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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Es muss Silber und Pink sein: Unterwegs mit Taktischer Frivolität Beitrag von Kate Evans erschienen in "Notes from Nowhere (Hg.): Wir sind überall - weltweit.unwiderstehlich.antikapitalistisch" [*] in der deutschen Erstausgabe, aus dem Englischen übersetzt von Sonja Hartwig, Dietlind Falk und Eva-Maria Bach, mit einem Vorwort von Naomi Klein, erschienen in der Edition Nautilus, 550 Seiten, mit über 150 S-W-Fotos, Preis: € 19,90 und der
ISBN 978-3-89401-536-7 London. Zwölf Frauen, zwei LKWs, zwei Männer, ein wirklich nützlicher Journalist. Mir fällt auf, dass etwas anders ist. Normalerweise kommen die Menschen mit nur einem kleinen Tourenrucksack. Diesmal nicht. Jeder hat alles Mögliche mitgebracht: Zeltstangen, Nähmaschinen, Zapfanlagen, Alufolie, Platzdeckchen, Erste-Hilfe-Ausrüstung, Klebeband, Leim, alles, wovon sie meinen, es könnte nützlich sein plus persönlichen Tand. Der gesamte Kram liegt durcheinander auf dem Boden meines LKWs. Scheiße. Das ganze Zeug ist schlecht gepackt gewesen. Wir fuhren nach Calais in einem Fahrzeug, das sich fünf Grad nach links neigte. Calais. Wir waren schon ziemlich kaputt. Wir parkten auf einer Sanddüne, um für 15 Personen Frühstück zu machen. Carla vollbrachte mit dem Haufen Krempel wahrhaftige Wunder; sie wies unbarmherzig den verfügbaren Platz zu, faltete, sortierte, quetschte Sachen in die Ecken und bereitete uns einen fast bewohnbaren Raum in der Mitte. Das war toll, aber für den Rest der Reise mussten wir sie ständig fragen, wo was zu finden war. Die anderen liefen zu den Dünen in die Sonne hinüber, schleppten haufenweise Klamotten und Stoff. Das war ein unglaublicher Anblick; überall auf den Hügeln lagen Dinge in funkelndem Silber und grellem Pink. Wir zogen silberfarbene Leggings heraus, flauschige Westen, Kleider, Socken, Handschuhe und hielten sie uns gegenseitig an. Das würde ganz schön albern werden. Das würde ganz schön gut werden. Der Journalist wanderte in der Peripherie umher, kaute auf seinem Stift und machte sich Notizen: »Den ersten Abend verbringen wir am Strand außerhalb Calais'. Um 11 Uhr morgens stoppen drei französische Botaniker, die das Leben der Dünen studieren, verblüfft ihre Untersuchungen. Hundert Meter weiter führten die Frauen Priscilla, Königin der Wüste auf. Es werden Säcke mit pinken und grauen Klamotten, Glitter, Heidi-Kostüme, Pailletten, Stringtangas, BHs, Pelz, Samt, Lycra, riesige Kostümstrukturen aus Metall, Flügel, Accessoires und Hüte aus dem LKW gezogen. Die Fahrt ging sehr schnell. Um sieben Uhr aufstehen, um zehn Uhr losfahren. Zwei LKWs fuhren im Konvoi, der eine gab die Strecke vor, der andere folgte ihm. Spät abends parkten wir unter einem Baum, auf einem Feld mitten im Wald, machten ein Feuer, einige sangen, andere unterhielten sich, wieder andere weinten. Kurz vor der tschechischen Grenze wurden wir von der Polizei angehalten, aber sie waren über unsere Gesänge und die cleveren Tanzeinlagen sehr amüsiert. Sie überprüften unsere Pässe und winkten uns durch. Sie dachten sich: Lassen wir die das Problem der tschechischen Polizei sein. An der Grenze wurde alles anders. Viel kälter. Wir fühlten uns mit unseren zusammengewürfelten, silbernen Klamotten plötzlich ziemlich doof. Und wir froren erbärmlich. Die Männer in Schwarz zogen mich aus meinem Truck und durchsuchten ihn Zentimeter um Zentimeter nach Drogen, was mich total verrückt machte, denn sie hätten irgendwas da hinlegen können. Sie schüttelten argwöhnisch mein Döschen mit homöopathischen Mitteln, inspizierten mein St.-John's-Wort-Öl (ich hoffe, das hat sie erheitert), und stoppten ihre Untersuchung, kurz bevor sie die Schublade entdeckten, in der ich meinen pinken, genoppten Vibrator aufbewahre, für den ich sehr dankbar bin. Sie sagten uns, dass wir nicht in die tschechische Republik einreisen dürften, es sei denn, wir hätten Geld für unseren Aufenthalt. Max zog wie durch ein Wunder £ 900 aus seiner Gesäßtasche, die er nicht in seinem Zimmer in dem besetzten Haus hatte lassen wollen, in dem er wohnt. Sie erklärten, dass unsere Fahrzeuge nicht straßentauglich seien. Wir stellten klar, dass der große schwarze Fleck unter Mels LKW kein Öl, sondern eine Pfütze Spülwasser war. Sie sagten, sie wollten keine Camper in der tschechischen Republik (als ein Winnebago-Wohnmobil an uns vorbeibrauste) und wollten unsere Gerätschaften und Messer konfiszieren. Ich versteckte meinen Universalschraubenschlüssel in meiner Socke, als der Journalist zum Zollbeamten hinüberging, ihm seinen Presseausweis und seine Akkreditierung zur Weltbank-Konferenz zeigte und fragte, ob sie auch ihn nicht einreisen lassen wollten. Der Gesichtsausdruck dieses armen Mannes wurde immer verzweifelter. »Aber Sie sind doch nicht . mit denen unterwegs?«, flüsterte er ungläubig. Der Journalist antwortete, dass dem so ist. Und wir durften einreisen. Das gab den Ton an für unser Verhältnis zu den tschechischen Behörden. Die Polizei kam an diesem Abend an unserem Parkplatz vorbei. Am nächsten Nachmittag folgten uns höchstwahrscheinlich Zivilpolizisten auf unserem Weg nach Prag. Wir wurden noch zwei Mal angehalten, bevor wir einen Campingplatz fanden und uns die Geheimpolizei ganz offensichtlich in ein Pub folgte. Wir führten Buch darüber, wie oft wir gebeten wurden, unsere Pässe zu zeigen. »Das hilft dir dabei, dich sicher zu fühlen«, sagte Kim. »Mm«, stimmte Ronni ein, »wir werden sicher nicht überfallen oder ausgeraubt.« Die permanente Verfolgung strapazierte befreundete Aktivisten. Als wir in Prag ankamen, riefen wir bei der Nummer an, die auf dem Flugblatt stand. Man sagte uns, wir sollten das Auto nicht an der Straße oder auf einem bewachten Parkplatz stehen lassen, es würde beschlagnahmt werden. Was uns überhaupt einfiele, unseren kompletten Hausrat mitzubringen? Und jemanden (der für diese Operation einen Decknamen benutzte) in einem Chinarestaurant gegenüber einer gewissen U-Bahn-Station treffen, um dort weitere Instruktionen zu erhalten, da es unsicher war, sie über das Telefon zu übermitteln. Blöde Heimlichtuerei. Einige von uns gingen los, um Agent Paranoia zu treffen, die meisten gingen zum Waschsalon und ich hielt im Innern des LKWs ein Nickerchen. Wo sollten wir unsere Fahrzeuge parken? Ich hatte gedacht, es würde von Vorteil sein, mein Heim mitzubringen, nicht, dass es eine Belastung darstellen könnte. Wir mussten feststellen, dass wir nicht erwarten konnten, mitten in Prag einen Wohnwagenplatz zu finden. Hausbesetzung war illegal; Campingplätze waren teuer; wir konnten nicht mal eine Stunde lang am Straßenrand parken, und immer, wenn wir weiterfuhren, wurden wir kontrolliert. Es sah tatsächlich so aus, als würde ich den 26. September damit verbringen, auf meinen Laster aufzupassen. Dann holte uns das Glück wieder ein. Freunde erzählten uns von Ladronka, einem verfallenen besetzten Bauernhof inmitten eines Parks im Westen der Stadt. Mit einem Innenhof (hihi). Es wohnte dort eine unbestimmbare Anzahl von Menschen, die sich an den Protesten nicht wirklich beteiligen wollten, um nicht ihr Haus zu verlieren. Wir trafen sie dennoch und glücklicherweise waren alle von Carla begeistert. Also nahmen sie uns auf. Das Konvergenzzentrum öffnete seine Pforten und füllte sich mit Aktivisten aus der ganzen Welt, mit vielen sexy, tollen Leuten! Die wertvolle Zeit, die wir zum Kontakte knüpfen hätten nutzen können, vergeudeten wir leider mit langwierigen, etwas witzlosen siebenstündigen Besprechungen in fünf Sprachen. Darin wurde besprochen, wo wir an dem Tag sein würden. Was wir nicht besprachen, war, was wir tun würden, wenn wir dahin gekommen waren, worauf wir uns nicht einigen konnten. Und ich glaube, das war gut so, denn so hatten wir keine langwierigen, entzweienden und etwas zwecklosen Diskussionen über Gewalt und Gewaltlosigkeit, oh Mann! Und darüber, was Gewalt eigentlich ist, wenn der Staat jeden Tag Menschen tötet, oh Mann! Und die Weltbank isst Dritte-Welt-Kinder zum Frühstück, und wenn sie dafür gesteinigt werden, hey! Es ist ihre Schuld. Aber es wäre natürlich schöner, wenn man ihnen symbolisch eine Blume ans Revers heften würde. Mann, ich war froh, dass wir diese allgemeine Debatte über >flauschig< gegen >stachelig< vermieden hatten, aber danach wünschte ich mir, dass meine Bezugsgruppe darüber geredet hätte, was wir vor den Polizeiketten machen würden. Zurück in Ladronka, braust aus dem hinteren Teil des Lasters ein pink-silberner Tumult auf. Vi verwandelte sich in einen Schmetterling, Dee in einen Vogel; Ronni hatte ein riesiges spiralartiges Kostüm mit einem Rock aus gepunktetem Stoff und dem Zauberstab einer guten Fee entworfen. Caz begann mit dem Bau von drei Meter langen Federschweifen, wie sie die brasilianischen Sambatänzer im Karneval tragen. Der halbe Hof war damit bedeckt. Eine 60 cm hohe Marie-Antoinette-Perücke, ein silbern funkelndes Superman-Kostüm, ein bis zum Boden reichendes Ballkleid aus Lametta. Natalie trug pinke Schienbeinschoner und einen Soldatenhelm; Jane war ein schuppiges, silbernes Wesen mit Fledermausflügeln. Die Kerle im Haus schlichen von Zeit zu Zeit an uns vorbei und warfen uns irritierte bis ungläubige Blicke zu. Eines Nachmittags saßen wir in der schräg stehenden Herbstsonne über unsere Nähmaschinen gebeugt auf dem Hof, um uns herum breiteten sich pinke Gegenstände und zerknitterte Silberfolie auf dem Hof aus. Plötzlich tauchte über den Häuserdächern ein Polizeihubschrauber auf, der mit einer Kamera bewaffnet zwei Kilometer über uns in der Luft kreiste. Das muss ein Bild gewesen sein. Es wurde Dienstag. Wir putzten uns heraus. Wir waren spitze. Wie die Aktion war? Sie war pink. Unsere komplette Demo war pink. Wir staffierten so viele Menschen in einer total albernen, harmlosen Farbe aus und das nur, weil Caz einige Monate früher durch einen Gebrauchtwarenladen gegangen war und gedacht hatte: »Es muss Silber und Pink sein.« Eine Aktion in einem Karnevalskostüm zu machen ist verrückt. Für die Frauen, die den durch die Bank männlichen Bereitschaftspolizisten gegenüberstehen, ist es eine Art ihre Verletzlichkeit auszunutzen, sie darauf aufmerksam zu machen, dass wir Menschen sind, nicht nur Dinge, auf die man einprügeln kann. Wir wurden trotzdem alle geschlagen, aber es gab auch einige bezaubernde Momente. Caz in ihrem riesigen Silberkostüm hinkte hinterher, als die anderen anfingen zu rennen. Mit ihrer pinkfarbenen Haarpracht und den voluminösen Röcken war sie eine Art Aushängeschild unserer Demonstration, eine Frau, allein. Sie stand vor einer Bullenkette und sie wurde nicht geschlagen. Einen Moment lang war es so, als ob sie sie nicht schlagen konnten; stattdessen schubsten sie sie. Sie fiel und die Menschen strömten zurück zu ihr und die Polizei war für einen Augenblick ausgebremst, sie sahen, wie wir uns alle bewegten. Im nächsten Moment war sie wieder auf den Beinen, doch ihre Perücke hatte sich gelöst; ihr Kopf sah ohne sie ganz nackt aus. Die Menschen suchten nach der Perücke und ein Bulle warf sie uns entgegen. Caz erlangte ihre volle Pracht zurück. Sie ging weiter, sie hatte wirklich keine Angst. »Mir wurde klar, dass ich Angst hatte, jeder trägt Angst in sich, aber ich habe in Momenten Angst, in denen ich keine Angst haben müsste, wie zum Beispiel wenn ich mit Fremden rede. Ich habe meine Ängste ausfindig gemacht, um zu sehen, was die Wurzel dafür ist. Es ist ein Mann ohne Gesicht, der mich irgendwie verletzen will. Das ist es, wovor ich also letztendlich Angst habe. Ich habe keine Angst allein zu sein, oder ich selbst zu sein. Ich habe Angst davor, dass ein Mann mich verletzen würde. Ich wusste das, bevor ich nach Prag ging - als ob ich dort hinreiste, um dieser Angst zu begegnen, weil ich dort diesem Mann in Schwarz begegnen würde, der darauf aus war, mich zu verletzen, bevor dieser Tag vorbei war. So wurden diese Bereitschaftspolizisten, die dem Schutz der Weltbank und des IWF dienten, irgendwie zu einem Symbol für all meine Ängste, all diese Männer dort, die mich verletzen könnten . Ich war ziemlich darauf aus, ich wollte dem begegnen, ich wollte dort hingehen und gegen diese gesichtslosen Männer antreten und sehen, was passieren würde. Doch wir verkleideten uns alle in pink und silber, wir stiegen in die U-Bahn ein und wir schrien alle und waren alle aufgeregt, und als wir zum Park kamen, war alles pink und silber. Und es war keine Zeit dafür, Angst zu haben.« Ronni, Tactical Frivolity Als die Menschenmenge an mir vorbeiströmte, tanzte ich allein in einer Seitenstraße. Dort war eine Polizeikette und ich wollte nicht, dass sie die Leute von der Seite angriffen. Ein süßer Typ in grüner Tarnweste stupste mich am Ellenbogen. »Du, komm mit, ich kenne einen Weg dort hinein. Ich denke, das wäre eine gute Aktion, oder?« Scheiße, ja! Er schlüpfte geduckt durch eine Tür an der Seitenstraße und half mir auf das Garagendach. »In meiner Heimatstadt sprühe ich oft Graffitis. Deshalb ist es leicht für mich, einen Weg über die Dächer zu finden.« Wie eine Spinne krabbelte ich in ein ein Meter langes Loch unter einem Apfelbaum (mit meiner Schleppe) und einen dunklen Korridor entlang. Mit seiner Hand auf der Türklinke hielt mein Begleiter inne. Draußen explodierten Schockgranaten. Geschmeidig traten wir in den Sonnenschein und mischten uns in die Menge wartender Delegierter, so unauffällig wie es in einem bodenlangen Lamettakleid, einem pinkfarbenen Ascot-Hut und einer drei Meter langen Schleppe aus silbernen Bändern eben ging. Nach und nach preschten Polizisten an uns vorbei, um ihre Ketten zu verstärken. Die pinke Demo war nur noch drei Kilometer von den Toren des Kongresszentrums entfernt. Die Polizei rückte mit Wasserwerfern und [Tränen-]Gas an. Zwei gefesselte Frauen mit blutigen Gesichtern wurden an uns vorbeigeführt. Und da waren wir, standen mit einigen Delegierten in einer Reihe, die auf die nächste U-Bahn warteten. Leider fiel mir in dem Moment keine einzige prägnante politische Aussage ein. Vom Adrenalin berauscht machte ich bedeutungslosen Smalltalk mit einem Mann von Royal Canadian Mint. Dann fragte mich eine Frau, was ich von der Weltbank hielt, also hatte ich einen kleinen Plausch mit ihr, aber dann merkte ich, dass sie Journalistin war. Die Delegierten verschwanden nach und nach, ließen nur die gierige Presse zurück, die nach Gewaltbildern hungerte, die ich ihnen mit meiner pinkfarbenen Federboa nicht bieten konnte. Kate Evans ist Karikaturistin. Von ihr stammt unter anderem Copse, the Cartoon Book of Tree Protesting und Funny Weather We're Having at the Moment. Quellen: Cartoons von Kate Evans: www.kartoonkate.co.uk Seit Prag wurden Pink und Silber zu Farben des kreativen Widerstands. Berichte und Bilder über Pink und Silber: www.schnews.org.uk/sotw/rhythms-of-resistance.htm
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