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Updated: 18.12.2012 15:51
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Spaziergänge gegen Ein-Euro-Jobs

Wir haben eine fröhliche Tradition der Berliner Arbeitslosen und Taugenichtse wieder aufgegriffen. Seit Januar 2005 treffen wir uns regelmäßig zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen wir Dinge tun, die sich alleine niemand traut: Ämter inspizieren, Kantinen testen, zusammen schwarz fahren, 1-Euro-Sklaven auf der Arbeit besuchen und dabei auch gleich mal im Büro des Chefs vorbeischauen...
Wir versuchen dabei heraus zu finden, wo die Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden, wer dahin vermittelt wird, was die Leute dann tun. Deshalb sind wir auf unseren Spaziergängen zu Einsatzstellen von Ein-Euro-Jobbern unterwegs. Zu den Trägern, die Ein-Euro-Stellen eingerichtet haben, gehören in Berlin die Caritas, die AWO, Kubus e.V., Pfefferwerk e.V., KEBAB, Lowtec/GFBM, BUF, Goldnetz, pro futura e.V., Schildkröte fahrbarer Mittagstisch
und viele andere.

Untenstehendes Flugblatt (und mittlerweile ein neues pdf-Datei) verteilen wir an diesen Stellen und versuchen, mit den Ein-Euro-Jobberinnen und auch den regulär Beschäftigten ins Gespräch zu
kommen.

Wir selbst sind arbeitslos oder könnten es jederzeit werden und somit kann es sein, dass wir uns bald in solchen Ein-Euro-Maßnahmen wiederfinden. Daher interessiert uns, wie man gemeinsam gegen die neuen Angriffe auf unsere Lebensbedingungen – Hartz IV genannt – vorgehen kann.

Kontakt: eineurojob@gmx.net


Spaziergang No° 10, 31.5.2005new

Zu sechst waren wir heute unterwegs in Friedrichshain. Ziele waren eine städtische Kita, ein Beschäftigungsträger und ein Verein für die Betreuung von alten Menschen.

Die Stimmung beim Beschäftigungsträger reichte von unbeteiligt über genervt bis explosiv. Wir hatten Glück und trafen direkt zur Mittagspause (12-13h) ein. Vor den Werkstätten gibt es Bänke und Sonnenschirme, wo sich die Leute aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen treffen. Die Ausgangslage für Gespräche war gut. Es kamen immer neue Leute, andere mussten zurück zur Arbeit. Einige unterhielten sich untereinander über unsere Flugblätter. Eine ganze Stunde waren wir dort. Auf dem Weg nach draussen kam die Chefin und eskortierte uns das letzte Stück hinaus, mit dem freundlichen Hinweis, das Gelände unverzüglich zu verlassen.

Eingesetzt sind dort ungefähr 100 Menschen in den Maßnahmen IDA (Integration durch Arbeit, Träger war vor Hartz IV das Sozialamt), ABM (Arbeits-Beschaffungs- Maßnahme, bisher für ca. 12 Monate bewilligt, anschliessend Anspruch auf ALG I, jetzt rutscht man direkt ins ALG II) und MAE (Mehraufwandsentschädigung = Ein-Euro-Job).

Der Träger beherbergt eine Kreativwerkstatt, in der sich die Leute kreativ langweilen können, selbst oder mit Schülern Gestecke und ähnliches basteln und zum Verkauf anbieten. Ausserdem gibt es eine Holzwerkstatt, eine Tischlerei, einen Renovierungstrupp für Arbeiten im trägereigenen Gebäude und für Aufträge von ausserhalb, den Bereich Verwaltung und Büro, Strassen- und Grünflächenreiniger.

Die Leute auf IDA sind mit ihrer Maßnahme bald durch, einige von ihnen hoffen darauf, dass der Träger sie als MAElerin weiter beschäftigt.

Die Arbeitsagentur hat dem Träger im April das Geld für die Leute in den Maßnahmen verspätet überwiesen. Das Geld, was eigentlich schon am 15.5 da sein sollte war heute, am 31.5., noch nicht da. Eine Frau wusste nicht, wie sie ihre Miete bezahlen soll und will am Donnerstag ins Amt, sich beschweren und Druck machen. Wir haben ihr angeboten, dass wir mitkommen und sicherlich noch ein paar weitere Leute dafür mobilisieren könnten. Sie hat auf unser Angebot sehr positiv reagiert und wollte unser Flugblatt haben, was sie kurz vorher dankend abgelehnt hatte. Falls das Geld bis Donnerstag nicht auf ihrem Konto ist, will sie uns kontaktieren.

Die Jungs vom Renovierungstrupp, die den vom Träger neu erworbenen Seitenflügel des Gebäudes in Schuss bringen, kotzen über ihre Arbeit ab. Die meisten dort sind unter 25 und zwangszugewiesen, mindestens einer davon mit abgeschlossener Ausbildung (Schlosser). Sie erledigen alle Renovierungsarbeiten. "Mal unter uns...", meinte der eine, auf ihre Arbeitsnachweiszettel dürfen sie nur bestimmte Sachen schreiben. Malerarbeiten z.B. werden als Flurverschönerung bezeichnet. Malerarbeiten dürften sie offiziell nicht machen, weil das keine zusätzliche Arbeit ist und als Auftrag an den 1. Arbeitsmarkt gegeben werden müsste. Warum sie das mit sich machen lassen, haben wir gefragt. Sie hätten keinen Bock und Schiss vor einer Kürzung ihrer Leistung um 30%. Wir haben dann noch versucht klar zu machen, dass sie keine Kürzung dafür bekommen, dass der Träger bescheisst. Aber was wirklich passiert, wenn sie den Träger anschwärzen, wissen wir natürlich auch nicht und schon gar nicht können wir dafür garantieren, dass sie nicht doch irgendwie Ärger bekommen.

Die Kreativwerkstatt war zum einen besetzt mit Frauen mit migrantischem Hintergrund, zum anderen mit Deutschen unter 25, überwiegend Frauen, insgesamt 40 Leute, MAElerinnen und AsS (Arbeit statt Strafe). Obwohl es sich um eine Gruppe handelt, wirkte es doch wie zwei. Während die migrantischen Frauen eher zurückhaltend auftraten in unserem Gespräch, plauderten die unter 25jährigen fröhlich, frustriert und genervt aus dem Nähkästchen. Die Massnahme sei total sinnlos, langweilig, es sei ihnen versprochen worden, einen Schulabschluss nachmachen zu können. Jetzt ist klar, dass das nicht realistisch ist. Ausserdem werde keine wirkliche Arbeitsleistung abgefordert, sie könnten auch die ganze Zeit Zeitung lesen. Die MAE-Stelle wurde als Job in der Arbeitsagentur angkündigt und nicht als Massnahme.

Die Qualifizierungsmassnahmen besteht aus einmal wöchentlich stattfindenden Fortbildungen. Es werden Schulfächer unterrichtet wie Mathe und Deutsch, Arbeitsrecht ist Thema und es gibt Bewerbungstrainings.

Die Frauen waren hochgradig unzufrieden.

Der städtische Kindergarten, den wir aufsuchten, verwies uns auf eine Gesellschaft, die hier in Friedrichshain mehrere 100 MAElerinnen an Kitas und Schulen vermittelt. An der angegebenen Adresse des Hauptsitzes dieser Gesellschaft fanden wir jedoch nicht diese vor, sondern einen grossen Wohlfahrtsverband, dessen Geschäftsführer auch der Chef der Gesellschaft ist. Was diese Verquickung zu bedeuten hat, ist unklar.

Wir schauten dann spontan bei einem Verein vorbei, der hauptsächlich mit alten Menschen arbeitet, d.h. ambulante Altenbetreuung, Freizeitaktivitäten und vereinzelt Kindergärten betreibt. Insgesamt beschäftigt der Träger 110 MAElerinnen. Davon 55 in Stadtteilzentren (5 über 55 jährige, 25 unter 25 jährige (U25)), sowie 55 im Mobilitätsdienst.

Nach dem gescheiterten Versuch der Sekretärin uns abzuwimmeln, bat uns die Geschäftsführerin zum Gespräch in ihr Büro. Wir hatten uns zunächst als Ein-Euro-Job Suchende ausgegeben, machten aber recht schnell deutlich, dass es uns um eine Auseinandersetzung über diese geht. Es stellte sich heraus, dass sie selbst aktiv bei den Montagsdemonstrationen dabei war und konstatierte enttäuscht, dass sie keinen weiteren Festangestellten des Trägers zur Teilnahme bewegen konnte. Sie erkenne die Brisanz der Situation um Ein-Euro-Jobs, aber sie könne ja nix daran ändern. Ja ja, wir sind alle so unschuldig.

Zumindest versucht sie in Bewerbergesprächen herauszufinden, ob die Leute freiwillig kommen oder eigentlich nur aus Zwang diesen Job machen würden. Die Träger müssen jede Ablehnung mit zwei, drei Zeilen begründen. Steht da dann sowas wie "nicht motiviert genug", kann das eine Kürzung des Arbeitslosengeldes zur Folge haben. Bei ihr "hat bisher noch keiner eine Sperre bekommen." (Immerhin)

Wir sechs waren uns während des Gespräches, das ca. 15 Minuten dauerte, nicht wirklich über unsere Strategie einig. Während einige sehr provokative Fragen stellten und kontrovers diskutieren wollten, lobten andere sie für ihr vorbildliches Verhalten den Unwilligen gegenüber, d.h. denen, die nicht auf einer MAE Stelle arbeiten möchten.

Was solche Gespräche mit Chefs bringen, ist eher unklar. Manchmal finden wir dabei Sachen raus, die wir sonst nicht erfahren hätten, aber ansonsten reden wir uns den Mund fusselig, ohne das es etwas bewirken würde.

Anschliessend haben wir im Cafe ein paar Eindrücke und Ergebnisse vom Spaziergang zusammengetragen. Wir haben festgestellt, dass wir nochmal konkreter überlegen müssen, was wir den Leuten für Handlungsmöglichkeiten anbieten können, ohne das unmittelbar eine Sperre droht. Was konkret kann Widerstand in solchen Einrichtungen bedeuten?

Neu auf dem Spaziergang war, dass Jobberinnen von sich aus Aktionen machen wollten und wir dafür konkret Unterstützung anbieten konnten (s.o). Für die nächsten Spaziergänge ein wichtiger Ansatzpunkt.

Wir werden immer wieder gefragt, wie solche Spaziergänge vorbereitet werden können. Deswegen an dieser Stelle zwei, drei Tipps dazu.

Es sollten vorher Stellen gefunden werden, wo klar ist, dass es dort Ein-Euro-Jobberinnen gibt. Für uns sind mittlerweile hauptsächlich die grossen Werkstätten oder Träger von Interesse, wo viele Jobberinnen auf einem Haufen anzutreffen sind.

Es gibt Trägerverzeichnisse, wo die grossen Beschäftigungsträger aufgelistet sind. Dort kann angerufen werden. Praktisch ist es, sich als Suchende für einen Ein-Euro-Job auszugeben. Fragt, in welchen Arbeitsbereichen die Leute eingesetzt werden, ob man sich vorher eine solche Stelle mal ansehen könnte. Manchmal, obwohl doch eher selten, rücken die Träger mit Adressen 'raus.

Dann macht es auch Sinn und Spass, bei der Vorrecherche einfach durch die Strassen zu ziehen und Beschäftigungsträger oder soziale Einrichtungen, die ihr unterwegs entdeckt, zu inspizieren. Manchmal wissen die Ein-Euro-Jobberinnen von weiteren Einsatzstellen.

Flugblätter sind auf dem eigentlichen Spaziergang hilfreich, um Gespräche mit den Jobberinnen anzufangen und um nochmal intensiver darzustellen, worum es bei den Spaziergängen geht. Im Anschluss einen Bericht schreiben und diesen der Öffentlichkeit zugänglich machen wäre gut, damit die ganzen Informationen nicht verloren gehen.


SPAZIERGANG No. 9, Mai 2005

Mit sieben, teils neuen Leuten waren wir diesmal unterwegs in Kreuzberg.
Zunächst schauten wir in dem Schulungscenter eines recht grossen Berliner Beschäftigungsträgers vorbei. Auf unserem 4. Spaziergang im Februar waren wir schoneinmal dort und sind damals auf Ein-Euro-Pflegekräfte getroffen, die einen sechswöchigen Pflegegrundkurs absolvierten. Im Vergleich zu vielen anderen Ein-Euro-Jobberinnen deren Qualifizierungsmassnahmen sich, wenn
überhaupt, auf Teamsitzungen, Bewerbungstrainings und Einführungen in Arbeitsschutzmassnahmen beschränken, ist der Umfang des Pflegekurses auffallend gross und entspricht der Qualifikation einer Pflegehilfskraft, die auf dem 1. Arbeitsmarkt angestellt ist. Die Vermutung liegt nahe, dass Festangestellte in diesem Bereich durch gleichwertig qualifizierte
Ein-Euro-Jobberinnen ersetzt werden.

Diesmal trafen wir in den Schulungsräumen auf einen Kurs Ein-Euro-Jobberinnen, die im Umgang mit Textverarbeitung an Computern qualifiziert wurden. Wir gingen etwas unschlüssig in den noch laufenden Unterricht rein, erklärten kurz wer wir sind und das wir mit der "Klasse" gerne über ihre Jobs diskutieren würden. Von den Jobberinnen selber kam keine Reaktion, ausser von ein oder zwei, die von ihren Rechnern zu uns rüber schauten. Die Lehrerin bat uns dann noch fünf Minuten bis Unterrichtsende zu warten, was wir dann auch etwas frustriert taten. Aber selbst dann gab es von seiten der Jobberinnen kaum Interesse an uns. Zwei, drei recht kurze Gespräche kamen zwar zustande, aber auch erst auf hartnäckiges Fragen unsererseits.

Einsatzorte der Leute dort waren Hausmeisterstellen in Allgemeinbildenden und Volkshoch-Schulen, Pädagogische Betreuung im evangelischen Kindergarten und einem Obdachlosenheim. Alle üben ihre Jobs "freiwillig" aus, sind froh über das bisschen mehr Geld am Monatsende und über die halbwegs sinnvollen Tätigkeiten. Ansonsten kamen die üblichen Kritikpunkte, die wir aus so vielen anderen Gesprächen schon kennen: die fehlende Hoffnung auf den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen, Frust über die Perspektivlosigkeit der Gesamtsituation, aber sich irgendwie, so gut es geht, in dieser Scheissituation einrichten.

Eine Frau erzählte uns, dass sie sich mit einigen anderen Frauen einmal zusammengesetzt hat, um zu überlegen, was sie gegen die Situation, in der sie stecken, tun können. Und sind auf das Ergebnis gekommen, dass sie aufgrund der drohenden Gefahr einer Kürzung des Arbeitslosengeldes, eigentlich nix tun können oder wollen.

Der Ablauf dieser Gespräche in denen uns viele Sachen berichtet wurden, die wir in ähnlichen Versionen bereits von vielen anderen Jobberinnen kannten und das eher mangelhafte Interesse mit uns zu reden, löste bei uns zunächst die Frage aus, wie wir bei der nächsten Station auftreten und ob wir die Gespräche, so wie wir sie bisher angegangen sind, weiterhin führen wollen. Einig waren wir uns darüber, wieder wesentlich offensiver aufzutreten und in den Gesprächen noch mehr über Ausbeutungsmechanismen, Widerstand am Arbeitsplatz und die uns aufgezwungenen Arbeits- und Lebensbedingungen zu diskutieren und weniger deren Arbeits- und Lebensumstände abzufragen.

Die nächste Station war ein recht grosser Gebäudekomplex des gleichen Trägers, in dem ungefähr 60 Ein-Euro-Jobberinnen und ABM-Kräfte in einer Schlosserei, Metall- und Holzwerkstatt, Kleiderkammer und einer Kantine mit Küchenbereich eingesetzt sind. Ein Teil der Leute sind jung, meistens ohne Ausbildung, andere haben ne Ausbildung und teils langjährige Berufserfahrung, so z.B. in der Holzwerkstatt, in der 4 von 6 Leuten ausgebildete Tischler sind. Einer der Jobber in der Metallwerkstatt erzählte, dass der Träger Geldprobleme hat und deswegen ziemlich viele Leute einstellt, die aber aufgrund der fehlenden Arbeitsaufträge nicht wirklich was zu tun haben.

Die meisten scheinen in Ruhe gelassen zu werden und waren über das Arbeitsklima und das was sie dort tun zufrieden. Deswegen würden sich die Leute in dieser Einrichtung auch nicht beschweren oder wehren, schätzte ein Tischler die Situation ein. Vor kurzen hat der Oberchef gewechselt und seither werden die Arbeiterinnen nicht mehr so kontrolliert. Die Werkstätten werden angeleitet von jeweils einem "Chef", der auch auf ABM arbeitet. Der Küchenchef z.B. hat langjährige Berufserfahrung und drei abgeschlossene Ausbildungen.

In der Metallwerkstatt arbeiten zur Zeit 13 Leute in einer ABM: 1 Projektleiter, 4-5 Fachkräfte (alle gelernte Metaller) und "Helfer". Mitte Juni läuft deren Massnahme aus und wird
vermutlich von Ein-Euro-Jobberinnen ersetzt.
Angetroffen haben wir jedoch nur ein paar Leute, die anderen hatten Urlaub oder sind im Praktikum (ABMlerinnen müssen während fünf Wochen einen Tag jeweils in einem Betrieb auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten). In der Regel stellen sie behindertengerechte Sachen her: Kerzenständer für Kitas, Rampen, Rollies reparieren- selber bauen dürfen sie die nicht, weil sie kein Patent haben. Auch vom Träger selber bekommen sie Aufträge, meistens Renovierungsarbeiten wie Treppenhaus und Geländer streichen. Einer der Tischler aus der Holzwerkstatt schliesst nicht aus, dass einige der Sachen auch verkauft werden. Denn schliesslich sind das Sachen, die in einer recht gut ausgestatteten Werkstatt von qualifizierten Leuten gebaut werden. Für gleichwertige Produkte, die in gewerblichen Tischlerbetrieben hergestellt werden, zahlt man Unmengen an Geld.
Ansonsten wird viel rumgesessen oder die Leute bauen und basteln Sachen für sich selber. Der Projektleiter versucht Aufträge an Land zu ziehen, indem er Schulen und Kindergärten abklappert und dort nachfragt ob die irgendetwas brauchen. Die Aufträge werden jedoch immer weniger. Die Konkurrenz durch andere Beschäftigungsträger steigt. Qualifiziert wird nicht.

Zwei der dort beschäftigten Frauen, so um die 50, erzählten, dass sie früher in der Fabrik gearbeitet haben - die eine bei Bahlsen, die anderen 27 Jahre lang bei Telefunken. Beide sind krank geworden, bei einer grösseren Entlassungswelle dann gekündigt worden. Sie sind als schwerbehindert eingestuft. "Da hast du dein Leben lang gearbeitet und dann braucht
dich keiner mehr. Machen wir halt diese ABM." Sie hoffen auf Verlängerung, "eins-fuffziger" wäre das letzte, da bekommt man ja keinen Urlaub und auch keine Krankengeld und der Lohn ist der reine Hohn.

Auch in anderen Gesprächen in den Werkstätten haben sich ABMlerinnen gegenüber Ein-Euro-Jobberinnen als privilegiert beschrieben, man verdiene ja mehr, oder sogar janz jut und das mit Urlaubs- und Krankengeld sei auch grosser Vorteil. Der "Chef" der Tischlerei, auch ABM, erzählt,
dass er auf 1150 brutto und ca. 850 netto kommt (Ein-Euro-Jobberinnen je nach Mietehöhe auf 750 bis 850€.
Eine Ein-Euro-Jobberin aus einer anderen Einrichtung meinte, dass sie noch nie im Leben so viel Geld bekommen hat, wie jetzt mit ALG II und dem Ein-Euro-Job. Sie ist alleinerziehende Mutter und hat bisher als Kellnerein gearbeitet, was sie aufgrund eines Unfalls jetzt nicht mehr kann.

In der Kantine gabs auffällig junge und viele Leute. Im Vergleich schienen die Werkstatträume eher spärlich besetzt zu sein und vorwiegend mit Leuten so um die 40. Einer der Kochgehilfen meinte, er fände es gut hier, braucht kaum was zu machen, gibt keinen Stress. Er macht lieber Massnahmen, wo er in Ruhe gelassen wird, als in nem richtigen Job im Restaurantbetrieb zu arbeiten. Da hetzen sie einen, man hat am Ende Rückenprobleme und ist völlig alle. Die Leute dort haben auch interessiert nachgefragt, was wir machen und uns Tipps gegeben („mit ALG I würde ich auch lieber zu Hause bleiben...).


Spaziergang N°8 im April 2005

Spaziergänge als eingreifende Untersuchung

Seit vier Monaten sind wir nun regelmäßig zu Trägern und Einsatzorten von Ein-Euro-JobberInnen in Berlin unterwegs, um mit den Leuten, die in den Bereichen arbeiten, zu diskutieren. Wir wollten uns ursprünglich genauer anschauen, wie die Vermittlungspraxis in Ein-Euro-Jobs gehandhabt wird, wie die Leute sich verhalten, ob sich Widerstand dagegen entwickelt. Wir haben bisher viele Informationen sammeln können. Ob die Jobs "zusätzlich" sind, ist eine Frage der Formulierung, die Leute erhalten weder angemessene Qualifizierungen, noch erleichtert ihnen die Maßnahme den Einstieg auf den 1. Arbeitsmarkt. Statt uns aber mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit (wer ist das?) zu wenden und die Ein-Euro-Jobs zu skandalisieren (was am Ende wieder verpufft), geht es uns um etwas anderes: Wir begreifen die Spaziergänge als eingreifende Untersuchung. Wir wollen mit den Leuten über Möglichkeiten nachdenken, wie wir uns gegen die Bedingungen wehren können, die uns täglich aufgedrückt werden. Die Ein-Euro-Jobs sind ein Anlass, uns konkret mit (unseren) Arbeits- und Lebensbedingungen auseinander zu setzen. Wenn so viele Leute unzufrieden mit den Verhältnissen sind - wie können daraus Kämpfe entstehen, wie kann sich darin eine Macht entwickeln, diese Verhältnisse umzuwälzen?

Auf dem Spaziergang n°7 formulierte einer der Hausmeister auf Ein-Euro-Basis eine spannende Frage: Wenn die Ein-Euro-JobberInnen sich alle gleichzeitig weigern würden, zur Arbeit zu kommen, könnten sie damit was durchsetzen. Wie könnte das konkret aussehen?

Genau das ist für uns eine wichtige Frage, die wir auf unseren Spaziergängen mit den Leuten diskutieren wollen. Vor einem Monat waren wir in Neukölln in den Werkstätten eines Vereins, den wir schon desöfteren besucht haben. In den Gesprächen mit den dort arbeitenden ABMlerInnen und Ein-Euro-JobberInnen sind wir auf viel Frust und Unzufriedenheit gestoßen. (Lest dazu Bericht n°6). Wir wollten mit den Leuten in Kontakt bleiben, schauen, wie sich die Situation dort weiterentwickelt. Deshalb sind wir noch einmal dort hin.

Zunächst platzten wir in eine vollkommen chaotische Situation: der Verein baut aus, renoviert, expandiert. Bis Juni sollen dort insgesamt 390 Ein-Euro-JobberInnen anfangen. Bisher arbeiten in den Werkstätten ca. 100 ABMlerInnen und 22 Ein-Euro-JobberInnen (in der Holzwerkstatt). Die Umbauarbeiten werden zum Teil von zusätzlichen Ein-Euro-JobberInnen gemacht. Nicht die JobberInnen werden qualifiziert, sondern der Verein greift auf sämtliche Qualifizierungen der Leute zurück, ob nun ausgebildete Tischler, Maler- und Lackierer oder Leute vom Bau, die schnell mal eine Rigipswand einziehen können.

Die Leute auf ABM-Basis sind noch bis Ende Mai dort. Einige wenige haben das Angebot bekommen, über einen Ein-Euro-Job dort weiter beschäftigt zu werden. Ansonsten vermuten viele, dass die 390 Ein-Euro-JobberInnen, die ab Juni dort anfangen, unter 25-Jährige sein werden, denen das Arbeitsamt Süd (Neukölln) verstärkt Druck macht. In einem Artikel der Berliner Zeitung vom 01.04.2005 unter dem Titel "Hunderte Jugendliche haben keine Lust zu arbeiten" hieß es, dass alleine in Berlin-Neukölln 6 377 Jugendliche arbeitslos seien. "Viele von ihnen" so die Zeitung, "wollen weder etwas von den Jobangeboten noch von Qualifizierungen hören. Rund 4 000 junge Erwerbslose hat das Jobcenter bisher angeschrieben. Nur rund 1 500 von ihnen meldeten sich zurück." Bei 300 arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren habe das Jobcenter bereits Kürzungen des ALG II vorgenommen oder es ganz gestrichen.

Als wir diesmal die Werkstätten betraten, wurden wir von einem Werkstattleiter sehr unfreundlich empfangen: "Beim letzten Mal wurde diskutiert, gut, aber heute geht das nicht, heute wird gearbeitet." Das blieb sein Wunschdenken, denn auch diesmal ließen sich die Leute auf Diskussionen mit uns ein. Unser Flugblatt hatte für Diskussionsstoff gesorgt. Auch wenn die Leute über ihre Gruppen hinaus wenig miteinander in Kontakt kommen. Es gibt einige, denen der Kragen platzt und die sich desöfteren mit dem Chef anlegen, zum Beispiel, weil sie die Arbeit verweigern. So erzählten zwei Männer, dass sie - unabhängig voneinander - sich weigerten, an den Umbauarbeiten mit zu machen, schließlich wären sie für die Holzwerkstatt vorgesehen. Der eine wurde von seinem Werkstattleiter als "Arbeitsverweigerer" angepöbelt.

Mit dem obersten Chef, der selbst bei dem Verein als ABM-Kraft ma angefangen hatte und einer der vier Festangestellten ist, hatten wir auch diesmal ein längeres Gespräch. Zunächst um Informationen abzugreifen, dann um ihn anzugreifen und um zu verhindern, dass wir rausfliegen. Er wiederholte vieles, was er bei unserem letzten Besuch gesagt hatte. Irgendwie scheint er von etwas anderem zu sprechen. Seiner Meinung nach sind das enthusiastische, arbeitswillige Leute, die hier arbeiten. Er habe eine Warteliste von 50 Leuten, die alle bei ihm anfangen wollen.

Stellenweise hatten wir lange und intensive Diskussionen mit den Leuten zu der Frage, ob sie sich nicht gemeinsam wehren könnten. Was würde das heißen, wenn es hier einen Streik gäbe? Viele meinten daraufhin, dass es indirekt ja die Drohung vom Arbeitsamt gibt, dass ALG II zu kürzen. Das würde sicher bei einem Streik die Konsequenz sein. "Hier glaubt zwar keiner daran, einen richtigen Job zu finden. Die meisten haben Frust. Aber am Ende denkt doch jeder an die Miete, die im nächsten Monat bezahlt werden muss. Die Perspektive fehlt. Wir stecken im Zugzwang." Das sagte einer der Ein-Euro-Jobber aus der Holzwerkstatt.

Wir haben mit einigen Leuten vereinbart, uns nocheinmal zu treffen und längere Interviews mit ihnen zu machen. Diese Gespräche wollen wir auch nutzen, um mit ihnen weiter an dieser Diskussion dran zu bleiben.


Spaziergang N°7 im April 2005

"wenn alle einen Tag sagen würden: is' nich', würde sich was ändern!"

Unterwegs mit acht Leuten, führte uns der siebente Spaziergang durch drei Neuköllner Schulen. Angeregt zu dieser Schulrunde hatte uns eine Entdeckung in einer Neuköllner Grundschule auf unserem vierten Spaziergang im Februar und ein Artikel in der Berliner Zeitung vom 23.3.04: "Personalräte an Schulen fürchten um feste Arbeitsplätze". Wir stießen damals in einer einzigen Schule auf 40 ehemals Arbeitslose, die über ABM (ArbeitsbeschaffungsMassnahme), SAM (StrukturanpassungsMassnahme) und MAE (Mehraufwandsentschädigung = 1€-Job) u.a. in der Schulstation, der Kantine, in den Computerräumen und im Bereich des Hausmeisters eingesetzt waren. Die Schule läuft schon seit Jahren über diese Maßnahmen und bis auf die LehrerInnen ist dort quasi niemand regulär beschäftigt.

Bei unseren Vorerkundungen stießen wir darüber hinaus in sieben von acht Schulen auf 1€-Job-Hausmeistergehilfen ("facility manager" wie Hausmeister jetzt so schön in den Arbeitsagenturen heißen). Des weiteren fanden wir 1€-Jobber im Bereich Sprachförderung und -unterricht, Bibliothek, in der Biologie (angeblich als Putzkraft), in den Computerräumen und auf dem Sportplatz.

Die beiden Hausmeistergehilfen unserer ersten Station luden uns zu einem Gespräch in ihrem Pausenraum ein. Sie waren an der Schule unfreiwillig von der Arbeitsagentur als 1€-Jobber seit März eingesetzt, für insgesamt neun Monate. Beide konnten sich die Jahre zuvor gut mit Schwarzarbeit auf dem Bau, im Fischverkauf bzw. mit ABM im Gartenbau oder bei der BSR über Wasser halten. Schwarzarbeit ist jetzt für sie zeitlich nicht mehr möglich. Einer der beiden überlegt sogar den Job hinzuschmeissen, um wieder schwarz arbeiten zu gehen und würde dafür auch die erste Kürzung von 30% in Kauf nehmen. Er vermutet, dass bei einer zweiten Kürzung nur noch Essensgutscheine ausgegeben werden.

Die wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden müssen sie nicht ganz ableisten, der festangestellte Hausmeister lässt sie auch mal eine Stunde eher gehen. Er muss jedoch die Arbeitszeit der beiden Jobber unterschreiben und hat natürlich Schiss, dass er für das bisschen Schummeln Ärger bekommt. Wirklich arbeiten müssen sie effektiv auch nur zwei Stunden pro Tag, aber die Anwesenheit ist wichtig. Ihren "Chef" finden sie ganz ok und er hat schon ein Auge darauf, dass sie nicht genauso viel arbeiten wie er. ("Macht mal langsam - ihr verdient viel weniger als ich"). Vom Aufgabenspektrum machen sie aber doch irgendwie alles was Hausmeister so machen. Interessant war dabei auch, dass es sich um wichtige Arbeiten handelt, die ein einzelner
Hausmeister zeitlich nicht bewältigen könnte und sicherlich (da es sich um ein öffentliches Gebäude handelt) auch nicht liegen bleiben würden. D.h. die Jobber erledigen Aufgaben, die ansonsten an Firmen hätten weitergegeben werden müssen. Inzwischen gibt es ja auch schon Meldungen, dass die Aufträge stark zurückgegangen sind. - Von den Lehrern haben die beiden zu Ostern
Fresspakete bekommen, als Dank für Renovierungsarbeiten.

Erschreckend war zu hören, dass der für sie zuständige Beschäftigungsträger sie nicht über die Inhalte des Vertrages informiert, sondern auf schnelles Unterschreiben gedrängt hat. Erst später fanden sie raus, dass sie bei Krankheit nacharbeiten müssen, ebenso bei Urlaub. Urlaubstage müssen sie übrigens zwei im Monat nehmen. Geld gibt es wie bei den anderen 1€-JobberInnen weder für Urlaub noch im Krankheitsfall. So wussten sie bis zu unserem Gespräch auch nichts davon, dass ihnen eigentlich Qualifizierungsmaßnahmen zustehen (dafür bekommen die Träger ja Geld). Beide bemängelten, dass es für sie weder im Amt noch bei diesem Träger konkrete
Ansprechpartner gibt.

Beide empfinden das Ganze als Abzocke und Disziplinierungsmassnahme, d.h. lernen morgens aufzustehen. Wir erzählten von unseren Erfahrungen von den vorherigen Spaziergängen. Beide hörten interessiert zu und einer der beiden dachte dann länger darüber nach, was wäre, wenn die 1€-JobberInnen wirklich einen Tag lang ihre Arbeit nicht machen würden, alle, dann könnten
sie durchaus was durchsetzen. - "Wenn alle einen Tag sagen is' nich', würde sich was ändern".

Weiter gings zur nächsten Schule, diesmal eine Grundschule mit ca. 400 Kindern, 40 Lehrern, 2 Erziehern und 2 Sozialpädagogen (die jedoch über einen externen Träger angestellt sind und nicht direkt über die Schule). Auch hier waren zwei 1€-Hausmeister angestellt. Desweiteren gab es noch
einen Vater der als 1€-Jobber u.a. bei Elternabenden übersetzt und eine Fussball AG leitet, eine Mutter die als 1€-Jobberin Arabisch unterrichtet und bis vor kurzen auch noch einen, der sich um die Computer kümmerte.
Gesprochen haben wir mit einer Lehrerin und einer Sozialpädagogin, die wir im Schülercafe antrafen. Sie waren sehr interessiert daran, warum wir diese Spaziergänge machen und fanden unser Konzept gut. Auch in der Lehrerschaft gäbe es Diskussionen und kritische Stimmen über den Einsatz von 1€-Jobbern, zwar eher zwischen Tür und Angel und nicht in einem wirklich offiziellen
Rahmen (z.B. auf einer LehrerInnen-Konferenz). Viele der LehrerInnen hätten schlechte Erfahrungen mit "Hilfslehrern" und deren mangelnder Kompetenz gemacht. Gebrauchen könnten sie diese Unterstützung aber auf alle Fälle. In einem Schulbetrieb habe man immer das Gefühl, sich nicht ausreichend mit den Kindern zu beschäftigen. Es kämen auch desöfteren Leute vorbei und fragen nach, ob sie in der Schule als 1€-JobberIn eingesetzt werden könnten.

Ein Problem sei auch das überalterte Kollegium (Ende 30 und vor allem älter), dass keine neuen Stellen geschaffen werden und so auch keine jungen Leute nachkämen. Insbesondere im Bereich Sprachförderung (Deutsch als Zweitsprache und Leseförderung) würden wohl keine neuen Leute eingestellt. Die Berliner Zeitung schreibt hierzu: "Über die Arbeitsagentur Süd [Neukölln u.a.] sollen in nächster Zeit 75 Erwerbslose die Sprachförderung bei Kindern übernehmen." Darüberhinaus gab es Ende letzten Jahres vehemente Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachstgeld. "Wir sind zwar verbeamtet und nicht kündbar, aber unsere Bedingungen ändern sich."

Auf unserer dritten und letzten Station, einer Grundschule, wurden wir von einer ABM-Kraft und dem festangestellten Hausmeister barsch abserviert. Offensichtlich standen sie unter Druck der Schulleitung. Sie verweigerten ein Gespräch und wollten uns auch untersagen, mit den beiden 1€-Hausmeistern zu sprechen bzw. meinten, wir müssten erst eine Genehmigung von der
Schulleitung einholen. "Das ist ein öffentliches Gebäude und da kann man doch nicht einfach reingehen und Informationen von Leuten holen!" Am Eingang hängt auch tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift "Unbefugten ist der Zutritt verboten". Wir konnten gerade noch erfahren, dass es sich auf der Schulstation bei den dort Angestellten um 2 ABM-Kräfte handelt und die Schulstation bis vor kurzem geschlossen war. Dann wurde uns die Tür vor der Nase zugeknallt und wieder abgeschlossen.

Im Hauptgebäude fanden wir jedoch die beiden 1€-Hilfshausmeister. Sie ließen uns in ihr Büro und zeigten keine Scheu, mit uns zu reden. Einer der beiden ist seit März dort und zwar freiwillig, als Überbrückung bis zum Herbst, dem Beginn seiner Ausbildung. "Dann hat man wenigstens was zu tun und kann sich auch mal Zigaretten kaufen." Er bekommt 180€ im Monat. Sie müssen nicht voll arbeiten und machen die gleiche Arbeit wie der "Meister" - nicht wie bei Praktikas und in der Ausbildung, wo man oft die Drecksarbeit machen müsse und ausgenutzt werde. Der andere arbeitet seit zwei Jahren dort, erst über GZA (Gemeinnützige Zusätzliche Arbeit, lief übers Sozialamt und belief sich auf 3h täglich) und jetzt auf 1€-Basis. (Das haben wir übrigens schon ein paarmal entdeckt, dass Leute über Jahre hinweg auf den gleichen Stellen eingesetzt sind, von GZA, ABM, SAM hin zu 1€-Jobs.)

Als dann eine ziemlich krude Diskussion darüber losging, ob denn das ginge, dass Leute einfach nicht arbeiten wollen und ein so verschuldeter Staat sich das nicht leisten könne..., unterbrach uns dieser unwirsche Hausmeister-"Meister" und forderte uns auf, umgehend das Gebäude zu
verlassen. Wir bedankten uns noch für das Gespräch und gingen.

Beim anschließenden Auswerten in einer dieser urtypischen Neuköllner Eckkaschemmen, wo der Kaffee wie Bauchschmerzen schmeckt, aus dem Radio eine Rockballade nach der nächsten dröhnt, die Luft am Boden hängt und das einzig lebendige die Fische im Aquarium neben der Tür sind, haben wir versucht, noch ein paar Ideen zu sammeln: Wie können wir Leuten gegenüber
argumentieren, die davon ausgehen, dass Arbeit das einzig zentrale ist im Leben ist, und denen die Einstellung fremd ist, nicht arbeiten zu wollen, weil man Zeit zum Leben braucht?


Spaziergang N°6 im März 2005

Wir hatten schönstes Spaziergangwetter und waren 11 Leute.

Es gab insgesamt nur zwei Stationen: das Neuköllner Arbeitsamt und ein weiterer Werkstättenbereich eines Vereins, den wir schon des öfteren besucht haben. Unser Spaziergang führte uns ins Industriegebiet Neuköllns, wo Schrottberge mit riesigen Verladekränen bearbeitet werden und Firmen und Werkstätten in verranzten, alten Fabrikgebäuden mit schwarz angelaufenen Fenstern untergebracht sind. Dort sind wir auf über huntert Leute gestoßen, die über ABM oder Ein-Euro-Jobs in verschiedenen Werkstätten des Vereines arbeiten. Viele von denen waren nur am Abkotzen, was sie da überhaupt machen und welche miesen Arbeitsbedingungen sie haben. Aber dazu unten mehr...

Arbeitsamt Neukölln

Zunächst wollten wir das neue Flugblatt pdf-Datei im Arbeitsamt Neukölln verteilen und sind auch 300 Stück los geworden. Wir hätten noch mehr dabei haben können, denn es war ein riesiges Gebäude und viel Betrieb dort. Gespräche entstehen bei solchen Verteilaktionen auf den Ämtern kaum. Aber sehr viele Leute haben das Flugblatt interessiert gelesen. Oder es einfach genommen, da sie eh ihre Zeit dort rumsitzen müssen oder in der Schlange stehen. Ein paar Flugblätter hatten wir schon im Bus auf dem Weg zum Arbeitsamt verteilt und eine Frau grüßte uns, nachdem sie es gelesen hatte und sagte, dass sie das gut findet.
Im Arbeitsamt waren sehr viele Security-Typen, die ihren Job auch noch ernst genommen haben, und irgendwann anfingen rumzustänkern. Wir sollten keine "Zettel" mehr verteilen. Wir haben uns gefragt, warum sie bei so wenigen Leuten schon ausflippen und Panik bekommen. Da wir mehrere Leute waren, verteilten einige trotzdem weiter, während der Rest die Security-Typen aufhielt.
Erstaunlich viele junge Leute (unter 25 J.) waren dort, die erzählten, dass sie wegen der "Eingliederungsvereinbarung" herkommen mussten. Sie haben inzwischen schon Fallmanager, die – im Gegensatz zu den SachbearbeiterInnen – mehr Kompetenzen und Befugnisse nach unten delegiert bekommen haben. So können sie z.B. selbst Sanktionen verhängen. Dabei stehen sie unter enormen Druck von oben, denn sie müssen eine vorgegebene Quote von vermittelten Arbeitslosen und verhängten Sanktionen erfüllen, die sehr hoch ist. Die jungen Leute erzählten, dass sie vor allem wegen einem Ein-Euro-Job hier seien. Die „Eingliederungsvereinbarung“ beinhaltet, dass der/die Arbeitslose umgehend eine Ausbildung, Qualifizierungsmaßnahme oder einen Ein-Euro-Job annimmt. Das Arbeitsamt Neukölln scheint in der Umsetzung der Neuerungen recht schnell zu sein.

"Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten, damit wir nicht schwarz arbeiten gehen."

Auf einen unserer vorangegangenen Spaziergänge hatten wir erfahren, dass es auch in Neukölln Werkstätten gibt, in denen Ein-Euro-Jobberinnen und ABMler arbeiten. Vor etwa drei Wochen hatten dort 20 Leute als erste Gruppe Ein-Euro-Jobbern angefangen. Sie arbeiten in der Holzwerkstatt ("Pädagogisches Spielzeug"), daneben gibt es auch eine Metall- und eine Nähwerkstatt. So haben wir uns in dem Gebäude gleich in kleinere Gruppen aufgeteilt, um mit möglichst vielen Leuten zu reden und Flugblätter weiterzugeben, bevor wir wieder rausgeschmissen werden. Das hat auch prima funktioniert. Wir waren fast eine Stunde lang da drin und hatten sehr anregende Gespräche.

Dabei spielte der 10 Quadratmeter große Raucherraum eine zentrale Rolle. Denn wir kamen zwar ungehindert in die Näh- und Metallwerkstatt, die Holzwerkstatt hatte aber nur einen Zugang über die Verwaltung und da wurden wir gleich abserviert. Was aber nix machte, denn die Leute im Raucherraum gingen los und holten Leute aus der Holzwerkstatt rauf. Und die wiederum nahmen uns dann über den Hintereingang kurz mit in die Werkstatt. Aber der Raucherraum scheint auch ansonsten ein wichtiger Treffpunkt zu sein, da sich dort die verschiedenen "Gruppen" aus den getrennt gehaltenen Werkstattbereichen treffen und sich ungestört unterhalten können.
Nach offizieller Angabe vom Chef des gesamten Komplexes arbeiten dort insgesamt 115 ABMler und 22 Ein-Euro-Jobber (letztere nur in der Holzwerkstatt seit ca. drei Wochen.) Ein Drittel der Leute fehlt ständig, da es einen so hohen Krankenstand gibt.(!) Die ABM-Maßnahmen laufen bis spätesten Juni 2005 aus und ab April kommen an deren Stelle Ein-Euro-JobberInnen nach. 300 Stellen sind alleine für Neukölln beantragt. Die sollen nicht nur in den Werkstätten eingesetzt werden, sondern es sind auch Projekte außerhalb geplant: Gartenbau in städtischen Parks und Müllbeseitigungs-Trupps. (Der Verein hatte insgesamt in ganz Berlin im vergangenen Jahr 675 ABM-Stellen - davon sind laut Chef 20 Prozent auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden, obwohl er dazu auch unbezahlte Praktikumsplätze zählte). In unserem Gespräch mit dem Chef (die genaue Stellung haben wir nicht erfahren), klang einerseits wieder der soziale Charakter des Vereines an, den sie nach außen ja immer präsentieren. Auf unsere Frage, ob sie denn die Leute übernehmen würden oder sie nach Ende der Maßnahme nach Hause gehen könnten, sagte er: „Natürlich versuchen wir sie zu übernehmen, das sind ja Menschen.“ Im gleichen Atemzug fügte er aber hinzu, dass er nicht durchgehen lassen kann, wenn gestreikt wird oder die Leute nicht zur Arbeit erscheinen – das würde er sofort beim Arbeitsamt melden. „Da stehe ich auf der anderen Seite.“
Immerhin konnten wir ungehindert mit den Leuten reden. Der Chef und die Projektleiter hätten auch schwer durchsetzen können, dass wir wieder gehen, denn die ArbeiterInnen dort wollten mit uns reden und es wäre schwierig gewesen, dagegen anzukommen. Wir trafen dort auf Leute, die wirklich wütend waren, darüber, dass sie diese Maßnahme überhaupt machen mussten. So erzählte ein junger Mann Anfang zwanzig, dass sie ihm diesen Ein-Euro-Job aufgedrückt hätten, obwohl er als Tischler einen gut bezahlten Job sucht und nicht irgendwas annehmen will, eben auch keinen Ein-Euro-Job. „Wenn wir da auch mit der Hand Stühle abschleifen sollen, werde ich ihnen meinen Maschinenschein zeigen und fragen, was das soll. So was mache ich nicht mit.“ Von ALG II könne man nur leben, wenn man schwarz putzen geht. Das wird mit einem Ein-Euro-Job fast unmöglich.

Wir trafen daneben auch auf Leute, die ganz froh sind, diesen Job zu haben. („Besser als gar nichts.“) In den Gesprächen wurde jedoch immer wieder deutlich, wie unzufrieden die Leute mit den herschenden Arbeitsbedingungen waren und das sie viel darüber diskutierten und zum Teil auch gemeinsam etwas dagegen unternahmen.

Beschissene Arbeitsbedingungen

  • Kommt jemand auch nur eine Minute zu spät, wird eine halbe Stunden Arbeitszeit abgezogen. Die muss am Ende drangehangen werden. "Das ist die beschissenste ABM, die ich jemals hatte. Woanders haben sie dich auch mal halb vier gehen lassen. Hier musst du bis zum Ende deine Zeit absitzen."
  • Es gibt sehr rigide Pausenregelungen. Die Gruppen (auch innerhalb einer Werkstatt) haben streng getrennte Pausen. Auch für die Raucherpausen gibt es vorgeschriebene Zeitpläne, die die Gruppen getrennt einhalten sollen. Daran schien sich aber kaum jemand zu halten. Die Raucherpausen werden überzogen, dagegen haben die Werkstattleiter keine Handhabe. Als einer der Ein-Euro-Jobber uns seine "Gruppe" in der Werkstatt vorstellen wollte, waren sie alle unterwegs. "Die rauchen oder springen irgendwo rum. Das nimmt hier niemand so ernst."
  • Die getrennten Essenspausen finden in einem Raum statt, der gerade mal doppelt so groß ist wie der enge Raucherraum und uns als eine Zumutung beschrieben wurde. Auch stellte der Verein weder Kühlschrank noch Kaffeemaschine, nicht einmal einen Wasserkocher zur Verfügung. Das mussten sie sich selbst organisieren. Und wurden zudem noch gefragt, ob jemand einen Teppich für den Pausenraum zu Hause übrig habe.
  • Es ist verboten während der Arbeitszeit Radio zu hören. Der Chef hätte das damit begründet, dass sie hier eine multikulturelle Mischung wären, da würde es immer Streit geben, welcher Sender gehört wird. Die Leute sagten nur, dass wäre so ein Schwachsinn, sie würden sich untereinander schon einigen können und dann würde halt mal der und dann ein anderer Sender laufen!
  • Auch würde der Chef nie grüßen, wenn er in eine der Werkstätten kommt, und sie herablassend behandeln.

Gabelstapler-Schein als Qualifizierung

Fast überall beschwerten sich die Leute darüber, dass sie hier kaum qualifiziert werden. Die meisten häben regelmäßig ein paar Tage Bewerbungstraining (!) und einige konnten einen Gabelstaplerschein machen. Der Kommentar einer Frau dazu: dieser sei Schein eh nur ein Jahr lang gülitg sei und was sie damit anfangen solle! (Der Chef dagegen behauptete, er wäre zwei Jahre lang gültig - was aber auch nicht viel ändert.)

Sämtliche Produkte, die in den Werkstätten herstellt werden, sind für Kitas und Schulen gedacht. Sie werden also nicht direkt vermarktet. Man könnte allerdings vermuten, dass es im öffentlichen Bereich andere Wege der Finanzierung gibt, z.B. durch Hin- und Herschieben von Zuschüssen und Spenden. In den verschiedenen Werkstätten konnten wir aufwendige und anspruchsvolle Auftragsarbeit sehen, parallel zu Arbeiten, die als reine „Beschäftigungsmaßnahme“ anmuteten.
So gab es in der Nähwerkstatt verschiedene Gruppen. Eine bestand aus Frauen, die früher schon als Näherinnen gearbeitet haben, und nun an den Nähmaschinen recht aufwendige Kinder-Kostüme für Kitas herstellen. Eine andere Gruppe Frauen muss den ganzen Tag lang (ziemlich hässliche) Püppchen stricken, die dann verschenkt werden würden. Die Gruppen wurden nach Vorqualifizierung eingeteilt, aber auch dem Einzugsgebiet nach. Auf der einen Seite arbeiteten die Frauen aus Neukölln, auf der anderen die aus Treptow/Köpenick.

"Kommt rein in die Rebellenbude"
Ein Bescherdebrief ans Arbeitsamt

Wir saßen eine ganze Weile mit Leuten aus der Metallwerkstatt im Raucherraum zusammen. Jedesmal, wenn jemand zum Rauchen in den Raum kam, hieß es: „Kommt rein in die Rebellenbude!“ Einer der Männer verglich den Verein mit den Bork aus der "Star Trek"-Serie. "Die verpassen uns Implantate und wollen uns am Ende ganz assimilieren. Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten, damit wir nicht nebenbei schwarz arbeiten gehen!" Ihre Aufgabe ist die "Defragmentierung von Elektrogeräten", was im Klartext heißt, sie müssen alte Geräte auseinander nehmen und brauchbare Teile ausbauen. Die gehen vor allem an den Schrotthändler. Sie müssen z.B. die Plastikisolierungen von Kupferkabeln abziehen, damit das Kupfer wiederverwendet werden kann.
Diese Truppe aus der Metallwerkstatt ist schon seit einigen Monaten zusammen und sie haben kollektiv schon einiges versucht haben, auf die Beine zu stellen. So schrieben sie einen Beschwerdebrief ans Arbeitsamt, in dem sie all die miesen Umstände aufzählten, unter denen sie dort arbeiten müssen. Der Brief war von allen (aus der Werkstatt) unterschrieben worden. Sie beschwerten sich auch darüber, dass ihnen die alten, höhenverstellbaren Stühle "unter'm Hintern weggezogen" worden sind (wegen erhöhter Brandgefahr) und durch viel zu niedrige Holzstühle ersetzt wurden. Die Höhe der Werkbänke ist dagegen so, dass man nicht daran arbeiten kann, ohne Rückenprobleme zu bekommen. Einige haben sich draufhin dicke Polsterkissen besorgt, die aber ein schlechter Ersatz sind.

Das Arbeitsamt gab ihnen auf den Beschwerdebrief keine Antwort. Dagegen kam zweimal eine angekündigte Delegation vom Arbeitsamt, um sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Wir wissen nicht wie, aber die Projektleitung des Vereines hat alles getan, um einen guten Eindruck abzugeben und zu demonstrieren, dass alles in geregelten Bahnen läuft. („In geregelten Parametern...“) Für die Leute aus der Metallwerkstatt war klar, dass der Verein mit dem Arbeitsamt klüngelt und sie dagegen überhaupt nicht ernst genommen wurden und.

Es war echt erfrischend mit den Leuten dort zu reden. Wir wollen auf jeden Fall in Kontakt bleiben und des öfteren vorbeischauen. Nicht erst, wenn die Leute wechseln, sondern auch demnaechst, um mit denen, die wir jetzt getroffen haben weiter zu reden und zu schauen, was unser Auftauchen moeglicherweise hinterlassen hat. Der Stimmung nach fehlte nicht viel, dass dort einige mal richtig auf den Putz hauen.


Ein-Euro-Job-Spaziergang am 08.03.2005 in Berlin / Prenzlauer Berg

TeilnehmerInnen: anfangs ca. 12, später ca. 8

1. Station: Jobcenter in der Straßburger Straße

Zur Einstimmung begab sich die Gruppe von Ein-Euro-Job-Betroffenen, ALG 2-EmpfängerInnen und sonstigen an dem Thema Interessierten um ca. 11:00 Uhr in das Jobcenter in der Straßburger Straße, das speziell Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre betreut. Dabei handelt es
sich um die Gruppe von ALG 2-EmpfängerInnen, die bevorzugt in MAE (= Mehraufwandsentschädigungs-)-Maßnahmen (Ein-Euro-Jobs) vermittelt werden sollen.

Leider haben wir keine Jugendlichen angetroffen, die derzeit entsprechende Maßnahmen absolvieren. Die in den Warteräumen wegen Leistungsbezugs wartenden Jugendlichen (in einem Raum etwa acht, in einem anderen etwa 15 Personen im Alter zwischen ca. 16 und ca. Anfang 20), die wir nach ihrer Einschätzung bezüglich Ein-Euro-Jobs fragten, lehnten diese für sich einhellig ab.

Die völlige Abwesenheit von Maßnahmenbetroffenen machte uns stutzig, weshalb wir bei einer Mitarbeiterin des Jobcenters nachfragten. Sie versicherte uns, dass dieses Jobcenter sehr wohl schon umfassend in entsprechende Maßnahmen vermittelt und bat uns, für weitere Informationen
bei der Abteilungsleiterin vorzusprechen, die jedoch nicht anwesend war.

2. Station: Verwaltung eines im soziokulturellen Bereich tätigen Trägers in Prenzlauer Berg

Unangekündigt betraten wir das Büro des für "Beschäftigungsförderung" zuständigen Mitarbeiters, Herr R., der die Ein-Euro-Stellen in seinem Haus koordiniert. Nach anfänglichem Widerstreben zeigte sich Herr R. halbwegs auskunftsbereit. Er weigerte sich allerdings im gesamten Gesprächsverlauf beharrlich, die Zahl der von seinem Träger eingesetzten MAE-Beschäftigten
und ihre Einsatzbereiche zu nennen. Laut den Vorerkundungen der Vorbereitungsgruppe beläuft sich ihre Zahl jedoch auf 80 Personen in zwei Kontingenten (50 und 30 Personen), die schon seit dem letzten Jahr (2004) beschäftigt werden und von denen einige auch externen, nicht zum Träger
gehörenden Einrichtungen (sog. Kooperationspartner) zur Verfügung gestellt wurden. Auch wollte Herr R. uns verbieten, auf dem Gelände und in den Einrichtungen des Trägers eigenmächtig nach Ein-Euro-Jobbern zu suchen.

Zum Aspekt des Zwangscharakters von MAE-Maßnahmen befragt erklärte er, dass der Träger im Einzelgespräch strikt auf das Einverständnis der / des Betroffenen zu der jeweiligen Maßnahme achte. Dies geschähe insbesondere deshalb, weil die MAE-ler beim Träger vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, in dem unmotivierte MitarbeiterInnen nicht zu verantworten wären. Herr R. stimmte jedoch unserer Einschätzung zu, dass "freiwillig" vor dem Hintergrund des geringen ALG 2-Regelsatzes und der Notwendigkeit für jeglichen - und sei er auch noch so geringfügigen - Zuverdienst nicht wirklich zutreffend ist.

Befragt, ob die Beschäftigung von MAE-lern in seinem Hause reguläre Beschäftigungsverhältnisse gefährde, vertrat Herr R. den Standpunkt, das Gegenteil sei der Fall, und meinte damit nicht nur seinen eigenen Job. So sei es für den Träger mit Ein-Euro-Jobs möglich, Leistungen anzubieten,
die ansonsten nicht finanzierbar seien, wodurch auch reguläre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen oder zumindest erhalten würden.

Besonderen Wert legt der Träger laut Herrn R. auf die Qualifizierung der MAE-ler. Pro maximal 15 Beschäftigte gebe es einen Coach und darüber hinaus aufgrund der interdisziplinären Struktur des Trägers umfassende interne Qualifizierungsmöglichkeiten, die auch wahrgenommen würden. Nicht
ohne Stolz und Rührung berichtete er von erfolgreichen Beispielen in seinem Haus.

Grundsätzlich habe es sich der Träger bei der Entscheidung über den Einsatz von Ein-Euro-Jobbern nicht leicht gemacht und sich letztlich dafür entschieden, weil die positiven Aspekte für die Betroffenen überwögen. Insgesamt zeigte sich Herr R. mit unseren Argumenten gegen Ein-Euro-Jobs vertraut und kannte auch einige Veröffentlichungen Hartz-kritischer Gruppen, was sich wahrscheinlich aus dem alternativen Duktus des Trägers erklärt.

Im weiteren Verlauf des Spaziergangs hatten wir dann die Möglichkeit, uns auch mit den Positionen von bei diesem Träger beschäftigten Ein-Euro-JobberInnen, sozusagen "der anderen Seite", vertraut zu machen.

3. Station: zwei im Bereich Kinder und Jugendliche tätige Einrichtungen dieses Trägers

Die Leiterin der ersten der beiden von uns besuchten Einrichtungen erklärte, dass sie aus grundsätzlichen Erwägungen den Einsatz von Ein-Euro-JobberInnen in ihrer Einrichtung ablehne, was der Träger offenbar akzeptiere.

In der zweiten Einrichtung trafen wir eine etwa 40jährige Ein-Euro-Jobberin, die früher als Sekretärin tätig war und nun für den Träger ebenfalls Sekretariatsarbeiten erledigt. Die ihr durch den Träger angebotenen Qualifizierungsangebote betrachtet sie als für sich nicht wirklich sinnvoll und versucht daher, sich unabhängig vom Träger selbst weiterzubilden. Eine  Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt erwartet sie nicht mehr.

4. Station: eine im Bereich Kinder und Jugendliche tätige Einrichtung des Trägers

In der Einrichtung trafen wir vier Ein-Euro-JobberInnen an. Leiterin war eine Mitarbeiterin mit einem Halbjahresvertrag. Alle vier MAE-ler haben ihre Tätigkeit noch in 2004 aufgenommen, arbeiten also "freiwillig", da im letzten Jahr bei Ablehnung noch keine Kürzung der Bezüge erfolgte. Eine der vier MAE-ler hat sich sogar gezielt um die Stelle beworben, um in ihrem Berufsfeld tätig sein zu können.

Die Mehraufwandsentschädigung beträgt EUR 1,50 pro Stunde bei 30, häufig auch mehr Wochenstunden. 10 Wochenstunden seien für Jobsuche vorgesehen, wobei ein Nachweis der Suche nicht erforderlich sei. Tatsächlich hält die Menge der Arbeitsstunden die Befragten nach eigener Aussage von der Jobsuche ab.

Die Einrichtung verfügten in dieser Abteilung bis 2001/2002, als radikale Kürzungen vorgenommen wurden, über mehrere feste Stellen. Nach deren Wegfall wurden ABM- und SAM-Kräfte eingesetzt, die wiederum Ende 2004 von den vier MAE-lern sowie der Leiterin ersetzt wurden.

Einhellig betonen die MitarbeiterInnen die bezirksweite Bedeutung ihrer Einrichtung, die Serviceleistungen für Schulen erbringt, die diese bislang noch auf Eigeninitiative hin nutzen. In naher Zukunft wird den Schulen jedoch voraussichtlich vorgeschrieben werden, derartige Serviceleistungen anzubieten, wodurch der Stellenwert der von uns besuchten Einrichtung deutlich steigen wird. In einem derartigen Fall ließe sich allerdings nicht mehr von "Zusätzlichkeit" sprechen, was aber ein entscheidendes Kriterium für Ein-Euro-Jobs darstellt.

Wie auch andere MAE-lern in vergleichbaren Situationen äußerten die Befragten bezüglich ihrer Arbeit den Wunsch, "sich nötig zu machen". Mit dem durch sie zu erbringenden Nachweis der "Unentbehrlichkeit" ihrer Einrichtung verbinden sie die diffuse Hoffnung zu festen Stellen zu kommen - wenn auch zugestanden wird, dass diese Aussicht de facto kaum besteht. Lediglich einer der vier MAE-ler bewertet seine Situation auf dem Arbeitsmarkt als positiver als vor der Maßnahme und rechnet sich Chancen für eine reguläre Beschäftigung aus, während die übrigen sich keinerlei Verbesserungen erwarten. Eine Frau sprach sogar von einem "Missbrauch von
Hoffnungen, Kompetenzen und Fähigkeiten".

Die Arbeit im Team empfinden alle als sehr positiv, leiden jedoch unter der fehlenden Perspektive und dem bevorstehenden Auseinanderbrechen der Gruppe. Alle möchten gute Arbeit leisten und würden diese gerne weitermachen, dürfen aber nicht. Als besonders problematisch für die Gruppenarbeit wird die hohe Fluktuation der Beschäftigten betrachtet.

Zum Thema Qualifizierung im Rahmen der Maßnahme äußerten sich die MAE-ler skeptisch. Zwar gebe es Angebote durch den Träger, diese seien aber nicht immer spezifisch für ihren Arbeitsbereich. Außerdem würden z.B. auch allgemeine Teamsitzungen als Qualifizierung zählen, was man als Indiz für die Entwertung des Anspruchs auf Qualifizierung betrachten kann. Im Endeffekt fahren die MAE-ler daher die Strategie, sich die sie interessierenden bzw. betreffenden Qualifizierungsmöglichkeiten selbst zu suchen und vom Träger genehmigen zu lassen. Die trägerseits für Qualifizierung und administrative Betreuung zur Verfügung stehenden ca. EUR 300,00 pro Monat und MAE-ler würden für Qualifizierungszwecke jedoch niemals ausgeschöpft.

Widersprochen wird der von Seiten von Trägern häufig vorgebrachten Behauptung, Ein-Euro-JobberInnen machten für den Träger mehr Arbeit als sie Nutzen brächten. Im Gegenteil vertraten unsere GesprächspartnerInnen die Einschätzung, dass Ein-Euro-Stellen bei ihrem Träger geschaffen wurden um Geld zu machen.

Allgemein waren die MAE-ler offenbar froh, mit Interessierten über ihre Erfahrungen sprechen und sich austauschen zu können. Einer bedankte sich gar "für den frischen Wind". Es wurde deutlich, dass von Seiten der Betroffenen Bedarf an Gesprächen über diese Art von Arbeit und die ihr
zugrunde liegenden Mechanismen besteht.


4. Berliner 1€-Job Spaziergang

Zusammengefunden hat sich diesmal eine Gruppe von 10-12 Leuten, dabei einige neue Gesichter und ein Kleinkind.

Erste Station war ein Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger und dessen Geschäftsführung. Ziel war eine Adressenliste der konkreten Einsatzorte zu bekommen. Die wollten oder konnten sie uns nicht geben und haben uns auf andere Filialen verwiesen. Von dort aus werden die 1€ Jobber vermittelt, d.h. dort sind die Einsatzorte bekannt. Die Einsatzbereiche erstrecken sich laut deren Flugblatt auf eigentlich alles: von technischen und handwerklichen Tätigkeiten über Obdachlosenhilfe bis zur Herstellung von Behindertenhilfsmitteln.

Einer der Mitarbeiter verabschiedete sich mit den Worte, er findet es gut, wenn Leute sich wehren... bla bla.

Weiter gings in die unteren Stockwerke. Dort finden Aus- und Weiterbildungskurse, d.h. auch die sog. Qualifizierungsmaßnahmen für 1€ Jobber, ABM,... statt. Die Klassenräume in der 1. und 2. Etage waren leider fast alle leer. Die Schüler, die wir noch antrafen, nahmen an Sprach- und Berufsvorbereitenden Kursen statt. Einige Lehrkräfte verwiesen uns nach Anfrage in welchen Räumen und wann Kurse für 1€ Jobber stattfänden auf die Geschäftsführung.
Eher zufällig stiessen wir vor der Tür auf 4 Menschen in ABM und 1€ Massnahmen, die gerade an einer sechswöchigen Schulung teilnehmen im Bereich Pflege. Die beiden 1€ Jobber waren eingesetzt in der Altenpflege/ Seniorenfreizeitstätte, wo sie seit 5 Jahren über ABM, GZA und zuletzt ehrenamtlich tätig waren. Fahrkarten werden nicht bezahlt. OK fanden es die beiden, weil der Job Geld bringt und die Arbeit mit den Alten eigentlich auch ganz nett sei. Hoffnung auf einen regulären Arbeitsplatz hatten beide nicht. Die 1,50 die sie verdienen finden sie auf jeden Fall wenig und reguläre Arbeitsplätze verdrängen tuts wohl auch. Die ABMlerin war eingesetzt in einer Obdachlosenpension, wo sie im Sekretariat arbeitet, als Vertretung für die z.Zt. nicht anwesende
Hauptamtliche. Auch sie hat keine Hoffnung auf eine reguläre Arbeitsstelle. Ihre Arbeit sei zusätzlich und im allgemeinen handele es sich sowieso um zusätzliche Arbeit und die Träger kämen auch ohne 1€Jobber aus. Die Unterrichtspause ist immer von 11:30 bis 12:00 und alle würden sich freuen wenn wir nochmal wiederkämen und nahmen unsere Flugblätter interessiert entgegen.

Letzte Station war ein sogenannter linksalternativer Träger, der Projekte im soziokulturellen Bereich anschiebt und betreut. Dort sind ca. 30 Stellen beantragt, von Seiten des Senats jedoch noch nicht bewilligt. Einsatzgebiete sind Hof+ Gelände, Kultur und Büro. Der Verein hat bisher auch GZA Stellen betreut, was jetzt weggefallen ist. Die Überraschung war gross, als wir dort mit unserem „Trupp der öffentlichen Kontrolle“ reinkamen (wie immer halt). Die Anwesenden liessen sich jedoch bereitwillig auf eine Diskussion mit uns ein. Eine Frage unsererseits war, warum sich gerade viele alternative Projekte regelrecht auf die 1€ Jobs stürzen, wo sich andere Projekte noch in Zurückhaltung üben.

Sie hätten über die politische Dimension der MAE’s diskutiert und wissen eigentlich auch, dass es scheisse ist. Es seien jedoch mehrfach Leute auf sie zugetreten und hätten gefragt, ob sie nicht im Rahmen einer solchen Maßnahme im Verein tätig werden können und zwar die Leute, die eh schon seit langem ehrenamtlich dort arbeiten. Der Frage, was sie denn bei Leuten machen, die vom Amt zwangszugewiesen werden (zB stempel für geleistete Arbeit geben und wieder wegschicken) und ob die Leute die wöchentlichen 30 Stunden ableisten müssten wichen sie aus.

Die Gelder, die vom Amt für Betreuung und Qualifizierungsmassnahmen an die Träger gezahlt werden (ca. 300€ monatlich) will der Verein in die Projekte investieren, in denen die 1€ Jobber dann tätig sind (z.B. Fahrradwerkstatt, Gelder für Werkzeuge nutzen), damit sich die Leute ein Standbein aufbauen können und auch nach Ende der Massnahme weiterhin arbeiten können (-ehrenamtlich?). Unsere Frage, warum nicht der gesamte Betrag (500€) direkt an die Leute ausgezahlt werden kann und diese das für welche Zwecke auch immer ausgeben, wurde nicht beantwortet.

Dann gab es ne längere Diskussion mit einem zukünftigen 1€ Jobber, der ein Musikprojekt hochziehen will und der eigentlich nur nochmal das bestätigte, was die Frau aus dem Büro schon erzählt hatte. Er sei froh wenn er endlich mal Geld bekäme für seine Arbeit hier. Seit einigen Jahren engagiert er sich im Verein schon und nur einmal für wenige Monate sei er über GZA finanziert worden. Er sei interessiert daran was andere Leute gegen diese Art der Arbeitsmarktpolitik machen und hätte auch Lust sich zu beteiligen.

Er stellte uns noch einen weiteren Zukünftigen vor, der ein Cafe/ Bar auf dem Gelände des Vereins zZt ehrenamtlich betreibt und über die 1€ Stelle und später mit dem Existenzgründerzuschuss auf Selbständigkeit hofft und davon leben zu können. Auch er sieht das Problem, das wenn man
sowas beantragt, diese Art der Zwangsarbeit legitimiert wird.


Bericht von einem Spaziergang im Februar: Ein weiterer Spaziergang in Berlin

Unsere Liste von Beschäftigungsträgern, die Ein-Euro-Jobber vermitteln, ist inzwischen sehr lang geworden. Die haben so schöne Namen wie KEBAB oder BEQUIT oder GBB. Die Einsatzorte sind aber sehr unterschiedlich und schwieriger rauszufinden. Bisher können wir feststellen, dass die
Ein-Euro-Jobs nichts völlig neues sind, sondern (im Moment) dort eingerichtet worden sind, wo eh seit Jahren mit Maßnahmen wie ABM und GZA gewirtschaftet wird. Nach den bisherigen Gesprächen mit Ein-Euro-Jobberinnen sind wir zu der "These" gekommen, dass viele bei den Ein-Euro-Jobs
zugreifen, weil es seit Jahren in Berlin keine vernünftigen Jobs mehr gibt.

ALG II plus MAE-Job* bringt am Ende mehr Kohle als die meisten anderen Stellen für geringqualifizierte, Vollzeitstellen gibt es eh kaum noch. Wir überlegen auch, die Spaziergänge nicht nur zu Ein-Euro-Jobs zu machen, sondern auch mal bei Schlecker oder Lidl vorbeizuschauen und mit den Leuten dort zu reden.

Die Stimmung auf dem Spaziergang war gut. Wir waren zwölf Leute, ein paar neue Gesichter dabei. Die Vorbereitung übernehmen zur Zeit immer wieder andere Leute, so dass das nicht an zwei Leuten hängen bleibt. Wenn wir das weiter so hinbekommen, können die Spaziergänge auch in den nächsten Monaten starten. Wir hoffen auch darauf, dass woanders Leute die Idee übernehmen und selbst losziehen. Wir bekommen jetzt einiges aus Berlin mit, interessant
wäre es zu erfahren, wie es denn in anderen Städten aussieht. Falls ihr was zu berichten habt, unsere Konatkadresse ist: eineurojob@gmx.net

Zunächst waren wir im Arbeitsamt. Wir haben dort an die 300 Flugblätter* verteilen können. Die Leute waren meistens interessiert. Richtige Gespräche sind leider kaum zustande gekommen. Das liegt wohl an der allgemeinen Atmosphäre dort und daran, dass wir nichts konkretes fragen können. Die Stelle für die ALG II - Anträge war knackevoll. Da meinten ein paar Leute, dass sie den Antrag abgegeben hätten und immer noch kein Geld da wäre. Ein weiteres Flugblatt war an die Sachbearbeiterinnen gerichtet, die bei der Agentur angestellt sind. Wir sind einfach in die Büros rein und haben ihnen das Fugi in die Hand gedrückt. Nur zwei von ihnen reagierten darauf,
inwieweit ihre Arbeitsbedingungen sich verschlechtert hätten und erzählten, dass sie nur noch befristete Verträge haben.

Dann sind wir zu einer Grundschule in Neukölln. Auf dem Weg dahin mit der U-Bahn sind wir gemeinsam schwarz gefahren. Falls sie kontrollieren, können diejenigen von uns, die eh eine Monatskarte haben, die Kontrolleure aufhalten oder ablenken und den anderen den Rücken frei halten, dass sie wegkommen.

Wir hatten gehört, dass in der Schule etwa 40 Leute nur auf Maßnahmen-Basis arbeiten, also ABM, SAM, GZA und jetzt Ein-Euro-Jobber. Alle von den unterschiedlichsten Trägern vermittelt. Während einige von uns mit den Leuten geredet haben, die wir auf dem Flur, in der Kantine oder im Computerraum antrafen, gingen andere zur Schulleiterin. Wir wollten in ihr Büro und durchsetzen, dass sie uns Kopien von einer Hartz-IV-Infobroschüre machen lässt. Leider hat das nicht geklappt, wir haben uns zu schnell aus ihrem Amtszimmer rausschicken lassen. Sie kam mit uns ins Gespräch. Die Schule läuft schon seit Jahren über Maßnahmen und ohne die rund 40 Stellen (30 ABM oder SAM und 11 MAE* - bis auf die Lehrerinnen und Lehrer ist dort niemand regulär beschäftigt) würde der Schulbetrieb überhaupt nicht funtkionieren. Wie uns die Ein-Euro-Jobberinnen von der Schulstation erzählten, gab es dort vor einigen Jahren noch zwei feste Stellen für Erzieherinnen, später wurden daraus ABM, jetzt sind es die Ein-Euro-Jobs.

Kurz vorher hatte uns die Schulleiterin versichert, dass alle Stellen, die über Maßnahmen laufen, auf jeden Fall zusätzlich seien und dadurch keine festen Stellen weggefallen wären. Außerdem präsentierte sie uns diesen Schulbetrieb als tolles Projekt, schließlich bekämen Arbeitslose hier wieder eine Chance.

Auf dem Flur begegneten wir einem jungen Typen Anfang Zwanzig, der inmitten von Kinderfaschingsgegröle die Wände renovierte. Er ist ausgebildeter Maler und Lackierer und macht hier in der Schule Hausmeisterarbeiten auf Ein-Euro-Job-Basis. Zur Zeit eben die Renovierung der Treppenhäuser und Flure. Einen Hausmeister gibt es außerdem noch. Er fand das ganz gut, den
Job anzunehmen. Wäre ein bißchen mehr Kohle und er käme mal wieder irgendwo rein. Im Oktober musste er zu einer zweitägigen Veranstaltung zu Ein-Euro-Jobs und das Arbeitsamt bot ihm damals diese Ein-Euro-Stelle an.
Sie meinten zu ihm, jetzt sei es noch freiwillig, aber sie wissen ja, dass wir Sie ab Januar 2005 dazu verpflichten können, also wird das so oder so auf sie zukommen... Der Arbeitsalltag in der Schule wäre okay. Er könne auch mal zu spät kommen oder 'ne Stunde eher gehen.

Die Kantine der Schule untersteht nicht der Schulverwaltung. Die läuft über eine private Firma. Die Frauen in der Küche waren uns gegenüber sehr offen. Sie arbeiten dort auch alle auf ABM-Basis. Eine Frau sagte, sie hoffe, dass sie anschließend übernommen wird. Die Kantinen-Chefin dagegen meinte, die würden hier doch alle wissen, dass sie nicht übernommen werden. Die bekommen ihr Zeugnis am Ende und fertig. Die Küche würde ohne diese Maßnahmen-Finanzierung nicht laufen. Außerdem beschwerte sie sich noch, dass die ABMlerinnen ihren Job nicht ernst nehmen und viel zu oft blau machen.

Dann gab es noch ein sehr langes ausführliches Gespräch mit drei Frauen, zwei ebenfalls Anfang Zwanzig, die dritte schon älter. Die beiden jüngeren waren neu an der Schule, als Ein-Euro-Jobberinnen. Die andere seit fünf Jahren ohne Unterbrechung, immer über GZA vom Sozialamt finanziert. Sie sind hauptsächlich auf der Schulstation, ihr Job wurde vor Jahren von zwei Erzieherinnen abgedeckt. Sie geben dort Hausaufgabenhilfe und sich beschäftigen sich mit den Kids. Nachdem die drei anfangs erzählt haben, dass sie den Job auf jeden Fall freiwillig machen würden, sie sich gerne nützlich machen wollten und voll zufrieden wären, bröckelte ihre Eindeutigkeit nach einigen Fragen immer weiter ab. So meinte eine von ihnen, dass sie lieber diesen Job machen würde als von 9-21 Uhr Brötchen zu verkaufen, was ihr vorher mal als Job angeboten wurde. Und dabei kaum mehr als Arbeitslosenkohle zu verdienen. Der Ein-Euro-Job sei halt eine Möglichkeit, etwas dazu zu verdienen. Aber wegen der Freiwilligkeit: klar, wenn eine von
ihnen jetzt keine Lust mehr auf den Job hätte und abrechen möchte, würde ihr Arbeitslosengeld II gekürzt oder gestrichen. Das hätte ja auch was mit Zwang zu tun.

Schließlich trafen wir noch oben im Computerraum auf fünf Männer zwischen 19 und 50 Jahren. Sie sagten, sie wären alle als ABMler in der Schule beschäftigt. Einer von ihnen hatte gerade sein Germanistikstudium abgeschlossen. Die ABM-Stelle wurde ihm letzten Herbst angeboten. Er und ein anderer, sehr junger Typ, waren als "Gebäudeassistenten" dort angestellt. Sie zeigten uns den Vertrag, in dem als Aufgabenbereiche u.a. Unterrichtshilfe oder Betreuung der Computer­anlagen aufgeführt waren. Der junge Mann erzählte uns, er hätte keine Ausbildungs­stelle bekommen und die ABM sei jetzt Überbrückung bis er was findet. Er muss manchmal im Unterricht eines Lehrers ein schwieriges Kind aus der Klasse rausnehmen und mit ihm Einzelfallbetreuung machen, damit der Unterricht für die anderen reibungslos läuft. Ansonsten leitet er die Fußball-AG, damit die Kids ein bißchen mehr Bewegung haben.

Letzte Station auf unserem Spaziergang war ein Beschäftigungsträger in Neukölln, der gerade vom dortigen Jobcenter 100 Ein-Euro-Jobberinnen zugewiesen bekommen hat. Bis Ende des Jahres sollen es 1000 werden. Zur Zeit läuft die Vermittlung nur über die Zentrale des Trägers, demnächst soll auch die Außenstelle, in der wir waren, das übernehmen. Bezeichnenderweise ware sämtlichen Beschäftigten, mit denen wir geredet haben, selbst ABMlerinnen. Früher waren es feste Stellen. Von ihrem Büro aus läuft die Projektverwaltung (Projekte, in denen Leute mit Maßnahmen eingesetzt werden), sie machen aber auch Beratung. Wir konnten unsere Flugblätter zu ihrem Infomaterial legen. Auch sie blieben eine Weile mit uns im Gespräch. Untereinander würden sie viel über Hartz IV und die Folgen diskutieren. Einige von ihnen haben nach der neuen Regelung im Anschluss an die ABM keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, würden also direkt ins ALG II
rutschen. Eine Frau meinte, da wäre es fast noch besser, einen Ein-Euro-Job zu haben, immerhin ein bißchen mehr Geld.

Wir sind dann noch gemeinsam Pizza essen gegangen und haben die einzelnen Details für den Bericht zusammengetragen oder weiter diskutiert.

*MAE = Mehraufwandentschädigung, offizielle Bezeichnung für Ein-Euro-Jobs


Bericht von einem Spaziergang im Januar

Als wir morgens losgehen wollten, erwarteten uns schon zwei Bullenwannen am Treffpunkt, die wir aber abhängen konnten.

Wir haben zunächst einige Beschäftigungsträger abgeklappert, die für die Vermittlung von Ein-Euro-Jobbern und -Jobberinnen zuständig sind. Wir trafen dort auf befristet Angestellte, die selbst vorher arbeitslos waren. Sie beteuerten uns, sie würden nur Leute vermitteln, die einen Ein-Euro-Job auch machen wollten, andere könnten problemlos wieder nach Hause gehen. Wie sie aber mit den neuen Regelungen ab Januar 2005 umgehen werden, wollten sie uns nicht sagen. Sie fänden natürlich nicht in Ordnung, dass die Industrie daran verdienen solle. Mehr könnten sie dazu nicht sagen, wir sollten lieber zu ihren Chefs gehen.

Das haben wir dann auch getan, allerdings meinten die Frauen dort im Büro, sie wären seit Jahren zuständig für die Vermittlung versicherungspflichtiger Ein-Jahres-Verträge für Sozialhilfeempfänger. Mit Ein-Euro-Jobs hätten sie (noch) nichts zu tun, sie wären auch nicht die Chefetage des Trägers? Wo sind die Chefs?

Unsere nächste Station war die CARITAS, die ja mehrfach verkündet hat, Ein-Euro-Jobs einzurichten und sich damit vor allem für die „berufliche Qualifizierung jugendlicher Arbeitsloser unter 25 Jahren zu engagieren“. Wir trafen zunächst nur auf Angestellte einer Sozialstation von Caritas. Die Frauen dort wollten keine persönliche Meinung zu den geplanten Ein-Euro-Jobs äußern und weigerten sich auch, unsere Fragen – zum Beispiel zu nötigen Qualifikationen für Ein-Euro-Jobberinnen im Pflegebereich zu beantworten. Auch sie verwiesen uns an die zentrale Verwaltung der Caritas...
Bei einem anderen Besuch in einer Caritas-Einrichtung hatten wir aber auch schon interessante Gespräche mit „regulär“ Beschäftigten aus verschiedenen Einrichtungen. So erzählten uns Erzieherinnen und Reinigungskräfte, dass sie Angst davor hätten, die Caritas könne in Zukunft ihre ohnehin unsicheren, zum Teil befristeten Jobs durch Ein-Euro-Maßnahmen ersetzen. Sie waren an
unseren Flugblättern interessiert und wollten sie unter ihren Kolleginnen und Kollegen weiter verteilen.

Am Ende wurde es dann endlich nochmal richtig interessant, als wir in eine Werkstatt reinplatzten, wo etwa 40 Leute, meist Frauen und fast alle – mit Ausnahme der Vorgesetzten - migrantischer Herkunft, an Nähmaschinen saßen und Stofftiere für Kindergärten und Kitas herstellten. Fast so, wie man es sich in einem Sweatshop vorstellt... Alle Arbeiterinnen dort waren entweder ABM-Kräfte oder Ein-Euro-Jobberinnen (etwa die Hälfte). Trotz der aufgebrachten Aufseherin, die uns verbieten wollte, mit den Arbeiterinnen zu reden und Flugis zu verteilen, kamen wir mit einigen der Ein-Euro-Jobberinnen ins Gespräch. Sie erzählten, dass es sie nerve, keinen Anspruch auf Urlaub zu haben und im Krankheitsfall keine Kohle zu bekommen. Bezahlt blau machen ginge hier nicht. Ansonsten sei die Arbeit aber ganz locker, man würde sich nicht „totmachen“.

Eine Gruppe von sechs Frauen, die sich schon vorher kannten, erzählte uns, wie sie zu ihrem Ein-Euro Job gekommen waren. Sie hatten einen Brief vom Arbeitsamt erhalten, in dem ihnen diese Arbeitsstelle vorgeschlagen wurde, und beschlossen dort gemeinsam anzufangen, um zu verhindern, später einzeln in verschiedene Stellen vermittelt zu werden. Die Ein-Euro-Jobberinnen fanden es gut, dass sich jemand für ihre zum Teil beschissenen Arbeitsbedingungen interessiert. Während unserem Gespräch mit ihnen, lief die Projektleiterin wütend zum Telefon, um die Bullen zu rufen. Wir sind dann gegangen.

Wir werden dort auf einem der nächsten Spaziergänge sicher wieder vorbeischauen.

Da der Zwangscharakter der Ein-Euro-Jobs erst mit Hartz IV seit Anfang diesen Jahres durchgesetzt wird, kann man davon ausgehen, dass gerade damit begonnen wird, die neuen Maßnahmen durchzusetzen. Wir werden wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Monate auf Ein-Euro-Jobber stoßen, die unter Androhung der Kürzung ihres ALG II den Job machen müssen. Schwierig bleibt es auch, im Vorfeld abzuklären, was uns bei den jeweiligen Stellen erwartet und mit wem wir es direkt zu tun haben. Wir wollen weiter mit Ein-Euro-Jobberinnen und „regulär“ Beschäftigten diskutieren. Den Chefs dagegen sollten wir ausdrücklich klar machen, dass sie zukünftig Stress bekommen und die Durchsetzung der Ein-Euro-Jobs nicht ohne Widerstand geschieht. Alles in allem machen diese Spaziergänge Spaß. Es gibt Gelegenheit, zu diskutieren, Infos auszutauschen und neue Leute kennen zu lernen.

Falls Ihr Lust bekommen habt, kommt mit oder zieht selbst los: zwei zuverlässige Leute planen eine Route, ihr verabredet einen Treffpunkt und sagt interessierten Leuten Bescheid. Zwischendrinn kann's auch mal langweilig werden, weil nicht jede Adresse gleich ein Volltreffer ist.
Deshalb sucht euch mehrere Anlaufpunkte aus. Auf jeden Fall ist die Stimmung viel angenehmer als auf einer Demo, da ihr nicht ständig von bewaffneten Polizisten, Journalistinnen und nervenden (Hobby-)Politikern verfolgt und belabert werdet.

Berlin, Januar 2005


der aktuelle Flugblatttext:

Die 1-Euro-Jobber kommen!

Sie arbeiten vielleicht in einem Betrieb oder einer Einrichtung, wo demnächst sogenannte „Ein-Euro-Jobs“ auftauchen werden oder bereits zum Alltag gehören. Oder Sie sind schon auf den bitteren Geschmack dieser mit den Hartz IV-Gesetzen eingeführten Maßnahme gekommen und als
„Ein-Euro-Jobber“ tätig.

Wir wollen uns hier kurz einmischen, da wir arbeitslos sind oder es jederzeit werden könnten, und Hartz IV für uns wie für Sie ein Angriff auf unsere Lebensbedingungen ist.

Der Ein-Euro-Job ist der moderne Arbeitsdienst der Bundesagentur für Arbeit. Bezieher von Arbeitslosengeld II werden auf einen Arbeitsplatz vermittelt, an dem sie zusätzlich zur Sozialleistung etwa 1,50 Euro pro Stunde bei maximal 30 Wochenstunden dazuverdienen können. Besser gesagt, sollen, denn wer nicht will, dem wird die Stütze gekürzt oder gestrichen. Unter diesen Bedingungen ist es wohl kaum verwunderlich, wenn die Motivation eines „zugeteilten“ Ein-Euro-Jobbers, recht fleißig und kooperativ zu sein, gegen Null geht
.
Der Ein-Euro-Job kostet die Unternehmen keinen müden Cent. Im Gegenteil: Er ist ein prima Geschäft. Pro Jobber oder Jobberin streicht der Betrieb ca. 300 Euro von der Bundesagentur für Arbeit ein, die für Verwaltungskosten und die „Qualifizierung“ der Langzeitarbeitslosen
vorgesehen sind. Ihre „Aufwandsentschädigung“ - die 1,50 Euro pro Stunde - erhalten die Jobber vom Arbeitsamt.

Sicher wird man als Ein-Euro-Jobber keinen Abschluss machen können, der einem auf dem Arbeitsmarkt was nützt. Regulär Beschäftigte werden (neben ihren Arbeitsaufgaben) die Leute anlernen müssen. Die Jobberinnen verlassen aber bald wieder den Betrieb, da ein Ein-Euro-Job längstens neun Monate dauert. Danach beginnt alles von vorne. Die Maßnahmen dienen
lediglich der Disziplinierung von Arbeitslosen, nicht ihrem beruflichen Fortkommen.

Wenn es aber dazu kommen sollte, dass Ein-Euro-JobberInnen einem Laden tatsächlich wirtschaftlich Nutzen bringen, glauben Sie nicht auch, dass dann die Geschäftsführung die Löhne der anderen Beschäftigten bald viel zu hoch finden wird? Sie werden überlegen, wie sie die Struktur des Unternehmens so anpassen können, dass sie so viele JobberInnen wie möglich
einstellen können und so viele teure Arbeitskräfte wie irgend möglich los werden. Ein-Euro-Jobber haben kein reguläres Arbeitsverhältnis, wählen keinen Betriebsrat und haben auch sonst keine Rechte im Betrieb. Und sie müssen zudem noch befürchten, beim Arbeitsamt angeschwärzt zu werden, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie sollen.

Die gegen Arbeitslose gerichteten Disziplinierungsmaßnahmen dieser „Arbeitsmarkt-Reform“ wirken also auch gegen die bisher regulär Beschäftigten. Die werden wahrscheinlich froh sein über ihre Situation, ihre „Rechte“ als Gnade empfinden und an den Jobbern sehen, was sie sonst zu
verlieren hätten. Für beide, für JobberInnen wie für die regulär Beschäftigten bedeutet das: Schnauze halten und Arbeiten – egal was, egal, wie viel und egal zu welchen Bedingungen.

Das wichtigste Mittel dagegen ist, sich diesem Druck gemeinsam zu verweigern, anstatt sich gegeneinander ausspielen zu lassen. Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sie unter verschiedenen Bedingungen in der Einrichtung oder dem Betrieb arbeiten, wäre eine
wichtige Voraussetzung. Wenn Ein-Euro-Jobber sich absichtlich dusslig anstellen, langsam arbeiten, die Zeit mit Kolleginnen verschwätzen, dann liegt das sehr wahrscheinlich daran, dass sie sich für die Bedingungen, unter denen sie da jeden Tag auf der Matte stehen sollen, einfach nicht
begeistern können. Vielleicht entstehen darüber hinaus auch kollektive Formen des Widerstands – z.B. Dienst nach Vorschrift, Streiks – mit denen Sand ins Getriebe kommt.

Wenn Ihr Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobs habt, was unternehmen wollt oder meint, wir könnten mal auf einem unserer Spaziergänge in Eurem Betrieb vorbeischauen, dann meldet Euch doch.


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