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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Gegen
Hartz IV: Proteste vor und in den Arbeitsagenturen
Im Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub arbeiten Menschen mit, die an der Vorbereitung der Aktion „Agenturschluss“ am 3. Januar 2005 beteiligt sind. Einige von ihnen gehören – wie überhaupt ein großer Teil der Bündnis-TeilnehmerInnen – der Gewerkschaft ver.di an. In dieser Gewerkschaft, die auch etliche der bei Arbeitsagenturen und Sozialämtern Beschäftigten zu ihren Mitgliedern zählt, gibt es auch Widerstände gegen derartige Aktionen. Die ver.di-Mitglieder im Bündnis haben sich deshalb darauf verständigt, innerhalb ihrer Organisation die Auseinandersetzung darüber offensiv anzugehen und um Verständnis für Proteste gegen Hartz IV auch vor und in den Dienststellen zu werben, möglichst sogar eine Unterstützung zu erreichen. Das folgende Schreiben habe ich im Auftrag des Bündnisses als Vorschlag für eine gemeinsame Stellungnahme verfasst. Er wird auf dem nächsten Bündnistreffen am 15. November abschließend beraten und auch auf der Sitzung des ver.di-Bezirksvorstandes am selben Tag vorliegen. (Also nach Redaktionsschluss, aber vor Erscheinen dieser Ausgabe.) Die von einigen FunktionärInnen gestarteten Versuche, die Beteiligung von ver.di-Mitgliedern an solchen Aktionen zu verhindern, sind bereits gescheitert. Eine Diskussion, wie sie sich zur Zeit in Kiel entwickelt, gibt es in anderen Städten schon seit Wochen, und es gibt durchaus auch positive Stellungnahmen von GewerkschafterInnen in der Arbeitsagentur. Wer sich über diese Auseinandersetzungen informieren möchte, kann das am besten bei labournet und natürlich auf der ver.di-website tun; dort ist auch der „publik“-Artikel nachzulesen, auf den ich mich in diesem Schreiben so ausführlich beziehe. Nicht zuletzt die beeindruckende Demonstration von etwa 10.000 Menschen vor der Nürnberger Bundesagentur am 6. November hat gezeigt, wie groß die Unterstützung solcher Protestaktionen auch in Gewerkschaftskreisen und namentlich bei ver.di ist. Auf der Montagskundgebung in Kiel-Gaarden am 7.11. hat der Kollege Christian Koberg vom ver.di-Bezirksvorstand, der in Nürnberg dabei war, anschaulich darüber berichtet. Der Widerstand gegen Hartz IV hat sich sicher nicht so breit entfaltet, wie wir es gehofft und tatkräftig angestrebt haben. Es gibt allerdings keine Alternative dazu, weiter daran zu arbeiten. Noch ist der Kampf nicht entschieden, und auch die Medien sehen sich langsam gezwungen, kritischer über Hartz IV zu berichten: „Fast jeder vierte Arbeitslose bald ohne Hilfe?“ und „Bald 2,5 Millionen Kinder an der Armutsgrenze“ (Artikelüberschriften in der KN vom 7.11.) – so etwas sorgt für Reaktionen, die den Regierenden nicht lieb sein können. Bleibt die Aufgabe, die Empörung in Aktionen des Protestes und des Widerstands zu bündeln. Eine Aufgabe, der sich zuallererst GewerkschafterInnen stellen müssen. Das versuchen wir zu tun, und das wird man auch vor und in den Arbeitsagenturen und Sozialämtern merken. Dietrich Lohse Ver.di-Mitglieder innerhalb und außerhalb der Arbeitsagentur: Gemeinsam für gemeinsame Interessen (Vorschlag für eine gemeinsame Stellungnahme der ver.di-Mitglieder im Kieler Bündnis) Liebe KollegInnen und Kollegen, in unserer Gewerkschaft gibt es kontroverse Diskussionen
darüber, ob Proteste gegen Hartz IV vor und in den Arbeitsagenturen
und Sozialämtern berechtigt und unterstützenswert sind. Wir,
ver.di-Mitglieder im Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub,
stehen solchen Protesten (zum Beispiel am 6.11. in Nürnberg und am
3.1. in verschiedenen Agenturen) positiv gegenüber und werden uns
zum Teil an ihnen beteiligen. In einem Artikel in der ver.di-Zeitung „publik“ (Okt. 04) schreibt Gundula Lasch: „Viele ver.di-Mitglieder sind Betroffene von Hartz IV. Nicht nur Erwerbslose, sondern auch Beschäftigte der Arbeitsagenturen und Sozialämter sowie der Sozialverbände.“ Das stimmt, wenn man mit „Betroffenheit“ meint,
alle genannten Personen hätten irgendwie damit zu tun. Ansonsten
ist die Betroffenheit zunächst einmal durchaus unterschiedlich: Die
einen leiden unter dem Sozialkahlschlag, die anderen sollen ihn umsetzen.
Ist es deshalb richtig, wenn die Kollegin weiter schreibt: „Gar
nicht so einfach, die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner zu
bringen“? Und später: „Für ver.di eine
schwierige Gemengelage. Sie hat die Interessen all ihrer Mitglieder zu
vertreten. Funktioniert das ver.di-Motto `Solidarität im neuen Format´
auch jetzt?“ Ein solches Interesse gibt es nicht. Es sei denn, man setzt das Interesse am Erhalt eines Arbeitsplatzes gleich mit völliger Ignoranz gegenüber dem, was man da tut. Eine solche Einstellung unterstellen wir den KollegInnen ausdrücklich nicht. Und als abhängig Beschäftigte sind die Beschäftigten in Agenturen und Ämtern nicht erst bei eventuellem Arbeitsplatzverlust von Hartz IV betroffen, sondern heute schon demselben mit diesem Gesetz einhergehenden und damit auch beabsichtigten Druck auf Arbeitszeiten, Entgelt und andere Tarifbestandteile ausgesetzt, wie alle anderen KollegInnen im Öffentlichen Dienst und in der Privatindustrie. Deshalb besteht Solidarität in jedem Format auch nicht in der Kompromissfindung zwischen unterschiedlichen Interessen, sondern in der Organisierung des gemeinsamen Widerstandes gegen Sozialabbau und Lohnraub. Darin sehen wir die Aufgabe unserer Organisation, unserer Gewerkschaft ver.di. Absolut nicht einverstanden sind wir mit der Behauptung: „Nicht nur objektive Pluspunkte für Betroffene sind Anlass, etwas Dampf aus der Parole `Weg mit Hartz IV´ zu nehmen.“ Zunächst einmal: Die „objektiven Pluspunkte“ – „es gibt auch Regelungen, die für die Betroffenen Verbesserungen bringen. Beispielsweise, dass die Dienstleistungen nun aus einer Hand erbracht werden, dass Vermittlungs- und Qualifizierungsaktivitäten der Agentur für Arbeit nun auch erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern zukommen“ (Frank Bsirske) – können doch wohl nicht dazu führen, dass man die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (künftig ALG I), die Streichung der Arbeitlosenhilfe usw. akzeptiert, die „Verbesserungen“ für einige also durch ungeheure Opfer von vielen Erwerbslosen bezahlen lässt. Wo das Geld für soziale Besserstellung nicht allein der bisherigen SozialhilfeempfängerInnen wirklich zu holen wäre, kann man etlichen ver.di-Broschüren (zum Beispiel der über Steuergerechtigkeit) entnehmen. Lassen wir dieses untaugliche Argument also beiseite, so bleibt wieder nur der Verweis Interessengegensätze (was auf die Akzeptierung von Hartz IV gerichtete Interessen der in Agenturen und Ämtern Beschäftigten unterstellt), um zu begründen, dass die Proteste gegen Hartz IV höchstens noch halbherzig unterstützt werden. Damit sollten wir uns nicht abfinden. Schließlich zitiert Kollegin Lasch noch den Vorsitzenden des ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss, Peter Heller. : „Keiner von uns will Hartz IV“. Na also! „Uns ist klar, dass die Kolleginnen und Kollegen in den künftigen Arbeitsgemeinschaften diese neuen Gesetze nicht gemacht haben und auch nur ihren Job tun.“ Okay. „Deshalb erklären wir ausdrücklich unsere Solidarität mit ihnen.“ – Wobei? Gut: Solidarität im Kampf gegen Überlastung und Überforderung und auch gegen befürchtete körperliche Angriffe wird zu Recht gefordert. Aber offenbar geht es generell um die Abwehr von Protesten gegen den Sozialkahlschlag in den Arbeitsämtern, denn das erklärt Kollege Heller für den „falschen Weg“, und Gundula Lasch schreibt: „Die erwerbslosen ver.di-Aktiven wenden sich auch gegen die Pläne zur Besetzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg oder zur Besetzung regionaler Arbeitsagenturen.“ Das ist nun in der behaupteten Allgemeinheit so eindeutig falsch, dass es gleich im übernächsten Satz wieder dementiert werden muss. Gespräche zwischen Beschäftigten der Arbeitsagentur
und der Sozialämter sowie KollegInnen, die erwerbslos und/oder in
Initiativen wie dem Kieler Bündnis aktiv sind, halten wir auch in
unserer Stadt für ein geeignetes Mittel, Missverständnisse und
Vorbehalte auszuräumen. Unsere Position als ver.di-Mitglieder im
Kieler Bündnis ist klar: Wir werden versuchen, die Proteste
gegen Hartz IV und die Agenda 2010 fortzusetzen. Wir halten es für
berechtigt, diese Proteste in geeigneter Form auch dort vorzutragen, wo
die Hartz-Gesetze exekutiert werden: Bei der Arbeitsagentur und den zukünftigen
„Job-Centern“. Wir wenden uns dagegen, die dort beschäftigten
KollegInnen grundlos anzufeinden. Wir halten es aber auch für notwendig,
dass diese KollegInnen im Bewusstsein unserer gemeinsamen Interessen und
der Richtigkeit der von ver.di selbst gegen die herrschende Politik vorgebrachten
Argumente den Protest unterstützen bzw. an ihren Arbeitsplätzen
um Verständnis für die Protestierenden werben. |