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Updated: 18.12.2012 15:51
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"1-Euro-Jobs" im Gerede

Scheitern die rot-grünen Arbeitsmarktreformen in Köln?

von Hans-Dieter Hey, Köln 25.04.05

Mit zweifelhaften Methoden werden Menschen im Alter bis zu 25 Jahren mit 1-Euro-Jobs in Not gedrängt, wenn sie erwerbslos sind. Das behauptet die Organisation Agenturschluss. Sie will mit ihrer "Dokumentationsstelle Hartz IV" belegen, wie es um das "Kölner Erfolgsmodell" am Arbeitsmarkt wirklich bestellt ist.

Die Organisation Agenturschluss stattete letzten Freitag der Leitung von EVA, dem "Ehrenfelder Verein für Arbeit und Qualifizierung", überraschenden Besuch ab. Im Flur des Bürotraktes steht: "Arbeit gibt es im 1. Stock". Dafür sollen die angehenden Erwachsenen von EVA qualifiziert werden. Auftraggeber ist die Kölner Arbeitsgemeinschaft ARGE, einem Ableger der Arbeitsagentur Köln. Indessen ist fraglich, ob es später Arbeit gibt. Denn aus zuverlässiger Quelle wird mitgeteilt, dass viele Teilnehmer von Maßnahme zu Maßnahme gereicht werden.

Fahrräder reparieren als Qualifikation für die Zukunft

Nach Auskunft einer leitenden Mitarbeiterin von EVA, Uta Voss*, bestehen die Qualifizierungen z.B. in der Reparatur der eigenen Fahrräder. Ganz offensichtlich werden aber darüber hinaus für einen Euro Aufwandsentschädigung Fahrräder auf Vordermann gebracht. Teilnehmer der Maßnahme bestätigen, dass laufend neue Lieferungen zur Reparatur eintreffen. Nach beharrlicher Rückfrage gibt Voss zu: "Wir nehmen den Auftrag an. Die Bedingungen des Auftrags macht die ARGE, aber da haben wir nichts mit zu tun. Wir machen das Instrument nicht. Gehen sie nach Berlin, gehen sie zu Minister Clement, beschweren sie sich dort."

Überleben mit 50 Euro

Die Teilnehmer sollen eine Aufwandsentschädigung von einem Euro die Stunde zusätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld II erhalten. Von der Aufwandsentschädigung gibt es nach eigener Auskunft aber nur 70 Cent. Und sie sind frustriert, weil das Geld wöchentlich ausgezahlt wird: "Wie sollen wir denn mit 50 Euro in sieben Tagen auskommen für alles?", beklagt sich der 21 jähriger Teilnehmer. Refik Yilmaz* erhielt gar nur 35 Euro die Woche. Wer zu spät zur Auszahlung kommt, hat Pech gehabt: "Ich kann damit überhaupt nicht klar kommen, wenn ich mal eine Rechnung bekomme. Jetzt habe ich für 85 Euro ein Inkasso."

Nach Agenturschluss setzt sich die ARGE Köln mit ihrer zweifelhaften Zahlungspraxis bewusst über gültige Regelungen hinweg, welche monatliche Zahlungen vorsehen und treibt damit Betroffene offensichtlich in die Verschuldungsfalle. Als Agenturschluss vor dem Personalbüro von EVA auftaucht um nachzufragen, wird das Schild "Freitags keine Auszahlung" schnell abgehängt. Einer der Teilnehmer erhält noch 50 Euro, damit er am Wochenende überhaupt noch über die Runden kommt: "Wenn ihr nicht hier wärt, hätte ich gar nichts bekommen. Dann hätte ich hungern müssen. Gut dass ihr da seid."

Wer nicht spurt, riskiert seine Existenz

Bei unentschuldigten Fehlzeiten wird nicht nur bei der Aufwandsentschädigung gekürzt. Sogar das Arbeitslosengeld II kann teilweise oder ganz gestrichen werden. Laut Agenturschluss handelt es sich um eine "äußerst zweifelhafte Rechtspraxis der ARGE Köln". Doch die möchten sich nicht wehren. Sie fürchten, ganz um dem Bezug ihrer Arbeitslosenunterstützung gebracht zu werden.

Das "Kölner Erfolgsmodell" macht Schule

Den negativen Ruf besorgte sich das Kölner Sozialamt schon vor Jahren: "Hier sind die Kölner schon früher Vorbild für Hartz IV gewesen und feiern als Erfolg, dass in den ersten Jahren ca. 1.500 von 4.800 Personen aus der Statistik verschwunden sind, ohne dass man weiß, wie oder wovon sie noch leben", beklagte sich Frau Prof. Dr. Spindler von der Universität Duisburg-Essen im September letzten Jahres auf einer Montagsdemonstration. Prof. Dr. Spindler beschäftigt sich seit Jahren mit den Methoden des Kölner Sozialamtes.

Bundesweit sind nach Angaben von Agenturschluss in den ersten drei Monaten dieses Jahres allein durch "Hartz IV" ca. 30.000 junge Erwachsene ohne Zukunftsperspektive mit fragwürdigen Methoden aus dem Bezug der Arbeitslosenunterstützung getrieben worden.

Richtig ist, dass dieses Prinzip als "Kölner Erfolgsmodell" bundesweit gepriesen wird. Falsch ist, dass dadurch Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ganz im Gegenteil. Der stellvertretende Leiter der Kölner Jugendhilfe e.V., Peter Stellmann*, erläutert erstaunliche Zusammenhänge: "Das Amt für Wirtschaftsförderung z.B. gibt uns Aufträge einer Schule. Die müssen wir abarbeiten. Wir stellen dann eine Truppe von Ein-Euro-Jobbern zusammen. Damit gehen wir an die Schule. Die Schule bezahlt die Farbe, wir zahlen den Anleiter, der Ein-Euro Mann kriegt sein Geld von der ARGE." Anders ausgedrückt: die 1-Euro-Jobber werden zur Sanierung öffentlicher Haushalte missbraucht - zu Lasten regulärer Arbeitsplätze und des Handwerks, dass ums Überleben kämpft. Es bleibt abzuwarten, wie das Handwerk auf die Praktiken der ARGE reagiert.

Staatlich verordnete Ausbeutung geht weiter

Offensichtlich wird die staatlich verordnete Verdrängung regulärer Arbeitsplätze demnächst heftiger. Prof. Dr. Spindler geht davon aus, dass es in der Bundesrepublik "...jetzt mit Hartz IV plötzlich 600.000 und mehr Stellen werden sollen. Neu ist auch, dass mit den Arbeitslosenhilfebeziehern (...) qualifizierte Kräfte wie Kindergärtnerinnen, Lehrer, Ingenieure, Sozialarbeiter, Kaufleute qualifikationsangemessen als 1-Euro-Arbeiter eingesetzt werden sollen."

"Neues Deutschland" berichtet letzten Dienstag, dass die rot-grüne Regierung Maßnahmen mit 1-Euro-Jobs nun auch für ältere Erwerbslose durchführen will und bezieht sich dabei auf Aussagen von SPD-Chef Franz Müntefering. Die Maßnahmen sollen nicht nur ein halbes Jahr, sondern sogar bis zu drei Jahre dauern. Das bedeutet für die Betroffenen: Hungerlohn für einen Euro Aufwandsentschädigung bis zur Altersarmut.

Der Verlag für die deutsche Wirtschaft machte vergangenen Montag im Internet unverholen Werbung für 1-Euro-Jobs und stellt die Vorteile für Unternehmen heraus (Auszug): "Geringe Personalkosten: Ein Zusatzjobber soll 15 bis 20 Stunden wöchentlich für sie tätig werden. Sie zahlen ihm 1 Euro bis 1,50 Euro Stundenlohn, aber weder Lohnsteuer, noch Sozialabgaben. Bei 80 Arbeitsstunden im Monat ergibt das höchsten 120 Euro Lohn für den Arbeitslosen."

Offensichtlich ist manchen gesellschaftlicher Zusammenhalt und Gemeinwohl völlig gleichgültig. Und ob Menschen von Hunger- und Mini-Jobs existieren können, ist dabei wohl ebenso einerlei. Wenn es das Prinzip von "Hartz IV" sein soll, Arbeitsplätze zu schaffen, damit Menschen ihr Leben in die Hand nehmen und sich ernähren können, dürften die rot-grünen Arbeitsmarktreformen in Köln und anderswo gescheitert sein. In Köln gibt es noch zahlreiche weitere 1-Euro-Betriebe, wie z.B. Kirchen und Hilfsorganisationen. Agenturschluss will auf jeden Fall weiter nachforschen.

*die Namen wurden aus Gründen des Personenschutzes verändert


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