehmen und Vermögensbesitzern heranzuziehen, wie es dem Verfassungsgrundsatz von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums entspricht.


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